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Europa kommt aus Asien! Sie ist eine hübsche Prinzessin, die vom lüsternen Göttervater Zeus übers Meer entführt und an der Küste Kretas abgesetzt wird. Im übrigen hat die Antike keinen Europa-Begriff. Sie erlebt sich selbst als einen zusammenhängenden Kulturraum, zu dem Griechen und Römer, die Bewohner Vorderasiens, Ägypter, Karthager und noch viele andere Völker gehören. In diesem kulturell unendlich reichen Völkergemisch schießen so viele Impulse auf, dass die damals frei werdenden politischen, geistigen, kulturellen und religiösen Kräfte das sich erst langsam herausbildende Europa…mehr

Produktbeschreibung
Europa kommt aus Asien! Sie ist eine hübsche Prinzessin, die vom lüsternen Göttervater Zeus übers Meer entführt und an der Küste Kretas abgesetzt wird. Im übrigen hat die Antike keinen Europa-Begriff. Sie erlebt sich selbst als einen zusammenhängenden Kulturraum, zu dem Griechen und Römer, die Bewohner Vorderasiens, Ägypter, Karthager und noch viele andere Völker gehören. In diesem kulturell unendlich reichen Völkergemisch schießen so viele Impulse auf, dass die damals frei werdenden politischen, geistigen, kulturellen und religiösen Kräfte das sich erst langsam herausbildende Europa nachhaltig prägen. Hartmut Leppin spürt diesem Entstehungsprozess nach, erzählt die Geschichte der Anfänge Europas, erhellt ihre wichtigsten Weg- und Wendemarken. Dabei erläutert er in diesem Zusammenhang bedeutsame Schlüsselbegriffe wie Freiheit, Imperium und Religion. So entsteht ein anschauliches Bild des antiken Erbes, von dem Europa bis auf den heutigen Tag zehrt und das nicht nur Europa prägte.
Autorenporträt
(Prof. Dr.) Hartmut Leppin, geb. 1963 in Helmstedt. Ordentlicher Professor für Alte Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2010

Was hier vorher geschah
Geschichten von Europa, der launischen Prinzessin

Beim Historikertag wurde jedem Referenten eine Tasche mit Werbematerial ausgehändigt. Zu den wenigen Stücken, die das rasche Aussortieren überlebten, gehörte ein Beck-Band, der vom Verlag vollmundig als das "künftige Standardwerk" angepriesen wird. Es handelt sich um Hartmut Leppins "Das Erbe der Antike", und der eigentliche Grund, warum es in jeder Werbetasche steckte, war, dass Beck zwei neue Reihen populärer Einführungswerke zu lancieren hatte: eine "C. H. Beck Geschichte Europas" mit Leppins Buch als erstem von zehn Bänden und eine ebenfalls zehnbändige "Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert".

Erst vor wenigen Jahren hat der Verlag mit der ambitionierten Reihe "Europa bauen", einem Gemeinschaftsunternehmen mit vier anderen europäischen Verlagen, spektakulär Schiffbruch erlitten. Als Luigi Canfora eine Geschichte der Demokratie aus kommunistischer Perspektive vorlegte, verweigerte Beck als einziger der fünf Verlage eine Publikation und brach damit das europäische Kooperationsabkommen.

Dass Canforas Rundumschlag gegen das liberaldemokratische Europa im Hause Beck für derart rote Köpfe sorgen konnte, hatte direkt mit dem Programm von "Europa bauen" zu tun. Dieses nämlich war ganz der politischen Sinnstiftung für eine vermeintlich alte, endlich zu sich selbst findende Gemeinschaft verpflichtet und stellte die Reihe damit just in jene geschichtswissenschaftliche Tradition, die sie zu überwinden vorgab: Würde man im pompösen Geleitwort von Jacques le Goff "Europa" durch "unsere Nation" ersetzen, wäre man schon dem Klang jener wissenschaftlichen Predigten nahe, die nationalistische Historiker um 1900 gerne gehalten haben. Das Fundament von "Europa bauen" war ein affirmativer Geist, der sich von Canfora mit Leichtigkeit erschüttern ließ.

Sind die jüngsten beckschen Europa-Reihen vor einem ähnlichen Schicksal gefeit? Grund zur Zuversicht gibt, dass die Ansprüche konzeptionell wie inhaltlich heruntergefahren wurden. Die "Geschichte Europas" ist nach Epochen gegliedert und wird nicht mehr explizit als Beitrag zum europäischen Einigungsprozess verkauft, während die "Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts" sogar in nationalgeschichtliche Monographien unterteilt ist, womit sie sich schon fast wieder dem Vorwurf aussetzt, ein vorgestriges Bild der politischen Geschichte zu reproduzieren.

Allerdings: von der Betrachtung der europäischen Geschichte als Heilsweg in den Schoß der politischen Union hat sich der Verlag noch nicht ganz verabschiedet. Betroffen davon ist vor allem die "Geschichte Europas". Die Reihe solle zeigen, "was ,Europa' in den unterschiedlichen Epochen seiner langen Geschichte ausmachte und was für Vorstellungen jeweils mit dem Begriff verbunden wurden". Das klingt nach einer Vereinigung des Unvereinbaren, einer Paarung von Essentialismus und Konstruktivismus: Einerseits geht es um das Wesen Europas in seinen historischen Erscheinungsformen, andererseits um den Aufbau und Umbau von Europakonzepten.

Diese Herausforderung zu meistern dürfte für alle Autoren ein Kraftakt sein. Für den Althistoriker Leppin ist es ein Ding der Unmöglichkeit, und er ist sich dessen wohlbewusst. Er nennt die "Rede von einem antiken Europa" anachronistisch, "denn die Vorstellung eines Europa in einem emphatischen Sinne ist, wann immer sie entstanden sein mag, nicht antik. Europa war für die Antike eine Frauengestalt der Mythologie, die ironischerweise gar nicht aus Europa stammte, sondern aus dem vorderasiatischen Phönizien." Zudem bilde nicht der Kontinent, sondern der Mittelmeerraum das Zentrum der antiken Welt.

Um den Band dennoch für die Reihe zu retten, verschreibt sich Leppin ganz der Teleologie und wird damit dem missverständlichen Buchtitel vom "Erbe der Antike", bei dem man eine Wirkungsgeschichte der alten Griechen und Römer erwarten würde, auf indirektem Weg gerecht. Leppin erzählt zwar eine Geschichte der Antike, gliedert diese aber nach drei für die spätere Geschichte Europas wegweisenden Leitthemen: "Freiheit", "Reichsgedanke" und "Wahrer Glaube". So erfährt man zum Beispiel viel über die Organisation und Mission des frühen Christentums, kaum aber etwas über die heidnischen Riten von Griechen und Römern. Obwohl das Büchlein klar gegliedert und gut geschrieben ist, vermag es damit keinen ausgewogenen Überblick über die antike Geschichte zu geben, wie ihn Leppin selbst vor ein paar Jahren mit seiner (ebenfalls bei Beck erschienenen) "Einführung in die Alte Geschichte" vorgelegt hat.

Wie funktioniert das Programm der "C. H. Beck Geschichte Europas" in späteren Epochen? Erste Anhaltspunkte gibt unter anderem der Band von Hartmut Leppins Frankfurter Kollegin Luise Schorn-Schütte über "Konfessionskriege und europäische Expansion" zwischen 1500 und 1648. Wie Leppin bietet Luise Schorn-Schütte eine Abhandlung mit einer übersichtlichen Gesamtstruktur, anders als er versucht sie aber, das von ihr behandelte Zeitalter in seiner Totalität zu erfassen. Von der Staats- und Verfassungsgeschichte über die Religions- und Bildungsgeschichte bis zur Sozial- und Kolonialgeschichte wird nahezu alles abgedeckt. Luise Schorn-Schütte lässt sich dabei vom Anspruch leiten, "den in sich abgeschlossenen Charakter der Frühen Neuzeit zu beschreiben". Klarer kann man sich kaum gegen eine teleologische Geschichtsbetrachtung aussprechen.

Noch erstaunlicher an diesem Buch ist aber, dass sie den frühneuzeitlichen Vorstellungen über Europa bloß ein paar allgemeine Sätze widmet. Im Unterschied zu Leppin hätte sie hier aus dem Vollen schöpfen können, zumal sich nach 1500 das Nachdenken über Europa im Zeichen der Türkenbedrohung und der Expansion nach Übersee intensiviert und transformiert hat - wenn auch nicht in einer Weise, die sich als Vorleistung zur europäischen Einigung darstellen ließe. So gelungen der Epochenüberblick der Autorin auch ist, in die Beck-Reihe zur "Geschichte Europas" könnte man ebenso gut irgendeine andere der vielen Einführungen in die Frühneuzeitliche Geschichte aufnehmen.

Wie jene identifiziert Luise Schorn-Schütte "Europa" unausgesprochen mit der katholisch-protestantischen Christenheit. Bei allem Bemühen um eine Beschreibung der Frühen Neuzeit aus ihrer eigenen historischen Bedingtheit heraus bleibt auch hier das teleologische Fundament stehen.

CASPAR HIRSCHI.

Luise Schorn-Schütte: "Konfessionskriege und europäische Expansion". Europa 1500 - 1648.

Verlag C. H. Beck, München 2010. 276 S., br., 14,95 [Euro].

Hartmut Leppin: "Das Erbe der Antike". Verlag C. H. Beck, München 2010. 288 S., br., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.02.2011

Hat unser Kontinent eine
Vorstellung von sich selbst?
In der neuen „C. H. Beck Geschichte Europas“
bläst keiner mehr die Abendlandstrompete
Ein neues europäisches Geschichtswerk – wer wollte es nicht loben? Aber kaum hat man einverständig genickt, beginnen schon die Fragen. Die alten Grenzen, die Europa einteilen, werden überschritten, aber was erwartet den Leser hinter diesen Grenzen? Ein anderer Staat, ein anderer Kultur- oder Wirtschaftsraum, aber ein verwandter doch wohl. Was macht diese Verwandtschaft aus? Was ist europäisch? Und wenn die traditionell nationalstaatlichen Geschichtswerke über die Grenzen schauen sollen, um Einflüsse festzustellen und im Vergleich das Spezifische zu erkennen – müsste dann nicht eine Geschichte Europas das Gleiche auf höherer Ebene tun, den arabischen Raum, Mittel- und Fernost bedenken, von Afrika ganz zu schweigen?
Die neue „C. H. Beck Geschichte Europas“ stellt Europa nicht in einen globalen Zusammenhang, zumindest nicht in den ersten drei Bänden, die erschienen sind. In diesem Frühjahr werden weitere Bände dieser Taschenbuchreihe herauskommen, die auf zehn Bände angelegt ist und 2013 abgeschlossen sein soll. In den vorliegenden Bänden behandeln Luise Schorn-Schütte „Konfessionskriege und europäische Expansion (1500-1648)“, Andreas Fahrmeir „Revolutionen und Reformen (1789-1850)“ und Hartmut Leppin „Das Erbe der Antike“.
Ob Regie oder Zufall: Jedenfalls die beiden erstgenannten Bände sind bestens geeignet, nach der Sonderrolle unseres Kontinents zu fragen. Gern wird ja derzeit behauptet, es fehle der islamischen Welt (die zwar eine europäische Dependance hat, von Europa aber wohl zu unterscheiden ist) eine Reformation. Ist die Reformation also etwas genuin Europäisches, hat sie jene Art der Modernität heraufzuführen geholfen, die sich spätestens im 19. Jahrhundert die Welt unterwarf? Hier bleibt der Band von Luise Schorn-Schütte, die in Frankfurt am Main lehrt, über die Konfessionskriege auf charakteristische Weise karg.
Schorn-Schütte hat sich vorgenommen, „den in sich abgeschlossenen Charakter der Frühen Neuzeit zu beschreiben“, von einem Fortschrittsprozess zu reden interessiert sie weniger, auch wenn Momente der Protodemokratie, der ständischen Partizipation an Herrschaft, recht stark betont werden. Nun mag man viel Sympathie haben für eine Historiographie, die sich geschichtsphilosophisch zurückhält, die nicht Noten für Fort- und Rückschrittlichkeit verteilt. Aber über Wirkungen, auch langanhaltende Wirkungen zu reden, das ist noch nicht Spekulation oder Phantasterei; Wirkungen gehören zu Ereignissen. Davon zu schweigen und sich auf das Ausmalen eines „in sich abgeschlossenen Charakters“ zu beschränken, das ist doch recht mutlos.
Nun fällt Schorn-Schüttes Buch auch durch ein gewisses Desinteresse an den religiösen und konfessionellen Fragen auf. Schon der Titel deutet eine solche Zurückhaltung an. Von Reformation, was ja nahegelegen hätte, ist nicht die Rede. Der Leser wird nicht getäuscht, aber auch nicht zufriedengestellt. Was soll uns wohl interessieren, wenn nicht der Einfluss des Glaubens auf Politik und Gesellschaft? Dabei zweifelt Schorn-Schütte nicht an der Kraft religiöser Überzeugungen, an der „gesellschaftlich mobilisierenden Wirkung religiöser Wahrnehmungs- und Deutungsschemata“. Dem Dreißigjährigen Krieg gesteht sie für die erste Phase genuin konfessionelle Kriegsgründe zu. Aber die Reihe will sich in geistes- oder ideengeschichtlichen Fragen offenbar zurückhalten.
Man spürt dies auch in dem Kapitel über die Entdeckungen und frühe Kolonialbildung. Selbstverständlich ist es ja nicht, so weit auszugreifen, wie es die großen Seefahrer taten. Andere Hochkulturen haben das nicht gemacht. Warum Europa? Macht- und Beutegier sind eines. Doch daneben treten ja bald scharfsinnige Überlegungen zum begrenzten Recht der Eroberer gegenüber der neuen Welt. Man will missionieren, aber es gibt Missionare, die sich für die fremden Völker nicht allein strategisch interessieren. Ihre Forschungen zu Sprache und Kultur hat Friedrich Meinecke in die Frühgeschichte des Historismus eingefügt. Liegt darin eine Offenheit, die Europa vor anderen Kulturräumen auszeichnet? Schorn-Schütte spricht darüber nur sehr knapp. Sie muss allerdings auch, das sei zugestanden, eine gewaltige Stoffmasse in einen schmalen Band zwingen.
Das ist auch das Problem von Andreas Fahrmeir, der sich „Revolutionen und Reformen (1789-1850)“ widmet. Fahrmeir, ebenfalls Professor in Frankfurt am Main, hat sich mit gesellschaftsgeschichtlichen Studien vor allem zum Bürgertum hervorgetan, das merkt man seinem neuen Buch an; es befasst sich mehr mit Fragen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung als mit denen der Revolutionen. Fahrmeir ist streckenweise witzig bis brillant, dann auch wieder etwas umständlich im Nominalstil. Stärker als Schorn-Schütte gelingt es ihm, den Stoff unter leitenden Fragen zu ordnen, wenn er etwa fragt, was die Industrialisierung ausgelöst hat: Fahrmeir nennt neben dem technischen Fortschritt die Ressourcen der Kolonien, die im Mutterland Kapazitäten für die industrielle Produktion freisetzte, und vor allem die industrious revolution, die Fleißrevolution, die Arbeitskräfte freisetzte, die zuvor in der Subsistenzwirtschaft oder in den ausgedehnten Freizeitspäßen der frühen Neuzeit steckten.
Die Geschichte der Revolutionen hat Fahrmeir weniger klar angelegt. Wie bei Schorn-Schütte wirbeln die Details doch gelegentlich wild umeinander. Das ist bei der Knappheit verständlich, es fehlt der Platz, die Linien deutlicher auszuziehen, Wichtiges durch Anschaulichkeit hervorzuheben. Aber es ist auch ein konzeptionelles Problem. Die Geschichtswissenschaft steht immer in der Gefahr der Vielwisserei, und je weiter ihr Feld gesteckt ist, desto größer ist diese Gefahr. Im Falle einer europäischen Geschichte ist es die Vielzahl der Staaten, Herrschaften, Regionen, die zu berücksichtigen sind und, nach erfolgter Berücksichtigung, den Leser zuletzt verwirrt zurücklassen.
Würde er etwas stärker ideengeschichtlich orientiert, löste sich das Problem wohl. Denn was Europa gemeinsam ist, das ist die Ideengeschichte, ihre Probleme werden grenzüberschreitend erörtert. Dass die neue Beck’sche Geschichte Europas darauf recht wenig Wert legt, das zeigt wohl, wie stark die europäische Idee sich verdünnt hat. Bei allen Vorzügen, die die beiden Autoren für sich reklamieren dürfen: Was ihren Gegenstand eigentlich ausmacht, das trauen sie sich nicht auszusprechen, vielleicht auch nicht zu denken: Europa ohne Vorstellung von sich selbst.
Da geht der dritte Autor, Hartmut Leppin, beherzter zur Sache. Dabei ist sein Thema, „Das Erbe der Antike“, noch ausgedehnter als das der Kollegen: Griechenland und Rom sind zu behandeln, es wird ein Blick auf Ägypten und die vorderasiatischen Reiche geworfen, und auch das Judentum kommt zu seinem Recht. Aber Leppin hat den Stoff überlegen geordnet. Seine leitenden Gedanken heißen „Freiheit“, „Imperium“, „wahrer Glaube“; unter ihnen stellt er die frühe und klassische griechische Geschichte, darauf Hellenismus und Rom und zuletzt die Spätantike dar. Die Wahl dieser Gesichtspunkte ist nicht spektakulär; aber die Umsicht, mit der Leppin die chronologische und thematisch-systematische Darstellung verknüpft, kann man nur bewundern.
Leppin (ebenfalls Professor in Frankfurt, aber diese Frankfurt-Ballung, so wird versichert, ist Zufall) stellt die Fragen, die heute interessieren: Hatten die Griechen so etwas wie eine Identität? Was machte Freiheit für sie aus? Waren die hellenistischen Reiche Beispiel des Multikulturalismus? Oder gab es so etwas wie eine griechische Leitkultur? Kannte die alte Welt religiöse Toleranz? Leppin antwortet darauf vorsichtig, aber er antwortet. Zur Frage der Identität: Die Griechen lebten in klassischer Zeit aus der Loyalität zu ihrer Polis, ihrem Stadtstaat, aber ein gesamtgriechisches Zusammengehörigkeitsgefühl gab es durchaus. Man wusste, wer an den großen Wettkämpfen in Olympia oder Delphi teilnehmen durfte: nicht nur die Griechen des Mutterlandes, sondern auch die der Pflanzstädte, sofern sie nach Kultus, Sprache und Gebräuchen Griechen waren; auch die Bürgerrechte waren ethnizistisch begründet.
Freiheit, das bedeutet mehr die Teilhabe am Staat als Unabhängigkeit von ihm, zumindest in klassischer Zeit. Später änderte sich das. Ohne dass die Abendlandstrompete geblasen würde, sieht der Leser: Das sind seine Probleme. Leppins Absicht ist es nicht, die politische Diskussion des Tages mit historischen Girlanden zu umhängen. Aber weil er als unser Zeitgenosse seinen Gegenstand befragt, wird schärfer sichtbar, was die antike Welt und auch uns ausmacht, die wir (wenn auch nicht als Einzige) in der Antike „unsere Traditionen wiederfinden“.
Die Rolle des klassischen Altertums für die historische Bildung ist in den letzten Jahrzehnten reduziert worden. Die vor fünfzig Jahren erschienene „Propyläen Weltgeschichte“ widmete von zehn Bänden noch zwei Griechenland und Rom, zwei weitere der Vorgeschichte und den frühen Hochkulturen des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens. Jetzt muss in einem allein Europa gewidmeten Sammelwerk ein einzelner Band von zehn Auskunft geben über die Alte Welt. Und doch ist es der Band, der bisher am ehesten einen Eindruck von Europa und uns selbst verschafft. STEPHAN SPEICHER
HARTMUT LEPPIN: Das Erbe der Antike. Verlag C. H. Beck, München 2010. 288 Seiten, 14,95 Euro.
ANDREAS FAHRMEIR: Revolutionen und Reformen. Europa 1789-1850. Verlag C. H. Beck, München 2010. 304 Seiten, 14,95 Euro.
LUISE SCHORN-SCHÜTTE: Konfessionskriege und europäische Expansion. Europa 1500-1648. Verlag C. H. Beck, München 2010. 276 Seiten, 14,95 Euro.
Revolutionen und Reformen:
Das Europa-Geschichtswerk
ist auf zehn Bände angelegt
Protodemokratie? Man will
keine Noten mehr für Fort- und
Rückschrittlichkeit verteilen
Historiker neigen zur Vielwisserei
– aber hier werden die Fragen
unserer Gegenwart verhandelt
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Zurückhaltung, die sich die neue Beck-Reihe zur europäischen Geschichte bei geistes- und ideengeschichtlichen Überlegungen offenbar auferlegt hat, stößt bei Stephan Speicher auf Enttäuschung. Von den ersten drei Bänden überzeugt ihn deshalb nur Hartmut Leppins Buch über "Das Erbe der Antike" in seinem unter die Leitbegriffe "Freiheit", "Imperium" und "wahrer Glaube" geordneten Aufbau. Hier zeigt der Rezensent Bewunderung für die klaren Linien des Autors und seinen Mut, die Antike aus zeitgenössischer Sicht nach ihrer "Identität" zu befragen. Dabei blase Leppin dennoch nicht in die "Abendlandstrompete", betont Speicher, dem es aber wichtig ist, hier die antiken Wurzeln europäischen Selbstverständnisses umrissen zu sehen. Daher kann der Rezensent kann nur bedauern, dass dafür in der Reihe nur ein Band zur Verfügung steht.

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