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Unveröffentlichtes aus dem Nachlaß
Zum ersten Mal erscheinen rein autobiographische Texte von Erwin Strittmatter, in denen er persönliche Nöte und Verletzungen preisgibt und Meisterstücke brillanter Aphorismen formuliert. Sie gehören zu seinen schönsten und reifsten. Im Nachlaß von Erwin Strittmatter befinden sich Texte aus der Zeit von 1975 bis 1984, die er bei seinen Aufenthalten im slowakischen Kurbad Piestany ins Tonband diktierte. Zu einer Überarbeitung ist es nicht mehr gekommen. Eva Strittmatter, die beste Kennerin der Werke ihres Mannes, hat jetzt die Buchfassung hergestellt. In…mehr

Produktbeschreibung
Unveröffentlichtes aus dem Nachlaß

Zum ersten Mal erscheinen rein autobiographische Texte von Erwin Strittmatter, in denen er persönliche Nöte und Verletzungen preisgibt und Meisterstücke brillanter Aphorismen formuliert. Sie gehören zu seinen schönsten und reifsten. Im Nachlaß von Erwin Strittmatter befinden sich Texte aus der Zeit von 1975 bis 1984, die er bei seinen Aufenthalten im slowakischen Kurbad Piestany ins Tonband diktierte. Zu einer Überarbeitung ist es nicht mehr gekommen. Eva Strittmatter, die beste Kennerin der Werke ihres Mannes, hat jetzt die Buchfassung hergestellt. In Piestany trifft eine bunte Gesellschaft aus aller Welt zusammen. In den Gesichtern und Gesprächen spürt Strittmatter, der notorische Sammler menschlicher Eigenarten, Stoffe für Porträts und Geschichten, die er mit Freude an der Komik ausmalt. Mit ungewöhnlicher Offenheit spricht er über eigene Fehler und Schwächen, über Lebensgier und Eifersucht. Auch über sein Schreiben, denn Geschichten bedrängen ihn gerade an diesem Ort, an dem etliche seiner schönsten Figuren entstanden. Und weit von Schulzenhof entfernt, ist es wieder die Natur, die ihn zu Reflexionen anregt, wie sie nur Strittmatter zu formulieren versteht, wenn er im Mikrokosmos das Spiegelbild der großen Zusammenhänge entdeckt.
Autorenporträt
Erwin Strittmatter wurde 1912 in Spremberg als Sohn eines Bäckers und Kleinbauern geboren. Mit 17 Jahren verließ er das Realgymnasium, begann eine Bäckerlehre und arbeitete danach in verschiedenen Berufen. Von 1941 bis 1945 gehörte er der Ordnungspolizei an. Nach dem Kriegsende arbeitete er als Bäcker, Volkskorrespondent und Amtsvorsteher, später als Zeitungsredakteur in Senftenberg. Seit 1951 lebte er als freier Autor zunächst in Spremberg, später in Berlin, bis er seinen Hauptwohnsitz nach Schulzenhof bei Gransee verlegte. Dort starb er am 31. Januar 1994.Zu seinen bekanntesten Werken zählen sein Debüt »Ochsenkutscher« (1950), der Roman »Tinko« (1954), für den er den Nationalpreis erhielt, sowie die Trilogien »Der Laden« (1983/1987/1992) und »Der Wundertäter« (1957/1973/1980).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2004

Der Sozialist und das Trinkgeld
Kurschatten: Erwin Strittmatter auf der Parkbank von Piest'any

In Piest'any konnte man die Nachtigall hören. Der Pirol war auch schon da. Um drei Uhr in der Früh meldeten sich die Schwalben, dann der Kuckuck, um 3.30 Uhr erwachte die Amsel. Noch etwas später setzten Spatzen, Buch- und Grünfinken ein. Erwin Strittmatter muß einen sehr leichten Schlaf gehabt haben, und er war früh auf, denn bei all seinen Aufenthalten im slowakischen Heilbad Piest'any protokollierte er die morgendlichen Vogelauftritte, ohne letztgültige Klarheit über ihre Abfolge zu gewinnen. Zwischen 1975 und 1984 reiste er, begleitet von seiner Frau, der Lyrikerin Eva Strittmatter, fast in jedem Mai dorthin, um in den Schlammbädern und Schwefelquellen seinen "alten Knochen" ein wenig Festigkeit zu verleihen.

Strittmatter, in den frühen fünfziger Jahren bäuerlicher Vorzeigedichter des Arbeiter-und-Bauern-Staates, hatte in der DDR immer eine Sonderrolle. Seine Bücher, die sich dem planen Optimismusgebot nicht fügten und vielleicht auch deshalb Massenauflagen erzielten, waren stets heftig umstritten. Und doch wurde der Autor aus der Lausitz, der zurückgezogen auf dem "Schulzenhof" in Dollgow lebte, mit Nationalpreisen dauerdekoriert, arbeitete tapfer in Verbänden mit und gehörte zur kulturellen Nomenklatura der DDR. Im Westen blieb er bis heute vergleichsweise ungelesen. Die Spreizschritte, die ihm dabei abverlangt wurden, müssen ihn so entkräftet haben, daß er jährlich der Kur bedurfte. Das Thema Krankheit unter DDR-Schriftstellern wäre einer gesonderten Untersuchung wert - Erwin Strittmatter könnte darin ein eigenes Kapitel einnehmen. Die Kur gehört zum Sozialismus wie die Psychoanalyse zum Bürgertum.

Während seiner Aufenthalte in Piest'any entstanden nicht nur Erzählungen und der dritte Teil des "Wundertäters", sondern auch Beobachtungen und Reflexionen zum Tage, die Strittmatter in ein Diktiergerät sprach und zu Hause von einer Mitarbeiterin abschreiben ließ. Als er seiner Frau einmal eine Skizze aus diesem "Geschreibsel" vortrug, scheint die wenig beeindruckt gewesen zu sein und verprellte ihn mit Nichtreaktion. Zehn Jahre nach seinem Tod hat sie die liegengelassenen, rohen Bandabschriften dennoch bearbeitet und daraus den "Kalender ohne Anfang und Ende" erstellt - allerdings ohne zu verraten, worin ihre Überarbeitung genau besteht und wieviel Erwin und wieviel Eva dieser Strittmatter eigentlich enthält.

Daß der Text von kursiv hervorgehobenen Worten durchzogen ist, dürfte ihre Zutat sein. Diese fortgesetzten Betonungskommandos machen die Lektüre zur Strapaze, weil sie den Leser unentwegt entmündigen. Das sieht dann etwas so aus: "Seit sieben Jahren komme ich her, aber heute sehe ich das erste Pferdegespann im Park. Zufall oder erstes Anzeichen einer allgemeinen ökonomischen Umstellung in der Energieverwendung?" Auch schlichteste Sätze erhalten auf diese Art einen Einschärfegestus, der dem Charakter der Aufzeichnungen vollkommen widerspricht. Strittmatter ist es darum zu tun, die Literatur von jedem Kommandotonfall zu reinigen. Daß er selbst einmal den Kommandos der Ökonomen und Fünfjahrplaner nachgab, die die Literatur als ihre Propagandamagd mißbrauchen wollten, bedauert er zutiefst, und er lobt alle Zeitgenossen, die ihn "aus diesem Irrtum herausholten".

Strittmatter gibt sich in diesen Notizen als kauziger, älterer Herr, der, durchaus zeitgemäß und ostwestkompatibel, die Natur der Zivilisation vorzieht. Mit sehr viel größerer Leidenschaft beschnuppert er sämtliche Blüten des Kurparks und erfreut sich ihrer Farbschattierungen, als er den Menschen begegnet. Kurgäste aus Ost und West sind ihm gleichermaßen lästig und allenfalls Gegenstand karikaturhafter Skizzen. Vergleichbar ist diese zur Schau getragene Niedlichkeit der programmatischen Naivität von Bauernmalerei. Ein fulminantes Harmlosigkeitsbedürfnis wird darin spürbar, die erholsame Erleichterung darüber, die Welt nicht verändern zu müssen, sondern sie von der Parkbank aus beobachten zu dürfen. Womöglich diente das der Gesundheit mehr als die schwefligen Schwitzkuren.

Das Gegenteil von sozialistischem Realismus ist ja nicht Surrealismus oder Pop-art, sondern der Versuch, sich im Privatraum einzurichten, ein bißchen zu jammern und das Leiden zu genießen. Den vorgegebenen Wahrnehmungsmustern einer Arbeitswelt, in der das Gute zu triumphieren hat, hält Strittmatter seinen eigenen, bescheidenen Weltausschnitt entgegen. Der Kuraufenthalt fällt aus jeder ökonomischen Rationalität heraus. Er ist freie Zeit, Unbestimmtheit, Selbstbezüglichkeit, wie es draußen, in der Gesellschaft, nicht erlaubt wäre.

Doch so vergeblich es ist, im Schlamm zu liegen, um mit dem Rheuma auch das Altern zu besiegen, so wenig siegt im Heilen das Gute. Auch hier ist die Welt voller Tragödien: Ein junger Schwan fliegt bei ersten Startversuchen gegen eine Brücke und bricht sich den Hals. Die alten Pappeln, in denen der Wind spielte, werden gefällt, um Rohre zu verlegen, in denen Flußschlamm in die Heilbecken gepumpt wird. Es geht um Westgäste und um Devisen, alles andere, auch Kurgast Strittmatter, ist zweitrangig. Ganz nebenbei offenbart sich der sogenannte Sozialismus als kapitalistischer Betrieb, vielleicht weniger geschickt, aber nicht weniger gierig als westliche Pendants.

Solche Erfahrungen lassen Strittmatter in Gedanken immer wieder zurückkehren zu Erlebnissen in der Aufbauzeit des Sozialismus. Manche humoreske Anekdote ist da zu finden, etwa eine Moskau-Reise, die er 1954 mit Alfred Kurella unternahm. "K.", wie er ihn schonend verkürzt, war der Kulturpapst der Ulbricht-Ära, der von weniger linientreuen Kollegen auch "Kuratella" genannt wurde. In seinem Moskau-Roman schrieb er über die stolze Arbeiterklasse in der Sowjetunion, wo auch Trinkgelder längst abgeschafft seien.

Strittmatter mußte nun feststellen, daß in Kurellas Taschen das Kleingeld nur so klimperte und er überall Trinkgelder gab. Nur Strittmatter selbst gab keine, weil er dem Roman geglaubt hatte. Aber dann: "Als man mir in der Garderobe vor meinen Augen mutwillig den Aufhänger vom Mantel abriß, fing auch ich an, Trinkgelder zu geben." Ja, so war das. Früher, in der anderen Zeit. So blamierte sich der Realismus. Fragt sich nur, ob man Nachlaßnotizen von solcher Harmlosigkeit tatsächlich veröffentlichen muß und ob Erwin Strittmatter damit ein Gefallen getan wurde.

JÖRG MAGENAU

Erwin Strittmatter: "Kalender ohne Anfang und Ende". Notizen aus Piest'any. Aufbau Verlag, Berlin 2003. 240 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Rezensent Jörg Magenau hat massive Zweifel an diesem Buch: Er fragt sich, "ob man Nachlassnotizen von solcher Harmlosigkeit tatsächlich veröffentlichen muss und ob Erwin Strittmatter damit ein Gefallen getan wurde". Magenau findet wenig Bewahrenswertes in den posthum edierten Notizen aus dem slowakischen Kurort Piestany, "Kalender ohne Anfang und Ende". Freilich, der Autor Strittmatter sei generell zu loben; er habe sich nie verbiegen lassen, habe sich nie "dem planen Optimismusgebot" gefügt. Aber musste seine Frau, die Lyrikerin Eva Strittmatter, nun wirklich seine naturfreundlichen Tonbanddiktate aus dem Kurbad herausgeben, dieselben, denen sie zu Lebzeiten ihres Mannes "mit Nichtreaktion" begegnete? Zu allem Überfluss habe sie den Text mit "kursiv hervorgehobenen Worten durchzogen", moniert der Rezensent, und "diese fortgesetzten Betonungskommandos machen die Lektüre zur Strapaze, weil sie den Leser unentwegt entmündigen". Hinter diesen rhetorischen Dringlichkeitssignalen werde ein "fulminantes Harmlosigkeitsbedürfnis" spürbar - insgesamt also, trotz "mancher humoresken Anekdote", ein hoffnungsloser Fall.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Strittmatters Reflexionen enthalten viel sinnliche Intimität.« DIE ZEIT 20040325