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Christian Meier gehört zu den wenigen deutschen Historikern, die sich über den engeren Rahmen ihres Fachgebiets hinaus einen Blick für das Ganze der Geschichte bewahrt haben. In seinem neuen Buch wagt er eine Bilanz der europäischen Geschichte an der Wende zum 21. Jahrhundert. Dabei geht es ihm vor allem um die Frage, welche Beziehung unsere heutigen Gesellschaften überhaupt noch zu dem historischen Erbe von drei Jahrtausenden herstellen können. Wie können wir den Weg Europas von Athen bis Auschwitz verstehen? Was bedeutet die Geschichte Europas für uns, und was vermögen wir in ihr? Welche…mehr

Produktbeschreibung
Christian Meier gehört zu den wenigen deutschen Historikern, die sich über den engeren Rahmen ihres Fachgebiets hinaus einen Blick für das Ganze der Geschichte bewahrt haben. In seinem neuen Buch wagt er eine Bilanz der europäischen Geschichte an der Wende zum 21. Jahrhundert. Dabei geht es ihm vor allem um die Frage, welche Beziehung unsere heutigen Gesellschaften überhaupt noch zu dem historischen Erbe von drei Jahrtausenden herstellen können. Wie können wir den Weg Europas von Athen bis Auschwitz verstehen? Was bedeutet die Geschichte Europas für uns, und was vermögen wir in ihr? Welche besondere Verantwortung haben wir als Zeitgenossen innerhalb historischer Prozesse? Der Versuch einer Antwort auf diese Fragen ist zugleich die geschichtsphilosophische Summe eines großen Historikers.
Autorenporträt
Christian Meier, einer der bekanntesten Historiker Deutschlands, wurde 1929 in Stolp in Pommern geboren. Er habilitierte sich in Frankfurt und lehrt - nach Stationen in Freiburg i.Br., Basel, Köln und Bochum - in München Alte Geschichte. Er trat mit einer Reihe von Publikationen an die Öffentlichkeit, darunter:
Res Publica Amissa; (1966, 2. Auflage 1980), Entstehung des Begriffs Demokratie; (1970), Die Entstehung des Politischen; (1980), Politik und Anmut; (1985), Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte; (1993).
2003 erhielt er den Jacob-Grimm-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Historiker als Bikini-Verkäufer am FKK-Strand?
Irgendwo zwischen Athen und Auschwitz: Christian Meier stellt eine gute Frage und bleibt die Antwort schuldig / Von Götz Aly

Hinter dem anspruchsvollen Titel "Von Athen bis Auschwitz" findet sich ein Sammelband, der 2500 Jahre in punktuellen "Betrachtungen" durchschreitet. Sie handeln von Europas Aufbruch in die Neuzeit um 1500, von der attischen und der römischen Kultur, von der Befindlichkeit des Historikers unter besonderer Berücksichtigung der "Verantwortung des Zeitgenossen" und von Auschwitz. Man entnimmt dem Büchlein in einer der hinteren Fußnoten Weisheiten wie diese: "Nach Aga Kahn ist der Tourismus von allen Ismen der verheerendste. Das ist wörtlich genommen völlig falsch - und trotzdem, einige Ismen abgerechnet, ist es so falsch?" In der Einleitung findet man die Klage, wie sehr sich der heutige Mensch in einer merkwürdigen Mischlage aus Schieben und Geschobenwerden, aus Beteiligung und Ohnmacht befinde - "wir machen mit, kaufen, legen Geld an, verschmutzen und erwärmen die Luft, verschandeln unsere Städte, lassen unsere Demokratie schluren, versäumen, uns um unsere Kinder recht zu kümmern etc."

Mag sein, doch dem Thema kommt man auf diese Weise nicht näher. Immerhin behauptet der Autor einen "großen historischen Bogen", der sich zwischen Athen und Auschwitz "spannt". Er versteht das nicht in einem deterministischen Sinn. Vielmehr sagt er, und dafür spricht manches, "das Ereignis Auschwitz könnte ,rückwirkende Kraft' auch in einem anderen Verständnis europäischer Geschichte seit der Antike entfalten". Meier interpretiert die Entwicklung als "europäischen Sonderweg", der sich in seiner unvergleichlichen entwicklungsgeschichtlichen Beschleunigung von der Beharrung anderer Hochkulturen unterschied - markiert durch die Entdeckung von Freiheit, Individualität, Wissenschaft, Naturbeherrschung und Kapitalismus. In mehreren Schritten riß dieses Europa die anderen Teile der Welt aus ihrem vergleichsweise trägen Lauf, um sie mit kriegerisch-kolonialen oder missionarischen, handelskapitalistischen oder kommunistisch-revolutionären Mitteln in den Wirbel der eigenen Hochgeschwindigkeit hineinzuziehen. Die Deutung folgt Max Weber und gelegentlich Reinhart Koselleck.

So gesehen könnten die, von der Völkerwanderung nur kurz unterbrochene Selbstmodernisierung Europas und die damit verbundene ständige Bürokratisierung und Rationalisierung eine "wesentliche Voraussetzung für den deutschen Massenmord an den Juden" bilden, meint Meier: Gesteigert hatten sich damit die "Möglichkeiten im Guten wie im Bösen". Der Autor zählt gewiß zu den Geschichtsoptimisten, und deshalb geht er davon aus, ein besonders schweres Verbrechen müsse eine besonders weitreichende und - im Sinne einer negativen Demonstration - lehrreiche Vorgeschichte offenbaren. Auch wer das für fragwürdig hält, kann sich dennoch mit Gewinn auf diesen Versuch einlassen, die Ermordung der europäischen Juden als einen der Fluchtpunkte europäischer Geschichte zu begreifen. Die Leistung des Buches besteht insoweit darin, die Suche nach den möglichen Voraussetzungen des Holocaust nicht mehr automatisch auf bestimmte angebliche oder tatsächliche Besonderheiten der deutschen Nationalgeschichte einzugrenzen. Schon damit ist der gängigsten Form von Erkenntnisvermeidung ein Ende gesetzt.

Wenn aber im Titel der Bogen von Athen bis Auschwitz geschlagen wird, und zwar von Christian Meier, dann darf der Leser eine Auseinandersetzung mit dem erwarten, was sich für diesen Autor mit Athen verbindet: Es ist die attische Demokratie des 5. vorchristlichen Jahrhunderts - die Entstehung des Politischen, die Entwicklung der Grundbegriffe von Öffentlichkeit, Verfassung, bürgerlicher Autonomie und Aufklärung. Daran aber schlösse sich sofort die Frage an, welche Elemente dieses geistesgeschichtlichen Urknalls zweieinhalbtausend Jahre danach für den Massenmord an sechs Millionen Menschen konstitutiv gewesen sein könnten. Eine solche Frage muß nicht beantwortet, aber sie müßte erörtert werden. Mit einem Sophokles-Zitat ("Vieles Ungeheure ist und nichts so ungeheuer wie der Mensch") ist es nicht getan. Bevor der Autor solche Fragen auch nur auf fünf zusammenhängenden Seiten ausbreiten, diskutieren, verwerfen oder weiterentwickeln würde, versackt er immer wieder im mal gelehrten, mal betulichen Irgendwo. "Man lernt ja auch von den Jüngeren", heißt es milde, gefolgt von der etwas strengeren Feststellung, langsam werde "der Homo sapiens vom Homo telephonans übernommen". Wenn das so weitergeht, droht nach Christian Meier eine vollständige geistige Entblößung mit der möglichen Folge, daß der Historiker als "Bikini-Verkäufer am FKK-Strand" endet. Womit vielleicht die Frage nach der Verantwortung des Zeitgenossen Meier geklärt wäre, nicht aber die nach der rückwirkenden Kraft von Auschwitz.

Christian Meier: "Von Athen nach Auschwitz". Betrachtungen zur Lage der Geschichte, vornehmlich anhand des europäischen Sonderwegs. C.H.Beck Verlag, München 2002. 234 S., geb., 22,90 .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.04.2002

Am Strand
Heute erscheint Christian Meiers
Essay zur Geschichtswissenschaft
Hat es zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch Sinn, sich auf die Geschichte zu beziehen? Wer tut das in der Öffentlichkeit noch? Der unerhörte globale Wandel, die technischen Revolutionen, das Wachsen der Möglichkeiten ins Unabsehbare – all das scheint Vergleiche mit früheren Zeiten obsolet zu machen und Prognosen für die Zukunft zu verbieten. Wir haben es aufgegeben, uns historisch zu verstehen. Geschweige dass wir noch glaubten, selber Geschichte zu machen.
So sieht es Christian Meier in einem heute erscheinenden Essay, einer Zusammenfassung mehrerer Vorlesungen, die der Münchner Althistoriker auf Einladung des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen gehalten hat. Darin steht keine geringere Frage zur Verhandlung als die nach dem Zusammenhang zwischen historischer Erkenntnis und menschlichem Handeln. Oder anders gesagt, nach Orientierung an und Verantwortung in der Geschichte.
Nun kann man fragen, ob Meiers Diagnose richtig ist. Haben wir nicht mit dem Euro den Anfang eines neuen Zeitalters gefeiert? Strömen nicht Tausende von Besuchern in historische Ausstellungen? Doch darum geht es Meier nicht. An diesen „Events” lässt sich kein historisches Bewusstsein ablesen, kein dringliches Fragen, das die Probleme der Gegenwart aus der Geschichte zu verstehen sucht. Und aus dieser Erkenntnis Maximen für zukünftiges Handeln ableitet.
Meier führt uns in seinem Essay genau dies vor. Er schlägt einen mutigen Bogen von Athen nach Auschwitz. In der griechischen Geschichte des fünften Jahrhunderts, als die kleine Republik Athen nach dem Sieg über die Perser unversehens zur Weltmacht wurde, liegen die Ursprünge des europäischen Sonderwegs. Hier begann die Befreiung des Menschen aus traditionellen Bindungen, hier wurde er erstmals frei für Selbsterkenntnis und Verantwortung. Das aber war die conditio sine qua non für jene ungekannte Erweiterung der Handlungsspielräume, die sich ab 1500 in der europäischen Expansion vollzog.
Meier beantwortet die von Max Weber gestellte Frage nach dem Besonderen der abendländischen Geschichte genauso, wie Weber es getan hatte, nämlich mit Rationalisierung. Nur verortet er diese nicht im frühneuzeitlichen Protestantismus, sondern bei den Athenern. Und ähnlich wie Weber beschreibt Meier diesen Sonderweg nicht als reine Erfolgsstory. Auch die Möglichkeiten zum Bösen wurden ins Unermessliche gesteigert. Am Ende einer beispiellosen Geschichte steht Auschwitz, für das niemand mehr verantwortlich sein kann und will.
Wie Machiavelli
Das Mittelalter wird von Meier, sieht man vom Hinweis auf dessen Funktion als Bewahrer des antiken Wissens ab, ausgelassen. Dabei kann auch die Mediävistik etwas zur Frage des Sonderwegs beitragen. Es sei an Friedrich Heers Buch „Aufgang Europas” erinnert, das sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ganz ähnliche Fragen gestellt hat. Heer sah das Besondere Europas im agonalen Prinzip, im Zulassen der Differenz, wie sie im Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum im 11. Jahrhundert zutage getreten ist, ohne dass deswegen die abendländische Einheit aufhörte. Dieser Gedanke ließe sich mit Meiers Beschreibung der klassischen griechischen Kultur, von Konkurrenz und Einheit im hellenischen Archipel kombinieren.
Doch darf man dem Autor das Auslassen des Mittelalters nicht ankreiden. Der Rückgriff auf die Antike ist nicht ausschließlich gemeint. Sie dient ihm als Beispiel für eine mögliche Öffentlichkeitsarbeit zugunsten die Geschichte. Doch welche Öffentlichkeit meint Meier, wenn er das Verschwinden der Geschichte aus der Öffentlichkeit beklagt? Das Fernsehen? Die Feuilletons? Das Parlament? Hier liegt der wunde Punkt des Buches.
Und zugleich seine politische Dimension: Wie wir waren die Athener damals mit radikaler Neuheit konfrontiert, die mit alten Denkweisen nicht zu begreifen war. Doch anders als wir überließen sie sich nicht diesem Neuen, sondern versuchten, ihr Schicksal zu verstehen und es in gemeinsamer Verantwortung zu meistern. Mit der Polis, der Republik.
Politik im Sinne einer „res publica”, einer öffentlichen Angelegenheit, ist es, was Meier gegenwärtig vermisst. Gemeinsames Ringen um Erkenntnis und Handeln, die zusammen erst Freiheit und Verantwortung ermöglichen. Man möchte ihn mit einem anderen leidenschaftlichen Republikaner vergleichen: Machiavelli. Der beklagte sich in seinen
„Discorsi
” darüber, dass seine Zeitgenossen sich mit der Antike schmückten, anstatt politische Lehren aus ihr zu ziehen. Nämlich im Hinblick darauf, wie man eine Republik gründet und erhält. Machiavelli unterzog daher die Geschichte Roms einer neuen Lektüre, tat also ein Gleiches wie Meier.
Doch welche Lehren lassen sich heute aus der Antike ziehen? Was können wir tun? Es bedürfte einer Republik im alten Sinn, um wieder Herr der Geschichte zu werden. Doch die scheint so fern wie zu Machiavellis Zeiten. Und so bleibt Meier, um wenigstens seiner Verantwortung als Historiker gerecht zu werden, nichts anderes zu tun übrig als unverdrossene Öffentlichkeitsarbeit – selbst auf die Gefahr hin, „den Bikini-Verkäufer am FKK-Strand zu spielen”.
CHRISTIAN JOSTMANN
CHRISTIAN MEIER. Von Athen bis Auschwitz. Die Wissenschaft des Historikers und die Verantwortung der Zeitgenossen. C.H. Beck, München 2002. 240 Seiten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Althistoriker Christian Meier beabsichtigt mit seinen Betrachtungen zur Lage der Geschichte und der These vom europäischen Sonderweg keine Anklage, sondern will vielmehr an die Rolle der Geschichte und die Verantwortung des Historikers in einer Zeit, die "geschichtsvergessen zu werden droht", erinnern, stellt Dietrich Schwarzkopf zu Beginn seiner Rezension klar. Im Anschluss daran resümiert er einige Kernaussagen und zentrale Fragestellungen des Buches, zum Beispiel wie man Auschwitz und die großen Errungenschaften des europäischen Sonderweges "zusammendenken" könne. Meiers Analysen, hält Schwarzkopf fest, münden in die These, dass mit Auschwitz der europäische Sonderweg zu Ende sei. Der Historiker weise jedoch darauf hin, dass Europa sein historisches Erbe für die Bewältigung der Zukunft brauche, auch wenn ihr genauer Wert nicht immer zu bestimmen ist.

© Perlentaucher Medien GmbH