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Produktdetails
  • Verlag: Beck
  • Seitenzahl: 349
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 398g
  • ISBN-13: 9783406452741
  • ISBN-10: 3406452744
  • Artikelnr.: 23928315
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Ein Wetter zum Kuckuckseierlegen, Herr Professor
Ist das alles echt? Sokals Streich traf mehr als sieben Franzosen auf einmal / Von Achim Bahnen

Herbst 1997, ganz Frankreich ist entsetzt. Zwei unbeugsame Physiker haben zum Angriff auf das Pantheon der Pariser Intelligenzija geblasen. Ihre Waffen stammen aus dem Arsenal naturwissenschaftlicher Rationalität, ihr Schlachtruf lautet: "Der König ist nackt!" Eine repräsentative Auswahl zeitgenössischer französischer Denker habe "impostures intellectuelles" begangen, intellektuelle Hochstapeleien, um geistige Blöße zu verdecken. Der Vorwurf rührt an den Stolz der Grande Nation, die Presse ist empört: Aux armes!

Der deutsche Titel des skandalträchtigen Buches von Alan Sokal und Jean Bricmont klingt charmanter als das Original; nicht von Schwindel oder Betrug ist die Rede, sondern von elegantem Unsinn. Das nimmt dem Angriff nur oberflächlich seine Schärfe, denn weitaus weniger charmant erklären die Autoren, ihr Vorstoß richte sich "gegen geistige Verwirrung" und solle "vor einigen eklatanten Fällen von Scharlatanerie warnen". Kapitelweise werden wenig vorteilhaft gewürdigt: Jacques Lacan, Julia Kristeva, Luce Irigaray, Bruno Latour, Jean Baudrillard, Gilles Deleuze, Félix Guattari und Paul Virilio. Was haben zwei Physiker zu deren Werk zu sagen? Sie geben sich zunächst bescheiden; nur dort, wo die Genannten sich auf mathematisch-physikalisches Terrain begeben haben, fühlen Sokal und Bricmont sich berufen, falsche Anleihen aufzudecken.

Es ist schon erstaunlich, wie viel Unfug sich in den Schriften der vorgeführten Meisterdenker findet. Der nüchterne Stil der Naturwissenschaftler kontrastiert aufs Feinste mit dem vielfach hohen Ton der kommentierten Texte und macht die Lektüre streckenweise zu einem intellektuellen Vergnügen. Virilio verwechselt wiederholt Beschleunigung und Geschwindigkeit - zwei Grundbegriffe der Kinematik, "die zu Beginn jedes Einführungskurses in die Physik erläutert und sorgfältig unterschieden werden". Das "überrascht" in der Tat "doch etwas bei einem angeblichen Spezialisten für die Philosophie der Geschwindigkeit".

Sokal und Bricmont gehen durchaus fair zur Sache, mit der Geduld von Grundschullehrern. Das ganze Unternehmen wäre nur eine pedantische Fußnote zum akademischen Betrieb, wenn sie nicht mehr wollten, als ein paar grobe Schnitzer ihrer geisteswissenschaftlichen Kollegen aufzudecken, und wenn sie nicht von der Aufmerksamkeit profitieren könnten, die Sokal 1996 mit einem inzwischen berühmt gewordenen Scherz auf sich gezogen hatte.

"Sie schlafen so lange man demonstriert und wachen nicht eher auf bis man ein Experiment macht." Über diese didaktische Weisheit wollte der Experimentalphysiker Georg Christoph Lichtenberg einst eine Predigt halten; Sokal, der Theoretiker aus New York, beherzigte sie. Er ersann ein Experiment der raffinierten Sorte und reichte bei der amerikanischen Zeitschrift "Social Text" einen Text ein, der unter dem bizarren Titel "Die Grenzen überschreiten: Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation" einen gelehrt-gefälligen Jargon parodierte und die zeitgenössische Physik als Vorreiterin einer emanzipatorischen Wissenschaft feierte. Autoritätsgläubig kauften die Herausgeber dem Physikprofessor zum Beispiel ab, dass die Kreiszahl Pi heute in ihrer "unabwendbaren Historizität gesehen" werde. Als der Aufsatz im Frühjahr 1996 tatsächlich gedruckt wurde, brach Sokal den Versuch ab und enttarnte sich. Schade, denn zu gerne hätte man den Scherzartikel andernorts zitiert gesehen, aber das Experiment war gelungen, der Zweck erfüllt, die akademische Zunft mit schallendem Lachen aus ihrem sanften Schlummer gerissen.

Seine Motive legte Sokal in einem Nachwort dar, das von "Social Text" diesmal abgelehnt wurde - weil es den intellektuellen Standards nicht entspreche. Sokal, der unter den Sandinisten in Nicaragua Mathematik unterrichtet hatte, bekannte sich als "unbeeindruckter Altlinker, der nie richtig verstanden hat, wie die Dekonstruktion der Arbeiterklasse helfen soll". Er warf einem im eigenen politischen Lager angesiedelten "postmodernen, poststrukturalistischen, sozialkonstruktivistischen Diskurs" den Fehdehandschuh hin. Die akademische Linke solle auf den Pfad der Rationalität zurückkehren. Damit waren nun wirklich Grenzen überschritten, und manche fanden, auch die Kompetenzen eines Physikers.

Das mit seinem belgischen Kollegen geschriebene Buch ist über weite Strecken eine Art Versuchsprotokoll: Im Anhang sind die Parodie mit erläuternden Kommentaren sowie das Nachwort zu finden. Was damals nur andeutungsweise persifliert wurde oder in kurzen Zitaten Verwendung fand, ist nun Gegenstand minutiöser Analyse. So amüsant die Enthüllungsarbeit zu studieren ist, so problematisch bleibt die Anlage des gesamten Bandes. In mehreren Exkursen setzen sich die Autoren mit epistemischem Relativismus, der Idee einer postmodernen Wissenschaft und dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Philosophie in der Vergangenheit auseinander. Eine ganze Reihe von - überwiegend wissenschaftstheoretischen - Themen wird angerissen, und es drängt sich der Verdacht auf, die beiden wollten nicht nur gute Physiker, sondern auch die besseren Philosophen sein, die den common sense wieder in sein Recht setzen. So schlimm steht es um die Geisteswissenschaften nun auch wieder nicht, als dass sie von Scherzbolden bierernst auf den Pfad von Tugend und Vernunft zurückgeführt werden müssten.

Auch der Eindruck, es werde ein weiteres Mal die Unverständlichkeit der Derrida und Lacan dem Gespött preisgegeben, wird durch einige salvatorische Klauseln nicht entkräftet. Unmissverständlich heißt es: "Unser Ziel besteht genau darin: zu sagen, der König sei nackt." So wird die empfindliche Blöße jener exponierten Stelle, die im Bereich der hard science liegt, verallgemeinert und suggeriert: Wer hier nachprüfbar Unsinn redet, kann auch sonst kein kompetenter Sprecher sein. Müßig ist die Frage, ob zwei Naturforscher den Lackmustest für Sinn und Unsinn geisteswissenschaftlicher Theorien gefunden haben. Wer bisher nichts daran finden konnte, wird sich schadenfroh bestätigt sehen; wer Bedenkenswertes darin fand, es sich auch jetzt nicht nehmen lassen und gegebenenfalls durch den Verweis ergänzen, in den Geisteswissenschaften sei eine produktive Wirkungsgeschichte noch immer das Entscheidende.

Von Anbeginn hat Sokal darauf hingewiesen, dass seine Polemik vor allem auf gewisse Milieus amerikanischer Akademiker gemünzt sei, die sich kritiklos an der französischen Gegenwartsphilosophie orientierten. Es war jedoch unvermeidlich, dass Letztere schließlich als das eigentliche Opfer der Attacken dastand, zumal das Buch dann zuerst in Frankreich und nicht in den Vereinigten Staaten erschien.

Die französischen Reaktionen auf den Band möchte man in einer späteren Auflage zur Vervollständigung des Versuchsprotokolls mitabgedruckt sehen. Sie zeigen, dass die Neigung, anstelle inhaltlicher Auseinandersetzungen Metadebatten zu führen, nicht in der deutschen Philosophie erfunden wurde. Statt die Kritik der beiden Physiker sachlich zu entkräften, unterstellte man ihnen Frankophobie als ideologisches Leitmotiv - wobei geflissentlich ignoriert wurde, dass diese sich bei Sokals frankophonem Koautor als Autophobie gleichsam pathologisch äußern müsste. Der Wissenschaftssoziologe Bruno Latour behauptete sogar, ein paar theoretische Physiker suchten nach dem Ende des Kalten Krieges und der Reduzierung fetter Forschungsbudgets einen neuen Gegner und glaubten, ihn in den französischen Intellektuellen gefunden zu haben.

Julia Kristeva klagte mitleidheischend, dass Sokal und Bricmont sich bei ihr auf eine "kleine Studie" von 1966 bezogen hatten: In ihrem ersten Pariser Herbst, "feucht und trüb", habe sie sich auf ihrem Studentenzimmer nicht nur mit diesem Text, sondern auch mit einer üblen Grippe herumgeplagt. Außerdem sei sie schon damals kein Mathegenie gewesen. Es war dann wohl ein ironischer Glücksfall der Wirkungsgeschichte, dass manche Leser die Philosophin gerade aufgrund der mathematischen Passagen ihrer 1969 publizierten "Séméiotiké" für tatsächlich hoch begabt hielten. Und zum "schönen Risiko des Denkens", das französische Intellektuelle laut Pascal Bruckner (in Verteidigung Baudrillards) im Gegensatz zu den angeblich faktengläubigen Amerikanern beständig auf sich nehmen, zählt offensichtlich auch ein fiebriger Infekt.

Und Derrida? Viele hätten ihn wohl gerne dekonstruiert gesehen, doch Sokal und Bricmont sparen ihn ausdrücklich aus. Das in Sokals Parodie verwendete Zitat (eine mündliche, später gedruckte Bemerkung, in der Derrida die "Einsteinsche Konstante" zum "Konzept des Spiels" erklärte) sei zwar amüsant, aber offenbar ein einmaliger Fehltritt gewesen. Dennoch bezog Derrida in "Le Monde" Stellung. Herablassend bedauerte er den armen Sokal, dessen Name nun für immer mit diesem Streich und nicht mit einer bedeutenden Theorie verbunden sei. Doch nichts ist in diesem Kontext so unpassend wie die Anspielung auf die eigene Autorität. Um mathematisch-physikalischen Unfug zu entlarven, braucht es weder Autorität noch Aura; noch der kleinste Naturwissenschaftler kann jeden großen Denker korrigieren.

Alan Sokal, Jean Bricmont: "Eleganter Unsinn". Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen. Aus dem Französischen von Johannes Schwab und Dietmar Zimmer. Verlag C. H. Beck, München 1999. 350 S., br., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Noch einmal freut sich Achim Bahnen über den intellektuellen Scherz - einen gefälschten Artikel - mit dem die beiden Physiker die Heroen der französischen Postmoderne zum Erröten brachten. In diesem Buch setzen sie sich nun noch ausführlicher mit den naturwissenschaftlichen Passagen im Werk der Lacans, Virilios und Irigarays auseinander und entlarven sie als stümperhaft. Problematisch findet Bahnen an dem Buch allerdings, dass Sokal und Bricmont sich in verallgemeinernden Kapiteln als die besseren Geisteswissenschaftler hinstellen. Da würden die Autoren verkennen, dass Geisteswissenschaften andere Wirkungswege hätten als Physik oder Chemie. Für eine Neuauflage wünscht sich Bahnen eine Dokumentation der beleidigten französischen Reaktionen auf das Buch.

© Perlentaucher Medien GmbH"
"Die Autoren untersuchen fair und sachlich und holen dabei so manchen intellektuellen Heißluftballon vom Himmel." Johannes Wetzel, Die Zeit

"Alan Sokal hat dem Rouletterad des internationalen Diskurses den Schwung genommen." Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung

"... ein glänzendes Buch ..." Richard Dawkins, Oxford

"Und so beweisen die Autoren in sowohl launiger wie präziser Manier, was der geplagte Student sich in wachen Momenten auch schon mal gedacht haben mag: Auch der Kaiser der französischen Philosophie ist nackt." Till Briegleb, Die Woche