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Als Autor eines bedeutenden Briefwerks steht Gottfried Keller gleichberechtigt neben seinem großen Zeitgenossen Theodor Fontane. Aufgrund ihrer Originalität und Anschaulichkeit eigenen sich die Briefe hervorragend als Bausteine seiner Biographie. In seinem vertrackt-komischen Stil geraten dem detailfreudigen Erzähler viele Schilderungen und Alltagsgeschichten zu regelrechten Kellerschen Romanepisoden. Bei aller Widerborstigkeit gibt er sich vor allem in seinen Briefen an Frauen als charmanter Plauderer und liebenswürdiger Freund.

Produktbeschreibung
Als Autor eines bedeutenden Briefwerks steht Gottfried Keller gleichberechtigt neben seinem großen Zeitgenossen Theodor Fontane. Aufgrund ihrer Originalität und Anschaulichkeit eigenen sich die Briefe hervorragend als Bausteine seiner Biographie. In seinem vertrackt-komischen Stil geraten dem detailfreudigen Erzähler viele Schilderungen und Alltagsgeschichten zu regelrechten Kellerschen Romanepisoden. Bei aller Widerborstigkeit gibt er sich vor allem in seinen Briefen an Frauen als charmanter Plauderer und liebenswürdiger Freund.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2003

Nietzsche? Ein Spekulierbursche!
Das Kochrezept fehlt: Gottfried Kellers Briefe in neuer Auswahl

Ein bequemer Zeitgenosse war Gottfried Keller zu keiner Zeit. Aber auch die Gesellschaft meinte es nicht gut mit ihm: Fünfzehnjährig mußte er ohne Abschluß die Schule verlassen, weil seine Lehrer in ihm den Anführer eines Schülerstreichs sahen. So lehnte er die bürgerlichen Berufe entschieden ab und versuchte statt dessen, als Kunstmaler zu Ruhm und Ansehen zu gelangen. Diese Lebensplanung endete in einem finanziellen und persönlichen Desaster, wie wir aus Kellers großartigem autobiographischen Roman "Der grüne Heinrich" wissen, in dem der inzwischen zum Dichter gewordene Künstler mit den hochgestimmten Träumen und Hoffnungen seiner eigenen Jugend harsch abrechnete.

Aber nicht an allen Widrigkeiten, denen Keller begegnete, war die Gesellschaft schuld. Auch sein impulsiver und aufbrausender Charakter war Ursache von mancherlei Problemen. Der zu Ansehen und einem einträglichen Amt gekommene Staatsschreiber von Zürich störte im gesetzten Alter von immerhin siebenundvierzig Jahren "in betrunkenem Zustande, an der Storchengasse durch Lärmen & Poltern an der Haustüre des Café littéraire, die nächtl. Ruhe" und beleidigte zudem, wie im offiziellen Protokoll nachzulesen ist, "die Polizisten, welche ihn festnehmen wollten, auf insolente Weise".

Wo sich solch aufbrausendes Temperament über Jahrzehnte hinweg mit scharfer Beobachtungsgabe, unabhängigem Urteil, virtuosem Sprachvermögen und dem Talent zur Freundschaft verbindet, sind die Voraussetzungen für eine abwechslungsreiche, lebendige Korrespondenz in fast idealer Weise gegeben. Tatsächlich hat Gottfried Keller das Briefeschreiben stets gepflegt und es sogar selbstbewußt der Schriftstellerei an die Seite gestellt. Die Briefe des jungen Mannes an die Mutter und Schwester sind noch von dem Leitmotiv der unablässigen Geldnöte und der Rechtfertigung seines unbürgerlichen Lebenswandels durchzogen. Später erweist sich Keller dann im Briefwechsel mit Freunden und Kollegen als charmanter Plauderer, als kompromißloser Religionskritiker und Philosoph, aber auch als warmherziger Gesprächspartner, der für die Sorgen anderer anteilnehmende Worte findet.

Wenn es um die Beurteilung der zeitgenössischen Literatur ging, verzichtete Keller freilich auf diplomatische Rücksichtnahmen. Während er Grillparzers Dramen euphorisch als "Schönheitsfundgruben" pries, sah er in den Dramen des Naturalismus nichts anderes als "Lumpenprosa". Seinem norddeutschen Kollegen Theodor Storm verriet er seine Vorbehalte gegenüber dem Zürcher Nachbarn Conrad Ferdinand Meyer, dessen Gedichten er zwar widerwillig einigen Kunstcharakter zubilligte, dem er aber "kleine Illoyalitäten und Aufgeblasenheiten" oder gar ein unangenehmes "Sich-mausig-Machen" vorwarf. Vor süffisantem Kollegenklatsch sind auch die Berühmten nicht gefeit. Doch konnte Keller, wo es ihm angebracht schien, sein Urteil auch korrigieren. Den jungen Nietzsche hatte er gegenüber Emil Kuh zunächst als "Spekulierburschen" abgefertigt; zehn Jahre später lud er den Basler Professor freundlich zum privaten Besuch ein.

Bei solchen Voraussetzungen sollte es eigentlich eine helle Freude sein, eine Auswahl von Kellers Briefen in die Hand zu nehmen, in der man Altbekanntes wiederentdecken und, geführt durch einen kundigen Kommentar, unbekannte Facetten des vielseitigen Briefschreibers Keller neu für sich erschließen könnte. Diese Chance hat der Herausgeber des vorliegenden Bandes jedoch gründlich vertan. In dem Bestreben, ein "Lesebuch" vor allem für junge Menschen zusammenzustellen, hat Peter Goldammer - der sich als Editor und sensibler Interpret der Werke Theodor Fontanes verdient gemacht hat - bedenkenlos Brief- und Tagebuchfetzen Kellers aneinandergereiht. Die wenigsten Briefe werden vollständig wiedergegeben; Auslassungen und Kürzungen sind längst nicht immer markiert; ein korrektes Quellenverzeichnis fehlt ebenso wie ein Register der Korrespondenzpartner. Diese Nachlässigkeiten mögen durch den Zweck der besseren Lesbarkeit gerechtfertigt sein. Unverständlich aber sind die inhaltlichen Manipulationen, mit denen Keller hier zu einem harmlos-biederen Volksschriftsteller zurechtgestutzt wird.

Symptomatisch ist die Wiedergabe der Briefe, die Keller in den Jahren nach 1870 mit den Geschwistern Adolf Exner und Marie von Frisch wechselte. Als die junge Ehefrau ihr erstes Kind erwartete, unterbreitete der Junggeselle Keller, der selbst nie die Sorgen und Freuden der Vaterschaft erlebte, der Schwangeren einen makabren Vorschlag: "Auf ihr Kindchen freue ich mich: das wird gewiß ein allerliebstes Tierchen! Wenn es ordentlich genährt ist, so wollen wir es braten und essen, wenn ich nach Wien komme, mit einem schönen Kartoffelsalat und kleinen Zwiebeln und Gewürznägelein. Auch eine halbe Zitrone tut man dran!" Kein Wort dieses kannibalischen Kochrezepts findet sich in der vorliegenden Ausgabe, statt dessen werden aus demselben Brief einige belanglose Sätze über Kellers neue Wohnung mitgeteilt. So wandelt sich der verstörende und zynische Humor Kellers unter der Hand in jene zeit- und harmlose Heiterkeit, die das Vorwort als sein herausragendes Merkmal anpreist.

SABINE DOERING

Gottfried Keller: "Schön ist doch das Leben!" Biographie in Briefen. Herausgegeben von Peter Goldammer. Aufbau-Verlag, Berlin 2001. 330 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eigentlich, ja eigentlich sollte die Lektüre dieses Briefbandes ein Genuss sein, glaubt Sabine Doering und sieht sich enttäuscht. Denn Gottfried Keller, hält die Rezensentin fest, war zwar ein unbequemer Zeitgenosse und auch aufbrausender Mensch, aber er war ebenso ein vorzüglicher Stilist, charmanter Unterhalter, guter aber auch scharfzüngiger Beobachter, eine Tratschbase und ein warmherziger Freund, zählt Doering auf. Das alles zusammen ergebe die Basis für eine lebendige Korrespondenz, zumal der Schriftsteller das Briefeschreiben selbstbewusst neben sein Werk gestellt hätte. Da der Herausgeber das Anliegen hatte, vor allem ein "Lesebuch für junge Menschen" zusammenzustellen, habe er die Briefe Kellers bedauerlicherweise gerupft, vermutet Doering. Kein einziger sei komplett wiedergegeben, beklagt sie und findet die nicht markierten Auslassungen und Kürzungen ebenso unstatthaft wie das fehlende Register der Korrespondenzpartner und das nicht existente korrekte Quellenverzeichnis. Ist die kommentarlose Collagierung der Briefe im Sinne der besseren Lesbarkeit für Doering noch nachvollziehbar, ärgert sie sich dafür um so mehr über den inhaltlichen Eingriff des Herausgebers, der bei seinen Kürzungen einen streitbaren und amüsanten Briefpartner in einen harmlosen Autor verwandelt habe.

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