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Wie wird der weibliche Körper in der Literatur der Bürgerzeit präsentiert? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Inszenierung des weiblichen Körpers und der Konstituierung von Autorschaft? Stellen Schriftstellerinnen den weiblichen Körper anders dar als ihre männlichen Kollegen? Diese Fragen nimmt das Buch an Erzähltexten von Schriftstellerinnen und Schriftstellern vergleichend in den Blick. Romane von einschlägigen Autoren dieser Zeit wie Goethe, Tieck, Novalis, Brentano und Keller werden dabei mit Texten von Autorinnen wie Sophie la Roche, Friederike Helene Unger, Dorothea Schlegel,…mehr

Produktbeschreibung
Wie wird der weibliche Körper in der Literatur der Bürgerzeit präsentiert? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Inszenierung des weiblichen Körpers und der Konstituierung von Autorschaft? Stellen Schriftstellerinnen den weiblichen Körper anders dar als ihre männlichen Kollegen? Diese Fragen nimmt das Buch an Erzähltexten von Schriftstellerinnen und Schriftstellern vergleichend in den Blick. Romane von einschlägigen Autoren dieser Zeit wie Goethe, Tieck, Novalis, Brentano und Keller werden dabei mit Texten von Autorinnen wie Sophie la Roche, Friederike Helene Unger, Dorothea Schlegel, Therese Huber, Caroline Auguste Fischer oder Ida Hahn konfrontiert. Aus dieser vergleichenden Perspektive werden die verschiedenen Aspekte und dargestellten Themen des weiblichen Körpers (der Körper der Jungfrau, der Körper der Mutter, kranke Heldinnen, Körper und Scham sowie die weibliche Schönheit) aufgeschlüsselt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2002

Flucht aus der Familienfalle
Ideologiefest: Rita Morrien kennt das Geheimnis des Treppensturzes

Was ist eine Frau? Ein "Schauplatz ständiger Offenheit und Umdeutbarkeit", ein "unbezeichenbares Feld von Differenzen"? Das also kommt dabei heraus, wenn sich ein Teil der Geisteswissenschaften trotzig zur biologiefreien Zone erklärt und das Geschlecht nur noch als kulturelle Konstruktion gelten läßt. Größtmögliche Unbestimmtheit ist das Gegengift gegen jegliche "Naturalisierung der Geschlechterdifferenz", deren theoretische Ursprünge meist im achtzehnten Jahrhundert ausgemacht werden. Die Schriften von Rousseau, Kant oder Schiller etablierten die Gleichung Frau gleich Natur, was zwar durchaus als sentimentalisches Kompliment im Sinn der Komplementarität (Mann gleich Geist) gemeint sein mochte, aber von der betroffenen Hälfte der Menschheit nicht so empfunden werden muß.

Wie es sich für eine Vertreterin der Gender Studies gehört, verurteilt die Literaturwissenschaftlerin Rita Morrien solche Phantasmen in der Einleitung ihrer Habilitationsschrift als "diskursive Strategie zur Verschleierung der ideologischen, sozialen und ökonomischen Hintergründe der Geschlechterhierarchisierung". Dies klargestellt, wendet sie sich der Konstruktion von Weiblichkeit in der Literatur um und nach 1800 zu. Fünf Komplexe werden untersucht: die "Jungfrau", die "Mutter", die "kranke Heldin", die "Schamhafte" und die "Schöne".

Dabei soll nicht nur der Olymp der kanonischen Autoren, sondern auch das Mittelgebirge des weiblichen Unterhaltungsromans neu vermessen werden. So trifft Goethe auf Helene Unger und Therese Huber, Gottfried Keller auf Johanna Schopenhauer, Adalbert Stifter auf Caroline Auguste Fischer.

Die "Bekenntnisse einer schönen Seele" aus Goethes "Wilhelm Meister" hat man meist als Darstellung pietistischer Frömmigkeit gelesen. Morrien deutet das Selbstkasteiungsprogramm der schönen Seele nun als "Weiblichkeitsboykott", als autistische Kümmer-Variante des männlichen Bildungsromans. Wilhelm dürfe als Mann die Welt in "Interaktion" mit anderen erproben, die schöne Seele dagegen werde "qua Geschlecht" notwendig auf sich selbst zurückgeworfen. Aber waren auf Wilhelms Bildungswegen nicht auch einige Frauen durchaus interaktiv dabei? So leicht ist eine Interpretation "qua Geschlecht" dann doch nicht zu haben.

Stets werden die Texte so gewendet, daß die feministische Rechnung aufgeht. Wird etwa eine Frau in einem Roman attraktiv dargestellt, handelt es sich um ein unkritisches Zugeständnis an den gängigen Schönheitsterror. Ist die Frau dagegen unschön geraten, reproduziert der Autor "die eindeutig misogynen Aspekte des herrschenden Weiblichkeitsbildes". Da bleibt wenig Raum. Vor allem den Texten von Frauen wird allerdings auch "subversives Potential" zuerkannt; einigen Figuren gelinge die Flucht aus der "Ehe- und Familienfalle". Sogar einen Treppensturz der Heldin in Therese Hubers "Luise" deutet Morrien als Reaktion auf "patriarchale Unterdrückungsmechanismen". Andererseits stört sie sich daran, daß Luise als ungeschicktes, dümmliches Geschöpf beschrieben wird. Da liegt der Schluß nahe, auch Huber habe "ungeachtet ihrer kritischen Bewußtseinslage in punkto Frauenunterdrückung die dem zeitgenössischen Weiblichkeitsdiskurs implizite Misogynie zumindest partiell verinnerlicht".

Vergleichsweise gute Zensuren erhält Gottfried Keller. Anna, die früh sterbende Jugendliebe des grünen Heinrich, tritt in manchen Szenen - gegen das Klischee der ätherisch hinsiechenden Heiligenfigur - als munteres Landmädchen auf. Im Fall der sinnlich-freundlichen Judith vermeide Keller sowohl das Modell der tugendgesteuerten Protagonistin wie auch den negativen Gegentypus der sittenlosen Intrigantin. So kann Morrien dem Autor erfreut eine "latente Kritik an den Weiblichkeitsbildern des klassisch-romantischen Zeitalters" bescheinigen. Als Judith nackt im Waldsee badet - eine der berühmtesten erotischen Szenen der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts -, macht sich allerdings auch Kellers junger Held mit seinen allzu faszinierten Blicken der "Distanzierung, Objektivierung und Auslöschung des weiblichen Individuums im Bild" schuldig. Viele Weiblichkeitsklischees werden in diesem Buch entlarvt. Sofort treten Gender-Klischees an ihre Stelle. Morrien verfügt über Belesenheit und analytische Intelligenz. Leider werden diese Qualitäten zu oft von der ideologischen Penetranz der Studie durchkreuzt.

WOLFGANG SCHNEIDER

Rita Morrien: "Sinn und Sinnlichkeit". Der weibliche Körper in der deutschen Literatur der Bürgerzeit. Böhlau Verlag, Köln 2001. 389 S., geb., 38,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Neue Klischees treten an die Stelle der alten, fasst Wolfgang Schneider seinen Eindruck von Rita Morriens gender-orientierter Studie über Weiblichkeitskonstrukte in der Literatur des 19. Jahrhunderts zusammen. Nicht nur der Olymp der anerkannten männlichen Autorenschar werde vermessen, bemerkt Schneider süffisant, sondern auch das "Mittelgebirge des weiblichen Unterhaltungsromans" vermessen. Auf dem Olymp thronen demzufolge Goethe, Keller, Stifter, das Mittelgebirge bevölkern Johanna Schopenhauer, Helene Unger oder Caroline Auguste Fischer. Bis auf Gottfried Keller kämen die Autoren allesamt schlecht weg, berichtet Schneider und meint, egal, wie sie es drehten und wendeten, eine Frau als schön oder hässlich beschrieben, immer entspräche es laut Morrien einem negativen Stereotyp. Nur den Autorinnen könne die Autorin geringfügig "subversives Potential" abgewinnen. Schneider findet es ausgesprochen bedauerlich, dass die belesene und intelligente Autorin ihre Analysen durch " ideologische Penetranz" konterkariert.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Rita Morrien untersucht in ihrer faszinierenden kultur- und genderwissenschaftlich ausgerichteten Untersuchung 'Sinn und Sinnlichkeit' den Zusammenhang zwischen Ästhetik, Geschlecht und Autorenschaft. (...) Spannend und aufregend ist dieses Buch. Es ist erstaunlich, wie genau die untersuchten Szenen visualisiert erscheinen, so dass die auf hohem abstrakten Niveau aufgestellten Thesen auch denjenigen verständlich wird, die sich bislang nicht intensiv mit der Genderanalyse auseinandergesetzt haben. (...) Nicht zuletzt, und das macht die Lektüre vergnüglich, verrät die Autorin Humor." (Ulla Egbringhoff, Virginia, März 2002, , 19.04.2002)