Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 14,00 €
  • Gebundenes Buch

Die Sichtung dessen, was nach der geistigen und materiellen Katastrophe des »Dritten Reiches« verblieben war und nach dem Willen der Besatzungsmächte den Neuanfang tragen sollte, stand in Köln unter dem von dem tatkräftigen Rektor Joseph Kroll beschworenen Leitgedanken des christlichen Abendlandes. Dieser sollte den Professoren und Studenten, die tiefer und verbreiteter in den Nationalsozialismus verwickelt und verstrickt waren, als man sich eingestehen wollte und konnte, in der Neuorientierung des Anfangs Selbstgewissheit geben. Im fortschreitenden Aufbau der Universität und mit der Rückkehr…mehr

Produktbeschreibung
Die Sichtung dessen, was nach der geistigen und materiellen Katastrophe des »Dritten Reiches« verblieben war und nach dem Willen der Besatzungsmächte den Neuanfang tragen sollte, stand in Köln unter dem von dem tatkräftigen Rektor Joseph Kroll beschworenen Leitgedanken des christlichen Abendlandes. Dieser sollte den Professoren und Studenten, die tiefer und verbreiteter in den Nationalsozialismus verwickelt und verstrickt waren, als man sich eingestehen wollte und konnte, in der Neuorientierung des Anfangs Selbstgewissheit geben. Im fortschreitenden Aufbau der Universität und mit der Rückkehr entlasteter Professoren sowie bei der Ergänzung des Lehrkörpers wurde das Weitermachen in herkömmlichen Bahnen abgesichert und das Vergessen und Verschweigen der NS-Zeit zur Maxime. Eine unpolitische Wissenschaftlichkeit sowie eine entpolitisierte gesellschaftliche Konformität machten sich breit. Das Buch beschreibt den schwierigen Anfang, den mühsamen Wandel und die universitäre Normalisierung in Forschung und Lehre auf der Ebene der städtischen Gesamtuniversität, wobei der Autor insbesondere die Entwicklung in der philosophischen Fakultät beobachtet.
Autorenporträt
Leo Haupts, Prof. i.R., lehrte Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität zu Köln.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.05.2007

Die Milde der Kommissionen
Mehr Restauration als Neubeginn: Die Kölner Universität nach 1945
Über die „Gleichschaltung” der deutschen Universitäten im Dritten Reich gibt es inzwischen ein umfangreiches Schrifttum. Weniger gut erforscht sind die Prozesse, die nach der deutschen Niederlage zur Wiedereröffnung der Hochschulen führten. Der emeritierte Kölner Historiker Leo Haupts, ein Kenner der Universitätsgeschichte, stellt diesen komplizierten Prozess am Beispiel der Geschichte der Kölner Philosophischen Fakultät dar, die sich erst 1955 in eine geisteswissenschaftliche und eine naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät aufspaltete. Zu diesem Zeitpunkt endete auch die Hoheit der Stadt und ging auf das Land Nordrhein-Westfalen über.
Köln, 1388 als vierte Universität des Heiligen Römischen Reiches gegründet, war im Unterschied zu ihren Vorgängerinnen in Prag, Wien und Heidelberg eine von den Bürgern getragene Einrichtung. Sie galt bis zu ihrer Auflösung durch die Franzosen im Jahr 1798 als der „alte Hort der abendländisch-christlichen Kultur”. Die Neugründung von 1919 setzte praktischere Akzente, zumal sie aus der Zusammenlegung der Handelshochschule (gegründet 1901), der Hochschule für kommunale und soziale Verwaltung (1912) sowie der ersten deutschen Akademie für praktische Medizin (1904) hervorgegangen war.
Die Amerikaner, die die Stadt Anfang März 1945 eroberten, übergaben sie schon bald den Briten. Diese bemühten sich um eine rasche Normalisierung der Verhältnisse, und so konnte die Universität bereits zum Wintersemester 1945/46 ihre Pforten wieder öffnen. Mit der Behebung der ärgsten Gebäudeschäden und der Aufnahme des Lehrbetriebs waren die strukturellen Probleme jedoch noch nicht gelöst. Haupts zeigt, wie die verschiedenen Kräfte (Besatzungsmacht, Stadtverwaltung, Land, politische Parteien, Fakultäten) und ihre Vertreter (Kontrolloffizier, Oberbürgermeister, Kuratorium, Minister, Rektor, Professoren) mit- oder gegeneinander arbeiteten, um der wiedererstandenen Universität Profil zu verleihen. Wenn Jürgen Kocka das Jahr 1945 unter die Alternative „Neubeginn oder Restauration” stellt, so gewinnt man aus der vorliegenden Darstellung den Eindruck, dass es sich bei der Kölner Universität um mehr Restauration als Neubeginn handelte.
Dafür sorgte der allmächtige Rektor Joseph Kroll, von Hause aus Altphilologe. Er war bereits in der Weimarer Zeit Rektor gewesen, amtierte bei Kriegsende als Prorektor, war jedoch nie der NSDAP beigetreten, weshalb ihm Oberbürgermeister Adenauer und die Militärregierung das Rektoramt anvertrauten, das er bis 1949 ausübte.
Kroll war der Meinung, die Neuorientierung der Universität müsse im Geiste christlich-abendländischer Werte erfolgen, wobei er auf die mehrheitliche Unterstützung der unbelasteten Ordinarien zählen konnte. Dadurch wuchs den Geisteswissenschaften eine Schlüsselposition beim Wiederaufbau zu.
Im zweiten Teil der Untersuchung lässt der Verfasser daher alle Institute der Philosophischen Fakultät Revue passieren und dokumentiert, wie zügig und reibungslos die Restauration letztlich vonstatten ging. Nur in wenigen Fällen wurde ein Belasteter geopfert, zum Beispiel der Germanist und Dichter Ernst Bertram. Obwohl nie Parteimitglied, wurde er „als ein Mann . . . , der zu den Ernährern des Nationalsozialismus gehört”, mit dauerndem Lehrverbot belegt.
Meist ließen die Entnazifizierungskommissionen jedoch Milde walten. Neuerungen erschöpften sich in der Ausweitung des Fächerkanons (Osteuropageschichte, Amerikanistik, Iberische und Lateinamerikanische Geschichte, Slawistik) und der Organisation des Studiums. Ansonsten feierte die Ordinarienuniversität fröhliche Urstände. Die Frage von Karl Jaspers, ob der Nationalsozialismus Erfinder oder Vollender seiner verbrecherischen Gedanken gewesen sei, fand keine Antwort. Auch sein brennender Appell, man müsse durch tiefe Rückbesinnung den Keim des Bösen begreifen, der lange vorher gelegt wurde, wurde erst mit erheblicher Verzögerung in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts aufgegriffen.FRANK-RUTGER HAUSMANN
LEO HAUPTS: Die Universität zu Köln im Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2007. 406 Seiten 49,90 Euro.
Ein Bauernopfer? Ernst Bertram erhielt 1946 Lehrverbot. DLA/Marbach
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr schnell und vor allem "reibungslos" sei nach 1945 die Restauration an der Kölner Universität ins Werk gesetzt worden. Entnazifziert, so Rezensent Frank-Rutger Hausmann, wurde eher nicht und als Neuerungen gab es ein paar neue Fächer. Den Grund für diese rückwärts gerichtete Haltung zu den christlich-abendländischen Werten und der alten Ordinarien-Universität sehe der Autor Leo Haupts in der Person des mächtigen Rektors Joseph Kroll. Als Altphilologe, der nie in die NSDAP eingetreten war, genoss er das Vertrauen von Oberbürgermeister Konrad Adenauer und konnte so eine von den Geisteswissenschaften dominierte Universität aufbauen. Fragen nach der eigenen intellektuellen Verantwortung, wie sie Karl Jaspers gefordert habe, so der Rezensent, wurden in Köln erst in den sechziger Jahren gestellt.

© Perlentaucher Medien GmbH