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"Der Mensch stieg von den Bäumen" - nur weniger Aussagen sind wir uns so gewiß wie dieser. Leider vergessen wir hierbei allzu oft, daß auch wissenschaftliche Erklärungen, selbst wenn sie von Darwin stammen, sich ändern können. So auch im Fall des äffischen Vorfahren des heutigen Menschen, von dem es immer heißt, er habe erst die Bäume verlassen und sich dann, als Bewohner der Savanne, im Laufe seiner weiteren Entwicklung aufgerichtet, um schließlich auf seinen zwei Hinterbeinen zu laufen. Mittlerweile wachsen die Zweifel an dieser Sichtweise von der Evolution des Menschen. Gibt es doch eine…mehr

Produktbeschreibung
"Der Mensch stieg von den Bäumen" - nur weniger Aussagen sind wir uns so gewiß wie dieser. Leider vergessen wir hierbei allzu oft, daß auch wissenschaftliche Erklärungen, selbst wenn sie von Darwin stammen, sich ändern können. So auch im Fall des äffischen Vorfahren des heutigen Menschen, von dem es immer heißt, er habe erst die Bäume verlassen und sich dann, als Bewohner der Savanne, im Laufe seiner weiteren Entwicklung aufgerichtet, um schließlich auf seinen zwei Hinterbeinen zu laufen. Mittlerweile wachsen die Zweifel an dieser Sichtweise von der Evolution des Menschen. Gibt es doch eine Fülle von Hinweisen die nahelegen, daß sich die unmittelbaren Vorfahren des Menschen gar nicht primär in den Bäumen, sondern in den Uferzonen von Seen, Flüssen und anderen Gewässern aufhielten. Das heißt: Eine unserer größten evolutionären Errungenschaften, den aufrechten Gang, verdanken wir - erstaunlich genug - einem wasser- und nicht einem baum-liebenden Affen.
Autorenporträt
Carsten Niemitz, Professor an der FU Berlin, ist Leiter des dortigen Instituts für Humanbiologie und Anthropologie und zählt international zu Deutschlands profiliertesten Evolutionsbiologen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2004

Selektionsdruck aus dem Wasser

Haben Sie sich je gefragt, warum Kinder im Freibad so ein Geschrei machen? Weil das Wasser so kalt ist? Weil das Planschen so einen Spaß macht? Nein, meint Carsten Niemitz, Professor für Humanbiologie und Anthropologie in Berlin, die Kinder schreien wegen der Krokodile ("Das Geheimnis des aufrechten Gangs". Unsere Evolution verlief anders. C. H. Beck Verlag, München 2004. 256 S., 17 Abb., geb., 22,90 [Euro]). Unsere äffischen Vorfahren, so die originelle These seines neuen Buches, sind keineswegs von den Bäumen herabgestiegen, haben sich auf die Hinterbeine gereckt und sind fortan aufrecht durch die Savanne gestreift. Vor etwa zehn bis sechs Millionen Jahren sind sie vielmehr ins Wasser gestiegen, wenn auch nicht sehr tief. In den Uferzonen der Flüsse und Küsten deckten sie watend einen großen Teil ihres Eiweißbedarfs und lernten dabei den aufrechten Gang. Nur lauern im flachen Wasser bekanntlich Krokodile. Und die hält man sich am besten mit Lärm vom Leib. Es sei zwar "bloße Spekulation", so Niemitz, doch vielleicht reichen die Spuren dieser Situation bis ins Freibadverhalten der Großstadtkids.

Der Laie mag es kaum glauben, doch der Hergang der menschlichen Evolution ist noch immer nicht zweifelsfrei geklärt. Detailliert führt Niemitz die Lücken und Unstimmigkeiten in der Naturgeschichte des Menschen auf. Vor allem, so sein Ausgangspunkt, ist schlicht nicht zu sehen, warum sich ein baumlebender Affe, selbst wenn er seinen Lebensraum in die Savanne verlegen wollte, lange Beine und einen aufrechten Gang zugelegt haben sollte. Bis heute ist ein schneller menschlicher Läufer bestenfalls ebenso schnell wie ein Schimpanse in seinem seltsam schrägen Galopp, wenn nicht langsamer. Der Australopithecus afarensis, so haben Anthropologen errechnet, war allenfalls ein behäbiger Läufer, optimiert für die ökologische Nische "Nahrungssuche mit geringer Geschwindigkeit". Der bessere Blick über die Savanne ist auch kein guter Grund: Wer aufrecht geht, sieht nicht nur besser, er wird auch besser gesehen. Nur wer sich aufrichtet und dann wieder auf alle viere zurückkehrt, bestimmt selbst, wie lange er gesehen wird. Auch daß der zweibeinige Gang die Hände für Wichtigeres frei macht, überzeugt Niemitz nicht: Affen setzen sich eben hin, wenn sie etwas Filigranes tun, ebenso wie der Mensch. Und entgegen anders lautenden Berichten ist der Gorilla ein ausgesprochen guter Werfer - wie der Autor aus schmerzhafter Erfahrung zu berichten weiß.

Niemitz findet den Selektionsdruck, der den aufrechten Gang des Menschen mit sich gebracht haben soll, im Wasser; seine Lösung nennt er die "amphibische Theorie": Unser Vorfahr war demnach ein vierfüßiger Generalist, ein "bodenlebender Vorprimat", der vermutlich vor allem auf die Bäume stieg, um sicher zu nächtigen, und sich ansonsten gern an Flußufern oder an der Küste aufhielt, denn sie boten unabhängig vom Wechsel der Jahreszeiten hochwertige Kost. Er brauchte also nicht von den Bäumen herabzusteigen, um unser Vorfahr zu werden, er konnte bleiben, wo er immer schon war. Nur daß er mehr Zeit mit dem Waten im Wasser verbringen mußte.

Denn im Wasser haben die langen Beine und die großen Füße, die dem Kletterer und dem Sprinter nur hinderlich sind, ihren Vorteil. Sie erlauben in tieferem Wasser einen sicheren Stand und bieten der Strömung weniger Widerstand. Das Wasser bietet zudem eine Erklärung für den Übergang von der vierfüßigen zur aufrechten Fortbewegung. Wer sich je mit Skigymnastik gequält hat, weiß, daß kein Affe sich mit nur halb durchgedrücktem Knie fortbewegt haben kann. Und doch muß es eine solche Übergangsphase gegeben haben. Im Wasser verschwindet dieses Problem, da es das Gewicht des Körpers reduziert.

Das klingt plausibel, aber sind Affen nicht wasserscheu? Es stimmt, meint Niemitz, Affenkinder müssen den Umgang mit Wasser ebenso lernen wie Menschenkinder. Unvorbereitet und unbeaufsichtigt können sie ertrinken. Doch es gibt auch die andere, in der Forschung kaum berücksichtigte Seite: Zwergschimpansen, die im flachen Wasser Fische, Krabben, Würmer und Schnecken fangen und fressen, westliche Flachlandgorillas, die in Ufernähe Wasserpflanzen ernten. Und es gibt die unbestreitbare Affinität des Menschen zum nassen Element. Niemitz hat Umfragen bei Immobilienhändlern und Reiseveranstaltern gemacht, das Ergebnis ist eindeutig: Den Menschen zieht es ans Wasser, ein Ufergrundstück ist ein Prestigeobjekt ersten Ranges.

Daß Wasser in der Evolution des Menschen ein Rolle spielt, wird schon länger diskutiert. Seit den vierziger Jahren gibt es die Theorie vom aquatischen Affen, von der Niemitz sich jedoch scharf abgrenzt. Nach diesem in der Disziplin eher belächelten Konzept gab es unter unseren Vorfahren einen echten wasserlebenden Menschenaffen. Das ist Niemitz denn doch zu viel: Die watende Nahrungssuche im flachen Wasser prägte die Phase der Evolution, in der der Mensch den aufrechten Gang erwarb, doch Wassertiere und Schwimmer waren unsere Vorfahren nicht. Niemitz verwendet viel Platz auf die Architektur des stehenden Skeletts und ist mit seiner eigentlichen Theorie recht schnell fertig. Doch das Bild unserer Vorfahren als friedlicher Fischer und Angler ist doch tatsächlich einmal etwas anderes als die aggressive mit Steinen nach Löwen werfende Bande, die die Evolutionsforscher uns sonst präsentieren.

MANUELA LENZEN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Manuel Lenzen lobt, das von Carsten Niemitz, Professor für Humanbiologie und Anthroplogie in Berlin, in diesem Buch gezeichnete Bild unserer Vorfahren "als friedliche Fischer und Angler" sei "doch tatsächlich einmal etwas anderes" als die "aggressive, mit Steinen nach Löwen werfende Bande, wie sie die Evolutionsforscher sonst präsentieren". Das Buch geht von dem Umstand aus, so erfahren wir, dass - "der Laie mag es kaum glauben", bemerkt die Rezensentin - die Forschung zur Evolutionsgeschichte des Menschen bislang noch keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage gefunden hat, warum unsere Vorfahren zum aufrechten Gang gefunden haben. Niemitz habe mit diesem Buch, lobt Lenzen, nun eine "originelle These" dazu vorgelegt. Demnach ergab sich der entsprechende Selektionsdruck daraus, dass unsere Vorfahren einmal vornehmlich in der Nähe von Gewässern lebten, und die "watende Nahrungssuche im flachen Wasser" ihren Alltag prägte. Das Buch verwendet, erfährt man, viel Platz auf die Architektur des stehenden Skeletts, und mit seiner eigentlichen Theorie ist Niemitz "recht schnell fertig". Dafür entschädigt er mit einer Reihe nicht ganz ernst gemeinter Belege für seine These - wie dem, dass Seegrundstücke schließlich bis heute die höchsten Preise erzielen würden.

© Perlentaucher Medien GmbH