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Die Universität Jena war eine prominent "rassekundlich" ausgerichtete Forschungs- und Ausbildungsstätte des "Dritten Reiches". Ihre höchst widersprüchliche Geschichte jener Zeit wird hier erstmals interdisziplinär in Form einzelner Studien untersucht. Diese widmen sich nach einem Gesamtüberblick dem Lehrkörper, der Studentenschaft sowie ausgewählten Fakultäten, Fachdisziplinen, Strukturen und Wissenschaftlern. Universitäts- und wissenschaftsgeschichtliche Vergleiche arbeiten spezifische Profile und Milieus, markante Ausbildungs- und Wissenschaftsbeiträge sowie exemplarische Konfliktfelder…mehr

Produktbeschreibung
Die Universität Jena war eine prominent "rassekundlich" ausgerichtete Forschungs- und Ausbildungsstätte des "Dritten Reiches". Ihre höchst widersprüchliche Geschichte jener Zeit wird hier erstmals interdisziplinär in Form einzelner Studien untersucht. Diese widmen sich nach einem Gesamtüberblick dem Lehrkörper, der Studentenschaft sowie ausgewählten Fakultäten, Fachdisziplinen, Strukturen und Wissenschaftlern. Universitäts- und wissenschaftsgeschichtliche Vergleiche arbeiten spezifische Profile und Milieus, markante Ausbildungs- und Wissenschaftsbeiträge sowie exemplarische Konfliktfelder heraus. Dabei wird deutlich, dass der Wissens- und Kompetenztransfer in Kernbereiche nationalsozialistischer Politik sowie der Kriegsführung und Generalplanung "Ost" sich nicht auf die NS-Aktivisten der sogenannten "kämpferischen Wissenschaft" beschränkte, sondern auch den akademischen Forschungs- und Lehralltag erfasste. Jena wurde zum Modellfall des Wandels von einer traditionell eher philosophisch geprägten zur "lebensgesetzlich-rassisch" und naturwissenschaftlich ausgerichteten Universität.
Autorenporträt
John, Jürgen
Jürgen John, geb. 1942

Lemuth, Oliver
Oliver Lemuth lehrt und forscht an der Universität Jena.Hoßfeld, Uwe
1988-1993: Studium der Biologie, Wissenschaftsgeschichte, Sportwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Indonesistik
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.06.2004

Von Goethe über Haeckel zu Hitler
Geopolitik und Kindermord: Die Universität Jena war den Nationalsozialisten lieb und teuer
Die Universität Jena war eine „prominent ,rassenkundlich‘ ausgerichtete Forschungs- und Ausbildungsstätte des ,Dritten Reiches‘” - so steht es im Klappentext dieser „Studien”. Insbesondere die medizinischen, naturwissenschaftlich-technischen sowie raumplanerischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fächer wurden in der NS-Zeit ausgebaut, da die am Ort befindliche Großindustrie schon immer angewandte Forschungen begünstigt hatte. Der Kriegsrektor Karl Astel prägte die symbolische Formel „Goethe-Abbe-Haeckel”, um die enge Verflechtung der Salana mit den völkisch-rassischen und kriegstechnischen Vorgaben des NS-Regimes auf einen Nenner zu bringen.
Die Form des Studienbuchs hat in diesem Fall Vor- und Nachteile. In insgesamt 32 Kapiteln kommen Spezialisten zu Wort, die die von ihnen historiographierten Fächer selber studiert haben und sachkundig sind. Dennoch dominiert eine professorale Leben-Werk-Darstellung, da man über Inhalt und Darbietungsform der akademischen Lehre sowie die Befindlichkeit der Nichtprofessoren, der Studenten, wissenschaftlichen Hilfskräfte, Assistenten und Lehrbeauftragte, wenig weiß. Eine ideologiekritische Sichtung des in der NS-Zeit verfassten Schrifttums wird nur mit höchst unterschiedlicher Intensität geleistet. Manche Fächer und ihre Protagonisten werden dagegen von mehreren Seiten beleuchtet, etwa die Rassenkunde und Hans F.K. Günther, der 1930 durch Wilhelm Frick, den ersten nationalsozialistischen Innenminister eines deutschen Landes, gegen den Widerstand von Rektor, Senat und Professorenmehrheit auf einen für ihn eigens eingerichteten Lehrstuhl für Sozialanthropologie berufen wurde, oder die Kinderheilkunde und der Jenaer Ordinarius Jussuf Ibrahim, der sich freiwillig und aktiv an der Kindereuthanasie beteiligte.
Auch der Volkssoziologe Max Hildebert Boehm, der Pädagoge Peter Petersen, der Nordist Bernhard Kummer, der Historiker Johann von Leers, der Biologe Gerhard Heberer und der Jurist Falk Ruttke werden mehrfach erwähnt. Die Interdisziplinarität der Darstellung wie die gründliche Einbeziehung der Medizinischen und der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten neben den eher geisteswissenschaftlich orientierten Evangelisch-Theologischen, Philosophischen und Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten sind hervorzuheben.
Der Band gliedert sich in drei Teile, die der Gesamtuniversität, einzelnen Fakultäten, Disziplinen und Instituten sowie einem kurzen und heterogenen erinnerungskulturellen Abschnitt gewidmet sind. Die Herausgeber sprechen vom Mut zur Lücke, doch wenn fast die Hälfte der Philosophischen Fakultät fehlt - Klassische Philologie, Anglistik, Archäologie, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Romanistik, Sprachwissenschaft -, ist das ein grundlegender Mangel. Die umfassende Erschließung neuer Quellen wird mit über 300 Seiten Fußnoten, Statistiken und Registern erkauft, was zu Lasten der Lesbarkeit geht.
Das wissenschaftliche Niveau der einzelnen Beiträge ist durchgehend hoch, doch haftet dem Band etwas Provisorisches an, da keine ordnende Hand die Redundanzen ausgeglichen hat. Dabei zeigen die Herausgeber in ihrem vorzüglichen Einleitungskapitel , wie eine solche Zusammenfassung aussehen könnte: Die Universität wird im regionalen, nationalen und internationalen Umfeld situiert, die Pré- und die Post-histoire der braunen Jahre wird berücksichtigt, die Leitkategorien der Darstellung sind nicht ausschließlich biographisch, sondern orientieren sich an der politischen Großwetterlage. Disziplinübergreifende Netzwerke werden rekonstruiert, die nationalsozialistische Hochschulpolitik wird daraufhin überprüft, ob sie Wissenschaftlichkeit und Innovation in allen Fällen einer rassisch-völkischen Verblendung preisgegeben hat. Auch wenn nur zehn Professoren Opfer der Rassengesetze wurden, hätte man sich einen ihnen gewidmeten eigenen Beitrag gewünscht. Als Fazit bleibt: ein äußerst sorgfältig recherchierter Band mit großem Informationsgehalt, der vom Leser jedoch viel Geduld und Durchblick fordert, um sich selber ein abschließendes Urteil über die Verflechtungen einer der traditionsreichsten deutschen Universitäten mit dem Nationalsozialismus bilden zu können.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
UWE HOSSFELD, JÜRGEN JOHN, OLIVER LEHMUTH, RÜDIGER STUTZ (Hrsg.): „Kämpferische Wissenschaft”. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag, Köln 2003. 1160 Seiten, 154 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht rundum zufrieden zeigt sich Frank-Rutger Hausmann mit dem Ergebnis eines Sammelbandes, der sich mit der Universität Jena als nationalsozialistischer Forschungsstätte beschäftigt. Wohl durch die Nähe zur Großindustrie waren in Jena besonders die naturwissenschaftlich-technischen sowie die wirtschaftswissenschaftlichen Fächer ausgeprägt, auch Medizin und Raumplanung genossen besondere Förderung. In 32 Kapiteln werden nun die verschiedenen Fächer, Fakultäten, Institute, Professoren von heutigen Experten des Faches vorgestellt und begutachtet, so Hausmann - im allgemeinen sei das Niveau der Beiträge durchgehend hoch. Allerdings dominiere ein professoraler Ton, der ihn eher stört, auch die 300 Seiten Fußnoten, Register und Statistiken erhöhen nicht die Lesbarkeit, mäkelt der Rezensent. Trotz eines vorzüglichen Einleitungskapitels, das zeige, wie viel die Herausgeber leisten könnten, vermisst Hausmann eine ordnende Hand, die Überschneidungen und Wiederholungen in den verschiedenen Kapiteln ausgleicht. Für ihn hat das durchaus sorgfältig recherchierte und informative Buch immer noch etwas Provisorisches, da es stellenweise größere Lücken aufweist: etwa die Hälfte der Fächer der philosophischen Fakultät fehle, kritisiert er.

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