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Georgi Dimitroff ist einer der wenigen herausragenden kommunistischen Führer des 20. Jahrhunderts, deren mythischer Ruhm sowohl im Osten als auch im Westen in Teilen bis heute überdauert hat. Der bulgarische Revolutionär avancierte durch seinen Triumph im Reichstagsbrandprozess zum antifaschistischen Helden und zum Hoffnungsträger für die Volksfrontpolitik. Seine hier zugänglichen Tagebücher enthüllen, dass der "Steuermann der Komintern" in die "großen Säuberungen" involviert und ein Sendbote sowjetischer Geheimdienste war. Zusammen mit einer Fülle neu erschlossener Archivamterialien…mehr

Produktbeschreibung
Georgi Dimitroff ist einer der wenigen herausragenden kommunistischen Führer des 20. Jahrhunderts, deren mythischer Ruhm sowohl im Osten als auch im Westen in Teilen bis heute überdauert hat. Der bulgarische Revolutionär avancierte durch seinen Triumph im Reichstagsbrandprozess zum antifaschistischen Helden und zum Hoffnungsträger für die Volksfrontpolitik. Seine hier zugänglichen Tagebücher enthüllen, dass der "Steuermann der Komintern" in die "großen Säuberungen" involviert und ein Sendbote sowjetischer Geheimdienste war. Zusammen mit einer Fülle neu erschlossener Archivamterialien vermitteln die Notate überraschende und beklemmende Einblicke in das Imperium der "kommunistischen Weltbewegung", die Mechanismen sowjetischer Politik wie des Stalinschen Terrors. Das Tagebuch als einzigartiges Zeugnis und der Kommentarband mit einer ausführlichen Chronik und Kurzbiographien von mehr als 2000 Akteuren bieten entscheidend neuen Stoff für den Diskurs über die Kommunismusgeschichte.
Autorenporträt
Bernhard H. Bayerlein ist Historiker und Romanist am Zentrum für Europäische Sozialforschung der Universität Mannheim. Autor historischer und regionaler Studien und Editionen in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, Portugal; publizierte u.a. Archives de Jules Humbert-Droz (Amsterdam-Boston-Zürich, 1983-2001); Georg Dimitroff: Tagebücher (Berlin 2000), Paris-Berlin-Moscou. Télégrammes chiffrés du Komintern (Paris 2003), Der Thälmann-Skandal (mit Hermann Weber, Berlin 2003), Deutscher Oktober 1923. Ein Revolutionsplan und sein Scheitern (Berlin 2003), Mitherausgeber des "Jahrbuchs für historische Kommunismusforschung" (Berlin), Herausgeber des "International Newsletter of Communist Studies/Online" (Mannheim-Berlin).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2001

Ein Bulgare in Moskau
In seinen Tagebüchern analysiert der einstige Generalsekretär der Kommunistischen Internationale die Politik der UdSSR unter ihrem Despoten Stalin
Georgi Dimitroff wird nach dem Krieg als Vertrauensmann der KPdSU bulgarischer Ministerpräsident.
Foto: AP
GEORGI DIMITROFF: Tagebücher 1933–1934, Aufbau Verlag, Berlin 2000. 712 Seiten, 99,90 Mark.
Am 9. März 1933 wird der bulgarische Kommunist Georgi Dimitroff, Sekretär des westeuropäischen Büros der Kommunistischen Internationale (KI), in Berlin verhaftet. Im Prozess um den Reichstagsbrand vor dem Reichsgericht in Leipzig ist er der Hauptangeklagte. Das Gericht muss ihn aber im Dezember 1933 von der Anklage einer von der KPD geplanten politischen Brandstiftung freisprechen. Die öffentliche Niederlage der NS-Diktatur ist unter anderem das Ergebnis einer vom emigrierten KPD-Reichstagsabgeordneten Willi Münzenberg organisierten internationalen Solidaritätskampagne. Dimitroffs Ausweisung im Februar 1934 nach Moskau bewahrt ihn vor dem Schicksal seiner deutschen Mitangeklagten, die im KZ verschwinden. Als Held von Leipzig wird er zum Idol des kommunistischen Antifaschismus.
Mit dem Tag seiner Verhaftung setzen die Tagebücher ein, die er in deutscher, bulgarischer und russischer Sprache schrieb. Es ist eine Mischung von Terminkalender und privatem Notizbuch. In den Moskauer Jahren führt er seine Tagebücher auch als Kladde für die Weisungen Stalins und der sowjetischen Führung an ihn, den „Steuermann” der KI. Dimitroff war im März 1934 deren letzter Generalsekretär geworden.
Die Kommunistische Internationale wurde 1919 in Moskau gegründet, um den sozialistischen Revolutionären in der ganzen Welt nach dem „Verrat” der Sozialdemokratie im I. Weltkrieg eine neue politische Heimat zu geben. Sie wollte als Generalstab der sozialistischen Weltrevolution für ihre Mitgliedsparteien fungieren. Im November 1940 kommentierte Stalin diese Vorstellung der Weltrevolution, in der die neu gegründeten kommunistischen Parteien durch eine Kette von Aufständen die Macht erringen sollten, sei „Blödsinn”. Stalin setzte nicht auf die Parteien; in seinen Augen waren die „Handlungen der Roten Armee” ausschlaggebend für den Sieg der Revolution.
Die Existenz von Dimitroffs Tagebüchern ist eine Sensation. Heute aber wird sie nicht mehr als solche wahrgenommen, da der Kommunismus und die Sowjetunion Geschichte sind. Der Kommunismusforschung widmen sich inzwischen spezialisierte Historiker. Zu ihnen zählt der Herausgeber der vorliegenden deutschen Edition der Jahre 1933-1943, Bernhard H. Bayerlein. Das Verdienst ihrer Publikation wird dadurch geschmälert, dass der Verlag sie vor allem als Beitrag zur Kommunismusforschung präsentiert. Als zentrale Fragestellungen gelten die Einflussnahme der Moskauer Zentrale auf die Politik der nationalen Parteien, das Schicksal der KI-Kader während Stalins Kommunistenverfolgung („Säuberungen”) und das Spannungsverhältnis zwischen der Politik der einzelnen Parteien und der Moskauer Linie, die immer an den Interessen der Sowjetunion ausgerichtet war.
Kampf um die Weltherrschaft
Das kommt nach Beginn des Krieges im September 1939 unverhüllt zum Ausdruck, als Stalin Dimitroff anweist, die mit seinem Namen seit 1935 verbundene Volksfrontpolitik aufzugeben: „Die Unterscheidung der kapitalistischen Länder in faschistische und demokratische hat ihren bisherigen Sinn verloren”. Der Krieg werde um die „Weltherrschaft” geführt, und die kommunistischen Parteien müssten in allen Ländern gegen den Krieg auftreten.
Dies führte in England und Frankreich zu Konflikten in den dortigen Parteien, die gegen die Verteidigung ihrer Länder antreten sollten. Erst nach dem 22.  Juni 1941, als der Krieg im Osten begann, änderte sich die Lage. Die englische KP wurde nunmehr angewiesen, ihre „falsche Haltung gegenüber Churchill, der für die Fortsetzung des Krieges gegen Deutschland und zu Gunsten der UdSSR eintritt”, sofort zu ändern.
Die Tagebücher zeigen, wie die Komintern als Instrument der sowjetischen Außenpolitik genutzt wurde. Durch die Abteilung „Internationale Verbindungen” kontrollierte die KI die Führungen der Mitgliedsparteien. In dieser Abteilung arbeitete seit 1921 der 1938 vom NKWD verhaftete und später erschossene Michail A. Moskwin. Er war seit 1923 im Apparat des sowjetischen Geheimdienstes zuständig für die Zusammenarbeit mit der Komintern. All das aber steht nicht in den Tagebüchern.
Dimitroff notierte nur lapidar „23. 11. 38 – M ist ins NKWD beordert worden – er ist nicht zurückgekommen!” Erst der von Bayerlein und Wladislaw Hedeler herausgegebene Materialienband mit seiner Chronik der Jahre 1933–1945, seinen Anmerkungen und Kurzbiografien, erschließt dem Leser solche Eintragungen. Die Kurzbiografien sind allerdings nicht fehlerfrei. So hat etwa der Sozialdemokrat Gustav Noske im November 1918 in Kiel keinen Matrosenaufstand niedergeschlagen, wie behauptet, und das Geheimnis des Decknamens Fiedler aus der deutschen Redaktion beim Moskauer Rundfunk wurde durch Peter Erler auch schon gelüftet. Es handelt sich um Karl Raab, der bis zu seiner Pensionierung 1982 Leiter der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED war.
Der Verlag hat ein Quellenwerk vorgelegt, das für den Diktaturenvergleich zwischen Nationalsozialismus und Bolschewismus ebenso wichtig ist wie für die Geschichte des sowjetischen Imperiums und die des II. Weltkrieges. Das gilt auch für den Verlauf des spanischen und des chinesischen Bürgerkrieges. So werden die chinesischen Kommunisten im japanisch-chinesischen Krieg seit 1937 mit Waffen und Instrukteuren von Moskau unterstützt, während die Bitten von Tito, den jugoslawischen Partisanen Waffen zu liefern, lange zurückgewiesen werden. Somit geben Dimitroffs Notizen auch Aufschluss über den Beginn von Stalins Konflikt mit Tito nach dem Krieg, und sind selbst noch von Belang für den Bruch zwischen Peking und Moskau nach 1956.
Erschießen und vernichten
Die Hauptperson der Tagebücher ist zweifellos Stalin. Dimitroff vermittelt gnadenlose Einblicke in Motivationen und Ziele seiner Politik. Stalin verlangte absolute Unterwerfung unter seinen despotischen Willen von seinen Kadern. So erklärte er Dimitroff 1937, was er unter dem Kampf gegen die Trotzkisten verstand: Sie „müssen gejagt, erschossen, vernichtet werden. ” Dimitroff notierte zahlreiche aufschlussreiche Bemerkungen des Diktators und kommentierte seine Politik. Im gleichen Jahr fand beispielsweise der zweite große Schauprozess gegen Lenins Weggefährten statt, Dimitroff vermerkte: „Der Trotzkismus ist tot, wozu eine solche Kampagne?” Und in Bezug auf die Anklage merkte er an: „Es gibt keinerlei Beweise!”
1918 hatten die Bolschewiki den letzten russischen Zaren und seine Familie ermordet, 1937 lobte Stalin laut Dimitroff die historische Leistung der Zaren: „Sie haben ein Riesenreich zusammengezimmert . Wir haben diesen Staat als Erbe erhalten”. Als Führer dieses Staates schloss er 1939 den Pakt mit Hitler im Bewusstsein, der kommende Krieg werde um die „Weltherrschaft” geführt. 1939 war die Sowjetunion neutral, aber Stalin hatte nichts dagegen, wenn sich zwei Gruppen kapitalistischer Staaten gegenseitig schwächten: „Nicht schlecht, wenn Deutschland die Lage der reichsten kapitalistischen Länder (vor allem Englands) ins Wanken brächte. Hitler selbst zerrüttet und untergräbt, ohne es zu verstehen und zu wollen, das kapitalistische System. Wir können manövrieren, eine Seite gegen die andere aufbringen, damit sie sich noch stärker in die Haare kriegen. ” Und an anderer Stelle im Mai 1941 betonte Stalin: „Unsere Politik des Friedens und der Sicherheit ist gleichzeitig eine Politik der Kriegsvorbereitung. Es gibt keine Verteidigung ohne Angriff. Man muss die Armee im Geist des Angriffs erziehen. Man muss sich auf den Krieg vorbereiten. ”
Die Vernichtung Polens als Staat bedeutete für den Diktator „einen bourgeoisen faschistischen Staat weniger” und der Zusammenhang zwischen Roter Armee und Weltrevolution wurde im September 1939 deutlich: „Was ist Schlechtes daran, wenn wir im Ergebnis der Zerschlagung Polens das sozialistische System auf neue Territorien und die Bevölkerung ausdehnen?”
Der Erbe der russischen Zaren erklärte im Oktober 1939 seinem Steuermann der KI, dass die Beistandsverträge mit den baltischen Staaten und die damit verbundene sowjetische Truppenstationierung sie in den „Einflussbereich der Sowjetunion” brächten. Vom letzten Zaren verlorenes Territorium werde zurückgewonnen und damit eine Methode erprobt, die für die kommunistische Machtergreifung in den von den sowjetischen Truppen befreiten und besetzten Ländern nach 1945 typisch würde. Dimitroff notiert: „Wir werden ihre Sowjetisierung nicht anstreben. Es kommt die Zeit, da sie es selbst tun werden!”
1943 wurde die KI öffentlich aufgelöst. Bislang war die Auflösung der KI als Zugeständnis Stalins an seine westlichen Kriegsalliierten interpretiert worden. Aber durch die Tagebücher erfahren wir, dass dieser Schritt bereits zwei Jahre früher hätte erfolgen sollen. An Hitlers Geburtstag 1941 fragte Stalin beiläufig im Bolschoi-Theater, ob es nicht an der Zeit sei, die Komintern aufzulösen.
Es sind keine literarischen Tagebücher, die Dimitroff hinterlassen hat. Personen und Ereignisse werden nicht kommentiert. Das Schicksal seiner Familie notiert er in kleinen Anmerkungen. Einfühlsam sind die Eintragungen über die tödliche Krankheit seines Sohnes Mitja 1942; sie zeigen, dass er wirklich Tagebuch hätte schreiben können. Aber die Umstände verboten ihm, es zu tun.
Die Tagebücher Georgi Dimitroffs zeigen, und das ist für die theoriegläubige wissenschaftliche und künstlerische Linke eine besonders bittere Lektion, dass die Politik der von Stalin geführten kommunistischen Weltbewegung nicht auf theoretischen Erkenntnissen beruhte. Sie war vielmehr den Staatsinteressen der Sowjetunion verpflichtet. Der Marxismus-Leninismus war pure Ideologie und reduzierte sich in Stalins harten Linienwechseln immer auf die Interpretation seines despotischen Machtwillens.
MANFRED WILKE
Der Rezensent ist Wissenschaftlicher Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2001

Selbst das Verschweigen ist aufschlußreich
Hervorragend übersetzt und ediert: Die Tagebücher des Kominternchefs Dimitroff 1933 bis 1943

Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933-1943. Herausgegeben von Bernhard Bayerlein und Wladislaw Hedeler unter Mitarbeit von Birgit Schiewenz und Maria Matschuk. Band 1: Tagebücher, Band 2: Kommentare und Materialien. Aufbau-Verlag, Berlin 2000. 712 und 773 Seiten, 98,- Mark.

Die Kommunistische Internationale (Komintern), der Zusammenschluß der kommunistischen Parteien in aller Welt, wurde im März 1919 in Moskau gegründet. Lenin, Vorsitzender der bolschewistischen Revolutionsregierung und Initiator des Kongresses, setzte damit ein Vorhaben in die Tat um, das er schon seit Beginn des Weltkrieges verfolgt hatte. 1914 war die II. Internationale der sozialistischen Parteien an der Frage gescheitert, welche Haltung die Sozialisten zu diesem Kriege in ihren Ländern einnehmen sollten. Die neue Internationale der radikalen Sozialisten und Kommunisten sollte den gemeinsamen Kampf für die Weltrevolution organisieren und führen. Doch schon in der Gründungsphase zeichnete sich ab, daß die Hoffnungen auf den revolutionären Fortgang der Weltgeschichte verfehlt waren. So dauerte es nicht lange, bis die Komintern zu einem Instrument der sowjetischen Außenpolitik geworden war.

Die kommunistische Partei der Sowjetunion machte die Komintern zu ihrer internationalen Organisation, zum "zweiten Gleis" sowjetischer Interessenvertretung neben der offiziellen Außenpolitik. Unter ihrem ersten Vorsitzenden Grigorij Sinowjew vollzog sich die "Bolschewisierung" der kommunistischen Parteien, die bedingungslose Übernahme der Vorgaben aus Moskau. Die Schwenks in der "Generallinie" unterwarfen die kommunistischen Parteien harten Proben auf ihren Gehorsam und ihre Disziplin. Die anfängliche Politik der "Einheitsfront" aller linken Kräfte gegen Kapitalismus und Imperialismus veränderte Lenin-Nachfolger Stalin 1928, indem er den Kampf gegen die als "Sozialfaschismus" diffamierte Sozialdemokratie zur Hauptaufgabe machte und den Schulterschluß mit der extremen Rechten nicht scheute. Ab 1935 galt es, in der "Volksfront" den Kampf gegen den Faschismus zu führen, der 1939 wegen der Verständigung mit dem nationalsozialistischen Deutschland abgebrochen und 1941 erneut aufgenommen wurde, diesmal aber im Bündnis mit den bis dahin als imperialistisch eingestuften Mächten. 1943 löste sich die Organisation des Weltkommunismus schließlich ganz auf, nachdem sie für die Kriegsallianz Stalins mit den Westmächten zur Belastung geworden war.

Einer der führenden Kominternpolitiker, die diese Entwicklung nicht nur mittrugen, sondern aktiv mitgestalteten, war Georgi Dimitroff (1882-1949). Der gelernte Schriftsetzer aus der kinderreichen Familie eines bulgarischen Fuhrmannes vertrat Ende der zwanziger Jahre die KP Bulgariens im EKKI (Exekutivkomitee der Komintern), in dem er auch für die Analyse des Faschismus zuständig war. Seit seiner Ernennung zum Sekretär des Westeuropäischen Büros der Komintern im Jahre 1929 hielt Dimitroff sich häufig für längere Zeit in Berlin auf. Dort nahm sein Leben die dramatische Wende, die ihn zu einer wichtigen, schillernden Figur der neueren Geschichte machte.

Im Zuge der Kampagne, die das nationalsozialistische Regime nach dem Reichstagsbrand gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und andere mißliebige Gruppen führte, wurde Dimitroff am 9. März 1933 verhaftet. Seit dem Herbst 1933 stand er als einer der Hauptangeklagten des Reichstagsbrandprozesses vor dem Reichsgericht in Leipzig. Dort verteidigte er sich so geschickt, daß er als "Held von Leipzig" nicht nur seinen Freispruch zu erreichen, sondern auch Hermann Göring bloßzustellen vermochte. Allerdings blieb er auch nach Prozeßende in "Schutzhaft", und erst das Eingreifen der Moskauer Regierung, die ihm die sowjetische Staatsbürgerschaft verlieh, bewirkte seine Freilassung und Ausweisung in die Sowjetunion.

Die erstmals auf deutsch vorgelegten Tagebücher Dimitroffs setzen mit dem Tag der Verhaftung ein und enden mit dem 12. Juni 1943, als er damit beschäftigt war, den Nachlaß der Komintern aufzulösen. Das mit einigen Lücken überlieferte Tagebuch wurde nicht im Hinblick auf eine interessierte Nachwelt geschrieben. Bei der Lektüre, die den Leser nach und nach immer mehr in ihren Bann zieht, gewinnt man eher den Eindruck, der Verfasser habe in seinem ereignis- und risikoreichen Leben als einflußreicher kommunistischer Führer, der, gerade weil er in seiner Position stets vor dem mißtrauischen Stalin auf der Hut sein mußte, die Notizen über seine Erlebnisse und sein eigenes Verhalten für sich selbst benötigt. Sie wurden für ihn zum "Arbeitsjournal", wie Herausgeber Bayerlein schreibt, in dem er sorgfältig den aktuellen Stand der "Generallinie" und der daraus resultierenden "Befehlslage" vermerkte, zur Planung seiner politischen Strategie und zugleich zu seiner persönlichen Absicherung, für den Fall einer notwendig werdenden Rekonstruktion von Daten und Fakten. Diesem Zweck dürfte wohl auch die nachträgliche Entfernung einiger Heftseiten gedient haben, die dadurch entstandenen Lücken wurden nicht wieder gefüllt.

Neben seinen Aufgaben als Kominternchef, zu dem er 1935 gewählt worden war, überwachte Dimitroff die Entwicklung in Südosteuropa und dort vor allem in Bulgarien, wo er bei Kriegsende die kommunistische Machtübernahme leiten sollte. Die Tagebücher spiegeln die damit verbundenen vielfältigen Tätigkeiten, Begegnungen und Eindrücke wider, wobei die Instruktionen durch Stalin, die Grundzüge seiner Reden und nicht zuletzt sein Verhalten, etwa Momente von offensichtlich auffällig guter Laune, besonders sorgsam vermerkt werden. Sensationelle Entdeckungen sind dabei nicht zu machen, wenn auch die Notizen über bereits 1941 von Stalin angestellte Überlegungen, die Komintern aufzulösen, für die Geschichte dieser Organisation bedeutsam sind.

Die Tagebücher sind aufschlußreich, weil sie die Mechanismen und Verhaltensweisen in einem totalitären System dokumentieren, das in einzigartiger Weise die ganze Welt zu erfassen und zu beeinflussen versuchte. Sie lassen einen Menschen erkennen, der innerhalb dieses Systems zwischen Gefährdung und Verstrickung agierte, ohne indessen dieses System verlassen zu können oder zu wollen. Ob er überhaupt fähig oder bereit war, an irgendeiner Stelle wenigstens innerlich auf Distanz zu gehen? In seinen Tagebüchern läßt Dimitroff davon nichts erkennen. In den Jahren des Terrors konstatiert er lakonisch das Verschwinden des einen oder anderen Menschen aus seinem Umkreis, über vieles schweigt er.

Persönliches fehlt nicht: Notizen zu den häufigen Krankheiten oder Alltagsbeobachtungen wie die mit Ausrufungszeichen versehene Pünktlichkeit des Zuges, der den Kominternchef mit Familie, Mitarbeitern, Arzt, Masseurin, Koch und Erzieherin für die Kinder im September 1940 zu Urlaub und Kur nach Sotschi bringt - Privilegien der Nomenklatura. Trauer und Verzweiflung angesichts der tödlichen Krankheit des kleinen Sohnes finden ihren anrührenden Ausdruck.

Die überaus sorgfältig erarbeitete Ausgabe der zum guten Teil aus dem Bulgarischen und dem Russischen hervorragend übersetzten Tagebücher wurde mit erläuternden Beiträgen, Fußnoten, Anmerkungen, Chroniken, Kurzbiographien, Abbildungen sowie Registern und einer Bibliographie reich ausgestattet.

HANS HECKER

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Eine schwer verdauliche Lektüre findet Reinhard Müller, Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, die Tagebücher des ehemaligen Generalsekretärs der Komintern und zieht in Zweifel, ob sich der Verlag, der ja auch die Klemperer-Tagebücher mit großem Erfolg herausgebracht hat, mit der vorgeblichen Demontage dieses kommunistischen Mythos wirklich einen Gefallen getan hat. Denn anders als Klemperer, der ja die funktionalisierte Sprache des Dritten Reiches analysiert hat, bediene sich der Apparatschik Dimitroff auch in seinen Tagebüchern ausschließlich der Bürokratensprache, ohne sich davon lösen zu können. Mit anderen Worten: sperrig, kryptisch, unverständlich. Denn auch die Anmerkungen und das Personenregister könnten viele Eintragungen nicht erklären, ärgert sich Müller, der hinterrücks eine Art Personenkult wieder eingeführt sieht, nachdem er sich die ausführliche Veröffentlichungsliste der Texte und Reden Dimitroffs angeschaut hat. Und zwölf Seiten einführenden Kommentar erscheinen ihm angesichts dieses opulenten, zweibändigen und über 1000 Seiten umfassenden Werks ebenfalls etwas dürftig.

© Perlentaucher Medien GmbH