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Deutschland braucht dringend grundlegende Reformen - doch wohin diese Reformen eigentlich führen sollen, das scheint selbst vielen Politikern nicht recht klar zu sein. Paul Nolte analysiert die Schieflagen und Sackgassen, in die wir in den letzten Jahr-zehnten hineingesteuert sind, und plädiert für eine neue Bürgergesellschaft, in der Individualismus, Initiative und Verantwortung nicht im Gegensatz zu einer solidarischen Gemeinschaft stehen. Seine klaren und manchmal provokativen Thesen über die Zumutungen, die wir uns alle in diesem Reformprozess gefallen lassen müssen, sorgen für Zündstoff…mehr

Produktbeschreibung
Deutschland braucht dringend grundlegende Reformen - doch wohin diese Reformen eigentlich führen sollen, das scheint selbst vielen Politikern nicht recht klar zu sein. Paul Nolte analysiert die Schieflagen und Sackgassen, in die wir in den letzten Jahr-zehnten hineingesteuert sind, und plädiert für eine neue Bürgergesellschaft, in der Individualismus, Initiative und Verantwortung nicht im Gegensatz zu einer solidarischen Gemeinschaft stehen. Seine klaren und manchmal provokativen Thesen über die Zumutungen, die wir uns alle in diesem Reformprozess gefallen lassen müssen, sorgen für Zündstoff in einer scheinbar ausgelaugten Debatte. Gegen die ängstliche Verteidigung von Besitzständen ebenso wie gegen die Leichtigkeit der Spaßgesellschaft artikuliert sich hier die wache intellektuelle Stimme einer Generation Reform.
Autorenporträt
Paul Nolte, geboren 1963, ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Mitherausgeber von Geschichte und Gesellschaft. Im Verlag C.H. Beck sind von ihm erschiene: Generation Reform und Die Ordnung der deutschen Gesellschaft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2004

Rezepte für den kranken Mann
Die Politik macht Reformpause. Aber die Reformbücher haben Konjunktur

VON RAINER HANK

Vor zwanzig Jahren zählte Deutschland zu den reichsten Ländern Europas. Im Jahr 2003 fiel das Prokopfeinkommen hierzulande zum erstenmal um ein Prozent unter den europäischen Durchschnitt. Gerade vier der 15 EU-Mitgliedsländer sind ärmer als die Deutschen.

Wir steigen ab. Und keiner merkt es. Denn Deutschland ist nach wie vor ein reiches Land. Und der Abstieg vollzieht sich schleichend. Aber unsere Nachbarn konnten in den vergangenen Jahren ihren Wohlstand deutlicher mehren. Erst haben die Briten uns überholt, dann die Franzosen. "Wenn das so weitergeht, wird die Bundesrepublik in zehn Jahren auf dem Stand von Portugal angekommen sein", prophezeit Klaus F. Zimmermann, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Gar nicht so übel, entgegnen Spötter, wenn es dazu auch die Sonne der Algarve gibt. Doch der Spott bleibt im Halse stecken beim Gedanken an wachsende Lasten zur Vorsorge für Krankheit und Alter, die zusätzlich das verfügbare Einkommen der Menschen schrumpfen lassen.

Die Politik hat zur Zeit andere Sorgen. Leider. Rot-Grün ist damit beschäftigt, die eigene Klientel bei Laune zu halten mit Debatten über Ausbildungsplatzabgaben und Erbschaftssteuererhöhungen. Das kann im schlimmsten Fall bis zur nächsten Bundestagswahl dauern. Und auch die Opposition sorgt sich mehr um die nächste Kanzlerkandidatin als um den Standort. Wenn die Politik schon nicht hilft, dann helfen womöglich Bücher. In ungewöhnlich großer Zahl drängen in diesem Frühjahr Reformautoren auf den Markt. Ökonomen, Historiker und Wirtschaftsjournalisten präsentieren Vorschläge zum Umbau und zur Rettung des Sozialstaates. Die Autoren stellen zugleich die Frage, warum den Deutschen Reformen offenbar schwerer fallen als den Nachbarn.

Doch nur wegen der anhaltenden Reformdebatte gleich von einer "Generation Reform" zu sprechen, hätte jemand rechtzeitig dem Beck-Verlag und seinem Autor Paul Nolte ausreden sollen. Denn der - ohnehin ziemlich inflationär gebrauchte - Generationenbegriff bezieht sich auf die soziale und kulturelle Prägung einer Alterskohorte - die Erfahrung der Flakhelfer in den 40er Jahren oder der Familienausflug im Golf in den Siebzigern. Diejenigen aber, die heute über Reformen schreiben, wurden in ihrer Jugend gerade nicht von Reformen geprägt, sondern - ganz im Gegenteil - vom fröhlichen Ausbau des Wohlfahrtsstaates.

Die Generationengemeinsamkeiten liegen woanders: Der Historiker Paul Nolte (Jahrgang 1963) oder die Wirtschaftsjournalisten Gabor Steingart (Jahrgang 1962) und Christoph Keese (Jahrgang 1964) teilen die Erfahrung der Babyboomer: "Den Protest an den Universitäten kannten sie nur noch vom Hörensagen, die 68er begegneten ihnen bereits als freundliche und bärtige, aber auch etwas unsichere Studienräte", schreibt Nolte. Wer in den 60er Jahren geboren wurde, wuchs auf in einer eigenartigen Übergangszeit zwischen Nachkriegsgesellschaft und Massenwohlstand: vor ihnen die träge gewordenen linken Systemveränderer, nach ihnen die Freunde der Spaßgesellschaft. Während die Älteren bis heute gegenüber Kapitalismus und Globalisierung das skeptische Ressentiment pflegen, leben Nolte und seine Genossen die Überzeugung, daß der Markt nicht nur das effizienteste, sondern auch das moralisch überlegene Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sei. Das Feindbild Neoliberalismus - "jene Panzersperre aller Reformverhinderer" - schreckt sie nicht.

Keese geht noch weiter: "Wer links ist, sollte Kapitalist sein." Offene Märkte in einer globalen Welt sind zuverlässige Garanten für Wachstum und Wohlstand der Dritten Welt. Und der Abbau von Handelsschranken ist für die Armen besser als alle Entwicklungshilfe, welche die Linke in den 70er und 80er Jahren als Heilmittel zum Abbau weltweiter Ungleichheit predigte. Das Rezept der Globalisierungsgegner von heute - Mindestlöhne oder Umweltstandards - ist nichts anderes als Protektionismus im moralischen Gewand: Begüterte Mittelschichten der reichen Welt, die befürchten, im Wettbewerb mit den Entwicklungsländern ihr Einkommen nicht mehr halten zu können, kämpfen für ihre Privilegien.

Mit dem gleichen moralischen Impetus blicken die Autoren auch auf den deutschen Sozialstaat am Beginn des 21. Jahrhunderts. Kann es gerecht sein, daß 4,5 Millionen Menschen dauerhaft ohne Arbeit sind? Wohin führt es, wenn Arbeit durch die Lohnpolitik des Tarifkartells und die Sozialpolitik der Regierung immer teurer wird? Wie kann der weitere Abstieg Deutschlands aufgehalten werden?

Die Alternativen liegen auf dem Tisch. Es braucht mehr Markt und mehr Wettbewerb gerade dort, wo das "deutsche Modell" diesen bislang unterband: auf dem Arbeitsmarkt, in den Steuersystemen, in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Diese Überzeugung teilen alle Reformbücher: Die Menschen müssen - und dürften - mehr Eigenverantwortung übernehmen. Solche Empfehlungen werden in den Büchern dieses Frühjahrs nicht zum erstenmal gegeben, weshalb bei der Lektüre zuweilen Langeweile aufkommen kann (besonders groß ist diese Gefahr bei Norbert Walter).

Weitaus überraschender sind hingegen die Hinweise, warum Reformen in Deutschland schwerer ins Werk zu setzen sind als etwa in England oder in Schweden. Es gibt hierzulande besonders viele Vetospieler (von den Gewerkschaften bis zum Verfassungsgericht), die gute Ideen rasch beerdigen. Besonders krank ist der deutsche Föderalismus: Während die Bundesländer alle Einnahmen- und Gestaltungsautonomie verloren, gewannen sie zugleich große Blockademacht im Bund. Der Bundesrat hat sich zu einer Gegenregierung entwickelt.

Doch warum hat sich Deutschland diese Fesseln selbst angelegt? Die gängige These lautet: In Deutschland geht Gleichheit vor Effizienz und Umverteilungsgerechtigkeit vor Wachstum. Das allein befriedigt nicht, gilt das Primat der Gleichheit doch für alle Länder Kontinentaleuropas. Eine nationale Erklärung führt zurück zum historischen Trauma der Deutschen im 20. Jahrhundert. Nach der Katastrophe der Nazizeit sollte politische Macht durch möglichst viel Gegenmacht begrenzt werden. Und die Erfahrung radikaler Instabilität brachte die Sehnsucht nach größtmöglicher Stabilität. Paul Nolte nennt das die "Equilibrium-Gesellschaft": eine Gesellschaft, in der sich alles im Gleichgewicht befindet. Das ist das Gegenteil einer Wettbewerbsgesellschaft - und kostet Wachstum. Steingart spricht vom "Anti-Führer-Staat", dessen oberstes Prinzip lautet: "Keine Macht für niemanden." Die Väter des deutschen Modells wollten politische "Führer" verhindern, weil sie erfahren hatten, daß Macht in verbrecherischer Absicht mißbraucht wurde. Sie bauten ein Land auf der Basis von "Checks and Balances". Der Preis dafür ist hoch. Die politischen Akteure blockieren einander.

Die Konsequenz aus diesem historischen Befund wird am radikalsten im Buch zweiter Autoren aus der Schweiz gezogen (Heiniger/Straubhaar): Deutschland braucht "Leadership". Was der Schumpetersche Unternehmer in der Marktwirtschaft ist, muß der Schumpetersche Reformer in der Politik sein.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2009

Wirtschaftsbuch
Warum Tafeln die Armut unterstützen
Seit dem frühen Morgen säumt die Schlange den Bürgersteig. Die Tür öffnet sich. In Reih und Glied betreten Menschen den Ausgaberaum. Nehmen einen Einkaufskorb, rücken von Position zu Position. Brot, Gemüse, Milch. „Ein Stück Marzipan?”, fragt die Dame hinter dem Tresen. „Danke.” Knappes Lächeln, schneller Schritt hinaus.
Lebensmitteltafeln in Deutschland. Seit 1994 ist ihre Zahl von sieben auf heute 800 emporgeschnellt. Es sind beängstigende Zahlen. Verunsichert, neugierig und bemüht, nicht vorschnell zu urteilen, hat der Soziologe Stefan Selke vor Ort recherchiert. Er ist auf eine Parallelwelt gestoßen, es ist die Welt der wachsenden Gruppe der Hartz-IV-Empfänger, der geringfügig Beschäftigten oder aus der Bahn Geworfenen, die sich „Fast ganz unten” – so lautet der Buchtitel – durchwursteln. Deren Armut kaum zu sehen ist und die auf die Krümel der Konsumgesellschaft angewiesen sind. Selke entdeckt ein „institutionalisiertes, ehrenamtliches Helfen”, das – genährt von eigenen Abstiegsängsten der Helfer – in Mode gekommen ist. Folgerichtig interpretiert er die Tafeln als „Trendsetter” einer „neuen sozialen Bewegung”.
Hinter den Tafeln legt Selke ein Geflecht frei, dessen Verästelungen sich weit durch die Gesellschaft ziehen. Möglich werden die Tafeln durch die Wegwerfgesellschaft, in der 20 Prozent der Lebensmittel für den Müll produziert werden, um Engpässe und Nachfrageschwankungen abfedern zu können. Und durch die Haltung der Konsumenten, die einen Apfel mit Druckstellen selbstverständlich im Regal liegen lassen. Selke beschreibt die Logik der Spender – Supermärkte, Bäckereien, Hotels – die nicht nur soziale Motive umtreiben, sondern auch wirtschaftliches Kalkül, denn die Tafeln sparen Entsorgungskosten.
Selke schreibt auch über die Gemeinschaft der Helfer, die sich – freiwillig oder als Ein-Euro-Jobber – engagieren. Nicht zuletzt, weil ihnen die typischen Abwärtsspiralen der Kunden so begreifbar sind, weil fast jeder jemanden kennt, der Arbeit, Haus, Partner und Perspektive verloren hat. Und weil diese Menschen eben nur fast, aber nicht ganz unten in Obdachlosigkeit, Drogenmilieu oder Kriminalität angekommen sind, taugen sie als Blaupause für Identifikation. Schließlich erzählt Selke über die Tafelvereine selbst, die jährlich 100 000 Tonnen aussortierte Lebensmittel verwerten und nicht nur Bedürftigen helfen, sondern auch die Logik einer Überflussgesellschaft stützen, die sich auf diese Weise leichter ertragen lässt.
Denn wenn Tafeln die Verteilung der Lebensmittel nach derselben Dramaturgie wie einen Einkauf im Supermarkt inszenieren, spielen sie ein Spiel mit: Sie vermeiden nicht nur, dass das Entgegennehmen der Ware zum Akt des Bettelns wird, sondern sie simulieren Normalität. Selke hält das für eine Fiktion, die zeigt, wie sehr das Leben der Grenzgänger ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft geworden ist. Hier liegt die Schattenseite des – zweifelsohne – verdienstvollen Tafelwesens: Es läuft Gefahr, soziale Ungleichheit zu stabilisieren, anstatt sie infrage zu stellen. Es ist eine Entwicklung, die sich noch verschärfen wird, wenn sich Tafeln weiter professionalisieren und differenzieren. Bereits jetzt gibt es Abgabestellen mit psychologischer Beratung. Wo Yoga-, Wellness- und Kaffeefahrt-Angebote für Arme nicht mehr weit sind, scheint die Parallelgesellschaft fast perfekt zu sein.
Stefan Selke ist ein fesselndes und eindringliches Buch gelungen, das in Zeiten von Börsencrash und Finanzkrise das allzu oft ausgeblendete Phänomen neuer Armut stärker in die Öffentlichkeit holt. Die vielen Wiederholungen im Buch sieht man ihm da gerne nach. Anja Dilk
Zum Thema
Über die neue Armut
Nadja Klinger, Jens König: Einfach abgehängt. Ein wahrer Bericht über die neue Armut in Deutschland. Rowohlt Verlag, Berlin 2006, 256 Seiten, 14,90 Euro.
Das Buch enthält sensible Portraits und scharfe Analysen über die neue Armut, die längst auch die Mittelschicht bedroht.
Soziale Ungleichheit
Paul Nolte: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik. Verlag C. H. Beck, München 2004, 256 Seiten, 12,90 Euro.
Ein Klassiker zur sozialen Ungleichheit. In der Tradition des Sozialwissenschaftlers Pierre Bourdieux erinnert Historiker Nolte an die „klassenprägende Kraft von Konsum, Kultur und Lebensstil”.
Stefan Selke: Fast ganz unten.
Wie man in Deutschland durch die Hilfe von Lebensmitteltafeln satt wird. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2008,
231 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gute Noten vergibt Rezensent Arnulf Baring an diese Essays, die alle um "den beklagenswerten Zustand Deutschlands und die Benennung seiner Defizite" kreisen. Zwar findet er den Titel des Bandes insofern verwirrend, als es aus seiner Sicht nicht um Reformen, sondern "eher eine Gegenreformation" geht. Auch kann der Rezensent bisher keine Generation erkennen, die sich entschlossen für eine fundamentale Erneuerung dieser Republik einsetzen würde. Ansonsten hat er nur Lob für Paul Nolte und sein Buch, dessen Texte er für "Vorstudien für eine grundlegende Analyse der gegenwärtigen deutschen Irrgärten" hält. Noltes sozialwissenschaftlich geschulter Blick erfasse präzise die wesentlichen Zusammenhänge. Besonders einverstanden ist er mit der Forderung des Bremer Historikers nach einer neuen Bürgergesellschaft. Eindrucksvoll findet er auch das "Verblassen, ja Verschwinden" des deutschen Konservatismus beklagt.

© Perlentaucher Medien GmbH