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Tief unten in den Kellern der Kirchengeschichte, verborgen selbst für die meisten Historiker, liegen jahrhundertealte Traditionen begraben, von denen die Kirche heute nichts mehr wissen will. Hubert Wolf steigt mit archäologischem Spürsinn hinab in diese Krypta. Er entdeckt dort Frauen mit bischöflicher Vollmacht, Laien, die Sünden vergeben, eine Kirche der Armen - und andere Traditionen, die heute wieder aktuell werden könnten. Die katholische Kirche setzt auf die lange und unabänderliche Tradition ihrer heute gültigen Einrichtungen und Regeln. Grundlegende Reformen gelten als Sakrileg.…mehr

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Produktbeschreibung
Tief unten in den Kellern der Kirchengeschichte, verborgen selbst für die meisten Historiker, liegen jahrhundertealte Traditionen begraben, von denen die Kirche heute nichts mehr wissen will. Hubert Wolf steigt mit archäologischem Spürsinn hinab in diese Krypta. Er entdeckt dort Frauen mit bischöflicher Vollmacht, Laien, die Sünden vergeben, eine Kirche der Armen - und andere Traditionen, die heute wieder aktuell werden könnten. Die katholische Kirche setzt auf die lange und unabänderliche Tradition ihrer heute gültigen Einrichtungen und Regeln. Grundlegende Reformen gelten als Sakrileg. Höchste Zeit für einen frischen Blick auf die Geschichte: Päpste waren einmal in Gremien eingebunden, die sie kontrollierten, Frauen konnten Sünden vergeben, Laien hatten etwas zu sagen, Bischöfe wurden gewählt. Die katholische Kirche war lange ein breiter Strom mit vielen Nebenarmen - den der römische Zentralismus im 19. Jahrhundert kanalisierte. Dazu wurden Traditionen erfunden, an die bis heute selbst Historiker glauben. Hubert Wolf enthüllt an zehn Beispielen Vergessenes und Verdrängtes - und gewinnt daraus Reformideen für die Kirche von morgen.
Autorenporträt
Hubert Wolf ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er wurde u. a. mit dem Leibnizpreis der DFG, dem Communicator-Preis und dem Gutenberg-Preis ausgezeichnet und war Fellow am Historischen Kolleg in München.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als Aufruf zu mehr konziliarer und kollegialer Mitsprache in der Kirche versteht Rudolf Neumaier Hubert Wolfs mit Reformvorschlägen garnierte Systemkritik. Dass der Autor ein "Herzblutkatholik" ist, bezweifelt der Rezensent nicht, aber kühn, ja, abwegig klingen ihm manche von Wolfs Ideen, wie die Kirche in der Vergangenheit weltoffener gestaltet werden konnte. An der Hierarchie, dem römischen Zentralismus und dem Papal-Absolutismus und weiteren Strukturproblemen lässt der Autor laut Neumaier kein gutes Haar. Größenwahnsinnige Bischöfe außer Kontrolle, muss das sein, fragt der Autor. Und der Rezensent freut sich über Fragen statt Forderungen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.01.2015

Sündenfall einer Weltreligion
Hubert Wolf zeigt, wo die katholische Kirche sich für ihre dringend notwendigen Reformen orientieren
könnte – an der eigenen Geschichte. Sein Buch „Krypta“ beweist, wie modern diese Kirche einmal war
VON RUDOLF NEUMAIER
Gemessen an den Normen der freien westlichen Gesellschaften lebt die katholische Kirche hinterm Mond. Zäh pflegt sie ihre Anachronismen. Gleichzeitig stellt dieses Aus-der-Zeit-gefallen-Sein aber eine erhebliche Belastung dar. Der Mangel an Personal, das ihre heilbringende Lehre verkünden soll, ist nur eines der Probleme dieser Kirche. Ein noch gravierenderes ist ihr Mangel an Glaubwürdigkeit, der auf einer überkommenen Struktur basiert. Abgeschreckt von einem Klerus, der sich Mitsprache ebenso verbittet wie die Forderung nach Transparenz, laufen der Kirche die Leute davon. Missbrauchsskandale und selbstherrliche Bischöfe sind in den letzten Jahren für viele nur noch äußere Anlässe gewesen, aus der Kirche auszutreten – und damit aus der vom Klerus oktroyierten Unmündigkeit.
  Ein Herzblutkatholik wie Hubert Wolf, der in diesem Jahr sein 30. Weihejubiläum als Priester feiert, muss verzweifeln, wenn er auf seine Kirche blickt. Das System braucht eine Reform, das steht für den Münsteraner Kirchenhistoriker außer Frage. In seinem Buch „Krypta“ serviert er den entscheidenden Männern – denn es entscheiden ja immer noch ausschließlich Männer in dieser Institution – einige Vorschläge. Sie klingen kühn, man möchte fast sagen abwegig, wenn man die Intransigenz des Amtsklerus vor Augen hat. Der aber wird Wolfs Anregungen schwerlich verwerfen können, ohne sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
  Es handelt sich samt und sonders um Beispiele aus der Kirchengeschichte, mit denen Wolf belegt, dass sich die una sancta ecclesia durchaus weltoffener ausrichten könnte, wenn sie wollte. Und wenn sie sich nicht selbst vieler ihrer Freiheiten beraubt hätte. „Unterdrückte Traditionen“ nennt der Theologe seine Funde in der hauseigenen Historie. Er hätte aber auch „Legitime Optionen für eine grundlegende Reform“ in den Untertitel schreiben können. Es sind Alternativen, die in dieser Kirche tatsächlich lange Zeit praktiziert wurden, und verschwundene Ideen. Eine erhellende Lektüre.
  Die Glaubenshüter berufen sich auf eine angeblich seit Jahrhunderten unveränderte Lehre, auf Kontinuität und Tradition. Für einen unbefangenen Wissenschaftler wie Wolf ist es ein Kinderspiel, die Dogmatiker zu widerlegen. Einen Wandel zu einer antidemokratischen Organisation vollzog die Kirche erst im 19. Jahrhundert: Als Europa freier, gleicher, brüderlicher wurde, entwickelte sich die katholische Kirche in die entgegengesetzte Richtung. Sie zementierte ihre Hierarchie, stärkte den römischen Zentralismus und führte beim Ersten Vatikanischen Konzil 1871 mit dem Unfehlbarkeitsdogma den Papal-Absolutismus ein. Vom Ende des 19. Jahrhunderts an scheuten Kirchenhistoriker investigative Forschung – sie hätten schließlich etwas finden können, was den Papst und seine tonangebenden Dogmatiker brüskieren und letztlich zur Exkommunikation führen hätte können.
  So totalitär wurde die Kirche innerhalb weniger Jahrzehnte, so totalitär ist sie. Verbindlich fixiert wurde dieses System im Kirchenrecht, dem Codex iuris canonici, nochmals im Jahr 1983. Man kann es nicht einmal Rückfall nennen, was sich im 19. Jahrhundert in der Kirche abspielte. Es war ihr Sündenfall.
  Henry Edward Manning, Erzbischof von Westminster und Rädelsführer beim unsäglichen Infallibilitätsdogma von 1871, tabuisierte die kirchliche Geschichtswissenschaft und damit die Geschichte selbst. Das kirchliche Lehramt war für ihn „der unerschütterliche Felsen der Wahrheit“, wer wahrhaft katholisch sei, für den sei es ausgeschlossen, „in den Sumpf der menschlichen Geschichte hinabzusteigen“. Historische Vorbilder für die Entweltlichung ihrer Kirche konstruierten sich Manning und die anderen Initiatoren lieber selbst. Sie erfanden Traditionen, die es nie gegeben hatte, und schliffen sich – am liebsten unter mutwilliger Missdeutung des Konzils von Trient im 16. Jahrhundert – damit eine Lehre zurecht, mit der sie Bedenkenträger eiskalt ausstachen. Wolf bringt dieses Lügengebäude mit Fakten zum Einsturz.
  Immerhin wagt die Kirche inzwischen einen Blick in den Spiegel ihrer Vergangenheit, seit Papst Johannes Paul II. Ende der Neunziger Archive öffnete und verkündete: „Die Kirche fürchtet gewiss nicht die Wahrheit, die aus der Geschichte kommt.“
  Die historischen Wahrheiten, die dieses Buch zutage fördert, böten jedenfalls Chancen für Reformen. Nie könnte die Kirchengeschichte für den Katholizismus so wertvoll gewesen sein wie heute. Hubert Wolfs Funde beziehen sich weniger auf Symptome der aktuellen Kirchenkrise – etwa die Unbeholfenheit des Vatikan mit wiederverheirateten Geschiedenen – als auf die Strukturprobleme, die diese tiefe Krise verursacht haben.
  Wenn zum Beispiel Bischöfe, wie es ursprünglich vorgesehen war und auch praktiziert wurde, in ihren Bistümern über eben solche Fragen wie den Umgang mit Wiederverheirateten entscheiden dürften, könnten sie dem Kirchenvolk besser dienen als jetzt. Sie sind streng an die Vorgaben aus Rom gebunden. Ein Bischof ist gegenüber der Kurie genauso ohnmächtig wie ein Priester gegenüber dem Bischof und ein katholischer Laie gegenüber dem Klerus. Doch das diktatorische Prinzip hat sich überlebt. In modernen Gesellschaften tauschen sich die Ebenen untereinander aus. Weil das in der Kirche anders geregelt ist, macht sie Fehler.
  Wolfs Register beginnt bei der Entscheidung Papst Benedikts XVI., den Holocaust-Leugner Richard Williamson wieder aufzunehmen in den Schoß der Kirche, und es listet Fälle auf wie den des wunderlichen Bischofs Tebartz-van Elst, der sich in Limburg eine kostspielige Residenz errichten ließ. Ratzinger war nicht nur schlecht beraten – er war so gut wie gar nicht beraten. Und Tebartz-van Elst war nicht nur schlecht kontrolliert – er war so gut wie außer Kontrolle.
  Die Thesen sind hier in Fragen verpackt: Der Autor tritt nicht wie viele der Progressivtheologen auf, die Forderungen aufstellen und sie mit dem rhetorischen Dreschflegel durchfechten. Wolf benützt das Florett: er fragt lieber. Zum Beispiel: „Ist es möglich, Bischöfe vor einsamen Fehlentscheidungen zu bewahren, indem man sie an die Zustimmung ihres Domkapitels bindet, das alle Priester und Mitarbeiter in der Seelsorge einer Diözese repräsentiert?“ Aufgrund seiner Befunde kann Wolf mit Ja antworten. Des „subversiven Potenzials“ dieser Erkenntnisse „im Hinblick auf die derzeitige Gestalt der katholischen Kirche“ ist er sich bewusst.
  Können Frauen bischöfliche Vollmachten ausüben? Nach einem Blick in die Geschichte: ja. Wenn Äbtissinnen ordiniert wurden, war der liturgische Text identisch mit dem von Bischofsweihen. Streng genommen hätten Frauen sogar Kardinalinnen werden können.
  Können Laien in der Kirche leitende Funktionen einnehmen? Nach einem Blick in die Geschichte: ja. Bis ins 19. Jahrhundert fungierten Kardinäle im Vatikan, die nicht einmal eine Priesterweihe vorwiesen. Sie leiteten sogar Kongregationen und das Kardinalstaatssekretariat.
  Kann das Kirchenvolk bei der Ernennung von Bischöfen oder der Installation von Pfarrern mitreden? Nach einem Blick in die Geschichte: ja.
  Im Kern ist dieses Buch als Appell zu verstehen, in der Kirche wieder konziliare und kollegiale Mitsprache zu institutionalisieren – und das auf allen Ebenen, in der Dorfpfarrei wie in bischöflichen Ordinariaten und schon gar in Rom. Wolf beruft sich auf den Subsidiaritätsgedanken von Pius XI. Verkürzt gesagt erklärte dieser Papst die Leistungsfähigkeit einer Person oder einer Gruppe zum Maßstab überindividuellen Handelns: Einzuschreiten ist nur, wenn einer sich nicht helfen kann. Pius’ Soziallehre aus dem Jahr 1931 wird heute fast überall umgesetzt – außer in der Kirche.
  Erst wenn er seine starre Struktur verwirft, kann sich der Katholizismus reformieren. Dabei braucht er sich weniger an freien westlichen Gesellschaften zu orientieren als an seiner eigenen Geschichte. Das ist das Erstaunliche an Hubert Wolfs Arbeit: Sie zeigt, wie modern diese Kirche einmal war. Eine bessere, schönere Metapher als die Krypta hätte der Autor nicht finden können. Die Potenziale der Kirche schlummern gegenwärtig in einem Kellerraum unter dem Altar. Wie ein prächtiger Schatz.
Unmöglich für einen Katholiken,
„in den Sumpf der menschlichen
Geschichte hinabzusteigen“
Als Europa freier, gleicher, brüderlicher wurde, entwickelte sich die Kirche in die Gegenrichtung: das Erste Vatikanische Konzil.
Foto: Hulton Archive/Getty Images
  
  
  
  
Hubert Wolf: Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte. Verlag C. H. Beck, München 2015. 231 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.
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"Es ist das große Verdienst von Hubert Wolf aufzuzeigen, dass die Katholische Kirche eben nicht ein monolithischer Block ist, der seit 2000 Jahren in dieser Form existiert, sondern eine Kirche im stetigen Wandel der Zeiten."
Richard-Heinrich Tarenz, WILD Lectura 28.12.2016