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Hans-Ulrich Wehler hat mit seinem Buch "Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland" im vergangenen Frühjahr Stoff für Diskussionen geliefert und einen Bestseller vorgelegt. Der Historiker, dessen Deutsche Gesellschaftsgeschichte zu den herausragenden Werken der jüngeren Geschichtsschreibung gehört, versammelt in regelmäßigen Abständen seine wichtigsten Essays und Aufsätze. Einen Schwerpunkt des neuen Bandes bildet die Frage nach den historischen Erfahrungen der Deutschen mit dem Kapitalismus. Aber auch die Sarrazin-Debatte, die Zukunft der Sozialgeschichte und ein kritischer…mehr

Produktbeschreibung
Hans-Ulrich Wehler hat mit seinem Buch "Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland" im vergangenen Frühjahr Stoff für Diskussionen geliefert und einen Bestseller vorgelegt. Der Historiker, dessen Deutsche Gesellschaftsgeschichte zu den herausragenden Werken der jüngeren Geschichtsschreibung gehört, versammelt in regelmäßigen Abständen seine wichtigsten Essays und Aufsätze. Einen Schwerpunkt des neuen Bandes bildet die Frage nach den historischen Erfahrungen der Deutschen mit dem Kapitalismus. Aber auch die Sarrazin-Debatte, die Zukunft der Sozialgeschichte und ein kritischer Rückblick auf die Generation 45 gehören zu den Themen, denen sich Wehler diesmal widmet.
Autorenporträt
Hans-Ulrich Wehler, geb. 1931, war bis zu seiner Emeritierung Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität Bielefeld.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.08.2014

Wider die Biederkeit
Hans-Ulrich Wehlers letztes Werk: Gesammelte Einsichten eines großen Historikers, der über Deutschland schrieb, aber die Welt im Blick hatte
Die „Bielefelder Sozialgeschichte“ genießt weltweit Anerkennung. Ebenso das Hauptwerk ihres jüngst verstorbenen Nestors Hans-Ulrich Wehler: Die „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“ in fünf Bänden. Das schützt den „großen Historiker“ (so sein Kontrahent Christopher Clark) hierzulande nicht vor Verhöhnung. In der FAZ wurde Wehlers monumentale „Gesellschaftsgeschichte“ im vergangenen Mai argumentfrei mit 28 Buchstaben abgefertigt: „tautologische Umständlichkeit“. Mit solchen Anwürfen muss rechnen, wer aus der neudeutschen Gemütlichkeit ausschert und radikale Kritik und historische Aufklärung nicht für vorgestrig hält.
  Wehlers letztes Buch – ein Sammelband mit Aufsätzen und tagespolitischen Debattenbeiträgen aus unterschiedlichen Anlässen – enthält zwanzig Texte aus den Jahren 2010 bis 2013. Die Beiträge decken drei Bereiche ab: erstens Aspekte der deutschen Politikgeschichte vom Verhältnis der Deutschen zum Kapitalismus, über die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts bis zur Spiegel -Affäre und zur Sarrazin-Debatte. Die zweite Gruppe von Texten behandelt methodische Probleme der Sozialgeschichte und deren Abgrenzung von anderen Sozialwissenschaften. Im dritten Teil druckt Wehler tagespolitische Debattenbeiträge ab, sie behandeln vor allem das in der politischen Publizistik am meisten verdrängte oder bewusst ausgeblendete Thema der wachsenden sozialen Ungleichheit. Dieser absehbaren Signatur des 21. Jahrhunderts widmete er 2013 ein brillantes Buch („Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland“).
  Ökonomen der Klassik und insbesondere die Neoklassiker von Friedrich August bis zu Milton Friedman betrachteten die deutsche Kameral- und Polizeiwissenschaft sowie die Staatswissenschaft und die ältere und jüngere historische Schule, aus denen erst spät die universitären Fächer Volkswirtschaftslehre und Nationalökonomie hervorgingen, als provinzielle deutsche Veranstaltung, als „Sonderweg“, für den sie nur Ver- und Missachtung übrig hatten. Wehler zeigt in seinem Essay über „Die Deutschen und der Kapitalismus“, dass die historische Kapitalismusanalyse besser ist als ihr Ruf. Sie folgte nicht dem säkularen Dogma der „Plusmacherei“ (Marx) in einem staatsfreien Raum. Sie trug damit zur Erklärung des Kapitalismus mehr bei als die neoliberalen Spielereien mit mathematischen Modellen, mit Rational-Choice-Spekulationen und dem biederen homo oeconomicus.
  Von Wilhelm Roscher über Karl Marx und Werner Sombart bis zu Gustav Schmoller und Max Weber entstanden durchaus unterschiedliche Kapitalismus-Erklärungen, die auch heute noch Erkenntnisse ermöglichen, die dem beschränkten Horizont des neoliberalen „Marktfanatismus“ entgehen, der bedauerlicherweise die Ökonomen der vergangenen Jahrzehnte ausgezeichnet hat. Wehler preist eine Studie des Soziologen Wolfgang Streeck („Re-Forming Capitalism, 2009), in der dieser eine Rückkehr zu historisch-politisch informierten, ökonomisch-sozialen Analysen vorschlägt anstelle von stupiden Modellen idealer Märkte.
  Als Nicht-Jurist schätzt Wehler die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts außerordentlich hoch ein. „Beharrlich, gesinnungsfest, normensicher und weltklug“ habe es die politische Ordnung“ zugleich „verteidigt“ und „elastisch ausgebaut“. Dem wird man kaum widersprechen können. Erstaunlicherweise wirft der Historiker Wehler die für eine Demokratie wichtige Frage nicht auf, warum die bei der Entstehung der BRD berechtigte Skepsis gegenüber plebiszitären Elementen heute noch gilt und bei allen Fragen ein Gericht und nicht der Demos das letzte Wort hat.
  Ausgesprochen sympathisch wirkt Wehlers selbstkritisches Plädoyer für globalhistorisch angelegte Studien. Er, auf die deutsche Geschichte spezialisiert, schreibt nun, dass Defizite und „Besonderheiten der jeweiligen Sonderwege“ nur im Vergleich mit anderen Ländern kritisch analysiert werden könnten: Denn einen Sonderweg im Singular könne nur unterstellen, wer von einem „Normalweg“ ausgeht.
  Mit der ihm eigenen Verve kritisiert Wehler Götz Alys Buch „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“, in dem Aly den Sozialneid als Ursache und Kern des modernen Antisemitismus herausarbeiten möchte, dabei aber Faktoren wie den Nationalismus, den Rassismus und den christlichen Antijudaismus unterschätzt. Für Wehler ist das Buch „ein klassischer ,Flop‘, der zentrale Elemente nicht einmal ins Auge fasst“. Fair charakterisiert er die Vorzüge der umfänglichen ersten Gesamtgeschichte der Bundesrepublik des jüngeren Marburger Kollegen Eckart Conze. Wehler bezweifelt jedoch mit guten Argumenten, dass Conzes Konzept vom Streben nach „Sicherheit“ als roter Faden tauge, um alle Probleme und Konflikte der letzten 65 Jahre adäquat darzustellen.
  Die wissenschaftliche Produktivität und Neugier, die Wehler auch als „public intellectual“ bis zu seinem Tod an den Tag legte, fordert Respekt und Anerkennung. Dieser Sammelband, sein letztes Buch, bietet neue Einsichten und Perspektiven – gut lesbar auf jeder Seite.
RUDOLF WALTHER
Hans-Ulrich Wehler: Die Deutschen und der Kapitalismus. Essays zur Geschichte, C.H.Beck Verlag, München 2014. 174 Seiten, 14.95 Euro.
Rudolf Walther ist freier Publizist. Zuletzt erschien von ihm der dritte Band seiner Essays: „Aufgreifen, begreifen, angreifen“ (Oktober Verlag, Münster 2013).
Das Bundesverfassungsgericht
wird von Wehler hoch gepriesen:
Es sei weltklug und normensicher
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

So leicht lässt Rudolf Walther nichts auf den jüngst gestorbenen Historiker Hans-Ulrich Wehler kommen, der als kritischer Sozialgeschichtler immer noch aus der "neudeutschen Gemütlichkeit" herausrage. Wie viel Wehler bis zuletzt zu sagen hatte, zeigt dem Rezensenten dieser Band, der tagesaktuelle Stücke, Aufsätze zu politischen Entwicklungen und Texte zu Methodenproblemen umfasst. Sehr überzeugend findet Walther zum Beispiel, wie Wehler den Beitrag der deutschen Kapitalismus-Analyse von Marx, Sombart und Weber etwa gegen ihre neoklassischen Verächter Hayek und Friedman verteidigt oder wie Wehler zum Schluss selbstkritisch seinen nationalen Fokus bedauert. Nur die Verehrung für das Bundesverfassungsgericht, die teilt der Rezensent nicht ganz.

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