15,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Immer schon waren die Sprache der Moral und die Emotionen, die sie zu wecken vermag, ein Mittel der Politik. Gegenwärtig greifen Moralisierung und Emotionalisierung in Politik und Gesellschaft jedoch in einem für die Demokratie bedenklichen Ausmaß um sich - auch in den Kirchen. Wie es die Aufgabe der Ethik ist, vor zu viel Moral zu warnen, so ist es die Aufgabe der Theologie, die Unterscheidung zwischen Religion und Moral bewusst zu machen - in der Sprache der reformatorischen Tradition: die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium. Sie ist das Herzstück theologischer Vernunft und fördert…mehr

Produktbeschreibung
Immer schon waren die Sprache der Moral und die Emotionen, die sie zu wecken vermag, ein Mittel der Politik. Gegenwärtig greifen Moralisierung und Emotionalisierung in Politik und Gesellschaft jedoch in einem für die Demokratie bedenklichen Ausmaß um sich - auch in den Kirchen. Wie es die Aufgabe der Ethik ist, vor zu viel Moral zu warnen, so ist es die Aufgabe der Theologie, die Unterscheidung zwischen Religion und Moral bewusst zu machen - in der Sprache der reformatorischen Tradition: die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium. Sie ist das Herzstück theologischer Vernunft und fördert die politische Vernunft. Nur wenn beide in ein konstruktives Verhältnis gesetzt werden, lässt sich der Tyrannei des moralischen Imperativs in Politik und Kirche Einhalt gebieten.Der moralische Imperativ hat Hochkonjunktur. »Empört euch!«, »Entrüstet euch!«, »Entängstigt euch!« ... Sich aus hochmoralischen Gründen empören oder entrüsten zu dürfen, verschafft ein gutes Gefühl, enthält doch der moralische Imperativ die frohe Botschaft: Wir sind die Guten! Wer dagegen wie Max Weber für die Unterscheidung - nicht Trennung! - von Politik und Moral plädiert und Politik als nüchternes Handwerk, als beharrliches Bohren dicker Bretter versteht, hat in der moralisch aufgeladenen Gegenwartsstimmung einen schweren Stand. Ulrich H. J. Körtner plädiert ganz entschieden dafür, theologische und politische Vernunft wieder in ein konstruktives Verhältnis zu setzen.
Autorenporträt
Ulrich H. J. Körtner, Dr. theol., Dr. h.c. mult., Jahrgang 1957, ist seit 1992 Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und seit 2001 auch Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien. Körtner ist u. a. Mitherausgeber der Zeitschrift für Evangelische Ethik, der Theologischen Rundschau sowie der Schriftenreihen »Arbeiten zur Systematischen Theologie« (Leipzig), »Ethik und Recht in der Medizin« (Wien) und »Edition Ethik« (Göttingen). Ulrich Körtner bekam 2016 das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse der Republik Österreich verliehen und ebenfalls 2016 von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften den Wilhelm-Hartel-Preis für sein Gesamtwerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2017

Willkommenskultur ist noch nicht der Weg ins Himmelreich
Mehr klare Vernunft, statt zu viel Gefühl: Der Theologe Ulrich Körtner plädiert für weniger moralische Selbstheiligung in Politik und Kirche

Als Ort der Verkündigung hatte Angela Merkel den Deutschlandfunk erwählt. "Ich halte es mal mit Kardinal Marx", ließ sie dort 2015 über den Flüchtlingsstrom nach Deutschland verlauten: "Der Herrgott hat uns diese Aufgabe jetzt auf den Tisch gelegt." Geradezu "als hätten die Deutschen in der Flüchtlingskrise eine (...) heilsgeschichtliche Mission übernommen", schreibt Ulrich Körtner, Ordinarius für evangelische Theologie in Wien. Das fromme Unisono von Kanzlerin und Kardinal sei zudem keine Ausnahme. Die religiös-moralische Überhöhung der deutschen Flüchtlingspolitik habe Hochkonjuntur.

Körtners Kollege in Wien, der katholische Theologe Paul Zulehner, spricht mittlerweile von einem "Pfingstwunder der Verbuntung" und fragt sich: "Bringen uns gar die Flüchtlinge in Europa jetzt schon in die Lage, etwas von der ausstehenden himmlischen Zukunft abzubilden?" Körtner hingegen reicht es mit der Theologisierung der Politik. Er hält dagegen eine "rechte Verhältnisbestimmung" zwischen politischer und theologischer Vernunft. Bereits der Titel lässt keinen Zweifel daran, in welche Richtung es geht: "Für die Vernunft. Wider Emotionalisierung und Moralisierung".

Wenn er sich dabei leichtfüßig über das Sumpfgelände politik- und sozialethischer Grundsatzdebatten bewegt und theoretische Positionen von Hegel bis Habermas auf handliche Formeln reduziert, dient es der Ökonomie des Genres: Körtner formuliert keinen Beitrag zum nicht endenden Diskurs, sondern ein Plädoyer.

Emotionen und Moralurteile sind aus Politik und Glauben freilich nicht wegzudenken. Probleme sieht Körtner aber dort, wo Emotionen und Moral hochwirksam eingesetzt, doch nicht reflektiert werden. Der Autor geht davon aus, dass die Werturteile der Moral nicht nur auf Handlungen, sondern auch auf Menschen als Handelnde zielen. Moral teile somit immer auch Achtung und Missachtung aus, darin bestehe ihre Ambivalenz und ihr enormes Konfliktpotential. Als "Moralisierung" gilt ihm "die gezielte Aufladung von Konflikten und ganzen Lebensbereichen" - was oft auch religiöse Züge trage.

Um aufzuzeigen, wie Moral in einer moralisierten Politik zur "transkonfessionellen Zivilreligion" werde und damit die Vernunft verdränge, bedient sich Körtner der Unterscheidung Max Webers zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Während die Gesinnungsethik bestimmte Handlungen als intrinsisch gut oder böse qualifiziert, ohne Rücksicht auf Kontext oder Folgen, bewertet die Verantwortungsethik Handlungen gerade aufgrund ihrer Auswirkungen. Grob gesagt, gilt es, aus verantwortungsethischer Sicht, das größere Übel zu vermeiden, während sich der Gesinnungsethiker auch durch verhängnisvolle Folgen nicht von der vermeintlich guten Tat abbringen lässt. Weber jedenfalls kontrastierte die beiden Einstellungen idealtypisch als die des Politikers und die des Heiligen.

Durch Körtners Brille sieht es nun so aus, als strebten Kirchen und Politik nach ein und demselben Ideal gesinnungsethischer Heiligkeit, wobei sie hochmoralisch auftreten, sich aber "nicht ausreichend Gedanken machen", im Fall der Flüchtlingskrise zum Beispiel über "mögliche Folgen für die Gesamtgesellschaft, das politische Gemeinwesen - und damit womöglich auch für die Flüchtlinge selbst". Gesinnungsethisch mag es undenkbar bleiben, die weiße Weste der Willkommenskultur mit Quoten oder Obergrenzen zu beflecken, eine verantwortungsethische Position könne aber nicht darüber hinwegsehen, dass "gerade der offene Verfassungsstaat ohne Grenzen und Begrenzungen nicht bestehen kann".

Eine Politik der Moralisierung erliege auch leichter der Versuchung der systemischen Unwahrhaftigkeit des "postfaktischen" Politikstils, denn die Intention, der "Wut" oder "political correctness" eines moralisch abgewerteten Gegners, keinen Grund zur Aufregung zu liefern, schließe auch das Informationsmanagement mit ein. Das lasse sich nicht nur bei rechten Populisten beobachten. Die "Fuzzylogic" im politischen Diskurs, die Genauigkeit durch subjektiv moderierte Eindrücke wie "stark" oder "zu viel" ersetzt, leiste der Tendenz Vorschub, Gefühle nicht mehr mit Fakten abzugleichen.

Mit Niklas Luhmann sieht Körtner es als Aufgabe der Ethik an, "vor Moral zu warnen" und ihren Anwendungsbereich einzugrenzen. Moralkritik führe aber auch zur Religionskritik, denn die moralische Reduktion und Funktionalisierung von Religion trage zu einer "Hypermoral" bei. Körtner greift Arnold Gehlens Kritik an der "Hypermoral" eines Humanitarismus universalistischer Ambition auf, bei dem sich ein überdehnter Verantwortungsbereich mit extremem Subjektivismus verbindet.

Hypermoralische Handlungssubjekte seien ohnmächtige Götter, deren Menschheitsliebe folgenlos bleiben muss. Eine Moderne, die sich von Gott, Staat und Familie nichts mehr erhoffe, überfordere ihre Kinder mit der Last der Welterlösung und Selbstbeglückung. Auch in den Kirchen mache sich diese Tendenz bemerkbar, wenn der Glaube an deren Weltverantwortung zunehme und an die Stelle des Vertrauens in einen transzendenten Gott trete.

Mit dem Verlust des starken Glaubens suchten auch die Kirchen ihr Heil in seinen "säkularen Schwundstufen, nämlich Menschenwürde, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und die allseits geübte Toleranz". Gesellschaftliche Krisen bieten den Kirchen zwar die willkommene Gelegenheit, aus der Dämmerung ideologischer Belanglosigkeit ins Rampenlicht zu treten. Sie laufen dabei aber Gefahr, ihren Glauben moralisierend auf solche Themen zu reduzieren, die den emotionalen Wohlfühlfaktor der Gewissheit bringen, auf der Seite des Guten zu sein.

Jesu Botschaft leide aber unter solcher Reduktion. Teil des christlichen Glaubens sei eben auch, dass erst die von Gott geschenkte Versöhnung menschliche Bemühungen um den Frieden fruchtbar werden lasse. Rückbesinnung auf den Kern der christlichen Botschaft, "Inkarnation, Kreuz und Auferstehung, ist Körtners Aufforderung an die Kirchen. Während er von der Politik die Rückkehr zur diskursiven Vernunft und zum nüchternen Handwerk, dem "beharrlichen Bohren harter Bretter", fordert.

Gelegentlich räsoniert Körtner unbequem dicht entlang von Texten anderer Autoren, etwa von Gary S. Schaal und Felix Heidenreich. Aber insgesamt und vor allem als Diagnostiker überzeugt er. Zumal er den klinischen Blick auf Positionen im gesamten politischen Spektrum richtet. Dass verallgemeinerte Therapievorschläge trivial bleiben und konkrete zum Streit einladen, kann man ihm kaum vorwerfen.

RAPHAELA SCHMID

Ulrich H. J. Körtner: "Für die Vernunft". Wider

Moralisierung und Emotionalisierung in Politik und Kirche.

Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2017.

176 S., br., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr