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Canzoni, Koks und Kakerlaken So dürfte ein Nicht-Italiener niemals über Italien reden: Es zöge einen Krieg nach sich. Das gefeierte Romandebüt des italienischen Tarantino ist zugleich eine Liebeserklärung an Neapel und eine schamlose, unverblümte und urkomische Abrechnung mit dem Italien Berlusconis. Der Schlagersänger Tony Pagoda ist der Archetyp des Italieners: sympathisches Großmaul, Womanizer und hemmungsloser Hedonist, dabei ein Quell ebenso simpler wie komplexer Lebensweisheiten, die er zu jeder Gelegenheit mit trockenem neapolitanischem Mutterwitz von sich gibt. Doch nach zwanzig…mehr

Produktbeschreibung
Canzoni, Koks und Kakerlaken
So dürfte ein Nicht-Italiener niemals über Italien reden: Es zöge einen Krieg nach sich. Das gefeierte Romandebüt des italienischen Tarantino ist zugleich eine Liebeserklärung an Neapel und eine schamlose, unverblümte und urkomische Abrechnung mit dem Italien Berlusconis.
Der Schlagersänger Tony Pagoda ist der Archetyp des Italieners: sympathisches Großmaul, Womanizer und hemmungsloser Hedonist, dabei ein Quell ebenso simpler wie komplexer Lebensweisheiten, die er zu jeder Gelegenheit mit trockenem neapolitanischem Mutterwitz von sich gibt. Doch nach zwanzig rauschhaften Jahren des Erfolgs bricht er alle Brücken ab und zieht sich nach Brasilien zurück. Bis nach weiteren zwei Jahrzehnten fast mönchischen Daseins der Abgeordnete Fabio mit einem Helikopter auf seinem Dach landet, um ihn nach Italien zurückzuholen, weil Pagoda in der Silvesternacht für ihn singen soll.
So landet der Star knisternder Langspielplatten im Italien der Millenniumswende, in demsich wieder einmal alles geändert hat und doch alles gleich geblieben ist.
Autorenporträt
Paolo Sorrentino, geb. 1970 in Neapel, machte sich bisher einen Namen als Regisseur und Drehbuchschreiber ( Il Divo Preis der Jury in Cannes). In einer Pause zwischen zwei Filmprojekten griff er zu Stift und Papier, um einen Bestseller zu schreiben.Christian Försch, geboren 1968, studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie. Er ist Autor von zahlreichen Hörspielen, Prosatexten und Kolumnen und zeichnet für mehrere Radiofeatures verantwortlich. Bei verschiedenen Abbado-Produktionen war er als Dolmetscher tätig. Im Frühjahr 2001 legte er sein Romandebüt "Unter der Stadt" vor. Er lebt in Berlin und Ferrara.

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.07.2012

Auf diese Nacht
erst mal eine Line
Paolo Sorrentinos durchtriebenes
Roman-Debüt „Ragazzi“
Eigentlich will er lachen, als ein Junge ihm um fünf Uhr morgens in einer neapolitanischen Tiefgarage davon erzählt, nach Spanien auswandern zu wollen, um Stierkämpfer zu werden. Aber Tony Pagoda wird nicht über ihn lachen, denn wenn er eines vorhat im Leben, dann sich von allen anderen abzuheben. Und so steckt er ihm 20 000 Lire zu und sagt: „Wenn du in ein anderes Land gehst, ist deine erste und deine letzte Freundin immer eine Hure, und dafür ist dieses Geld. Damit du eine Freundin findest.“ Das Schicksal des Ausreißers ist ihm gleichgültig. Worum es ihm geht, ist seine eigene Art, Situationen wie diese zu meistern: cool sein, Lebenserfahrung durchblicken lassen und auf das Wesentliche konzentrieren. Als da wären, Frauen und Kokain.
  Der Roman „Ragazzi, was habe ich verpasst“ ist ein Monolog des Protagonisten Tony Pagodas. Paolo Sorrentino hat den Charakter aus seinem ersten Film „L’uomo in più“ entlehnt. Zynisch und egozentrisch, wie auch der Filmheld schon gewesen ist, erzählt Tony P. Geschichten aus seinem Leben als erfolgreicher Sänger in Neapel und schließlich als Aussteiger in Brasilien.
  Paolo Sorrentino ist ein italienischer Filmregisseur. Sein neuster Film „Cheyenne – This must be the place“ kam vergangenen November in die deutschen Kinos und handelt von einem in die Jahre gekommen Rockstar und dessen Suche nach dem KZ-Peiniger seines Vaters. Sein Romandebüt „Ragazzi, was habe ich verpasst“ erschien 2010 in Italien, belegte dort den dritten Platz des italienischen Literaturpreises Premio Strega und wurde für den Alabarda d’oro nominiert.
  Sorrentinos Erzähler hat eine Wunschvorstellung von seinen Lesern: Junge, ambitionierte Männer, die den Finten des Lebens noch auf die Schliche kommen müssen. In Tonys Welt braucht jeder Mann einen Lehrmeister: „Ich wende mich an euch, die ihr, genau wie ich, nie mit besonderer Attraktivität oder gar Schönheit gesegnet wart“ und weiter „Zeit für Lektion eins über die Verführung. Bitte schön“. Dann erfährt der Leser, dass Kommunikation für Tony nichts anderes ist als ein Rollenspiel, in das man schlüpft, um die gewünscht Wirkung zu erzielen. Genau wie eigentlich sein gesamtes Dasein eine Aneinanderreihung von wechselnden Bluffs ist. Sorrentinos Held weiß, wann er wem den Händedruck verweigern muss, wann er wem nicht antwortet, in wessen Gesicht er Zigarettenrauch blasen kann und wem er größten Respekt zollt. Das Ziel ist Ehre und Ansehen bei den Richtigen zu erheischen. Seine Geschichten über Mafiaschießereien, Koks, Nächte mit Prostituierten und über ein Konzert mit Frank Sinatra unter den Zuschauern sollen das Bild von Tony als unangefochtenem Meister seines Spiels nähren und den Leser dazu bewegen, ihm zu vertrauen. Kein Wunder, dass er irgendwann ausgelaugt und müde ist von diesem Endlostheater, dem er sich in seiner Welt verschrieben hat. Er wandert aus nach Brasilien, für zwanzig Jahre.
  Paolo Sorrentino beschönigt in seinem Roman nichts. Mit dem Blick eines Surrealisten fängt er die städtische Subkultur Süditaliens ein, der ein wenig an die Erzählart Henry Millers erinnert. Im Fokus steht aber eben nicht Paris, sondern Neapel. Schonungslos wendet sich Sorrentino dort den schrägen Figuren zu, die sich, vom bürgerlich friedvollen Leben ignoriert, von Halm zu Halm hangeln. Sie wandern aus oder sind einsam, sie gehen zwielichtigen Geschäften nach, auf jeden Fall schnupfen sie immer wieder Koks.
  Stark sind die Sprachbilder Sorrentinos. Jede Bagatelle wird in einer sprühenden Fontäne aus Zynismus zu einer lebhaften Beobachtung. „Über die tödliche Wirkung des Sonntagnachmittags wird man nie ausreichend sprechen. Diese Generalprobe für den Weltuntergang, Woche für Woche. Alles ist ein Abgrund des Nichts. Unsichtbare Watte stopft die Wohnungen aus. Die Ohren werden von der Welt abgetrennt. Idyllische Dörfer sehen aus wie Nagasaki in Klein.“ Rein gar nichts in Tonys Welt bleibt unkommentiert. Und keines der gefällten Urteile ist moderat gut oder schlecht, sondern stets in Superlative ausufernd. Seine Bandmitglieder sind „Hirnis“ und „Vollidioten“, die Frau eines Freundes ist „die faszinierendste Frau der Welt“, während seine eigene „Teil des Mobiliars“ ist, und „die Kakerlaken von Manaus sind Gott“. Alles, was es nicht durch die Tore des Olymps schafft, verachtet er zutiefst, und das ist eigentlich das meiste.
  Tony Pagoda erklärt dem Leser also die Welt, seine zumindest. Es gibt nur eine einzige Sache, die er zu erwähnen vergisst: Wieso er überhaupt leben will. Er verurteilt das Leben und die Menschen, die ihn begleiten und dennoch: Es dürstet ihn nach den Schicksalen anderer, nach Neapel, seiner Stadt. Er will leben, er ist nicht kleinzukriegen, und das macht Sorrentinos Protagonisten zu einem wahren Lebenskünstler. Auch wenn man nicht zu seiner direkt angesprochenen Leserschar gehören möchte, weil seine Welt eine so traurig hoffnungslose ist, möchte man doch davon erzählt bekommen, von so durchtriebenem Witz sind seine Anekdoten.
ANNA BORDEL
    
Paolo Sorrentino: Ragazzi, was habe ich verpasst? Roman. Aus dem Italienischen von Christian Försch. Aufbau Verlag, Berlin 2012. 366 S., 19,99 Euro.
Voller Sympathie folgt
Sorrentino den schrägen Typen
in den Gassen von Neapel
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Schön durchtrieben findet Anna Bordel den Witz, mit dem Paolo Sorrentino, Regisseur der Filme "Il Divo" und "Cheyenne", in seinem Romandebüt von Neapel und dem Großmaul Tony Pagoda erzählt. Tony, so erfahren wir, setzt all seinen Ehrgeiz daran, bei den richtigen Leuten gut auszusehen; wenn andere Menschen kommunizieren, macht Tony gute Figur und gibt seine Lebensweisheiten über die Mafia, Frauen und Koks zum Besten. Und während Tony irgendwann ausgelaugt von diesem "Endlostheater" nach Brasilien auswandert, kann Rezensentin Bordel gar nicht genug bekommen von diesem Aufschneider, seinen zynischen Sprüchen und Kommentaren in Superlativen.

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