Produktdetails
  • Verlag: Arena
  • Seitenzahl: 300
  • Altersempfehlung: 12 bis 15 Jahre
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 524g
  • ISBN-13: 9783401055138
  • ISBN-10: 3401055135
  • Artikelnr.: 11282897
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.10.2003

Null Toleranz
Das Muster der Gewalt an einer amerikanischen High-School
Joe Brickman stellt einen auf die Probe. Man erwartet aus alter Lesegewohnheit, dass alles nach bekanntem Muster verläuft im neuen Roman des Amerikaners David Klass Was du willst. Der Held möge uns bitteschön zeigen, wo es lang geht. Laut Klappentext sollen die „vielen Schleichwege offen gelegt werden, über die Gewalt und Terror Eingang in das Leben an einer Schule finden”.
Eigentlich hätte man es anders lieber: Eindeutige Ursache-Wirkung-Muster zur Erklärung der Umstände einer Katastrophe wie in Littleton oder Erfurt. Und für einen Roman zusätzlich noch einen schönen Spannungsbogen, der möglichst bald aus dem unaufgeregt Alltäglichen hinausführt auf die Pfade des Außergewöhnlichen. Dorthin, wo das Böse lauert und das Gute sich zu bewähren hat. Die Provinzstadt Lawndale, New Jersey, der (fiktive) Schauplatz des Geschehens, ist weder Littleton noch Erfurt, aber das Leben dort an der High School birgt – wie an vielen Schulen – Konflikte, die in eine Katastrophe münden könnten, wenn sich unterschiedlichste Motive zu einer explosiven Mischung verdichteten.
Der Erzähler der Ereignisse, die ein Schulhalbjahr umfassen, Joe Brickman, ist 18 Jahre alt, 92 Kilo schwer und ziemlich groß. Er ist der einzige Sohn eines allein erziehenden Autowaschanlagenbesitzers, die Mutter hat die Familie schon vor Jahren verlassen. Er besucht die Lawndale High School, ist, außer in Sport und Biologie, kein besonders guter Schüler, hat keinerlei Karriereallüren und tut – nach eigenen Angaben – nichts weiter als sich durch die Zeit zwischen seinem 14. und 18. Lebensjahr zu kämpfen. Dazu gehören schulische Querelen genauso wie sein persönliches Jammertal, denn eben hat ihm ein neuer Mitschüler, ein hochnäsiger Fußballakrobat aus Brasilien, seine Freundin weggeschnappt. Joe ist kein Außenseiter, kein Oppositioneller, kein Anarchist. Er ist ein nachdenklicher, offenherziger und couragierter junger Mensch, ein scharfer Beobachter der Verhältnisse, mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Außerdem führt er als Kapitän die Ringer- und die talentarme Fußballmannschaft der Schule. Die Stadt, in der er lebt, findet Joe „unerträglich langweilig, klein und beschränkt”.
In seiner High School gibt es einen seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen den Schülern aus Lawndale und denen von Bankside, den schon Joes Vater leidvoll mitgestaltete. Es gibt unbelehrbare Fieslinge, aufgeblasene Wichte, Arschkriecher, Weggucker und sensible Wesen. Wie an jeder Schule. Es gibt brutale Unterdrückungsrituale unter Schülern, von denen die Lehrer lieber nichts wissen wollen. Und es gibt einen alten Chef, einen Humanisten, der die Leitung gerade seinem Vize übergibt. Der propere Sozialtechnologe glaubt, mit Null-Toleranz-Politik, Videoüberwachung, Metalldetektoren, vergitterten Fenstern und direktem Draht zur Polizei der alltäglichen Gewalt Herr zu werden. Gleichzeitig ist der neue Direktor blind gegenüber dem, was sich gerade unter seinem Law-and-Order-Regime an Gefährlichem zusammenbraut.
David Klass erfüllt den Wunsch nach dramaturgisch gestylten Erklärungsmustern nicht. Er lässt seinen Hauptakteur Joe Brickman einfach nur erzählen, was in der Schule und was mit ihm geschieht. Langsam, bedächtig, umfassend. Das wirkt zuerst ziemlich planlos, vielleicht sogar belanglos. Je mehr sich allerdings die Einzelteile des Ereignis-Puzzles zu einem differenzierten Bild des Geschehens zusammenfügen, desto deutlicher werden auch die unterschiedlichsten Schleichwege, über die sich Gewalt und Terror in der Schule ausbreiten können. In Lawndale wie an vielen anderen Orten. Und das macht den Leser aufmerksamer als jede künstlich erzeugte Spannung, macht ihn sensibel für scheinbar feige Lösungen, die die Gewaltspirale durchbrechen können. Ein sehr ungewöhnliches happy-end. (ab 13 Jahre)
SIGGI SEUSS
DAVID KLASS: Was du willst. Aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst. Arena Verlag 2003. 304 Seiten, 13,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2003

Jugend ohne Fußballgott
David Klass entdeckt die Schulzeit als Abwehrschlacht

Fußball gilt in Amerika als Langweilersport - nicht genug Tore. Beim Lieblingsspiel der Europäer fehlt es einfach an sichtbarer Handlung. Wenn nun David Klass den Mannschaftskapitän eines Fußballteams zum Helden eines Jugendromans macht, wagt er einen erzählerischen Regelverstoß. Denn die ungeschriebenen Gesetze der amerikanischen Schulgeschichte schreiben vor, die Hauptrolle entweder mit dem unsportlichen Außenseiter oder mit dem Quarterback des Footballteams zu besetzen.

David Klass aber wählt für "Was du willst" - angesiedelt in einer Kleinstadt in New Jersey - einen dritten Weg. Sein Held Joe Brickman ist zwar als beinharter Libero der unangefochtene Star in seiner Gurkentruppe. Als Fußballer jedoch gehört er einer belächelten Randgruppe an. Selbst Joes alleinerziehender Vater, als Weiberheld und Besitzer einer Autowaschanlage stadtbekannt, beherrscht die Terminologie dieser exotischen Sportart nicht und blamiert sich als Tribünengast mit fachfremden Sprüchen wie "Paß auf den Run auf!"

Außer dem Autor, der in treffsicheren Schilderungen einzelner Spielzüge fast die Genauigkeit eines Handbuchs für Taktik erreicht, weiß kaum jemand den Kampfeinsatz des unermüdlichen Verteidigers zu würdigen. Und selbst Joes über Jahre begehrte Jugendfreundin Kris verliert das Gehacke auf dem Acker in dem Augenblick aus den Augen, als auf den Rängen ein echter Spielmacher auftaucht.

Aus dem Paradies der Schönspieler stammend, erobert der neue Schüler Antonio Silva die Provinz der Fußballbarbaren im Sturm - und sticht den durch Ehrgeiz und Sit-ups gestählten Joe außerdem als modebewußter Schönling sofort aus. Als der brasilianische Torjäger den amerikanischen Torverhinderer auch noch als Neuzugang der Fußballmannschaft in den Schatten stellt, sind die Verwirrungen des torlosen Zöglings Joe - "Wenn man immer nur in der Defensive spielt, muß man sich auf Enttäuschungen gefaßt machen" - komplett. Denn obwohl der durchschnittliche Schüler im Biologieunterricht stets gute Noten einstreicht und gemeinsam mit Kris bereits "Fruchtfliegen ausgebrütet und Bohnenpflanzen gezüchtet" hat, bleibt Joe im Wettlauf ums Erwachsenwerden scheinbar auf der Strecke.

David Klass, der gängige Wunschbilder über Jugendlichkeit bereits mit seinem 2001 erschienenen Roman "Ihr kennt mich nicht" in einer sehr ernsthaften Ironie auflöste, zeichnet in "Home of the Braves" das alltägliche Schlachtgemälde der Schulzeit. "Wir tun unser Bestes", erklärt der Erzähler Joe, "um uns durch die Zeit zwischen unserem vierzehnten und achtzehnten Lebensjahr zu kämpfen." Nicht zufällig liegt das Schulgebäude von Lawndale der Legende nach auf einem alten Schlachtfeld aus dem Unabhängigkeitskrieg, und die Abwehrgefechte der Fußballmannschaft vergleicht der Erzähler mit den Schicksalsschlachten von Alamo oder Little Big Horn.

Es ist die uramerikanische Lösung des Zweikampfs, die als Muster fast jeder Begegnung aufscheint - vom gescheiterten Rendezvous zwischen Joe und Kris über die Dauerfehde zwischen Footballern und Kickern bis hin zur Spannung zwischen den Unterschichtskindern aus dem Vorort Bankside und den Mittelstandssprößlingen aus Lawndale. Jede Kußszene endet mit einem Fausthieb durch die Wand, jede Bürgerversammlung zur Gewaltprävention in einer Massenschlägerei, und selbst die Gerechten unter den Lehrern schleifen ihre schwarzen Schafe zur Strafe übers Footballfeld. Wissen sie denn nicht, was sie tun?

Obwohl die ganze Zeit über ein Showdown in der Luft hängt, bleibt die Ich-Erzählung des gescheiterten Alphatiers Joe - zwischen offen eingestandener Verbohrtheit und lässiger Abstandnahme schwankend - die Geschichte einer Selbstfindung. Denn zur inneren Sicherheit trägt die Aufrüstung der Schule mit Überwachungskameras und Metalldetektoren wenig bei. Und auch das durch Littleton und Erfurt vorgezeichnete Szenario einer katastrophalen Entladung, auf das Joes von den Mitschülern blamierter Freund Ed scheinbar zusteuert, täuscht Klass als erzählerischer Dribbelkünstler lediglich an: Eds aus Internetseiten, Egoshootern und Chemikalien zusammengesetztes Rätsel findet eine ganz unerwartete Auflösung. Als Drehbuchautor durchaus mit den Normen des Actionfilms vertraut, verzichtet Klass bewußt auf Knalleffekte und läßt Joes Geschichte am offenen Horizont eines Bildungsromans enden. Der unentschiedene Spielausgang ist ein Ergebnis, das der Fußball dem fast immer zum Sieg führenden Football voraus-hat.

ANDREAS ROSENFELDER.

David Klass: "Was du willst". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Alexandra Ernst. Arena Verlag, Würzburg 2003. 302 S., geb., 13,90 [Euro]. Ab 12 J.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "erzählerischen Dribbelkünstler" lobt Rezensent Andreas Rosenfelder David Klass für seinen spannenden Fußballroman, der seiner Ansicht nach "in treffsicheren Schilderungen einzelner Spielzüge" fast die Genauigkeit eines Handbuchs für Taktik erreicht. Der beschriebene sportliche Wettkampf zweier jugendlicher Protagonisten ist in den Augen des Rezensenten auch ein Symbol für den Wettlauf ums Erwachsenwerden, bei dem er den Ich-Erzähler zunächst scheinbar auf der Strecke bleiben und schließlich am "offenen Horizont eines Bildungsromans" verschwinden sieht. Nicht von ungefähr sei auch die Schule als Schauplatz der Geschichte vom Autor "der Legende nach" auf ein Schlachtfeld des amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verlegt worden.

© Perlentaucher Medien GmbH