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Wie aus Erfahrung Literatur wird Schreiben bedeutet, dem Wunsch zu folgen, daß man in die Haut eines anderen schlüpfen, daß man aus der eigenen Haut fahren könnte. Die Haut ist wie die Sprache, von Innen und Außen zugleich gezeichnet, von Geschichte wie von einer Spur geprägt und doch bereit, daß auf ihr etwas Neues eingetragen werden kann. Daphne und Apollo, Echo und Narziß - nicht nur in Romanen wie "Edmond" und "Eden Plaza" hat sich Dagmar Leupold die antiken Erzählungen anverwandelt, auch in ihren Essays liest sie diese neu und entwickelt aus ihnen ihr eigenes poetisches Programm. Im…mehr

Produktbeschreibung
Wie aus Erfahrung Literatur wird
Schreiben bedeutet, dem Wunsch zu folgen, daß man in die Haut eines anderen schlüpfen, daß man aus der eigenen Haut fahren könnte. Die Haut ist wie die Sprache, von Innen und Außen zugleich gezeichnet, von Geschichte wie von einer Spur geprägt und doch bereit, daß auf ihr etwas Neues eingetragen werden kann. Daphne und Apollo, Echo und Narziß - nicht nur in Romanen wie "Edmond" und "Eden Plaza" hat sich Dagmar Leupold die antiken Erzählungen anverwandelt, auch in ihren Essays liest sie diese neu und entwickelt aus ihnen ihr eigenes poetisches Programm.
Im Zentrum von "Alphabet zu Fuß" stehen die Poetik-Vorlesungen, die Dagmar Leupold über "Vergessen, Erinnern, Korrespondieren" unter dem Titel "Poetischer Stoffwechsel" gehalten hat. Von der Bilderwelt des Mythos über die Überlieferung der Literaturgeschichte bis zur körperlichen Empfindung untersucht Dagmar Leupold Prozesse der Verwandlung, der Ähnlichkeit und der Verdichtung und zeigt, durch welchen Stoffwechsel aus Erfahrungen Literatur wird.
Ob sie über Laufen und Literatur, Ingeborg Bachmann oder Uwe Timm, den "Tor!"-Schrei beim Fußball schreibt oder das musikalische Protokoll ihres Schreiballtags gibt: die Essays von Dagmar Leupold sind klug, poetisch und dicht, Erkundungen der Sehnsuchtslandschaft der Literatur.
Autorenporträt
Dagmar Leupold, geb. 1955, lebt in Kirchseeon bei München. Für ihre Werke erhielt sie u. a. den Aspekte-Literaturpreis, den Montblanc-Literaturpreis und den Förderungspreis der Bayerischen Akademie der Künste.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ohne Theorieballast und Fremdworte, einfach mit guter Laune und vielen neugierigen Fragen kämen Leupolds Essays daher, freut sich Rezensent Seven Hanuschek über die überraschend vergnügliche Lektüre. Noch bei ihren Porträts zu Uwe Timm und Ingeborg Bachmann hinterfrage die Autorin anhand des "eigenen poetischen Stoffwechsels" den kreativen Prozess. Nur aus dem, was man nicht wisse, könne man den Funken der Literatur oder Poesie schlagen, referiert der Rezensent, und im literarischen Idealfall, würden schließlich Autor und Leser "gemeinschaftlich staunen". In Leupolds Poetikvorlesungen, dem Hauptstück des Bandes, komme dem "Vergessen" als Lebenskunst und "Form der Leistungsverweigerung" eine besondere Rolle zu. Weitere Essays beschäftigten sich mit Themen wie "Tausch und Täuschung", "die Kunst der Verführung" oder in elf "Scherben" mit dem eigenen Alltag am neunten (oder eher elften?) September 2001. Charakteristisch für Leupolds "neugierige Erkundungen" ist für Hanuschek ein generell "offener" und undogmatischer Blick, den die Autorin ihrerseits bei Uwe Timm als "ethnologischen Blick" charakterisiert habe.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.05.2006

Der Tag, als Eva Schuster anrief
Dagmar Leupold verwertet, was von der Tagung übrig blieb: „Alphabet zu Fuß. Essays zur Literatur“
„Es war in diesem Literaturhaus“, nein, „es war bei einer Lesung“, ach was, war es nicht „bei einem Seminar für (zukünftige) Romanautoren“, halt, ich glaube, es war doch eher „auf einer Reise nach Darmstadt zum Deutschen Literaturfonds“, nein, stimmt ja gar nicht, jetzt hab’ ich’s, es war der Tag, „als mich Eva Schuster vom Kulturreferat anrief.“ Deutschland, deine Evas, deine Kulturreferate, Literaturhäuser, Autorenseminare und Dichterfonds! Darmstadt, endlich Darmstadt. . .Unersättlich ist des Literaturbetriebs Hunger auf Heißluft, Brosamen vom Musenkonferenztisch und olympisch gelockter Hobelspäne von der Poetenwerkbank. Die Mühlen wollen mahlen, der Dichter braucht das Fördergeld.
Die Romancière und Poétesse Dagmar Leupold ist stolz darauf dazuzugehören. In einem Moment atemraubender Offenheit resümiert sie in ihrem neuen Essayband das ganze Drama des bundesrepublikanischen Autors in den mittleren Jahren: „Steht man zu seiner westdeutschen Nachkriegsdurchschnittlichkeit, einem Gefühl der Unwesentlichkeit, das überdies gesteigert wird durch das Trauma einer für ’68 zu spät Geborenen, bleibt noch die Möglichkeit der Selbstmystifikation im Text und der damit verbundene Trost, den Literaturpreise bieten.“ Dies ist der weiseste und schrecklichste Satz in diesem an schrecklichen Sätzen nicht armen Band. Dieser Satz fasst der Dichterin ganzes Drama zusammen. So reist und doziert und poetologisiert sie durch das Land, und heraus kommt das weiße Rauschen der Kulturindustrie.
Die Kernstücke dieses Essaybandes voller Gebrauchstexte für die große Kulturkäseglocke bilden drei Vorlesungen, die Leupold im Rahmen der Liliencron-Poetik-Dozentur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gehalten hat.
Hier entwickelt Leupold ihre dialektische Poetik des Vergessens, Erinnerns und Korrespondierens, die für sie die „energetischen Formen poetischen Sprechens, Speicherns und poetischer Verarbeitung“ sind. Die erste Vorlesung zur Poetik des Vergessens ist dabei sicher der erbaulichste Teil der Veranstaltung. Ist es nicht eine herrliche Wortklauberei, das hierarchielose Vergessen als conditio sine qua non des Erinnerns zu feiern? Gern lässt man sich von säuselnder Theorielyrik einlullen, nickt ein paar sophistische Volten ab, ja, das klingt alles nur zu einleuchtend: Wem wären nicht auch schon die Felle den Lethe hinuntergeschwommen, und wer hätte sie nicht Jahre später jubilierend als silbrig triefende Pelzverbrämung eines coelestischen Glücksmoments wieder aus dem Nass gezogen?
Barthes über den Hosenlatz
In ihren ästhetischen Erkundungen träumt Leupold von der Utopie einer neuen Sprache, einem ganz anderen Seins-Dialekt. Dabei beruft sie sich mehrmals auf Ingeborg Bachmann. Beiden geht es um die radikale Neuerfindung der Sprache: „Denn dies bleibt doch: sich anstrengen müssen mit der schlechten Sprache, die wir vorfinden, auf diese Sprache hin, die noch nie regiert hat, die aber unsere Ahnung regiert und die wir nachahmen.“ Dieser Traum von der richtigen Sprache steht bei Leupold im grellen Widerspruch zu ihren jargontriefenden akademischen Werkstattberichten. Nichts will tragischer erscheinen als der Widerspruch zwischen einer Feier der Poesie als Ort der ganz anderen Erfahrung und dem mechanischen Bedienen des Betriebs mit all den gängigen literaturtheoretischen Floskeln, die hier noch mit ein paar trendigen mythologischen Referenzen angereichert werden. Wie immer, wenn ein locker assoziierter Parforceritt durch Kraut und Rüben ansteht, sind phrasendreschend Baudrillard, Bataille und Konsorten zur Stelle, die auch nichts dafür können, inzwischen derart inflationäre Münze auf dem großen Umschlagplatz der Literaturgemeinplätze geworden zu sein. Oder etwa doch? Kaum kippt Leupold beim Tagungs-Chill-out einem Nachwuchsautor ein Weißbier über den Hosenlatz, kommt sofort Roland Barthes zum Großeinsatz: „Mein Körper hat nicht dieselben Ideen wie ich.“
Hin und wieder flicht Leupold eigene Werke in ihre Werkstattberichte ein. Ihre Gedichte sind ungekünstelt, beinahe schon naiv. Seltsam ist der Kontrast zwischen diesen einfachen Versen und dem Diskurs, der sie umwuchert und umrankt. Im Lichte des poetologischen Dreiklangs Vergessen, Erinnern und Korrespondieren wird klar, dass diese Lyrikerin ihre Gedichte eher begreift als etwas, das willkürlich auftaucht, nicht als etwas, das der Welt in die Mechanik geschraubt wird. Ihre Gedichte sind vor allem Notate von Epiphanien, zeugen von Sekunden der wahren Empfindung, schwelgen in Erinnerungen an vergangenes Glück und können dabei niemals so recht ihre Zeilenumbrüche begründen. Was ist hier schon Poesie, was noch Tagebucheintragung im Flattersatz?
In einem Essay zum interessanten Thema Geld und Geist hätte Leupold nun wahrlich Gelegenheit gehabt, über den tragischen Konflikt zwischen dem ritualisierten Betriebsgeschwätz mit all seinen Theorie-Gassenhauern und einer tief empfundenen poetischen Sprache nachzudenken, ein Konflikt, in dem sich jeder Dichter befindet, will er heutzutage auch nur einen Pfennig mit seinem Schaffen verdienen. Aber wieder nur serviert sie dem Leser ihre heilsbringende Vision vom Erzählen und Dichten als verschwenderische, unökonomische Feier des Täuschens, die einzig fähig ist, eine Welt des schnöden Tauschens zu erlösen.
Nur selten strampelt sich dabei ein eigener Ton aus all dem gesunkenen Kulturgut einer ehemals modischen Theorievulgata von Haut, Narben, Mythos, Palimpsest und Bricolage frei. Nicht umsonst ist Echo eine von Leupolds Lieblingsmusen. Die Dichterin praktiziert exakt, was sie – wieder in einem sehr hellsichtigen Moment – doch so genau analysiert: „Im post-auratischen oder pseudo-auratischen Zeitalter der Kulturindustrie, von Benjamin und Adorno so trefflich erfasst, hat das (dichterische) Täuschen anscheinend seinen Ursprung vergessen und ist nur noch auf den Tausch versessen: Sinn gegen cash, Künstlichkeit ist nicht mehr die selbstkritische Reflexion über das eigene ‚Gemachtsein‘, sondern Inszenierung von und Teilhabe an synthetischen Welten.“ Eine selbstkritische Dekonstruktion der eigenen Rolle im Betrieb hätte man hier nun gerne gelesen.
Allein in dem titelgebenden Essay „Alphabet zu Fuß“, einem alphabetischen Katalog über das tagtägliche Ritual des Joggens, ahnt man, was mit einem Schreiben gemeint sein könnte, das ganz aus dem Körper kommt, in seinen hechelnden Lauf involviert ist. In diesem ersten Text des Essaybandes atmet der Leser die frische Luft der Poesie. Die restlichen 150 Seiten schnappt er im stickigen Mief der Tagungsräume nach Sauerstoff.
STEPHAN MAUS
DAGMAR LEUPOLD: Alphabet zu Fuß. Essays zur Literatur. Verlag C. H. Beck, München 2005. 170 Seiten, 17,90 Euro.
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