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Produktdetails
  • Verlag: Seemann
  • Seitenzahl: 224
  • Abmessung: 270mm
  • Gewicht: 1066g
  • ISBN-13: 9783363007459
  • ISBN-10: 3363007450
  • Artikelnr.: 24066392
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2001

Und seid ihr nicht umzugswillig, so brauch' ich's gemalt
Isolation als farbbildende Kraft: Das Inventar des Gleimhauses zu Halberstadt dokumentiert einen exzessiven Freundschaftskult als virtuellen Ersatz für die entlegene Metropole

Er galt als "Genie der Freundschaft", als großzügiger und hilfreicher "Vater Gleim", aber auch als schwierig und nachtragend, wenn sich ein Vertrauter seinen Umarmungen entzogen hatte. Sein Ruf als Dichter verblaßte schon zu Lebzeiten, aber sein Talent zur Geselligkeit macht ihn zu einer zentralen Gestalt in der deutschen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts. Und er hinterließ eine reiche Sammlung von Zeugnissen eines exzessiven Freundschaftskultes, die zwei Jahrhunderte nur wenig geschmälert überstanden hat: über zehntausend Briefe der wichtigsten zeitgenössischen Autoren und Gelehrten, zahlreiche Kupferstiche und vor allem eine Sammlung von 125 Porträts seiner Briefpartner - das Inventar seines berühmten "Freundschaftstempels", das jetzt erstmals vollständig in einem Katalog abgebildet wurde.

Als Johann Wilhelm Ludwig Gleim im November 1747 als Achtundzwanzigjähriger aus Berlin nach Halberstadt kam, um eine Stelle als Sekretär des Domkapitels anzutreten, schlug er zwar eine Laufbahn ein, die ihn bis zum Lebensende reichlich ernähren sollte - er begab sich aber auch in die Isolation einer Provinzstadt, die ihm nur wenig Möglichkeiten für den geistigen Austausch bot. Seine Briefe sind voller Beteuerungen, wie sehr er das kulturelle Leben der Hauptstadt oder die Freunde aus Hallenser Studententagen vermisse.

Gleims Versuche, andere Autoren oder Gelehrte dauerhaft nach Halberstadt zu ziehen, schlugen fehl. Wesentlich erfolgreicher waren seine Bemühungen um den regelmäßigen Briefverkehr mit fernen Freunden. Von ihnen verlangte er, hatte sich die Verbindung gefestigt, daß sie sich für ihn malen ließen oder Kopien bereits vorhandener Bilder schickten. Dicht an dicht hängen die Porträts noch heute in Gleims "Freundschaftstempel", vom Chemiker Andreae bis zum General Zieten, von Gleims Schwester Marie Christiane bis zu Marie Voss, der Frau des berühmten Odyssee-Übersetzers - einige der bekanntesten Abbildungen zeitgenössischer Prominenz wie Herder, Bodmer, Lessing oder Jean Paul stammen aus dieser Sammlung. Angestrebt war größtmögliche Natürlichkeit: Der "Ardinghello"-Dichter Heinse wird mit wirrem Haar und im Schlafrock abgebildet, Salomon Gessners Augen sind trüb, der Mund zur matten Andeutung eines Lächelns verzogen, als sei er seiner eigenen Idylle müde. Der Kupferstecher Chodowiecki erscheint mit weit offenem Hemd und skeptischem Blick, die Erfolgsautorin Anna Louisa Karsch kneift die Lippen zusammen und hält ihr Instrument des sozialen Aufstiegs, die Schreibfeder, fest in der Hand; und Karl Philipp Moritz schaut aus tiefliegenden Augen dem Bildbetrachter intensiv ins Gesicht.

Dies entsprach der Funktion, die die Bilder für Gleim besaßen: Sie waren nicht in erster Linie Kunstwerke, sondern in ihrer angestrebten Lebensnähe physischer Ersatz für die Abwesenden, deren Briefe vor den Bildern geöffnet und vorgelesen wurden, denen man im Freundschaftstempel sogar zutrank, indem das Weinglas in Richtung des jeweiligen Porträts gehalten wurde. In Gleims Verständnis sind Bild und Brieftext aber noch enger verbunden: "Briefe sind Spiegel der Seele", schreibt er: "Man sieht darinn die Abdrükke des Geistes und des Herzens so völlig wie das leibliche Gesicht eines Menschen im Spiegel von Glaß."

Nach Gleims Tod im Jahr 1803 blieb die Sammlung im Besitz der Familie, bis 1862 das Wohnhaus als Museum zugänglich wurde. Einige Bilder gingen verloren wie etwa das Porträt Moses Mendelssohns, für Gleim "eine große Zierde" seines "kleinen Tempels", das 1933 aus der Ausstellung entfernt wurde und seitdem verschollen ist. Heute ist das Gleimhaus Museum, Bibliothek, Handschriftenarchiv und Tagungsort. Die Edition des "Freundschaftstempels" enthält nicht nur alle im Haus erhaltenen Porträts, sondern auch eine Auswahl der verschollenen, soweit sie sich als Stiche oder Fotografien erhalten haben. Außer zwei Einführungstexten umfaßt der Katalogtext akribische Notizen zu den Bildern, zum Leben der Abgebildeten und zu ihrem Verhältnis zu Gleim und bildet so eine wichtige Provinz der zeitgenössischen Gelehrtenrepublik zuverlässig ab.

TILMAN SPRECKELSEN

"Der Freundschaftstempel im Gleimhaus zu Halberstadt. Porträts des 18. Jahrhunderts". Bestandskatalog. Herausgegeben vom Gleimhaus Halberstadt. E. A. Seemann, Leipzig 2000. 224 S., geb., 38 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Aus der Not geboren hatte Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) eine spannende Idee. Weil er nach dem Umzug von Berlin in die Provinz nach Halberstadt im Jahr 1747 den geistigen Austausch und das gesellige Leben der Metropole vermisste, bat er Freunde und Bekannte, ihn dort mit Briefen und Porträts zu versorgen, die er in einem Freundschaftstempel sammelte und vortragen ließ. So vermachte der Dichter eine Sammlung von mehr als zehntausend Briefen, zahlreichen Kupferstichen und 125 Bildern seiner fernen Freunde - allesamt zeitgenössische Autoren und Gelehrte, berichtet Rezensent Tilman Spreckelsen. Einen Teil dieser Dokumente hat das Gleimhaus, heute Museum, Bibliothek, Handschriftenarchiv und Tagungsort, nun als Edition herausgegeben. Der Katalog enthält sämtliche Porträts, zwei Einführungstexte, akribische Notizen über Bilder und Abgebildete sowie über deren Beziehung zu Gleim. Spreckelsen ist beeindruckt. Denn hier eröffne sich ein Panorama zeitgenössischer Gelehrsamkeit, das sehr zuverlässig für den vorliegenden Band zusammengestellt worden sei.

© Perlentaucher Medien GmbH