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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Dietz, Berlin
  • Seitenzahl: 160
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 172g
  • ISBN-13: 9783320020101
  • ISBN-10: 3320020102
  • Artikelnr.: 24941337
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.2001

Ab in den "Mainstream"!
Rolf Reißig als Beschwörer einer ostdeutschen Teilgesellschaft

Rolf Reißig: Die gespaltene Vereinigungsgesellschaft. Bilanz und Perspektiven der Transformation Ostdeutschlands und der deutschen Vereinigung. Karl Dietz Verlag Berlin, Berlin 2000. 160 Seiten, 24,80 Mark

Nach Rolf Reißig gehört zum "Mainstream", wer die vor einem Jahrzehnt errungene deutsche Einheit als ein großes Geschenk betrachtet. Zwar weiß auch Reißig, daß niemand, der in der DDR gelebt hat, die DDR wiederhaben will, "aber die übertragene Ordnung ist nicht wirklich angenommen". Reißig sieht eine - wie der Titel schon sagt - gespaltene Vereinigungsgesellschaft. Er sieht eine ostdeutsche Teilgesellschaft in der Bundesrepublik.

Reißig gehört zu jenen, die nach zehn Jahren deutscher Einheit wissen, wie die Einheit damals hätte gemacht werden müssen, um die Spaltung zu verhindern. Zu oft allerdings hat man die Argumente gehört, um sie noch interessant finden zu können: Die Wirtschafts- und Währungsunion hätte nicht so früh kommen dürfen. Bei den Verhandlungen um den Einigungsvertrag hätte die Bundesrepublik ihren "Alleinvertretungsanspruch" ausgespielt. Der DDR hätte die Chance gegeben werden müssen, eigene demokratische Strukturen aufzubauen und die Wirtschaft moderat auf den Markt einzustellen. Der Sozialismus sei zwar in der DDR gescheitert, aber er sei "eine spezifische Modernisierungsvariante". Die Bundesrepublik hätte die Chance der Transformation nutzen müssen, sich selbst zu ändern.

Wer nicht müde wird, Fehler an der Art und Weise zu finden, wie die Einheit zustande gekommen ist, dem antwortet man gern mit Biedenkopfs Bemerkung: Bei der nächsten Wiedervereinigung werden wir das berücksichtigen. 1990 hatte es keine andere Chance gegeben. Die DDR-Bürger wollten in die Bundesrepublik, egal auf welchem Weg. Sie wußten, daß die DDR ökonomisch abstürzen würde, daß sich die seit vier Jahrzehnten durchlebten Krisen des Sozialismus nicht nur fortsetzen, sondern noch verschärfen würden. Schnelles Handeln war geboten. Nicht um Wahlen zu gewinnen, wie Reißig meint (auch so ein Griff in die publizistische Mottenkiste), sondern um mit einer schwierigen Situation fertig zu werden.

Die Systemintegration sei vollzogen, die Sozialintegration lasse weiter auf sich warten, sagt Reißig. Weder habe die Kohl-Regierung das leisten können, noch habe sich die rot-grüne Bundesregierung sonderlich darum bemüht. Der Transformationsprozeß sei für die Ostdeutschen unvollendet. Er sei ein Projekt mit ungewissem Ausgang, das nur gut ausgehen könne, wenn es endlich eine neue Reformpolitik gebe. Die Ostdeutschen hätten ihr "Wir"-Gefühl entdeckt. Wer darin nur nostalgische Reminiszenzen sieht, gehört für Reißig abermals zum "Mainstream".

Die aus der alten Bundesrepublik in die neuen Länder übertragenen Institutionen seien nur schwach in Ostdeutschland verankert. Umgekehrt hätten aber die Ostdeutschen keine eigenen Institutionen und Medien, um ihre Interessen selbst zu artikulieren. "Wirkliche ostdeutsche Symbole, kollektive Erinnerungen, Geschichten fehlen." Jeder Politikwissenschaftler wisse, daß mangelndes Institutionsvertrauen Demokratiegefährdung bedeute. Zwei Drittel der Ostdeutschen sehen die neue Gesellschaft als nicht gerecht an. Eine Politik, die hier Abhilfe schaffen soll, stellt Reißig sich so vor, daß "aus dem anfänglichen und zeitweiligen Nebeneinander beider Teilkulturen sich produktive Mischungen und schließlich neue Innovationen ergeben". Aufgabe der Politik müsse es dabei sein, die Finanzquellen aus dem Aufbau Ost unvermindert sprudeln zu lassen. Wer jetzt spare, vertue die Chance, den Ostdeutschen zu helfen, auf eigenen Füßen zu stehen.

Reißig, selbst ein Ostdeutscher und einst Wissenschaftler an der DDR-Akademie für Gesellschaftswissenschaften, spricht von "den Ostdeutschen" und tut so, als sei er ihr Sachwalter. Dabei hat es die Gruppe "Ostdeutsche" möglicherweise nur in jenem Moment gegeben, als die DDR zusammenbrach und Deutschlands Einheit folgte. Da waren alle gleich, da hatten alle aber auch die gleiche Chance. Man mag mit Reißig bedauern, daß Ostdeutsche es objektiv nicht schaffen, Vermögen aufzubauen, wie es sie im Westen gibt, aber man kann das mit einem Schulterzucken quittieren und an die Arbeit gehen. Längst ist zu sehen, wie Ostdeutsche auch "den Westen" verändern. Das geschieht so, wie es etwa mit den Vertriebenen nach dem Krieg geschehen ist oder später mit jenen, die aus der DDR in die Bundesrepublik gegangen sind. Wer sieht, wie viele Vertriebene von damals oder ausgereiste DDR-Bürger heute in der Bundesrepublik Einfluß haben und die Bundesrepublik zu dem gemacht haben, was sie ist, dem muß um die Transformation der Ostdeutschen in der Bundesrepublik nicht bange sein.

Vielleicht wäre eine solche Studie mal ein Thema für Reißig. Das wäre jedenfalls ein originellerer Ansatz als bei der "Gespaltenen Vereinigungsgesellschaft", die dorthin gehört, wohin Reißig seine Gegner steckt - in den "Mainstream". In diesem Fall in den "linken Mainstream", versteht sich.

FRANK PERGANDE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht sehr originell findet es der Rezensent Frank Pergande, wenn in diesem Buch ein weiteres Mal die alten Kamellen von einer in Ost- und Westdeutsche geteilten bundesrepublikanischen Gesellschaft aufgewärmt werden. Nach zehn Jahren sind alle klüger, meint der Rezensent und bescheinigt Reißigs Argumentation den ein oder anderen "Griff in die publizistische Mottenkiste". Als ob es der Rezensent schon nicht mehr hören könne, wiederholt er Reißigs Auffassung, wonach die Vereinigung zu früh und unter dem Druck der Wahlen vollzogen worden wäre. Seiner Meinung nach einfach schlichtweg falsche Mythenbildung über einen möglichen dritten Weg. Für den etwas gelangweilt erscheinenden Rezensenten also nichts Neues aus dem Osten.

© Perlentaucher Medien GmbH