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Deutschlands Weltmachtambitionen wurden im 20. Jahrhundert von einer vielstimmigen Mobilisierung deutscher Kultur begleitet, die neben einer großen Anzahl ästhetischer Innovationen auch barbarische Exzesse zeitigte. Frank Trommler unternimmt zum ersten Mal eine zusammenhängende Darstellung dieser Mobilisierung seit 1900 in ihrem Wechselverhältnis mit Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, der Sowjetunion und den USA. Er stellt die Arbeit der 1920 im Auswärtigen Amt eingerichteten Kulturabteilung in den Kontext dieser Entwicklungen und verfolgt mit neuen Materialien und Archivquellen die…mehr

Produktbeschreibung
Deutschlands Weltmachtambitionen wurden im 20. Jahrhundert von einer vielstimmigen Mobilisierung deutscher Kultur begleitet, die neben einer großen Anzahl ästhetischer Innovationen auch barbarische Exzesse zeitigte. Frank Trommler unternimmt zum ersten Mal eine zusammenhängende Darstellung dieser Mobilisierung seit 1900 in ihrem Wechselverhältnis mit Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, der Sowjetunion und den USA. Er stellt die Arbeit der 1920 im Auswärtigen Amt eingerichteten Kulturabteilung in den Kontext dieser Entwicklungen und verfolgt mit neuen Materialien und Archivquellen die offizielle auswärtige Kulturpolitik der Weimarer Republik, des Dritten Reichs, der Bundesrepublik und der DDR bis zur Wiedervereinigung 1990. Der Einsatz von Kultur und Wissenschaft in den beiden Weltkriegen erfährt ebenso breite Beachtung wie das Verhältnis des Deutschen Reiches zu Österreich, den deutschen Auswandererkulturen und dem Judentum. Mit dieser ausgreifenden Agenda erweist sich das Thema auswärtiger Kulturbeziehungen als Schlüssel für das Verständnis moderner internationaler Geschichte.
Autorenporträt
Frank Trommler war von 1970-2007 als Professor für Germanistik und Komparatistik an der University of Pennsylvania in Philadelphia, mit Gastprofessuren in Princeton und an der Johns Hopkins University beschäftigt. Er war Präsident der German Studies Association (1991/92) und Direktor des Humanities Program am American Institute for Contemporary German Studies in Washington (1995-2003). 2004 erhielt er das Bundesverdienstkreuz für die kulturelle Vermittlung zwischen Deutschland und den USA.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Christoph Bartmann, seit 2011 Direktor des Goethe-Instituts in New York, gruselt es vor der deutschen Kulturpolitik am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Frank Trommler beschreibt in seiner Studie "Kulturmacht ohne Kompass" die Ambitionen der Deutschen, zunächst vor allem des Kaisers, die Größe und Macht des eigenen Reiches im Ausland darzustellen, berichtet der Rezensent. Mit der Weimarer Republik sei dann die zweite Phase auswärtiger Kulturpolitik angebrochen. Diese brachte zwar Ideen einer "weltbürgerlichen Kunstdiplomatie" hervor, die sich im nationalistischen Klima aber kaum durchsetzen konnten, erfährt Bartmann. Es folgen die "Phasen" des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit, bis Trommlers Untersuchung im Jahr 1989 endet, was für den Rezensenten nach einer Fortsetzung schreit. Wollte man eine Bilanz dieses Buches ziehen, so könnte man das mit einem Satz Adornos tun, meint Bartmann: "Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung, ob er will oder nicht", zitiert der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2014

Wer sagt jetzt die
Himmelsrichtung an?
Auswärtige Kulturpolitik im 20. Jahrhundert
Der Kaiser selbst entschied, mit welcher Kunst das Deutsche Reich auf der Weltausstellung in St. Louis 1904 vertreten sein solle. Modernistische Bestrebungen mussten einem Aufgebot von Bildwerken weichen, die Titel trugen wie „Kaiser Wilhelm gratuliert Moltke zum 90. Geburtstag“ oder „Kaiser Wilhelm unter seinen Kadetten“. Wenn der deutsche Auftritt in St. Louis dennoch als Erfolg gefeiert wurde, dann nicht wegen Wilhelms Kunstdiktat. Was internationale Anerkennung erntete, war Deutschlands Beitrag zum Kunsthandwerk und Produktdesign. Hundert Jahre später hätte man von einer Sparte der „Kreativindustrie“ gesprochen. So paarte sich in St. Louis ein reaktionäres mit einem progressiven Motiv zur Signatur einer neuartigen Auswärtigen Kulturpolitik. Sie war so wenig aus einem Guss wie das, was zur selben Zeit die konkurrierenden Mächte unternahmen. Es ging um Großmachtambitionen und um die Pflege der „Deutschtums“ jenseits der Grenzen, es sollte Deutschlands kulturelle Mission befördert und zugleich der deutschen Wirtschaft eine Leistungsschau ermöglicht werden. Jedenfalls entdeckt sich das noch junge und bis dahin vor allem um den technisch-industriellen Fortschritt bemühte Deutsche Reich um 1900 als „Kulturmacht“.
  Und das leider sogleich als „Kulturmacht ohne Kompass“, wie der Titel von Frank Trommlers groß angelegter Studie zu den „deutschen auswärtigen Kulturbeziehungen“ im 20. Jahrhundert lautet. Wer hätte den Kompass in der Hand halten sollen? Etwa der ohnehin nautisch gesinnte Kaiser? Der Begriff „Kulturmacht“ kam, wie Trommler zeigt, um 1900 auf. Das kulturell gesinnte Bürgertum mochte deutsche Größe nicht allein militärisch-industriellen Großtaten zubilligen. Wenn Frankreich mit seiner Kultur schon lange eine zivilisatorische Mission verband, dann sollte auch der deutsche Geist in der Welt wirken. Auswärtige Kulturbeziehungen bestehen freilich auch dann, wenn es gar keine Auswärtige Kulturpolitik gibt. Luthers, Bachs und Hegels Wirkung in der Welt vollzog sich ohne eine Idee von Kulturmacht oder gar Kompass. Es dauert noch eine Weile, bis die Reichsregierung hier Handlungsbedarf erkennt. 1913 dann gibt Kanzler Bethmann-Hollweg Weisung an einige Ministerien, „Unternehmungen oder Veranstaltungen“ zu unterstützen, „die es sich zur Aufgabe gestellt haben, fremde Kulturerscheinungen dem Deutschen zugänglich zu machen oder umgekehrt deutsches Kulturleben im Auslande zu fördern“. Von „Kulturaustausch“ oder gar „Kulturdialog“ ist damals noch keine Rede, wohl aber von „Vorführungen spezifisch deutscher Phantasietätigkeit im Auslande.“
  Man liest die programmatischen Verlautbarungen von damals mit leisem Schaudern, fragt sich andererseits, was man in hundert Jahren von den Konzeptionen und Strategien unserer Tage denken wird. „Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung, ob er will oder nicht“. Adornos Satz, den Trommler zitiert, könnte dieser Bilanz eines Jahrhunderts staatlicher Sorge um die Kultur als Motto dienen.
  Im Wettrennen der europäischen Mächte vor 1914 tritt zunehmend auch die Kultur ins helle Licht der Konkurrenz. Dabei geht es stets um zweierlei: um die Ausstellung eigener Größe und um die nationale Stärkung deutscher Volksgruppen jenseits der deutschen Grenzen. Aus solchen und anderen Motiven auswärtiger Kulturpolitik ist niemals ein konsistentes Programm erwachsen, auch nicht im Nationalsozialismus, als die diversen mit Kultur und Propaganda befassten Ministerien und Stäbe sich aufs heftigste befehden und Hitler, wenn es ihm beliebt, ein Machtwort spricht. Aus der Auswärtigen Kulturpolitik spricht über viele Jahrzehnte und wechselnde Regierungsformen hinweg die Stimme der jeweils dominanten Ideologie. Nichts anderes ist ihr Kompass als die jeweilige diskursive Gefechtslage, in der Individuen oft mehr zu bestellen haben als Regierungen. Wie könnte es anders sein, wenn das Ressort „Kultur“ heißt, ein Gegenstandsbereich, über den sich Menschen, Gesellschaften, Staaten, Nationen in aller Regel uneins sind.
  Der Erste Weltkrieg hat die ungeschickten Bemühungen des Reiches um kulturelle Geltung weithin zunichte gemacht. Was danach folgt und was mit der Einrichtung einer Kulturabteilung im Auswärtigen Amt 1920 bekräftigt wird, ist, wie Trommler schreibt, die „zweite Phase auswärtiger Kulturpolitik“. Gedanklich vorbereitet wird sie von Visionären wie Friedrich Naumann, ihren politischen Protagonisten findet sie in Gustav Stresemann. Erst jetzt nimmt der Gedanke Gestalt an, dass „zivilisierte Nationen“ im Medium der Kultur einander begegnen und sich verständlich machen. Der internationalistische Aufbruch, begleitet von der Blüte des Werkbundes und bald des Bauhauses, hat im Inland mehr Feinde als Freunde. Die von Versailles gekränkte Nation hat dringendere Sorgen als weltbürgerliche Kunstdiplomatie. Der Anspruch auf deutsche Kulturmacht und Weltmission hat sich im rechten Lager rassistisch zugespitzt. Gleichzeitig blüht die Jugendbewegung auf und mit ihr eine neue Agenda aus Esoterik und Lebensreform. Immerhin unterscheidet sich das deutsche Programm auf der Venedig-Biennale 1922 wesentlich von dem in St. Louis 1904. Corinth, Liebermann, Slevogt, Kokoschka, Barlach und andere stoßen beim italienischen Publikum nur bedingt auf Gegenliebe. Man findet die Kunst aus dem Norden „unästhetisch“. Nicht nur hier, auch anderswo auf der Welt trifft Deutschlands kulturelle Selbstdarstellung auf eine merkwürdige Angstlust. Ähnlich sind die Empfindungen zwei Jahrzehnte später im besetzten Paris. Dort entwickelt sich das neu gegründete Deutsche Institut zum Treffpunkt der intellektuellen Kollaborateure und glänzt mit großem Kultur- und Begegnungsprogramm.
  Auch im NS-Staat hatte die Auswärtige Kulturpolitik wohl keinen anderen Kompass als den Willen des Führers. Ihre Instrumente waren vielfältig und ihr Einsatz kompetitiv. Goebbels’ Propagandaministerium und Ribbentrops Auswärtiges Amt befanden sich bekanntlich im ständigen Kampf um Wirkung, Finanzmittel, Erfolge und Hitlers Gunst. Wenn Trommler von der „Mobilisierung deutscher Kultur im Dritten Reich“ spricht, dann heißt das nicht nur, dass im Dritten Reich die deutsche Kultur mobil machte, sondern vor allem, dass Kultur als Mittel der Mobilisierung genutzt wurde wie nie. Der Kulturbegriff der Nationalsozialisten, war, mit einem Schlagwort späterer Zeiten, ein „erweiterter“ und zugleich ein auf politische Dienste beschränkter. Die tückische Idee von „Kultur als höchster Form von Propaganda“ wäre noch wirkungsvoller gewesen, hätte ihr nicht der völkische Wahn im Wege gestanden, für den die deutsche Kultur ohnehin nur von Angehörigen der deutschen „Rasse“ verstanden werden konnte. Mangels einer internationalistischen Ideologie blieb die NS-Kulturmission somit aufs eigene „Blut“ begrenzt. Zu besonders heftigen Krämpfen führte das im Feld der – „deutschen“ – Wissenschaft und Technik, die nicht nur ihre Kriegswichtigkeit, sondern auch ihre hundertprozentige Abstammung aus dem deutschen Volksgeist zu beweisen hatte.
  Am Ergiebigsten ist Trommlers Buch dort, wo er die weniger gut erforschten Epochen der auswärtigen Kulturbeziehungen in den Blick nimmt. Das gilt für die Weimarer Republik ebenso wie für die frühe Nachkriegszeit. Wie steht es mit der Kontinuität der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik über Kriege und Systemwechsel hinweg? Trommler macht deutlich, dass der viel beschworene Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus ein Neuanfang mit alten Organisationen und Personen war, sicher nicht nur mit alten Nazis, aber auch nicht ohne sie. Die kulturellen Mittlerorganisationen wie das Goethe-Institut, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung oder der Deutsche Akademische Austauschdienst waren allesamt Gründungen der Weimarer Zeit. Wenn man sie um 1950 herum neu gründete, dann nicht als Signal für eine nunmehr unabhängigere Kulturpolitik, sondern im Rückgriff auf den Gedanken, dass die Umsetzung der Kulturpolitik am Besten von Agenturen geleistet würde.
  Noch interessanter ist die Frage nach der personellen Kontinuität. Weil es gleichzeitig die kulturpolitische Gefahr durch die DDR abzuwenden galt, war dem Adenauer-Staat ein personeller Mix aus Vertretern der inneren Emigration und NS-Mitläufern nicht unrecht. Wenn Trommlers Buch bei allen Verdiensten einen Aspekt unbelichtet lässt, dann den der kulturellen Macht in Deutschland. Wir denken an die Familien Weizsäcker und Picht, an Carl Heinrich und Hellmut Becker, an Marion Gräfin Dönhoff und Hartmut von Hentig, an Figuren und „federal families“ der Bundesrepublik und ihre geistige Ahnentafel, in der ganz oben der Name Stefan Georges steht. Ulrich Raulff hat diese Geschichte in seinem Buch „Kreis ohne Meister“ erhellt. Sie ist nicht das Thema von Trommlers Buch, aber es hätte ihm gut getan, wenn der Autor nebenbei auch einen Blick auf die dynastische und kulturprotestantische Seite der deutschen Geistespolitik im letzten Jahrhundert geworfen hätte.
  Das Buch endet 1989, was den Wunsch nach einer Fortsetzung weckt. Wie ging es weiter mit den Auswärtigen Beziehungen im wiedervereinigten Deutschland und unter dem zunehmenden Einfluss der europäischen Integration? Und welche Rolle spielen Globalisierung und zunehmend multilaterale Aufgaben, etwa in der arabischen Welt, für die kulturpolitische Agenda? Heute redet man viel von Kultur als „soft power“. Welche Art „Kulturmacht“ ist damit gemeint? Und wer sagt jetzt die Himmelsrichtung an? Fragen, auf die Frank Trommler hoffentlich bald eine Antwort gibt.
CHRISTOPH BARTMANN
Der Autor ist seit 2011 Direktor des Goethe-Instituts in New York.
Aus der auswärtigen Kulturpolitik
spricht meist die Stimme der
jeweils dominanten Ideologie
Um 1900 entdeckt sich
das Deutsche Reich als
Kulturmacht
  
  
  
Frank Trommler:
Kulturmacht ohne Kompass. Deutsch-auswärtige Kulturbeziehungen im
20. Jahrhundert.
Böhlau Verlag, Köln 2014.
732 Seiten, 49,90 Euro.
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