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Produktdetails
  • Arena Taschenbücher
  • Verlag: Arena
  • Seitenzahl: 220
  • Altersempfehlung: 14 bis 17 Jahre
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 193g
  • ISBN-13: 9783401025988
  • ISBN-10: 3401025988
  • Artikelnr.: 27159848
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2000

Wer das Töten lernt, verlernt das Weinen nicht
Eine schwedische Autorin erzählt vom Jungen Anselmo aus Mozambik, der im Bürgerkrieg zum Soldaten wird
MECKA LIND: Anselmo; ein Kindersoldat in Mozambik. Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer. Arena Verlag (life), Würzburg 2000. 220 Seiten, 14,90 Mark.
Den ganz konkreten Anselmo, von dem die schwedische, mehrfach ausgezeichnete Kinderbuchautorin Mecka Lind in diesem Buch erzählt, gibt es nicht. Andererseits gibt es mindestens eine halbe Million Anselmos auf der Welt, und einige Tausend davon leben allein in Mozambik. Der zehnjährige Anselmo aus einem kleinen, vom Bürgerkrieg heimgesuchten Dorf, den Mecka Lind beschreibt, ist ein Kunstprodukt. Eine Art Konglomerat aus den Schicksalen von vielen Kindersoldaten, die vom Krieg entwurzelt, mitgerissen, verstört und zerstört wurden. Die Autorin hat das arme, afrikanische Land am Indischen Ozean bereist und Dutzende von Geschichten gehört, sie hat Waisenhäuser besucht und Kinderheime, hat Kindersoldaten interviewt und Eltern, die ihre Kinder an die Soldaten verloren hatten. Manches hat sie weggelassen, weil es zu schlimm war, anderes um der Verständlichkeit willen geglättet. Der Anselmo, den sie aus alledem geschaffen hat, ist auf diese Weise ein sehr repräsentativer Junge geworden. Er steht für Kinder, die zu scheinbar willenlosen Tötungsmaschinen gemacht werden, die keine Vergangenheit und keine Zukunft haben, die ihre Seele verlieren.
Sehnsucht nach Geborgenheit
Aber: Der Anselmo aus Mecka Linds Buch ist ungeheuer lebendig und hat seinen eigenen Kopf. Er ist eine Tötungsmaschine um des Überlebens willen, gleichzeitig aber ein verzweifeltes, sehnsüchtiges, heimwehkrankes, einsames Kind. Und selbst einem Erwachsenen, der dieses Jugendbuch liest, treibt das Schicksal des kleinen Jungen mehr als einmal Tränen in die Augen. Denn das ist das Aufregende an diesem so besonderen Buch: Der Autorin ist es gelungen, eine so allgemein gültige wie menschliche Geschichte über ein Opfer des 30-jährigen Krieges zwischen Regierungstruppen und Frenamo-Rebellen in Mozambik zu schreiben, dass Anselmo auch nach dem Lesen der 220 Seiten noch Monate, ja Jahre im Kopf des Lesers weiterlebt als einer, der ans Herz gewachsen ist wie ein Bruder oder ein eigenes Kind.
Als Rebellen das Dorf überfallen, töten sie Mutter und Geschwister, der Vater ist schon auf und davon, um auf Regierungsseite zu kämpfen. Nur Anselmo und seine kleine Schwester Lucinda bleiben zurück. Sie wollen sich zum Onkel in die Stadt retten, werden von der Guerilla gefangen genommen. Anselmo wird zum Töten trainiert, seine Schwester muss kochen und Waffen schleppen, und nachts kommen die Männer und holen sie für Stunden weg. Dabei ist Lucinda erst acht. Irgendwann auf dem endlosen Marsch kommt die Truppe auch wieder in Anselmos altes Dorf. Der Junge soll den eigenen Großeltern die Ohren abschneiden und die Hütte des besten Freundes abbrennen, aber zum ersten Mal in all den Jahren bei den Rebellen sagt er Nein. Und wird dafür nicht erschossen.
Monate später gelingt es ihm zu flüchten. Warum hat er es nicht vorher versucht? Anselmo wird überwacht, Deserteure werden verfolgt und bestraft. Und: Wo soll er auch hingehen? Die Mutter ist tot, der Vater vermutlich auch, in sein Dorf kann er nicht zurück, Lucinda ist inzwischen verschleppt, und manchmal ist ein schreckliches Zuhause bei den Rebellen besser als kein Zuhause. Dann aber rafft er sich doch zur Flucht auf und gelangt über das Rote Kreuz in ein Lager jenseits der Grenze. Monatelanges Warten beginnt, erst nach Kriegsende kehrt Anselmo heim. Wohin jetzt? Was ist „daheim”? Eine Weile lungert er in der Hauptstadt herum, sucht eine Schwester und findet ein verkohltes Bündel Mensch, das von den Regierungssoldaten verbrannt worden war.
Lucinda wird mehrfach operiert, Anselmo klaut und lebt im Slum, bis eines Tages doch der Weg nach Hause, ins Dorf der Kindheit, von einer Rotkreuz-Helferin und Ersatzmutter geebnet wird. Die beiden Kinder wagen sich dorthin zurück, wo man Anselmo einst als Rebellen erkannt hatte. Dennoch ist die Aufnahme freundlich. „Wir wissen ja, das Du es nicht freiwillig gemacht hast”, sagt eine Frau.
Ende gut, alles gut? Mozambik gilt als eines der wenigen Erfolgsprojekte der Vereinten Nationen; die Demokratie funktioniert einigermaßen, die Wirtschaft wächst, wenn auch moderat. Die Kindersoldaten von einst sind wieder in die Gesellschaft integriert; ihre seelischen Wunden vernarbt. Anselmo ist heute vielleicht wieder Bauer, vielleicht hat er selbst Kinder. Denen wird er dann seine Geschichte so erzählen, wie Mecka Lind europäischen Kindern die Geschichte von Anselmo aus Mozambik erzählt: eindringlich, fürsorglich, beängstigend, voller schrecklicher Details. Aber nie so, dass die Hoffnung schwindet. (Ab 13 Jahre)
CATHRIN KAHLWEIT
Mehr Kind als Soldat, mehr Soldat als Kind? Für eine Kindheit bleibt keine Zeit, wenn die Waffe das Spielzeug, die Armee die Familie ersetzt.
Foto: Reuters
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Cathrin Kahlweit findet, dass Anselmo ein "sehr repräsentativer Junge" ist und für die vielen Kinder weltweit steht, die durch den gewaltsamen Verlust von Familie und Heimat als "Tötungsmaschine" ein Art von Zuhause bei Rebellen gefunden haben. Der Autorin gelingt es aber - nach Ansicht der Rezensentin - darzustellen, dass es sich bei Kindern wie Anselmo keineswegs um seelenlose Killerkinder handelt, sondern dass auch sie durchaus von Einsamkeit, Heimweh und Verzweiflung und gequält werden, aber kaum eine Möglichkeit haben, aus dieser Situation auszubrechen. Anselmo jedoch gelingt mit Hilfe des Roten Kreuzes schließlich die Flucht über die Grenze und nach der Überwindung zahlloser Schwierigkeiten die Rückkehr in sein Heimatdorf, dass er einst selbst überfallen hatte. Die Rezensentin findet diese Geschichte so "eindringlich, fürsorglich, beängstigend, voller schrecklicher Details", dass sie es durchaus für möglich hält, dass Anselmo "noch Monate, ja Jahre im Kopf des Leser weiterlebt als einer, der ans Herz gewachsen ist wie ein Bruder oder ein eigenes Kind."

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