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Wie wurde im Laufe von nicht einmal hundert Jahren aus dem jüdischen Weisheitslehrer Jesus der an vielen Orten des Römischen Reichs verehrte Sohn Gottes? Dieser Frage geht Burton L. Mack - einer der bedeutendsten Neutestamentler der USA - in diesem Buch nach. Durch die konsequente soziologische Deutung der urchristlichen Tradition kommt er zu ebenso überraschenden wie plausiblen Thesen zur Entstehung des Neuen Testaments und des christlichen Mythos. Das mit detektivischem Spürsinn verfasste Buch bietet nicht zuletzt einen glänzenden Überblick über die vielschichtige Tradition der frühchristlichen Schriften.…mehr

Produktbeschreibung
Wie wurde im Laufe von nicht einmal hundert Jahren aus dem jüdischen Weisheitslehrer Jesus der an vielen Orten des Römischen Reichs verehrte Sohn Gottes? Dieser Frage geht Burton L. Mack - einer der bedeutendsten Neutestamentler der USA - in diesem Buch nach. Durch die konsequente soziologische Deutung der urchristlichen Tradition kommt er zu ebenso überraschenden wie plausiblen Thesen zur Entstehung des Neuen Testaments und des christlichen Mythos. Das mit detektivischem Spürsinn verfasste Buch bietet nicht zuletzt einen glänzenden Überblick über die vielschichtige Tradition der frühchristlichen Schriften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Jesus predigte den Spontis
Auch eine Art Lehrer: Es müsste schon mit Fritz Teufel zugehen, wenn Burton Mack das Evangelium richtig auslegte

Burton Lee Mack ist Professor für Neues Testament in Claremont/Kalifornien. Seine Lehrjahre hat er unter dem Neutestamentler Hans Conzelmann in den sechziger Jahren in Göttingen zugebracht, wo er 1967 promoviert wurde. In seinem neuen Buch behandelt Mack die Entstehung des Neuen Testaments und christliche Apologeten des zweiten Jahrhunderts bis zum Tode Justins des Märtyrers (um 160).

Die Lieblingsausdrücke in diesem Buch sind: "Erfindung", "kunstvoller Einfall", "groteske Vorstellung", "Fiktion", "fantastisch", "imaginär", "Absurdität" oder "wunderbar ausgedacht", "genialer Einfall", "Kombination von Ideen". Bei Paulus gebe es "erstaunliche Kunststücke intellektueller Sophisterei" und "absurdeste Begriffsvermengung". Der Lieblingsjünger des Johannesevangeliums sei von irgendeinem Redaktor "auf Bestellung erschaffen worden". Das alles betrifft die christlichen Glaubensaussagen, inklusive beispielsweise, dass die zwölf Jünger gleichfalls eine späte und absurde Konstruktion sind, denn gegeben hat es sie nie. Die wirkliche Historie wird mit den Worten "gesellschaftliche Experimente" oder "Experimentieren mit menschlichen Beziehungen" abgedeckt, wobei dieses gesellschaftliche Interesse im Laufe des Buches sichtlich abnimmt.

Auch für den, der Macks Biografie nicht kennt, wird aus diesen wenigen Beobachtungen deutlich, durch welche Brille hier die Entstehung des frühen Christentums gesehen wird. Es ist einerseits noch immer die Neigung des rechten Flügels der Bultmann-Schule in den sechziger Jahren, den historischen Gehalt aller frühchristlichen Texte gegen null tendieren zu lassen. Dem entspricht auch - im Rahmen derselben Schule - eine Zerstückelung der Apostelbriefe (sechs Zweite Korinther-, drei Philipperbriefe) und eine Datierung der jüngeren kanonischen Schriften bis weit in das zweite Jahrhundert hinein; die Apostelgeschichte wird etwa nach 130 angesetzt, die Pastoralbriefe noch später. Andererseits ein Hauch der achtundsechziger Jahre. Alles Theologische ist Widerspiegelung von Gruppenkonstellationen und eben "spielerischer Beziehungsexperimente" in diesen Gruppen. Man kann gewiss sagen: Im geistigen Biotop von Claremont hat sich in B. L. Mack ein früher Achtundsechziger - inklusive eingebauter Widersprüche - fast lupenrein erhalten können.

Immerhin gibt sich das Buch bisweilen charmant. Unvergesslich - und damit wird Mack garantiert nun wohl öfter zitiert werden -, wie er sich den Verfasser des Hebräerbriefes denkt: Ein Gelehrter in einer privaten Schreibstube, der in Stapeln von Schriftrollen und auf Papyrus festgehaltenen Notizen wühlt. Er wandelt auch gedankenversunken im Garten, beugt sich stundenlang über sein Stehpult. Er denkt gründlich nach über Feinheiten der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel und diskutiert mit anderen Intellektuellen. Diese Gespräche fanden "an einem mit Früchten und Nüssen gedeckten Tisch statt, auf dem ein kleiner Krug Wein von bescheidener Qualität stand". Man darf ergänzen: und Kartoffelchips. Gewiss, alles Phantasie, wie vieles Weitere in diesem Buch. Aber die frühen Christen sollen eben ganz genauso spielerisch in ihren religiösen Aussagen insgesamt gewesen sein. Warum nicht endlich fantasievoll spielerisch mit christlicher Religion umgehen? Fehlt uns nicht gerade das noch? Im Übrigen sei der Verfasser des Hebräerbriefes wohl ein langweiliger Lehrer gewesen, der "wenigstens keinen Schaden" gestiftet habe.

Was also bleibt? Jesus war "eine Art Lehrer", und das war wirklich alles, und damit ist Jesus das große schwarze Loch in diesem Buch. Denn "es ist weder möglich noch notwendig, viel über den historischen Jesus zu sagen". Das erinnert stark an Hans Conzelmann, von dem das Diktum überliefert ist: "Die Volkskirche lebt davon, dass ihr die Ergebnisse der historischen Jesusforschung verschwiegen werden." Denn Mack will "nicht für wahr halten, was nach normalen Urteilskriterien fantastisch anmutet".

Das ist also der ganze hermeneutische Ansatz in diesem Buch. Schon in früheren Büchern hatte B. L. Mack Jesus mit den kynischen Wanderphilosophen verglichen, Leuten, die in der damaligen Zeit auftraten wie Fritz Teufel und Rainer Langhans anno dazumal, Sprüche klopfende, autoritätskritische und sanft lebende Bürgerschrecks. Mack vermittelt den Eindruck: So einer war im Prinzip Jesus. Alles andere ist Mythos. Mit seinem "Reich Gottes" peilte Jesus eine neue gesellschaftliche Ordnung unter Menschen an. Nur schade, dass diese gesellschaftliche Neuordnung in keinem einzigen frühchristlichen Text über das Reich Gottes belegbar ist. Aus meiner Sicht ging es Jesus dabei um anderes: Gott als den Herrn anzuerkennen und seine Gebote ernst zu nehmen. Noch weiter - nämlich um ein volles Jahrhundert - in die Forschungsgeschichte zurückversetzt fühlt man sich bei Äußerungen, wonach immer der Einzelne (!) angesprochen war, wenn es darum ging, gesellschaftliche (!) Alternativen zu erkunden und die Integrität zu bewahren.

Meilenweit von den frühen Jesusbewegungen entfernt und eigentlich nur durch Jesu Namen mit den Anfängen verbunden ist der in Kleinasien entstandene Christuskult. Die christliche Religion habe sich gar erst im vierten Jahrhundert herausgebildet. Denn "keine frühe Jesusgruppe verstand Jesus als den Christus oder sich selbst als die christliche Kirche". Der ganze Christusmythos sei - verglichen mit den Anfängen - ohnehin eine "unnötige Überreaktion". Unter der Überschrift "Briefe des Paulus" lesen wir: "Soziale Experimente nahmen explosionsartig zu, und der Christusmythos geriet außer Kontrolle." Ach, gäbe es doch nur eine Spur von diesem Super-Gau bei Paulus. Und im Lande der Reformation vernimmt man nicht ohne Staunen, "Gerechtigkeit" bei Paulus meine nichts anderes als Selbstbeherrschung. Wenn es nur das war, sehen unsere Lutheraner ganz schön alt aus.

In den Evangelien wird dann dieser Mythos nur historisiert, ohne dass nennenswerte historische Erinnerungen vorlagen. Auch diese uralte These der Bultmann-Schule wird hierzulande seit Jahren stark angezweifelt. Mack hält sich frei von solchen Bedenken. Opfertod Jesu? Das könnte auf eine Bacchusgottheit zutreffen, aber doch nicht auf den historischen Jesus! Der historische Hintergrund ist auch sonst immer griechisch, fast nirgends jüdisch, er liegt schon gar nicht in Qumrantexten, die Mack nicht zu kennen scheint.

In der brutalstmöglichen Abwertung all dessen, was nach Paulus in den neutestamentlichen Briefen steht, übertrifft Mack noch seinen Göttinger Lehrer. Die Briefe an die Epheser und Kolosser werden kurzerhand als "lasch und langweilig" und "nervend" vorgestellt, ihre Autoren als "fantasielose Hüter einer erschöpften Bewegung", und in der Offenbarung des Johannes liegen literarische "Überreaktionen" vor - wiederum, wie üblich, sei sie ohne historisches Fundament. Das soll wohl schockieren, für mich offenbart es nur peinliches Unverständnis. Durchweg Unsympathisches liest man auch über die so genannten "katholischen Briefe" (1. bis 3. Johannesbrief, Jakobusbrief, 1. und 2. Petrusbrief und Judasbrief), und natürlich sind sie alle erst im zweiten Jahrhundert entstanden, bis 140. Dabei würde der Jakobusbrief doch gut zu den Kynikern des Anfangs passen. Man meint im Übrigen Conzelmann zu hören, wenn es über den Judasbrief heißt, er sei "schlicht ein schludriges literarisches Erzeugnis". So urteilten deutsche Oberlehrer des neunzehnten Jahrhunderts über alles Nachklassische, das nicht zum Bild des edlen deutsch-humanistischen Griechen passt - wie eben die Apokalyptik und alles, was dazu gehört.

B. L. Mack gibt sich als Forscher, der endlich lehrt, den christlichen Mythos nicht blockartig gläubig zu akzeptieren, sondern der ihn kritisch durchleuchtet, eben darüber redet. Das sollte man tun, und es geschieht seit hundertfünfzig Jahren. Doch es ist die Frage, ob der Weg, den Mack anbietet, wirklich den fremden Texten - den Märtyrer Ignatius zu lesen findet Mack "beängstigend und schockierend" - angemessen ist. Dieser Weg ist ein Rationalismus, der alles für fantastische Fiktion erklärt, was ihm im Weg zu stehen scheint. Die Grundfrage ist, ob man den Kirchenglauben als ein Übel ansieht, dem man durch solche Bücher abhelfen muss.

KLAUS BERGER

Burton L. Mack: "Wer schrieb das Neue Testament?". Die Erfindung des christlichen Mythos. Aus dem Amerikanischen von Christian Wiese. C. H. Beck Verlag, München 2000. 435 S., 2 Kart., geb., 58,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ekkehard W. Stegemann erläutert zunächst, dass es Mack hier darum geht, der Bibel als "`Gründungsmythos` westlicher Zivilisationen" auf die Spur zu kommen, was der Autor selbst nicht unproblematisch findet - ist doch das Christentum seiner Ansicht nach aus einem `Zusammenprall der Kulturen` herzuleiten und dementsprechend komplex. Und so hat Mack - wie der Rezensent feststellt - die Bibel "zerlegt", ihre Ursprünge und die verschiedenen ihr vorausgegangenen "Jesusbewegungen" untersucht. Stegemann räumt ein, im Rahmen einer Rezension nur unzureichend die zahlreichen Facetten dieses "großartigen Puzzles" wiedergeben zu können. Jedoch lobt er das Buch ausdrücklich, weil es seiner Ansicht nach nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Entstehung christlicher Mythen darstellt, sondern darüber hinaus auch spannend zu lesen ist. Zwar zeigt sich der Rezensent mit einzelnen Aspekten nicht einverstanden - so etwa mit manchen Datierungen. Er weiß jedoch Macks Mut zu Hypothesen durchaus anzuerkennen. Auch von der Übersetzung durch Christian Wiese zeigt sich Stegemann begeistert, nicht zuletzt, weil sie die gute Verständlichkeit des Buchs angemessen berücksichtigt habe.

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