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Was ist das für eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Nachbarn bestialisch foltern und töten? Schüler, die Passanten auf U-Bahnsteigen zu Tode treten? Pflegerinnen, die wehrlose Alte umbringen? Öffentlichkeit und Experten stehen ratlos vor der Frage, warum ganz normale Menschen zu mitleidlosen Tätern werden. Als Reporter reiste Eugen Sorg von der Schweiz aus in Bürgerkriegs- und Krisenregionen. Überall sah er Gewalt und erlebte, wie leicht und bereitwillig Scham und Gewissen außer Kraft gesetzt werden können. Aus seinen brillant geschriebenen, sehr konkreten und erschreckenden Erfahrungen zieht Sorg den Schluss: Es gibt die Lust am Bösen.…mehr

Produktbeschreibung
Was ist das für eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Nachbarn bestialisch foltern und töten? Schüler, die Passanten auf U-Bahnsteigen zu Tode treten? Pflegerinnen, die wehrlose Alte umbringen? Öffentlichkeit und Experten stehen ratlos vor der Frage, warum ganz normale Menschen zu mitleidlosen Tätern werden. Als Reporter reiste Eugen Sorg von der Schweiz aus in Bürgerkriegs- und Krisenregionen. Überall sah er Gewalt und erlebte, wie leicht und bereitwillig Scham und Gewissen außer Kraft gesetzt werden können. Aus seinen brillant geschriebenen, sehr konkreten und erschreckenden Erfahrungen zieht Sorg den Schluss: Es gibt die Lust am Bösen.
Autorenporträt
Eugen Sorg, geboren 1949 in Zürich, arbeitete nach Studium und Promotion als Psychotherapeut, IKRK-Delegierter und seit 1992 als Journalist, zunächst viele Jahre für Das Magazin und von 2001 bis 2009 für Die Weltwoche. Heute arbeitet er als Textchef bei der Basler Zeitung. Für seine weltweit nachgedruckten Reportagen reiste er vielfach in die Bürgerkriegsgebiete an den Rändern der westlichen Welt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2011

Im Bösen verdampfen alle Gründe

Eugen Sorg will zwar von Erklärungen menschlicher Grausamkeiten nichts wissen, kennt aber im Fall des radikalen Islamismus dann doch Ursachen.

Von Timo Frasch

Beginnen wir die Kritik zu Eugen Sorgs Streitschrift "Die Lust am Bösen. Warum Gewalt nicht heilbar ist" mit dem Positiven - also ganz so, wie es in der Feedbackkultur der aufgeklärten Gesellschaften des Westens, die Sorg allesamt für Weicheier hält, üblich ist. Zunächst einmal ist Sorgs durchaus anregendes Buch erfahrungsgesättigt; als Kriegsreporter und einstiger Delegierter des "Internationalen Komitees vom Roten Kreuz" hat er mit dem Guten und mehr noch mit dem Bösen zur Genüge Bekanntschaft gemacht. Das gereicht ihm so lange zum Vorteil, wie er bei der Wiedergabe der Erfahrung bleibt und stets packend aus allen möglichen Weltgegenden - Ruanda, Balkan, Schweiz - darüber berichtet, was Menschen Menschen antun können. Jedes Mal drängen sich dem Westler dann dieselben Fragen auf: Wo fing es an? Was ist passiert? Was hat sie bloß so ruiniert?

Die einzig richtige Antwort auf diese nach Sorg eigentlich schon falschen Fragen laute: Nichts hat sie so ruiniert. Warum die Vollidioten dann töten, foltern, vergewaltigen? Weil sie es können; weil sich ihnen die Gelegenheit bot; vor allem aber: weil sie es, so Sorg, geil finden. Die "äußeren Umstände" seien als Ursache nicht relevant, sie bildeten lediglich den "Rahmen, der dem Einzelnen den Reaktionsspielraum offen lässt". Es stehe also jedem jederzeit frei, sich für oder gegen das Böse zu entscheiden. Somit diene die Historisierung und Ideologisierung eines Gemetzels nicht der Wahrheitsfindung, sondern als Feigenblatt sowohl für die Täter als auch für die westlichen Beobachter, denen die aufgeklärte Moderne beigebracht habe, dass es für alles einen Grund geben muss.

Auf den ersten hundert Seiten seines Buches hebt Sorg noch die Allgegenwart des Bösen hervor: Überall kann es lauern, bei den ganz Schlauen und den ganz Dummen, zwischen Völkern, die eine lange Geschichte gegenseitiger Abneigung trennt, und zwischen ganz normalen miteinander Kaffee trinkenden Menschen, von denen schon Thomas Bernhard sagte: "Auf den ersten Eindruck haben Sie den Eindruck: lauter brave Leute. Hören Sie aber zu, entdecken Sie, dass sie nur von Ausrottung und Gaskammern träumen." Sorg schreibt von Eichmann, von S-Bahn-Schlägern, Massakern und Massenmördern, um sodann ganz genüsslich die - tatsächlich - hilflosen Versuche "der aufgeklärten Eliten" zu zitieren, das Grauen zu erklären und so ihr Weltbild vor der Konfrontation mit dem Bösen zu bewahren. Sorg war einst Psychotherapeut. Mag sein, dass er deshalb zu wissen glaubt, es bringe nichts, mit den Bösen zu sprechen, sie zu bilden, ihnen Entwicklungshilfe in den Rachen zu stopfen. Das Böse sei keine Krankheit, und die Bösen seien in aller Regel keine Psychopathen. Also könnten sie auch nicht geheilt, sondern lediglich bekämpft werden. Das Problem sei nur, dass wir keinen Begriff mehr vom Bösen haben, dass wir es nicht mehr erkennen, wenn es vor uns steht, und deshalb versäumen, ihm im Bedarfsfall eins auf die Fresse zu geben.

Spätestens hier müssen wir mit dem Negativen beginnen. Sorg nämlich versucht erst gar nicht, das Böse zu definieren. Es sei letztlich ein Rätsel, was aber zur Folge haben muss, dass man es - wenn überhaupt - erst dann erkennen kann, wenn man seiner ansichtig wird. Wie also soll sich der Westler unter diesen Voraussetzungen auf das Böse vorbereiten? Laut Sorg reicht es nicht, nur aufmerksam zu sein, vielmehr müssen wir unsere Wehrhaftigkeit steigern. Der einzige Weg, einen Krieg abzuwenden, so schreibt er mit dem Kriegstheoretiker Sun Tzu, bestehe darin, sich auf ihn vorzubereiten.

Das mag sein, auch wenn etwa die beiden Weltkriege das Gegenteil vermuten lassen. In einer anderen Sache hat Sorg jedenfalls recht: "Immer mehr Westler scheinen vergessen zu haben, dass ihre Träume einer bunten und geschwisterlichen Weltzivilisation, ihre Friedensforschungsinstitute und Menschenrechtsorganisationen aufs innigste mit der tödlich überlegenen Feuerkraft ihrer Armeen, vorab der amerikanischen, verbunden sind." Was er dabei selbst vergessen zu haben scheint: Der beste Schutz für unsere Lebensweise, gerade auch für den American way of life, ist unsere Lebensweise selbst. Diese verdankt sich nicht zuletzt unseren rechtsstaatlichen Institutionen und Verfahren, die Sorg jedoch als Symptome eines pathologischen "Therapeutismus" denunziert, so dass man sich irgendwann fragt, warum er den Westen überhaupt verteidigt sehen will.

Das eigentliche Problem des Buchs liegt aber in dessen letztem Drittel, das vom Islam handelt und in dem sich der Autor ziemlich heillos in Widersprüche verstrickt. Im Wesentlichen ist seine breitbeinige Sicht auf den Islam die Henryk Broders - der für dasselbe Blatt, die "Weltwoche", schreibt, für das auch Sorg jahrelang gearbeitet hat, und der jüngst die Vermutung äußerte, dass die britische Armee heute nicht mehr in der Lage wäre, die Schlacht von El Alamein zu gewinnen, aus lauter Angst nämlich, die Gefühle des arabischen Gegners zu verletzen. Sorg also steht dem Islam, der übrigens einen dezidierten Begriff vom Bösen hat, sehr kritisch gegenüber. Unter anderem rügt er, dass es im islamischen Recht "keine mildernden Umstände" gebe. Das überrascht. Hatte er nicht hundert Seiten lang beklagt, dass in der westlichen Welt ständig nach mildernden Umständen für Verbrechen gesucht werde?

"Bestünde zwischen sozialer Benachteiligung und Terrorneigung ein Zusammenhang", schreibt Sorg, "müsste die halbe Welt längst in Trümmern liegen." Offenbar sieht er aber sehr wohl einen Zusammenhang zwischen Terrorneigung und Islam. Der radikale Islamismus, den er bewusst nicht klar von einem gemäßigten Islam trennt, verkörpere mit seiner "antijüdischen Besessenheit" "die zeitgenössische Ideologie des Bösen", die infolge der Auflösung des Osmanischen Reichs entstanden sei. Es gibt gute Gründe, das so oder so ähnlich zu sehen. Aber hatte Sorg nicht zuvor geschrieben, dass Ideologie, Rassismus und Geschichte nie die Ursache für das Böse sein könnten? Und müsste dann, wenn Sorg recht hätte mit dem Islam und dem Terror, nicht auch die halbe Welt in Trümmern liegen? Und wenn das Böse eine bloße Frage der Gelegenheit ist, wie ist dann zu erklären, dass viele muslimische Attentäter im Westen sozialisiert wurden, in dem die Gelegenheiten zum ganz großen Bösen sicher weniger zahlreich sind als in ihren Herkunftsländern?

Am Ende des Buchs referiert Sorg zur Stützung seiner Thesen den Inhalt von Max Frischs Stück "Biedermann und die Brandstifter". Darin sagt der Brandstifter Eisenring: "Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand." Wenn das stimmt, ist das Beste, was man über Sorgs Buch sagen kann, dass es sich nicht tarnen wollte.

Eugen Sorg: "Die Lust am Bösen". Warum Gewalt nicht heilbar ist.

Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2011. 160 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.06.2011

Jenseits von Gut und Schlimm
Gegen das Sein als solches: Drei neue Bücher wollen erkunden, warum das Böse ist, wie es ist
Das Böse! Schon wer dessen Namen ausspricht, dem läuft ein Schauer den Rücken herunter. Man solle den Teufel nicht an die Wand malen, warnt der Volksmund. Mehrere neue Bücher tun genau das. Schlechthin „Das Böse“ nennt der Kulturwissenschaftler Terry Eagleton sein Werk, als wäre es ein Thriller auf DVD (im englischen Original etwas essayistischer „On Evil“). Eagleton steigt ein mit einem Fall, der vor einiger Zeit für Entsetzen in der britischen Öffentlichkeit gesorgt hat: Zwei Zehnjährige überfallen, ohne ersichtlichen Grund, ein Kleinkind und quälen es zu Tode. Ein Polizeibeamter, der den Fall untersucht, erklärt, gleich beim ersten Blick auf einen der Täter habe er gewusst, dass dieser böse sei.
Welchen Sinn hat eine solche Aussage? Sie gibt sich rein phänomenal und impliziert doch mancherlei. Der Polizist tut, als wäre er von einem Anblick passiv überwältigt. Ohne dass dies ausdrücklich gesagt werden müsste, liegt darin die Forderung nach Härte notfalls auch gegen Kinder. Die Behauptung, hier einfach das Böse vor sich zu haben, intendiere nichts anderes, als jeden Erklärungs-, und das heißt Entschuldigungsversuch abzuschneiden. „Nichts davon ergibt einen Sinn, aber so ist das nun einmal mit dem Bösen.“ Dabei scheint dem Polizisten und allen, die seine Sichtweise teilen, zu entgehen, dass gerade die Behauptung, jemand sei absolut böse, diesen der Strafe entziehe. Wenn wirklich manche Menschen, wie Eagleton es ausdrückt, böse auf dieselbe Weise wären, wie der Himmel blau ist, dann trifft sie daran keine Schuld; und was die praktischen Konsequenzen angeht, so komme man an demselben Punkt heraus wie die verabscheute psychologisch-soziologische Relativiererei, bloß ohne Hoffnung, dass hier jemand gebessert und eingegliedert werden könnte: es laufe hinaus auf Verwahrung ohne begleitendes Sozialprogramm. Um den und das Böse strafen zu können, müssten sie in einem freien Entschluss wurzeln – und spätestens hier tritt das Problem des Bösen von einem juristischen in ein philosophisches über.
„Diesem Buch“, sagt Eagleton, „liegt die Auffassung zugrunde, dass das Böse nicht völlig rätselhaft ist, wohl aber die Grenzen alltäglicher sozialer Verhältnisse transzendiert. Das Böse, wie ich es verstehe, ist tatsächlich metaphysisch, insofern es sich gegen das Sein als solches wendet und nicht gegen diesen oder jenen seiner Teile. Grundsätzlich will es das Ganze vernichten.“
Damit aber wird dem Bösen der ontologische Teppich unter den Füßen weggezogen, es verwandelt sich in eine bedingte Größe. Da Eagleton das Böse zu einem solchen Schattenwesen degradiert, legt er ihm zuletzt eine Neid- und Verkürzungstheorie zugrunde: Böse ist, wer daran leidet, dass er sich vom Reichtum der seienden Welt ausgeschlossen fühlt. Das ist seichter, als man nach dem scharfsinnigen Start erwartet hätte. Dem Bösen als einem unbestreitbaren Faszinosum steht Eagleton kategorial wehrlos gegenüber. Alle Reflexionen über das Böse scheinen immer auf den einen Satz Hannah Arendts von der „Banalität des Bösen“ weisen zu müssen, geäußert anlässlich des Eichmann-Prozesses. Eagleton will den Satz aus seinem aporetischen Status in den Rang einer eigentlichen Wahrheit erheben: Natürlich, meint er, sei das Böse banal, da ihm alles distinkt Existierende immer als gleichartig wertlos erscheine; das Böse, und zwar gerade das dämonisch Böse, sei vor allem eins, unglaublich langweilig.
Eagleton schreckt in seinem ansonsten klugen Buch ängstlich davor zurück, dem Bösen bis in seine Wurzeln nachzugehen. Er glaubt, Partei für das Gute nehmen zu sollen, noch ehe das Böse ganz erkannt wäre. Infolgedessen endet er verzagt und matt mit einem Porträt des Terroristen. Diesen jedoch beschriebe man wohl treffender als einen Politiker am kürzeren Hebel, welchen er mit besonderem Impetus handhabt, um dennoch Wirkung zu erzielen. Kann Politik böse sein? Das Abgründigste an Eagletons Buch ist seine Widmung: „Für Henry Kissinger“.
Nach diesem Verdunstungseffekt, mit dem Eagleton endet, nimmt man erwartungsvoll ein Buch zur Hand, das „Die Lust am Bösen“ heißt. Es verheißt, dass hier keine Ausreden durchgehen sollen, sondern der Teufel am Schlafittchen gepackt wird. Eugen Sorg, der Verfasser, unterwegs für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, hat besonders in den postjugoslawischen Bürgerkriegen zu viel gehört und gesehen, als dass ihn die verlegenen Exkulpationen der westlichen Öffentlichkeit nicht aufbringen müssten. Unausgetragene historische Konflikte seien es, die sich hier Bahn brächen, ein rückständiger Nationalismus, eine panisch um sich schlagende Angst, Irrtum, Vorurteil, Aberglaube, Unwissen? Das alles gleite völlig von jener tiefen Lust ab, mit der man einem früheren Nachbarn und Spielgefährten rostige Nägel durch die Füße bohrt. Solche und noch schlimmere Dinge aber hat es massenweise gegeben; und nicht Einzelne haben sie begangen, sondern Tausende, ohne Befehl und völlig spontan: begeisterte Urheber waren am Werk gewesen. „Sie (die Medien und Experten im Westen) zogen die Möglichkeit, dass Menschen mit einer genuinen Neigung zum Bösen ausgestattet und durch den Zustand der Gesetzlosigkeit förmlich beflügelt werden könnten, nicht einmal in Betracht.“
Sorg hält zu Recht daran fest, dass jegliche „Erklärung“ in solchen Fällen den Sachverhalt verfehle, indem sie das Opfer degradiere, den Täter verharmlose, nicht zuletzt dem Erklärenden selbst allzu bequem sei. Aber es scheint im Wesen seines Gegenstands zu liegen, dass dieser, sobald er dingfest gemacht ist, sich in der Tautologie verhärtet: Das Böse, wenn es wirklich das Böse ist, ist – das Böse. Genau dies hatte Eagleton als Problem registriert; und genau hier kommt Sorg nicht weiter. Es bereitet dem Autor zusehends schlechte Laune, er beginnt Fall um Fall aufzuzählen, von Ruanda bis zu den Überfällen in der Münchner Fußgängerzone, wo der „pastorale Therapeutismus“ ins Leere gehe. An Gegenbegriffen hat er zu bieten: „Untat“, Ursünde“, „Verworfenheit“, und wenn er poetisch wird: „schwarzer Demiurg“.
Fast unmerklich verlagert das Buch sein Augenmerk von der Feststellung, dass das Böse nicht therapierbar sei, auf die Unverbesserlichkeit jener anderen, die nicht sind wie wir. Da wird der iranische Präsident Ahmadinedschad zum „kleingewachsenen Mann mit dem Freizeitjäckchen“, der sich der „offenen Verhöhnung des globalen Zivilisationsvertrags“ vermisst, weil er eine Atombombe will, die ihm nicht zusteht. Das ist bloß noch wüstes Geschimpfe ohne Erkenntniswert. Das Buch schließt mit einem Finale furioso wiederum gegen Terroristen und Islamisten. Wo Eagleton in Ermattung strandete, da herrscht bei Sorg eine Wut, bei der man sich fragt, zu wie viel von dem, was sie anderen unterstellt, sie gegebenenfalls selbst fähig wäre.
Mit der Lust am Bösen also kommt man nicht voran. Der Psychiater Robert J. Simon versucht es anders, sein Buch heißt (mit deutschem Titel): „Die dunkle Seite der Seele – Psychologie des Bösen“. Nun hatte Sorg in seinem ansonsten einigermaßen ärgerlichen Essay doch mit dem einen recht, dass es eine Psychologie des Bösen nicht geben kann: Denn unerwünschten Phänomenen mit Psychologie, also mit Explikation und Therapie zu kommen, heißt eben ihre Qualität des Bösen zu verleugnen oder so weit zu verkleinern, dass es sich mit der Krankenkasse abrechnen lässt. Der englische Titel hingegen ist geeignet, das anspruchslose theoretische Rüstzeug sichtbar zu machen: „Bad Men Do What Good Men Dream“ (wobei man „bad“ und „good“ am besten mit „schlimm“ und „brav“ wiedergibt). Wir alle stellen uns gern schlimme Dinge vor, aber nur die Schlimmen unter uns tun sie auch: Darauf läuft es bei Simon hinaus; und man fragt sich, wie ein seit 35 Jahren tätiger Psychiater eine solche Trivialität als den Ausbund seiner Berufserfahrung verkaufen kann. Im Verlauf des Werks hört man denn auch sehr wenig über das Böse außer gelegentlichem kopfschüttelndem Moralisieren, begleitet von Sentenzen aus den Büchern Jeremia und Hiob; ansonsten arbeitet der Verfasser ziemlich mechanisch seine Tätergruppen ab, die Vergewaltiger, die Stalker, die Amokläufer, die Serienmörder, wobei betont wird, dass die Psychiatrie leider gar nichts für die echten Psychopathen tun könne – also diejenigen, die es am meisten bräuchten.
Warum scheitern alle diese drei Bücher, so verschieden sie sonst sind, an ihrem Gegenstand? Eagleton, der interessanteste der drei, ist dort am stärksten, wo er sich auf die Paradoxie des Bösen einlässt, auf die beunruhigende Einsicht, dass das Böse als solches zugleich ist und nicht ist, äußerst real und zugleich unfassbar. Sein eigentliches Gegenstück hat es womöglich gar nicht am Guten, sondern an der Zeit. Von der Zeit sagt Augustinus: Solang’ ihn keiner frage, was sie sei, wisse er es; frage ihn aber einer, so wisse er es nicht mehr. Das Nachdenken über sie bringt ihre bestürzende Nichtigkeit zum Vorschein, indem sie als Vergangenheit nicht mehr, als Zukunft noch nicht ist und als Gegenwart in der Ausdehnungslosigkeit des Punkts verschwinden; und doch liegt gerade in dieser Nichtigkeit das Bestürzende. Einzufangen ist sie im Grunde nur von der Theologie, die dem Nichtigen durch die wahre Existenz Gottes, den Bezugsrahmen setzt und es daran hindert, bodenlos zu werden.
Nun gehen die drei Autoren, trotz gelegentlicher biblischer Anleihen, sämtlich von säkularen Voraussetzungen aus; und damit bricht das Böse aus seinem umfangenden Rahmen aus und droht als isoliertes metaphysisches Faktum absolut zu werden: ein verwirrender Befund, auf den die drei mit Abwehr und Abkehr antworten, jeder auf seine Weise.
Wo aber hätte das Böse je fassliche Gestalt gewonnen? Vielleicht darf man zum Schluss einen Blick auf „Es“ werfen, diesen erstaunlichen Roman von Stephen King. „Es“, zunächst völlig amorph, ist als Alien vor vielen Millionen Jahren auf die Erde gestürzt, hat sich über unendliche Zeiträume mit dem Quälen von Tieren mehr schlecht als recht durchgeschlagen und blüht erst auf, als es in Kontakt mit Menschen kommt; „Es“ vermag in ihre Psyche hineinzukriechen und sich in ihre schlimmsten Ängste einzufühlen. Deren Form nimmt es an und nährt sich von Seelen, speziell Kinderseelen, denn die haben die meiste Phantasie. Es bedarf dieser Seelen und verhält sich insofern parasitär; aber es bringt sie in ihrer Todesangst auch zum innigsten Daseinszustand, dessen sie fähig sind: In dieser Hinsicht besitzt es primäre Qualitäten.
Das echte Böse, wie es hier erscheint, gründet nicht in einem Mangel an Empathie, im Gegenteil; es kehrt allerdings die Vorzeichen um. Der Samariter und der Sadist: beiden geht durch Mark und Bein, was sie sehen, und beide handeln danach, wenn auch entgegengesetzt. Im Weltraum geht es furchtbar öde zu; das Glück der Lebewesen bringt schon etwas Schwung in die Bude; noch mehr aber deren körperliche Qual. Und das Intensivste sind Angst und Schmerz in Verbindung mit echter Erkenntnis. „Es“ entfaltet dieses Potential auf radikale Weise. Wer einen Menschen zu Tode martert und sich daran weidet, entzündet in der unendlichen Kälte des Weltalls ein Feuerlein, an dessen verzehrender Hitze er sich ein klein wenig wärmen kann. BURKHARD MÜLLER
TERRY EAGLETON: Das Böse. Aus dem Englischen von Heiner Kober. Ullstein Verlag, Berlin 2011. 208 S., 18 Euro.
EUGEN SORG: Die Lust am Bösen. Warum Gewalt nicht heilbar ist. Nagel & Kimche, Zürich 2011, 155 S., 14, 90 Euro.
ROBERT J. SIMON: Die dunkle Seite der Seele. Psychologie des Bösen. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Hans Huber, Bern 2011. 327 S., 24,95 Euro.
Gerade das dämonisch Böse ist
vor allem eins: unglaublich
langweilig
Der Samariter und der Sadist:
beiden geht durch Mark und Bein,
was sie sehen
Hier erscheint das echte Böse: Stephen Kings „Es“ (USA 1990, Regie: Tommy Lee Wallace) Foto: Cinetext Bildarchiv
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Burkhard Müller hat sich mit drei Büchern an die Ergründung des Bösen gemacht, sieht sich aber zu seiner Enttäuschung nicht wirklich weitergebracht. Eugen Sorg kommt mit seinen Überlegungen zum Bösen über ein tautologisches 'Das Böse ist böse' eigentlich nicht hinaus, findet der Rezensent. So sehr er auch die Meinung des Autors teilt, dass sich wirklich böse Taten, wie die massenhaft verübten Verbrechen während der Balkankriege beispielsweise, nicht einfach historisch wegerklären lassen, so unbefriedigend findet er Sorgs wenig erhellende Beispiele weiterer Untaten der jüngeren Geschichte. Hier spürt er geradezu die Hilflosigkeit des Verfassers gegenüber der Bodenlosigkeit des Bösen. Wenn sich Sorg dann schließlich in wüstem Geschimpfe gegenüber Bösewichtern wie den iranischen Präsidenten ergeht, enthält das für Müller keinerlei "Erkenntniswert" mehr.

© Perlentaucher Medien GmbH