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Die Titanic ging in der Nacht des 15. April 1912 unter. Schon zwei Monate später war die Katastrophe zum ersten Mal verfilmt. Max Beckmann stellte im folgenden Frühjahr sein Ölgemälde in Berlin aus. Zahlreiche Publikationen, Sachbücher, Erzählungen und Gedichtbände erschienen. Opernlibrettisten nahmen sich des Stoffes an. Der Untergang der Titanic wurde zur Modellkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. Diese Anthologie präsentiert die Geschichte ihrer Literarisierung und Mythisierung.

Produktbeschreibung
Die Titanic ging in der Nacht des 15. April 1912 unter. Schon zwei Monate später war die Katastrophe zum ersten Mal verfilmt. Max Beckmann stellte im folgenden Frühjahr sein Ölgemälde in Berlin aus. Zahlreiche Publikationen, Sachbücher, Erzählungen und Gedichtbände erschienen. Opernlibrettisten nahmen sich des Stoffes an. Der Untergang der Titanic wurde zur Modellkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. Diese Anthologie präsentiert die Geschichte ihrer Literarisierung und Mythisierung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.09.2000

Lesetip zum Wochenende
Das fesche Schiff
Katastrophales Schreiben – die „Titanic” und die Medien
Irgendwie hat das also doch immer schon zusammengehört. Mitte der fünfziger Jahre hat Reader’s Digest eine Kurzfassung von Walter Lords Die Titanic-Katastrophe” herausgebracht, und die sei, berichten die Herausgeber des vorliegenden Materialienbandes, umgeben gewesen von Artikeln über die Atombombe und – jetzt kommt’s – die Technik atomarer Unterseeboote!
Aber Werner Köster und Thomas Lischeid haben nicht etwa ein „Katastrophenalbum” vorgelegt, ein Schwarzbuch nautischer Gigantomanien von der Titanic bis zur Kursk. Sie interessiert nicht die eigentliche Katastrophe, sondern „die Machart der Untergangsgeschichte, ihre symbolische Prägnanz und die Formvoraussetzung für ihren anhaltenden Erfolg”. Einen Erfolg, wie ihn etwa Gunter Groll 1956 in einem – rezeptionstheoretisch ja gar nicht so dummen – Graf-Bobby-Witz begriffen findet: „Jetzt bin ich aber gespannt”, sagte (er), als er den dritten Titanic-Film sah, „. . . jetzt bin ich aber wirklich gespannt, ob’s wieder untergeht das fesche Schiff. ” (In der „Macht der Gefühle” hat Alexander Kluge sich über die Opernsänger gewundert, die auch nach 84 Vorstellungen im ersten Akt nicht wissen, dass sie im letzten sterben müssen. )
Am Anfang der Katastrophe war das Wort. Die Anthologie beginnt mit einem Ausschnitt aus einem Roman, der 14 Jahre vor der Katastrophe erschienen nicht nur das Schiff aller Schiffe vorwegnimmt, sondern (beinahe) auch dessen Namen – Titan – sowie die Kollision mit dem Eisberg. Und sie endet – sozusagen spiegelbildlich – mit Auszügen aus Enzenbergers „Komödie”, die davon singt, dass der Untergang der Titanic nicht stattgefunden hat und dass die Dichter immer noch da sind.
Werner Köster und Thomas Lischeid legen ein theoretisch versiertes, verschmitzt belesenes Feature vor, das zu Gedankenspielen verführt über die (vorauseilende und nachkartende) Literarisierung und Mythisierung all der anderen menschlichen Vermessenheiten – vom Turmbau zu Babel bis zum neuen Airbus-Projekt.
Vielleicht etwas überdeutlich (und kalauernd) spielen die Herausgeber in den Kapitelüberschriften auf die einschlägigen Titel, Thesen, Temperamente an: Risiko-Denken, Untergang des Abendlandes, Im Eisbad, Die neue Fortschritts-Front, Das Ende der Parabel. Das ändert nichts an der beredsamen List und Stringenz, mit der sie ihre anthologische Studie bilanzieren: „In einer Gesellschaft des Spektakels ist . . . Zweifel daran, ob gesellschaftliche Prozesse sich noch mit kognitivem und ästhetischem Gewinn als Katastrophe modellieren lassen, größer geworden. ”
Der Reiz der Sammlung liegt darin, dass hier – ohne sie wohlfeil zu denunzieren – alle nur denkbaren Texte und Treuherzigkeiten versammelt sind, die begierig an der Katastrophe scheitern, aber auch Beispiele für eine Reflexion dieses Scheiterns, etwa in Hans Magnus Enzenbergers Spott über die Dichter: „Im Café Astor sitzen sie, bei Selbstbedienung, / leicht zu erkennen an ihrem seekranken Blick; / aus Plastikbechern schlürfen sie ihre Cola mit Schuss / und gedenken, wie sich’s gehört, der Gastarbeiter, / der Eskimos und der Palästinenser im Zwischendeck. ”
Autobiografische Ergriffenheiten (bei Elias Canetti), politische Rhetorik (1912 im Reichstag), journalistische Interventionen (Maximilian Harden), Drehbuchauszüge (James Cameron) – und Balladen: Bewusstseinsgeschichte auch als Geschichte sprachlicher Bewältigungsversuche, die Katastrophe als Katalysator für den Wert und Wandel der literarischen Form.
Am schlagendsten fallen die Belege für die „Geburt des Mythos im Feuilleton” aus: „Sie war das Leben. Unter ihrem Deck / das wie ein Mädchenleib sich hob und bebte, / ging die Maschine wie ein Hirn, das lebte, / gehüllt in ihren ungeheuren Zweck. ” Einer Ballade wie dieser (von Joh. Ch. Kuhlemann aus dem Jahr 1912) gibt ein von Enzensberger launig übersetzter Song aus einer Sammlung Negro Narrative Folklore einen obszönen wie klassenkämpferisch ideologiekritischen Bescheid: „Zieh dein Hemd aus, Käpten, sagte Shine, / und springe zu den Haifischen rein! / Des Käptens Tochter auf dem Deck / warf ihren Büstenhalter weg” – und so weiter.
HERMANN WALLMANN
WERNER KÖSTER, THOMAS LISCHEID (Hrsg. ): Titanic: ein Medienmythos. Reclam Verlag, Leipzig 2000. 239 Seiten, 20 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Werner Köster und Thomas Lischeid legen ein theoretisch versiertes, verschmitzt belesenes Feature vor, das zu Gedankenspielen verführt über die (vorauseilende und nachkartende) Literarisierung und Mythisierung all der anderen menschlichen Vermessenheiten - vom Turmbau zu Babel bis zum neuen Airbus-Projekt. Süddeutsche Zeitung

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hermann Wallmann zeigt sich in seiner Rezension durchaus angetan von dieser Titanic-Anthologie, zumal hier seiner Ansicht nach "- ohne sie wohlfeil zu denunzieren - alle nur denkbaren Texte und Treuherzigkeiten versammelt sind, die begierig an der Katastrophe (des Untergangs) scheitern". Wallmann gefällt es, dass nicht der Schiffsuntergang selbst im Mittelpunkt des Interesses steht, vielmehr hätten sich die Herausgeber? wie sie selbst betonten, für `die Machart der Untergangsgeschichte, ihre symbolische Prägnanz und die Formvoraussetzung für ihren anhaltenden Erfolg` interessiert. Die Texte sind in ihrer Art sehr unterschiedlich, wie der Leser erfährt: journalistisch, politisch, Erinnerungstexte, Drehbuchausschnitte usw., wobei Wallmann mehrfach Texte von Hans Magnus Enzensberger hervorhebt. Insgesamt lobt der Rezensent das Buch als "theoretisch versiertes, verschmitzt belesenes Feature", das zu zahlreichen gedanklichen Assoziationen anregt.

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