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Der Band nimmt Gedankengänge auf, die Ernst Tugendhat in seinem Buch Egozentrizität und Mystik ausgeführt hat. Die Religion, die im vorherigen Buch neben der Mystik ein Randdasein führte, tritt jetzt in den Vordergrund. Für die Neuauflage hat Ernst Tugendhat den Band um zwei neue Beiträge erweitert: Nazismus und Universalismus. Ist die universalistische Moral historisch erklärbar? und Noch einmal über normative Gleichheit. Was immer Metaphysik heißen mag, es reduziert sich, so die These dieses Buches, auf Anthropologie, weil alle metaphysischen Themen sich als Elemente des menschlichen…mehr

Produktbeschreibung
Der Band nimmt Gedankengänge auf, die Ernst Tugendhat in seinem Buch Egozentrizität und Mystik ausgeführt hat. Die Religion, die im vorherigen Buch neben der Mystik ein Randdasein führte, tritt jetzt in den Vordergrund. Für die Neuauflage hat Ernst Tugendhat den Band um zwei neue Beiträge erweitert: Nazismus und Universalismus. Ist die universalistische Moral historisch erklärbar? und Noch einmal über normative Gleichheit. Was immer Metaphysik heißen mag, es reduziert sich, so die These dieses Buches, auf Anthropologie, weil alle metaphysischen Themen sich als Elemente des menschlichen Verstehens erweisen. Sodann kommt Ernst Tugendhat noch zu einer anderen Erklärung für den Primat der Anthropologie: Alles Historische verliert seine Gültigkeit für uns, wenn es sich nur aus Tradition begründen läßt; und so bleibt die Frage nach dem Sein des Menschen übrig, wenn alles, was nur zu Traditionen gehört, wie ein Vorhang weggezogen wird. Was aber ist philosophische Anthropologie, und wodurch unterscheidet sie sich von der empirischen Anthropologie? Das Buch geht diesen Fragen nach und widmet sich daneben anthropologischen Einzelthemen wie Willensfreiheit, intellektuelle Redlichkeit, Moral, Religion und unser Verhältnis zum Tod.
Autorenporträt
Ernst Tugendhat, geb. 1930 in Brünn, lebt jetzt in Tübingen. Er ist emeritierter Professor für Philosophie der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2007

Staunen über das Staunen
Warum nicht ein wenig Metaphysik treiben, fragt Ernst Tugendhat

In seinem neuen Buch nimmt Ernst Tugendhat mit frischem Elan die Motive seines Gelehrtenlebens auf. Nicht rasch abrufbare Resultate, sondern die Art des philosophischen Fragens machen die Lektüre zum Erlebnis.

Wahrscheinlich hält er sich jetzt schon in Südamerika auf, wohin er als Kind mit seinen Eltern vor dem Nationalsozialismus geflohen war. Eine andere Art von Flucht war es, als er sich 1992 kurz nach der Wiedervereinigung in jenes Asyl der Kindheit absetzte. Plötzlich war ihm fragwürdig geworden, warum er als Jude eigentlich so frühzeitig nach Deutschland gegangen war. Nie hatte er sich in all den Jahren, vom Studium in Tübingen bis zu seinen Professuren in Heidelberg und Berlin, darüber Gedanken gemacht. In einem langen Gespräch mit der Berliner "Tageszeitung" hat Ernst Tugendhat neulich über diese Verwirrungen berichtet. Es sind nicht die einzigen ungewöhnlichen Geständnisse. Er spricht über Eitelkeit, Hochmut und Selbstzufriedenheit wie ein Mönch über seine Versuchungen. Der Siebenundsiebzigjährige will mit sich und seinen philosophischen Arbeiten ins Reine kommen. Und man hat den Eindruck, dass es auch mit der Philosophie zu Ende geht.

Dabei hat das jüngste Buch Ernst Tugendhats einen Titel, der eher wie ein Aufruf zu einem neuen Anfang anmutet: "Anthropologie statt Metaphysik". Die Reihe der Ersetzungen der Metaphysik, die das ganze zwanzigste Jahrhundert umtrieben, ist lang, und auch die Anthropologie ist darunter als ein oft genannter Kandidat für eine neue Erste Philosophie. Wenn Tugendhat scheinbar in aller Naivität dieses Rezept noch einmal hervorholt, dann greift diese Wahl auch bei ihm selbst weit zurück, als er bei Heidegger hörte und sich mit dessen Philosophie auseinandersetzte. Sein bedeutendes Buch "Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger" ist der Niederschlag einer eigenwilligen, alles ernst nehmenden und alles in Zweifel ziehenden Lektüre. Jetzt erscheint ihm die von Heidegger zurückgewiesene Anthropologie als die wichtigste strategische Option der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts. Ein Versäumnis, das nach dem Heideggerianismus der frühen und dem Einfluss der sprachanalytischen Philosophie der späteren Jahre als das große intellektuelle Versäumnis erscheint.

Nun weiß man, mit wie viel Empirie und empirischer Philosophie (Arnold Gehlen) das weite Feld der Anthropologie aufgeladen wurde, um die Rolle einer Grundlagendisziplin spielen zu können. Aber das alles interessiert Tugendhat wenig. Für ihn ist Anthropologie nur ein anderes Wort für die Frage "Was ist der Mensch?", und er möchte sie als Frage von derselben Art wie die Frage der Metaphysik nach dem Seienden gestellt wissen. Auch die unvermeidlichen Grenzstreitigkeiten mit Ethnologie und Ethologie, mit Sozialanthropologie und Biologie, mit dem Kulturrelativismus oder mit der historischen Anthropologie schiebt er beiseite, um sein philosophisches Interesse am Menschen gleichsam rein zu erhalten. Das ist von einer erstaunlichen Naivität, die sich heute kaum ein Philosoph erlauben würde. Dabei ist es aber auch ein hochfliegendes Vorhaben, das sich an Nietzsche misst, als ließe sich der "Wille zur Macht" in den "Willen zum Menschen" umstandslos übersetzen.

Zu den elementaren Stücken seines Unternehmens gehört für Tugendhat, den Aristoteliker, dessen Analyse der menschlichen Sprachverfassung, ihrer propositionalen Struktur und Situationsunabhängigkeit. Wie dies für den von der modernen Sprachphilosophie herkommenden Philosophen die Grundlage auch der klassischen Metaphysik ist, soll es nun auch das Fundament der Anthropologie sein, verbunden mit der heute ebenso universal verstandenen Lehre von dem quasi metaphysischen Vorrang des anderen, dessen Anerkennung den Menschen erst zu sich bringe. Der Vorrang des anderen für das Selbstsein ist heute ein Dogma, dem auch Tugendhat seine Reverenz erweist. Dass er aber trotzdem die Egozentrizität des Menschen in den Mittelpunkt stellt und nur einen Altruismus für begründungsfähig hält, der aus dem expliziten Egoismus hervorgeht, gehört zu seiner Bevorzugung der eigenen Wege. Überraschend ist auch die Distanz, die Tugendhat zur heute allgegenwärtigen Mitleidsmoral hält. Er hält unbeirrt daran fest, "dass man das Schreien der Unglücklichen (oder was immer es sei) nicht sieht oder hört, aber von ihm wissen könnte". Das Mitleid als Fundament einer Ferne-Ethik lehnt er ab.

Wer, wie Tugendhat, an einem strikten Programm rationaler Begründung festhält, wer sich letztlich als Aufklärer versteht, kann viele moralphilosophische Wendungen der Gegenwart nicht mitmachen. Für ihn hängen das Fragen, die Überlegung, die Rationalität und die Verantwortlichkeit eng zusammen. Er wird sich nicht bereden lassen, um eines glänzenderen Resultats seiner Überlegungen willen einen dieser Schritte auszulassen. Stattdessen aber geht er besonders langsam auf den ausgetretenen Pfaden der Moralbegründung und verschmäht alle stützenden Argumente, die etwa von der historischen Vernunft bereitgestellt werden. Man mag sich stellenweise auf den Boden der antiken Philosophie versetzt oder aber an die asketische Haltung Wittgensteins erinnert fühlen - die Unbeirrtheit der Darlegungen Tugendhats lässt ein eigenes, sehr verhaltenes Ethos aufscheinen. Am Ende mündet seine Philosophie in eine Einstellung des Staunens, die er als Mystik identifiziert und die wiederum eine Verwandtschaft zur Lebenseinstellung Wittgensteins zeigt.

Wer die Argumentationskunststücke der analytischen Philosophie, ihr Feuerwerk von Subtilitäten schätzt, wird von Tugendhat, der viele Jahre unter dem Einfluss dieser Philosophie gestanden hat, die ihn von der Tiefe der deutschen Denktradition, zumal Heideggers, befreien sollte, vielleicht enttäuscht sein. Denn er hat sich mit der Zeit immer stärker von jenem agonalen Stil der analytischen Philosophie entfernt. Bezeichnenderweise hat dies bei ihm nicht die Dramatik eines Bruches, einer Zurückweisung oder gar einer Widerlegung angenommen. Vielmehr hat er sich mit der ihm eigenen Behutsamkeit für ein ganz anderes Philosophieren geöffnet, für die Mystik Ostasiens. Und wiederum ist er auch dorthin nicht mit wehenden Fahnen übergelaufen, hat nicht abgeschworen, sondern den Versuch gemacht, das philosophische Staunen der Griechen mit dem Asiens zu verschmelzen. In einer Fusion beider Einstellungen wird es da am Ende zum Staunen darüber, dass der Mensch staunen kann.

Mehr als seine philosophischen Resultate, die Tugendhat mit unerbittlichem Ernst und ebensolcher Bescheidenheit vorträgt, ist es seine philosophische Einstellung, die ihn von dem Üblichen abhebt. Selbst als er in erster Linie die analytische Philosophie rezipierte, war er keiner ihrer sich immer mehr ausfächernden Spielarten zuzurechnen. Und während seine Wurzeln in der griechischen Philosophie sich damit gut vertrugen, galt dies überhaupt nicht für sein lange anhaltendes, wenn auch nie in Abhängigkeit führendes Interesse an Heidegger, das stellvertretend für philosophische "Tiefe" stand.

Am Ende scheint doch das Interesse an Tiefe, an der Lebensbedeutung der Philosophie, den Sieg davonzutragen - vielleicht für Tugendhat selbst überraschend. Denn dass er sich für Religion und Mystik nicht als kulturelle und historische Phänomene, sondern als Lebenseinstellungen interessieren würde, war bei dem rationalen Grundzug seines Philosophierens kaum zu erwarten. Am ehesten dürfte es sich um ein allmähliches Ernsterwerden von Fragen handeln, die ihn seit je beschäftigt hatten. Sie fanden schließlich ihre Melodie. Auch der Aufklärer muss über den Tod nachdenken - mit denselben Mitteln, mit denen er alle anderen Probleme, die er für ernst gehalten hat, zu lösen versuchte.

Es waren ernste Fragen, mit denen sich Ernst Tugendhat in all den Jahren auch außerhalb der akademischen Philosophie beschäftigt hat: Atomkraft, Umwelt, Krieg. Er hat dabei aber nie sein Metier verlassen, sondern nach philosophischen Begründungen für sein Engagement gesucht. Wollte man den gemeinsamen Nenner mit seiner Philosophie suchen, wäre dies wohl ein Glaube an Metaphysik in ihrem klassischen Verständnis: Nur wenn es sie gibt, kann man in allem einem Kanon von Begründungen folgen, die in ihr verankert sind. Eines Tages mögen zumal Tugendhats späte Arbeiten als Vorzeichen eines neuen, unbefangenen Interesses an Metaphysik angesehen werden. Warum nicht ein wenig Metaphysik treiben?

HENNING RITTER

Ernst Tugendhat: "Anthropologie statt Metaphysik". Verlag C. H. Beck, München 2007. 205 S., 2 Abb., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensent Thomas Meyer ist ein wenig enttäuscht von diesem Buch, das seiner Ansicht nach von einer merkwürdigen Ungeduld regiert wird. Außer Aristoteles und Platon behandele der 76jährige Philosoph Ernst Tugendhat alle anderen Philosophen wie "dumme Schuljungen", wische Traditionen vom Tisch und bewege sich damit leider unterhalb der "selbst gesetzten Ansprüche". Ein "Witzchen über Heidegger" und "das Kopfschütteln über Plessner" machen das Buch aus Meyers Sicht noch nicht fett. Trotzdem konnte der Rezensent den Aufsätzen des Bandes gelegentlich auch etwas abgewinnen. Denn aus seiner Sicht hat die Neuausrichtung von Ernst Tugendhats bekanntenThesen auf die Anthropologie auch ihren Reiz. Das entkräftet dennoch nicht seine Grundkritik, der zufolge Tugenhats autistische Anthropologie insgesamt weniger Argumente als Schrullen zu bieten hat.

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