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Nach ihrem vielbeachteten rasanten Patchwork-Roman "Spielzone" legt Tanja Dückers einen ebenso tempo- wie abwechlungsreich erzählten Geschichtenband vor: Psychologisch verschlungen, eigensinnig beobachtet und oft von hintersinniger Komik, stecken diese Erzählungen um ganz normale Nervtöter, leichtsinnige Kinder oder verwirrte Großmütter voll zärtlicher Bosheiten und akribischer Perfidien. Nathalie hat mit fünfzehn angefangen, eine Liste über ihre Liebhaber zu führen. Nun sind es - sie hat vor zwei Tagen nachgezählt - neunundneunzig. Plötzlich bereut sie, diese Liste angelegt zu haben, eine…mehr

Produktbeschreibung
Nach ihrem vielbeachteten rasanten Patchwork-Roman "Spielzone" legt Tanja Dückers einen ebenso tempo- wie abwechlungsreich erzählten Geschichtenband vor: Psychologisch verschlungen, eigensinnig beobachtet und oft von hintersinniger Komik, stecken diese Erzählungen um ganz normale Nervtöter, leichtsinnige Kinder oder verwirrte Großmütter voll zärtlicher Bosheiten und akribischer Perfidien. Nathalie hat mit fünfzehn angefangen, eine Liste über ihre Liebhaber zu führen. Nun sind es - sie hat vor zwei Tagen nachgezählt - neunundneunzig. Plötzlich bereut sie, diese Liste angelegt zu haben, eine ungute Ehrfurcht erfüllt sie und ein Problem: Wer wird die goldene Nummer hundert? Schwankend zwischen Zwanghaftigkeit undSelbstvergessenheit, wählt sie einen seltsamen Kompromiß. Lukas kommt mit einem Nachschlüssel in die Wohnung seiner früheren Freundin, die jetzt mit Uwe, dem absoluten "Anti-Lukas", zusammenlebt. Wenn die beiden nicht zu Hause sind, schleicht sich Lukas ein und hinterläßt Spuren, um ein Moment von Irritation in die Pärchenharmonie einzufädeln. Lauri steht eines Tages mit Seesack und Brokatstirnband auf dem Hof eines besetzten Hauses und fragt nach einem Zimmer. Von da an tönt morgens ein lautes "Ooohm" durchs Haus, werden Horoskope in der Gemeinschaftsküche vorgelesen und Verletzungen mit Tigerfett behandelt. Doch es gibt noch "Ungläubige" ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2001

Von Meisen und Menschen
Strecktisch, deck dich: Tanja Dückers schnüffelt ein bißchen herum

Vor einigen Jahren ging ein Ruf wie Donnerhall durch die angeblich so kopflastig und unlesbar verquaste deutsche Gegenwartsliteratur, die Aufforderung, sich doch einmal locker zu machen und sich an den Amerikanern ein Beispiel zu nehmen. Die könnten noch so richtig realistisch draufloserzählen und ihre frischen Erfahrungen jenseits des Elfenbeinturms gefriergetrocknet in Stories verpacken, die den wirklichkeitshungrigen Lesern so schmecken wie selbstgemacht: der Schriftsteller nicht als reflektierender Beobachter auf der Ehrentribüne, sondern als rauhbeiniger Manndecker des real life. Motto: Hingehen, wo's weh tut.

Die 1968 geborene Berlinerin Tanja Dückers hat sich das zu Herzen genommen. Nach ihrem Debütroman "Spielzone" hat sie nun einen Erzählungsband vorgelegt, dem man auf jeder Seite seine Welthaltigkeit anmerken soll. Damit niemand an der Hartgesottenheit der jungen Autorin zweifelt, werden zum Beweis gleich im Klappentext "längere Aufenthalte in den USA, Amsterdam und Barcelona" angeführt, und da auch einige der weiblichen Hauptfiguren fern der Heimat ein blaues Wunder erleben, kann man schließen, daß auch Tanja Dückers durch die beinharte Schule eines Auslandsstipendiums gegangen ist.

Gleich in der ersten Geschichte "Lebenskästchen" schreibt eine Mörderin in Untersuchungshaft dem Richter ihre Erinnerungen auf: Ihr auf grausame Weise getötetes Opfer war seinerseits ein debiler, in Sommersprossen vernarrter Triebtäter, der die Schwester der Erzählerin auf dem Gewissen hat und dafür nach seiner Entlassung aus der Anstalt mit dem Leben bezahlen muß. So weit, so spektakulär. Angereichert wird die Geschichte nun durch die psychologische Selbstanalyse der Mörderin, die sich vor der Tat den Künstlernamen "Leif Gone" zugelegt hatte und die vielen kleinen Erinnerungsfetzen ihres Lebens in ein Setzkastenkunstwerk verwandeln wollte. Nachdem die ungeplante Rachetat sie aus dem Konzept brachte, muß sie nun auf die Literatur ausweichen, was Stilblüten wie die folgende produziert: "Es ist, als ob man den Teppich meines Körpers auf dem Strecktisch meines Lebens in alle Richtungen ziehen würde." Der Leser sieht dagegen eher das Parkett seiner Geduld auf der Folterbank ihrer Sprache gebohnert.

Als müsse Dückers den Leser erst noch darauf bringen, daß diese ganz bruchlos aufgehende Küchenpsychologie - Trauma der toten Schwester, Ich-Schwäche des ungeliebten Ersatzkindes, Mord als Versuch der Selbstfindung - eine erzählerische Konstruktion ist, läßt sie die Erzählerin einmal von einer Schriftstellerin "mit langen schwarzen Haaren" berichten, die im Gefängnis "herumschnüffeln" will: "Na dann viel Spaß beim Schreiben . . ." Den dürfte die Autorin gehabt haben, denn was könnte mehr Vergnügen bereiten, als sich kaputte, spießige, neurotische Menschen auszudenken, mit denen verglichen das eigene Leben als Ausbund an Gesundheit und Glück erscheint.

Viele der Geschichten bieten Beziehungskatastrophen der kruderen Art. Freundschaften gehen zu Bruch, weil die WG-Nachbarin plötzlich glaubt, eine Hexe zu sein, ein Rendezvous scheitert, weil ein kiffendes Mädchen ihrem Verehrer Zungenkrebs prophezeit, mehrfach gar dient Mord als Ausweg aus steriler Zweisamkeit. Die Konfrontation von Begehren und Todestrieb, Eros und Thanatos ist ein häufiges Motiv, das oft jedoch nur als greller Kontrasteffekt verwendet wird oder banalen Szenen den Anschein tieferer Bedeutung verleihen soll.

Die Vorbilder für viele Figuren des Bandes scheint entweder das Statistische Bundesamt oder ein Kuriositätenkabinett, kaum aber die Wirklichkeit geliefert zu haben. Den meisten Kopfgeburten Dückers' möchte man nicht im Mondschein begegnen, erst recht aber nicht bei Sonnenaufgang auf dem eigenen Kopfkissen. Das Ausland hat es besser und nicht nur beim prallen Fabulieren den Bogen raus: Der aus Rußland stammende Nikita oder der Latin Lover Pedro, mit denen man es heimlich auf dem Klo oder in der Restaurantküche treiben kann, machen an der Bar dieses kosmopolitischen "Café Brazil" eine erheblich bessere Figur als das spleenige deutsche Personal.

Man nehme nur Lukas aus der Erzählung "Rote Federn", der eine Leidenschaft für Vanillejoghurts mit einem Sammeltick verbindet und damit Kirsten in die Flucht trieb. Mit einem nachgemachten Schlüssel schleicht er sich heimlich in die Wohnung seiner Ex-Freundin, wo er Bleistifte anspitzt und kleine Mitbringsel plaziert. Das Eindringen in eine fremde Privatsphäre muß der Traum einer Autorin sein, deren Phantasie zwanghaft Figuren hervorbringt, die sich nur über "ödes Gedudel" oder "Film-Musi" leidenschaftlich erregen können, mit Vorliebe in der Badewanne onanieren und eingerollte Heringe schätzen.

Tanja Dückers' Welt ist vor allem zu ihrer männlichen Hälfte bevölkert von lauen Langweilern, ekligen Wichtigtuern und liebenswerten Spinnern. Die Geschichten sind nur Vehikel, um deren enervierende Gewohnheiten und Macken vorzuführen. Man kann das einen bösen Blick nennen oder einfach Misanthropie. Mit Realismus freilich hat das nichts zu tun.

RICHARD KÄMMERLINGS

Tanja Dückers: "Café Brazil". Erzählungen. Aufbau-Verlag, Berlin 2001. 204 S., br., 29,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2001

Spaßpflicht
Semiotik des farbenfrohen Hemds: Erzählungen von Tanja Dückers
Eine deutsche Austauschschülerin, die in eine zweideutige Situation mit ihrem amerikanischen Gastvater gerät, eine blonde Studentin, die die Verführung ihres hundertsten Liebhabers zelebriert, ein junger Angestellter, der jeden Samstagabend in der leeren Wohnung seiner Verflossenen umherschleicht. Der Erzählungsband „Café Brazil” von Tanja Dückers entwickelt eine Poetik des Nicht-Alltäglichen: Dückers erzählt von Menschen, die ein Geheimnis haben, weil sie außergewöhnliche Dinge tun. Das kann der alte Mann sein, der obgleich aufrichtig glücklich verheiratet, homoerotische Beziehungen zu seinem besten Freund unterhält, oder die Studentin, die, mit ihrer neuesten Eroberung im Restaurant sitzend, während des Hauptgangs den Waschraum aufsucht, um dort Sex mit dem jungen Russen vom Nebentisch zu haben.
Dückers’ Helden sind unvernünftig, unangepasst, unökonomisch, unmoralisch und unberechenbar, sie wollen, so könnte man sagen, einfach nur sie selbst sein. „Das persönliche Wohlbefinden im Augenblick”, hat die 32- jährige Autorin im Spiegel über ihre Generation geschrieben, „steht über dem beruflichem Ehrgeiz oder dem Engagement für kollektive Ziele.” Anders als noch 1968 schäme sich heute niemand mehr, „in Ruhe seinen Privatismus zu zelebrieren; die Leute verbrämen ihre ureigenen Träume, Konflikte und Pläne nicht mehr mit geborgten Parolen.” Solche Aussagen lesen sich wie ein hinter diesen Erzählungen stehendes Programm: Fort mit allen geborgten Parolen und los geht das fröhliche Ausleben des Ureigenen.
Dass das noch lange nicht jedermanns Sache ist, weiß Dückers auch. Deshalb hat sie ihren emphatischen Individuen als Gegenspieler den langweiligen, meist profitorientierten und immer fremdbestimmten Pflichterfüller an die Seite gestellt. Kirsten und Uwe zum Beispiel: „Kirsten und Uwe gehen jeden Samstagabend weg. Jeden. Spaßpflichtprogramm. Stehen auf langweiligen Parties herum. Denken, das müsse man tun. Denken, sie seien beliebt.”
So gibt es in dieser fiktiven Welt zwei Sorten von Leuten: die Eigensinnigen und die Pflichterfüller, die Romantischen und die Philister. Alle Erzählungen des Bandes funktionieren aus der Logik dieses Gegensatzes heraus: Wenn zwei Eigensinnige aufeinander treffen, verleben sie einen poetischen Nachmittag mit Blut, Fotografie und Pistolenschuss, wenn zwei Angepasste sich sehen, dann tun sie nicht, was sie gern tun würden, übereinander herfallen nämlich, sondern sie unterhalten sich gesittet über die neue Lovis-Corinth-Ausstellung, und wenn eine Romantikerin einem Philister gegenübersitzt, dann verschwindet sie eben kurz mit dem jungen Wilden vom Nebentisch.
Es hat was von ausgleichender Gerechtigkeit. Die Romantischen mögen es in der Wirklichkeit schwerer haben, in der Minderzahl sein und die schlechter bezahlten Jobs ausfüllen – hier sind sie die Guten und sie siegen auf ganzer Linie: Literatur als Wiederherstellung eines gestörten Gleichgewichts.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum Tanja Dückers die in Klischees und anderen Zwängen befangenen Pflichtmenschen nicht näher analysiert. Sie scheint die uneigentliche Individualität diskreditieren, aber nicht verstehen zu wollen. Wie sie sie beschreibt, gehört allerdings zum Gelungensten in ihren Texten. Dückers kann auf subtile Weise boshaft sein. Woran erkennen wir den Fremdbestimmten? Am Zeichenhaften seiner kleinen Handlungen: Peter, der immer betont farbenfrohe Hemden trägt, wenn er in südamerikanische Bars geht, oder der zwanghafte Kunststudent, der, als er seine anziehende Kommilitonin besucht, eilfertig die braunen Halbschuhe auszieht und sie unter das dafür vorgesehene Bänkchen stellt.
Weniger überzeugend fallen die Beschreibungen der anderen Seite aus: Ihr Geheimnis ist eigentlich stets ein erotisches. Sex als Metapher und Signum für Grenzüberschreitung und selbstbestimmtes Leben – da müsste man sich mehr einfallen lassen als homosexuelle Affären oder jugendliche Promiskuität.
Tanja Dückers’ Buch ist eine Art flammendes Plädoyer für den Eigensinn, fürs Anderssein – für das sogenannte Individuum. Es bleibt nur die Frage, ob es damit nicht längst offene Türen einrennt, genau jenem Mitläufertum in die Arme joggt, das es scheinbar bekämpfen will: Mit „just-do-it”-Slogans im Kopf kommt man allenfalls noch zum nächsten Turnschuhladen.
EVA MARZ
TANJA DÜCKERS: Café Brazil. Erzählungen. Aufbau-Verlag, Berlin 2001. 203 Seiten, 29, 90 Mark
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Auch wenn die Autorin den Leser in ihren Erzählungen vor allerlei Persönlichkeiten und Angewohnheiten warnt und damit manche Freude an Althergebrachtem nimmt - Thomas Kraft hatte während der Lektüre spürbar Spaß daran. Denn langweilig sind die Geschichten der 1968 geborenen Berlinerin keinesfalls, meint der Rezensent. Zumindest für diejenigen, die sich für das Leben junger Frauen und Männer jenseits von "Pärchenharmonie" und schöner Gleichförmigkeit interessieren. Kraft haben allerdings nicht alle Geschichten gleich gut gefallen. Manche findet er eher "blass und belanglos", in anderen seien die Figuren stärker als der Plot. Trotzdem. Der Rezensent ist von Tanja Dückers süffiger und "hart am O-Ton" orientierten erzählerischen Qualität beeindruckt. Café Brazil ist ein Buch, das er trotz oder gerade wegen all der darin enthaltenen Warnungen empfiehlt.

© Perlentaucher Medien GmbH