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Anke Velmekes neuer Roman Fuga erzählt von einer jungen Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter nach Spanien reist, dorthin, wo auch die Mutter schon mal einen Urlaub verbracht hat. Die Tochter zieht mit zwei Männern zusammen, und da sie sich zu dem einen erotisch, zu dem anderen nur freundschaftlich hingezogen fühlt, ist der Konflikt vorprogrammiert. Aber diese Dreiecksgeschichte ist auch stellvertretend für ein Beziehungsgeflecht, wie sie es mit der Mutter immer wieder erlebt hat. Der leibliche Vater hat die Familie schon vor langer Zeit verlassen, und die Mutter wechselte häufig die Liebhaber.…mehr

Produktbeschreibung
Anke Velmekes neuer Roman Fuga erzählt von einer jungen Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter nach Spanien reist, dorthin, wo auch die Mutter schon mal einen Urlaub verbracht hat. Die Tochter zieht mit zwei Männern zusammen, und da sie sich zu dem einen erotisch, zu dem anderen nur freundschaftlich hingezogen fühlt, ist der Konflikt vorprogrammiert. Aber diese Dreiecksgeschichte ist auch stellvertretend für ein Beziehungsgeflecht, wie sie es mit der Mutter immer wieder erlebt hat. Der leibliche Vater hat die Familie schon vor langer Zeit verlassen, und die Mutter wechselte häufig die Liebhaber. Die Tochter ist halb ausgeschlossen, dann aber auch wieder auf eine merkwürdig doppelbödige Art Teil einer Dreierkonstellation. Die Erfahrungen der Gegenwart in Spanien rufen immer wieder Erinnerungen an die Mutter wach, und so wird die Geschichte in «Fuga» auf zwei Zeitebenen erzählt, die sich kunstvoll verschlingen. Die Gefühle der Tochter sind so widersprüchlich, daß ihre Trauer in ein Labyrinth, einen Strudel mündet, aber nur, indem sie sich dorthinein begibt, wird eine Loslösung möglich. In einer bestechend schönen, reich instrumentierten Sprache, in einem Strom von Assoziationen führt der Roman die Leser in dieses Labyrinth der Erinnerung, der Trauer und der Befreiung. Anke Velmeke baut aus kurzen Szenen und Satzkaskaden eine Sprachfuge, die einen selbst in den Strudel der Erfahrung taucht.
Autorenporträt
Anke Velmeke wurde 1963 in Olsberg geboren. Sie hat Sprachwissenschaften und Übersetzung studiert. Nach Aufenthalten in Belgien und Spanien arbeitet sie als Übersetzerin und Autorin. Bisher hat sie zahlreiche Erzählungen und Kurzgeschichten veröffentlicht, die mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurden. Im Jahr 1999 war sie Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin. "Luftfische" ist ihr erster Roman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2004

Mein Gehirn fließt
In der Zwickmühle: Anke Velmeke schreibt ein Prosapuzzle

Nach der Vaterproblematik ihres vielgelobten und mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichneten Debüts "Luftfische" bietet Anke Velmekes zweiter Roman nun einen Fall von Muttersterben: "Ich sterbe jetzt, komm sofort, klang es durch die Muschel in mein Ohr, die Stimme roh." Als die Tochter gehorsam herbeigeeilt ist, wird sie mit Hohn begrüßt: "Soso, sie musterte mich, das läßt du dir nicht entgehen, was, wenn die Mutter stirbt, da bist du sofort zur Stelle ..."

So sieht eine psychische Zwickmühle aus, eine perfekte Double-bind-Situation. Was immer man tut, es ist falsch. Die Ich-Erzählerin hat ihre Kindheit offenbar in einer solchen Zwickmühle verbracht und will nur noch eins: entkommen. "Fuga" ist angesagt, Flucht. "Meine Mutter war nicht tot", lautet der erste und letzte Satz des Buches. Soll heißen: Gestorben ist die Mutter zwar, aber in der Erinnerung der Tochter lebt sie heftig weiter.

Die junge Frau reist nach Spanien und mietet sich bei zwei Männern in einer Wohngemeinschaft ein. Man erlebt sie im folgenden beim Besuch diverser Bäckereien und Süßwarengeschäfte, die sie für das Karamelbonbon "Werthers Echte" gewinnen will; ein merkwürdiger Job, aber nicht merkwürdiger als vieles andere, was einem hier begegnet. Außerdem ist es nur eine Nebensache. In der Hauptsache lauern allerorten Muttermale, Mutterzeichen, Mutterrufe - und seien es gewisse Ähnlichkeiten anderer Frauen, die Assoziationsströme auslösen. Realität und Surrealität, Träume und Tagträume fließen ineinander, es mischen sich die Zeitebenen, der gutwillige Leser ist aufgefordert, aus einem kleinteiligen literarischen Puzzle das Bild eines Familiendramas zusammenzusetzen.

Auf die dringliche Frage, wer ihr Vater gewesen sei, erhielt die Tochter wenig befriedigende Antworten: "Puh, Kind, was soll ich dir sagen, dein Vater, tja ..." Hier hilft auch die Strichliste, welche die Mutter geführt hatte, um Überblick über ihre Liebhaber zu behalten, nicht weiter. Viel ist in "Fuga" von diffusen Männer-Beziehungen die Rede - die Mutter hatte sie zum hedonistischen Programm gemacht; die Tochter scheint, weniger genußvoll, unter einem gewissen Wiederholungszwang zu stehen.

Die längste zusammenhängende Passage schildert eine frühere Rheinreise mit der Mutter und einem von ihren Freunden. Man übernachtet zu dritt in einem Hotelbett, und der Mann hat die Tochter noch ein bißchen lieber als die Mutter. Deren stummes Einverständnis erlebte die Ich-Erzählerin als Verrat: "Sie hatte mich ihm gegeben ..., ein Menschenopfer." Kaum erstaunlich, daß nach solcher Jugend männliche und überhaupt menschliche Nähe für die Ich-Erzählerin mit Komplikationen verbunden ist.

"Hinter mir die vielen Atmenden mit ihren Bronchien und Lungenbläschen, sie atmeten einander die Luft weg, stickige Luft, ich schnappte danach, füllte die Lungenflügel bis zum Rand, bis zum Ersticken, die Luft war zu dick oder zu dünn, ich hechelte." Atmen ist ein Vorgang, der glücklicherweise unbewußt geschieht. Wehe dem, der seine Aufmerksamkeit darauf fokussiert - der ist nicht mehr weit von der Erstickungspanik. So geschieht es der Ich-Erzählerin mit fast allen Selbstverständlichkeiten des Lebens. Nichts geht leichthin und nebenbei, alles ist vom Mißglücken bedroht, überall lauert Verstörung: "Wir rauchten; mir schwoll die Zunge im Mund, und ich legte mich bäuchlings auf den Tisch, die Brüste zwei Schalter, ließ den Kopf über die Kante hängen. ... Mir floß das Gehirn in die hängenden Haare ..."

Der Leser lernt befremdliche Körperwahrnehmungen kennen; Fragmentierung ist an der Tagesordnung: "Die Arme hoben sich, würden sich, wenn ich nicht achtgab, vom Rumpf abtrennen, traumwandlerisch durchs Zimmer schweben und schließlich in einem Winkel der Stuckdecke kleben, die Hände gekreuzt." Kurz darauf liest man: "Die Haut begann sich nach innen zu stülpen, negative Gänsehaut." Oft ist nicht genau zu unterscheiden, ob es sich um pathologische Zustände oder forcierte stilistische Originalität handelt.

Was soll man sagen, wenn sich jemand von einem gefrorenen Hummer angestarrt fühlt: "Sein Blick von unten, aus der Kühltruhe: rätselhaft, halb zu mir, halb in sich hinein ..." "Fuga" bietet viele mit Psychodramatik aufgeladene Miniaturen aus dem verrutschten Alltag einer jungen Frau. Da Velmeke jedoch auf alle deutende Psychologie verzichtet, erscheint der Text in seiner manierierten Rätselhaftigkeit wie eine besonders ergiebige Vorlage für den Psychoanalytiker.

"Ich sah alles und gleichzeitig nichts", heißt es an einer Stelle, und das bezeichnet auch die Wahrnehmungstechnik dieser Prosa. Sie gleicht einer wackligen Handkamera, die zwischen Un- und Überschärfe, kurzsichtiger Nähe und "Weitwinkelblick" ständig wechselt. Der Klappentext bejubelt eine "bestechend schöne, reich instrumentierte Sprache". Richtig ist: Hier wechselt artistische Rhetorik schroff mit Unbeholfenheit. Es ist ein Erzählen fern vom konfektionierten Kurzsatz-Stil vieler jüngerer Autoren, mit dem Mut zum unerprobten, leider oft auch schiefen Ausdruck. Velmekes Prosa möchte immerzu zum Gedicht werden. Eine fatale Sehnsucht, die zu gespreizten Lyrismen führt: "Größte Lichtlust überkam mich in einer Woge."

Der Titel spielt auf die musikalische Form der Fuge an, bei der ein Thema in verschiedenen Stimmen durchgespielt und variiert wird. Mutterleben und Tochterleben auf zwei Zeitebenen, am Ende dann das Sterben der Mutter und eine Abtreibung der Tochter - das sind Erzählstränge und Motive, die gewissermaßen kontrapunktisch geführt werden. Trotzdem kann von der formalen Strenge einer Fuge keine Rede sein. Vor allem die hohe Kunst der Mehrstimmigkeit sucht man vergeblich. In diesem ganz in ein problematisches Ich versunkenen Roman, der besser mit dem Wort "Prosa" bezeichnet wäre, gibt es keine Gegenstimmen.

WOLFGANG SCHNEIDER

Anke Velmeke: "Fuga". Roman. C. H. Beck Verlag, München 2003. 127 S., geb., 14,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Das zweite Buch stellt einen größeren Prüfstein dar als der Erstling, vermutet Silja Ukena, da es hochgesteckte Erwartungen zu erfüllen gelte. Von Anke Velmeke hat sie darum einiges erwartet und wurde nicht enttäuscht. Das freut Ukena um so mehr, als dass sie Velmeke mit ihrer "kantigen Sprache" ganz und gar nicht zu den Repräsentantinnen "anämischer Fräuleinprosa" zählt. Ihr Umgang mit der Sprache gestalte sich in Velmekes neuem Roman noch kunstvoller, freut sich Ukena, sie sei weit sparsamer und souveräner eingesetzt als im Debütroman "Luftfische", habe jedoch an poetischer Kraft nichts eingebüßt. Eigentlich sei es die Sprache und nicht die Handlung, die das Buch vorantreibe, stellt Ukena fest. "Fuga" - lateinisch für Flucht - erzählt von einer jungen Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter nach Spanien fährt, auf der Flucht vor der Schimäre ihrer Mutter, auf der Flucht vor sich selbst, vor der ewigen Tochterrolle, die auch nach dem Tod der Mutter nicht einfach abzuschütteln ist. Die Lebendigkeit und Expressivität der Sprache bewahrt dieses kleine Büchlein davor, ins Hermetische anzurutschen, lobt Ukena die Autorin und bescheinigt ihr eine für ihre Generation geradezu "seltene Sprachlust".

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