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Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, gegründet unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, erwies sich in der Weimarer Republik als eine unentbehrliche Einrichtung zur Förderung der Wissenschaft. Die Nationalsozialisten machten aus der DFG eine der wichtigsten Einrichtungen ihrer Universitäts- und Forschungspolitik. Der Autor stellt nicht nur diese Wandlungen der DFG dar, er bietet auch eine allgemeine Geschichte der NS-Wissenschaftspolitik.

Produktbeschreibung
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, gegründet unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, erwies sich in der Weimarer Republik als eine unentbehrliche Einrichtung zur Förderung der Wissenschaft. Die Nationalsozialisten machten aus der DFG eine der wichtigsten Einrichtungen ihrer Universitäts- und Forschungspolitik. Der Autor stellt nicht nur diese Wandlungen der DFG dar, er bietet auch eine allgemeine Geschichte der NS-Wissenschaftspolitik.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "eindringliche" Studie zur Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus schildert Roland Kany das Buch in seiner Kritik. Schon anhand der Karriere des "Turnlehrers" Rudolf Mentzel, der wissenschaftlich kaum qualifiziert, dafür aber ein überzeugter Nazi und bald der Chef der DFG war, schildere Hammerstein, wie die Nazis in der einst führenden deutschen Wissenschaft wüteten. "Die Stunde der Parteibonzen schlug". Die DFG sei unter den Nazis zum Objekt brutaler Machtkämpfe geworden und verlor einige ihrer besten Wissenschaftler, weil sie als Juden geschasst wurden. Einige Fragen lasse das Buch offen - es könne nun mal keine komplette Wissenschaftsgeschichte der Zeit liefern. Wie standen die Gelehrten zur Behandlung ihrer jüdischen Kollegen? Wie ist der Verlust der Spitzenstellung der deutschen Wissenschaft schon vor 1933 zu erklären? Kany wünscht, dass Hammersteins Buch zu weiteren Forschungen anregt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Äußere Erfolge waren bedeutungslos
Den Sieg im Weltkrieg sah die DFG nur als Mittel für mehr Geldmittel / Von Roland Kany

Schneidig sah er aus, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft in den Jahren 1936 und 1945. Die Partei-Uniform trug er mit Stolz: Man glaubte Rudolf Mentzel das Turnlehrer-Examen sofort, das er nach Leibesübungen in Freicorps Anfang der zwanziger Jahre abgelegt hatte. Seine Habilitationsschrift in Chemie war so geheim, dass sie der Greifswalder Fakultät gar nicht vorgelegt wurde, nur einer Kommission. Deren Urteil fiel beinahe so vernichtend aus wie die Wirkungen des Kampfgases, von dem die Arbeit handelte. Aber Mentzel war NSDAP-Kreisleiter für Stadt und Landkreis Göttingen sowie SS-Obersturmführer, und man schrieb den Juli 1933 - so wurde er denn habilitiert. Mut war selten Professorentugend. Mentzels Aufstieg war jetzt unaufhaltsam: Sechsunddreißigjährig wurde er an die Spitze der DFG berufen und konnte bald als Ministerialdirektor im Reichserziehungsministerium genehmigen, was er als DFG-Präsident beantragte. Er wurde der einflussreichste Organisator von Hochschulen, Wissenschaft und gelehrten Institutionen im "Dritten Reich".

Diese und viele weitere, mitunter bizarre Biografien sind in Notker Hammersteins neuem Buch verwoben. Wolfgang Frühwald hatte 1994 als Präsident der DFG den Autor für eine Aufarbeitung der Nazivergangenheit seiner Institution gewonnen. Gegenüber der unersetzten Geschichte der DFG von Kurt Zierold (1968) reduziert Hammerstein die Darstellung der Jahre 1920 bis 1933 auf ein Drittel und lässt die Zeit nach 1945 fort; er konzentriert sich auf das zuvor knapp behandelte "Dritte Reich". Nicht, dass Zierold wichtige DFG-Akten entgangen wären - die Papiermassen wurden schon 1933 bei einem Umzug und dann im Krieg großenteils vernichtet. Grundlegend Neues bietet Hammerstein viel mehr durch die ausführliche Darstellung der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik. Die DFG selbst, so eine seiner zentralen Thesen, verlor in der Nazizeit ihre ursprüngliche Form und wurde zu einer bloßen Verrechnungsstelle des Reichserziehungsministeriums.

1920 hatten sich die deutschen Akademien, Hochschulen, großen wissenschaftlichen Gesellschaften und Bibliotheken zur "Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft" zusammengeschlossen, die seit 1929 meist Deutsche Forschungsgemeinschaft hieß. Der größte Teil der Fördermittel kam von der öffentlichen Hand. Der Chemiker Fritz Haber prägte die neuartige Idee der Institution: Selbsthilfe der Wissenschaft durch institutionellen Zusammenschluss, Selbstverwaltung und Vergabe der eingeworbenen Mittel mit transparenten Verfahren der Begutachtung.

Der Präsident der DFG von 1920 bis 1934, Friedrich Schmidt-Ott, regierte allerdings eher im autokratischen Stil des einstigen preußischen Wissenschaftsministers Althoff. Doch konnte er an dessen Erfolge anknüpfen und stieß auf wenig Widerstand bei den deutschen Wissenschaftlern, die dem demokratischen Geist von Weimar meist skeptisch gegenüberstanden und ihn daher auch von der DFG nicht erwarteten. Das Führerprinzip, das Schmidt-Ott gegenüber Habers Kollegialprinzip vertrat, wurde 1933 zur Staatsidee erhoben - und bald nach Haber musste auch Schmidt-Ott gehen. Die Stunde der Parteibonzen schlug. Zuerst kam der engstirnige Nobelpreisträger Johannes Stark, ein fanatischer Gegner der Relativitätstheorie. Er fiel Intrigen zum Opfer, und Turnlehrer Mentzel kam.

Hammerstein schildert, wie die wissenschaftlichen Institutionen gleichgeschaltet wurden. Sie gerieten nicht etwa ins Räderwerk eines straffen Zentralismus, sondern in einen Dschungel brutal umkämpfter Zuständigkeiten und immer neuer Versuche, eine Zentrale aller Zentralen zu schaffen. Bald wurde der DFG der von Minister Rust und Mentzel dominierte Reichsforschungsrat neben- und übergeordnet. Aber auch das Heer hatte seine Forschungszentralen, das Amt Rosenberg rang um Einfluss, Himmlers "Stiftung Ahnenerbe" musste zufrieden gestellt werden, Rudolf Hess unterhielt eine Hochschulkommission, der NS-Dozentenbund mischte mit. Als 1942 die militärische Krise immer hektischer nach rettenden Erfindungen fragen ließ, wurde ein neuer Reichsforschungsrat unter Göring einberufen, 1943 ein neues Planungsamt und 1944 ein Nachwuchsamt geschaffen. Aber es half nichts, der Forschung mangelte es an Koordination, an Köpfen, an Nachwuchs. Nur die Bürokratie gedieh prächtig. Verbrecherische Forschung, vor allem solche, die den Tod von Menschen in Kauf nahm, war nach Hammerstein die seltene Ausnahme. Er skizzierte einige überwiegend bekannte Beispiele der Jahre von 1941 an, etwa die grauenhaften Experimente von Rascher, Hirt und Mengele. Es scheint nicht, dass die DFG für die Förderung solcher Untaten maßgeblich verantwortlich war. Wie viel die Leiter der wichtigsten Förderungsgremien, etwa Ferdinand Sauerbruch, von den Menschenversuchen wussten, bedarf aber noch genauerer Untersuchungen. Seit 1933 passten sich Mediziner, Ingenieur-, Agrar-, Natur- und Geisteswissenschaftler oft willig den Leitideen Hitler-Deutschlands an. Um Gelder zu bekommen, beteuerten sie die Wichtigkeit ihrer Anträge für deutsches Wesen oder den Gewinn des Krieges. Hammerstein betont fast zu häufig, dass ein Großteil dieser Forschung thematisch und qualitativ dennoch im Rahmen dessen verblieben sei, was international üblich war.

Hier liegen Grenzen des Buches. Es schildert weite Ausschnitte der politischen Organisation von Wissenschaft, aber es kann nicht nebenher eine komplette Wissenschaftsgeschichte bieten. Dass die DFG in der Weimarer Republik und im Dritten Reich weit überwiegend "normale" Forschung förderte, beantwortet nicht die Frage, ob nach internationalem Maßstab Spitzenleistungen erzielt wurden. Diese Frage können nur Historiker einzelner Disziplinen beantworten. Auch manche Auswirkungen der Politik nach 1933 treten nur knapp in den Gesichtskreis des Buches. 1936, so heißt es beiläufig, war bereits ein Drittel aller Lehrstühle neu besetzt. Durch die Gesetze von 1933 wurden viele jüdische Professoren aus ihren Ämtern entfernt. Wie viel Widerstand gab es an den Hochschulen gegen dieses wohl größte Desaster der deutschen Wissenschaftsgeschichte? Was wurde aus zugesagten DFG-Mitteln nach der Emigration ihrer Empfänger? Hammerstein erwähnt Dozentenlage und Schulungsabende nur in einer Liste von Behinderungen akademischer Laufbahnen. Wer organisierte die Kurse, wer musste teilnehmen? So erzählt Kurt Weitzmann in seiner Autobiografie, er habe ein Habilitationsangebot 1934 ausgeschlagen, weil zum Erwerb einer Privatdozentur eine einjährige Indoktrinationskur in Kiel erforderlich war - er ging nach Princeton und wurde dort ein weltbekannter Fachmann für die Geschichte der Buchmalerei.

Bei der Rektorenkonferenz in Salzburg 1943 zog Wilhelm Süss aus Freiburg eine katastrophale Bilanz der deutschen Wissenschaften und Hochschulen. Die angloamerikanische Produktionssteigerung in Physik etwa übertreffe die deutsche um das Vierfache - und die Publikationen seien nicht schlechter. Manche Ursachen wie der Krieg, die geistfeindliche Haltung der Nazis, das kurzsichtige Desinteresse an reiner Forschung zu Gunsten rasch verwertbarer Entdeckungen, das abschreckende Wirken des Dozentenbundes und das organisatorische Chaos wurden anscheinend diskutiert. Anderes wohl weniger: etwa die politischen und rassistischen Entlassungen, die von jeher mangelnde Bereitschaft deutscher Gelehrter zur Teamarbeit, vielleicht ein zwischen 1914 und 1918 verloren gegangenes Vertrauen in den Sinn von Erkenntnis.

Die Spitzenstellung war längst verloren, welche deutschsprachige Forscher auf vielen Gebieten der Wissenschaft um 1900 innegehabt hatten. Hammersteins eindringliche Geschichte der NS-Wissenschaftspolitik regt zu weiteren Forschungen nach den Ursachen und bis heute reichenden Folgen dieses Verlustes an.

Notker Hammerstein: "Die deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich". Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur 1920 bis 1945. Verlag C. H. Beck, München 1999. 582 S., 52 Abb., geb., 98,- DM.

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