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In seinen Erzählungen zeigt sich Silvio Huonder aus der Schweiz als virtuoser Autor, mit einem bestechenden Talent, Spannung zu erzeugen. Nun sind seine besten in dem Erzählband Wieder ein Jahr, abends am See versammelt. Sie handeln vom Einbruch des Unheimlichen ins alltägliche Leben und von den gefährlichen Wendungen, die harmlose Ereignisse plötzlich nehmen können.

Produktbeschreibung
In seinen Erzählungen zeigt sich Silvio Huonder aus der Schweiz als virtuoser Autor, mit einem bestechenden Talent, Spannung zu erzeugen. Nun sind seine besten in dem Erzählband Wieder ein Jahr, abends am See versammelt. Sie handeln vom Einbruch des Unheimlichen ins alltägliche Leben und von den gefährlichen Wendungen, die harmlose Ereignisse plötzlich nehmen können.
Autorenporträt
Silvio Huonder, geboren 1954 in Chur, studierte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz und an der Hochschule der Künste in Berlin. Neben Theaterstücken und Hörspielen erschienen die Romane "Adalina" (1997) und "Übungsheft der Liebe" (1999), bei Nagel & Kimche "Valentinsnacht" (2006).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Sibylle Birrer hat den Band mit 14 Erzählungen von Silvio Huonder gern gelesen, empfiehlt aber, die Geschichten lieber nicht hintereinander weg zu lesen. In den Erzählungen geht es um Schrecken oder Beunruhigungen, die unvermittelt in das alltägliche Leben einbrechen, und der Autor konzentriert sich dabei, gewissermaßen mit der "literarischen Handkamera" operierend, ganz auf die Helden seiner Geschichten, erklärt die Rezensentin. Sie bewundert, wie leichthändig Huonder die überraschenden Begebenheiten inszeniert und zollt seinem Gespür für Dramaturgie und seiner Vielseitigkeit Respekt. Allerdings muss sie auch einräumen, dass der in der Schweiz geborene und seit den 80er Jahren in Deutschland lebende Autor, der einer der ersten Absolventen des Studiengangs "Szenisches Schreiben" in Berlin war, mitunter einfach zu versiert sein handwerkliches Können einsetzt. In der Summe der Erzählungen nutze sich so der beunruhigende Effekt der Geschichten ein wenig ab, weshalb Birrer auch zu maßvoll dosierter Lektüre rät.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2008

Der liebestolle Zahnersatz

Da hört sich doch das Unerhörte auf: Flitzer, Toilettenstrangulation, identitätsstiftende Dentistin - Silvio Huonder überdehnt das Überraschungsmoment.

Silvio Huonder liebt das Vieldeutige. Im Zeitalter der Semiotik ist es zwar längst eine Binsenweisheit, dass ein isoliertes Ereignis niemals eine feste Bedeutung für sich allein haben kann. Dennoch wird Huonder nicht müde, diese vertraute Einsicht in sorgfältig konstruierten Geschichten auf immer wieder neue Weise zu variieren.

Was hat es beispielsweise damit auf sich, wenn ein Mensch splitternackt durch die Straßen seiner Stadt läuft? Es kann sich natürlich ganz harmlos um die Einlösung einer Wette zwischen übermütigen Jugendlichen handeln, die von der Kleinstadttristesse gelangweilt sind. Es kann aber auch das alarmierende Zeichen einer psychischen Störung sein. Beides sind Möglichkeiten, die Huonder in seinem neuen Buch erprobt, die eine in der Geschichte über die "dunkle Seite des Mondes", die andere in der bedrückenden Erzählung "Tobi". Ihr Titelheld ist ein achtjähriger Junge, dessen Mutter immer wieder von bedrohlichen "Schüben" heimgesucht wird, wie der Vater hilflos die Krankheit seiner Frau bezeichnet. An einem Wintertag verlässt sie plötzlich ohne alle Kleider die Wohnung, ihr Sohn folgt ihr ratlos und beobachtet, wie die Mutter schließlich von Polizisten in eine Wolldecke gehüllt wird.

Immer wieder variiert Huonder dasselbe Spannungsmuster, das vertraute Situationen in beängstigende Konstellationen überführt: Bei einer heimlichen Segeltour im geklauten Boot zieht ein heftiges Gewitter auf, wodurch sich der Flirt zwischen zwei Jugendlichen in ein gefährliches Unternehmen verwandelt. In einer anderen Erzählung wird eine Taxifahrerin von einem aufdringlichen Mann verfolgt, der sich kurz darauf in der Toilette einer schäbigen Imbissbude zu erhängen versucht. Und schließlich schläft eine hochschwangere Frau in der Berliner S-Bahn ein und kommt erst jenseits der Endstation auf einem Abstellgleis zu sich, dort, wo Obdachlose mit ihren Hunden herumstreunen.

Die Brüchigkeit vertrauter sozialer Verhältnisse ist ein Grundthema der vierzehn Erzählungen. Andreas, der arbeitslose Elektriker, dessen Traum von einem besseren Leben in der ostdeutschen Provinz an den kleinbürgerlichen Vorstellungen seiner Ehefrau scheitert, glaubt, das grundlegende Lebensprinzip erkannt zu haben: "Und wenn man auch auf alles gefasst ist und überall das Schlimmste erwartet, geschieht es letzten Endes doch an einem ganz anderen und unerwarteten Ort." Diese Überraschungsdramaturgie ist das poetologische Grundrezept von Huonders Erzählungen, in deren Zentrum zuverlässig ein unerwartetes Ereignis steht, das die Heldinnen und Helden geradewegs in Krisen führt.

Schon für Goethe bildete die unerhörte Begebenheit den Kern des novellistischen Erzählens; Huonder reizt das erzählerische Konzept des Unerhörten allerdings auf eine berechenbare und damit ermüdende Weise aus. Nicht immer handelt es sich nämlich um Ereignisse von lebensbedrohlicher Tragweite. In der märchenhaften Erzählung von der "Zahnfee" verliert ein italienischer Starposaunist auf dem Flug zum nächsten Konzert plötzlich einen Stiftzahn und findet als moderner fahrender Ritter nicht nur unerwarteten Ersatz für den Zahn, sondern in der hilfsbereiten Zahntechnikerin, mit der er sich nur radebrechend verständigen kann, zugleich auch noch seine zukünftige Ehefrau. Das dentistische Provisorium tritt an die Stelle eines mythischen Liebestranks - was hier erzählt wird, ist nichts anderes als eine banale Version der uralten Sehnsucht nach der großen Liebe, die sich jenseits aller Worte einstellt.

Aber auch die düsteren Katastrophenszenarien schlagen oft um in ein unvermutetes Happy End. So treibt ein günstiger Wind das Boot mit den beiden Teenagern wieder ans feste Ufer; die Taxifahrerin errettet ihren Verfolger vom Strangulierungstod am Spülkasten, und das Kind der verirrten Schwangeren kommt wohlbehalten in einem hygienisch sauberen Krankenhausbett zur Welt. Ist es also letztlich die Sehnsucht nach einer heilen Welt, die Silvio Huonder zum Geschichtenerzähler werden lässt?

In seinen frühen Romanen "Adalina" und "Übungsheft der Liebe" hatte der 1954 geborene Schweizer ausführlich von den Nöten des Erwachsenwerdens erzählt. Für seinen authentischen, frechen Ton erntete er viel Lob. Mit dem Autor sind indes allmählich auch seine Helden älter geworden, ohne allerdings besser mit dem bürgerlichen Leben zurechtzukommen. In seinem jüngsten Roman "Valentinsnacht" (2006) schilderte Huonder die Kalamitäten, in die ein sorgloser Mittdreißiger gerät, der nach einer Zufallsbegegnung Vater wird.

Mit den Erzählungen nun konzentriert sich Huonder auf kleine Momentaufnahmen; für ausholende Charakterstudien oder Entwicklungsgeschichten wie in den Romanen ist hier kein Raum. Der Stoff seiner Erzählungen stammt aus dem Alltagsleben unserer Tage und schließt auch literarische Modethemen wie Demenz oder Stalking ein, ohne die in den letzten Jahren kaum eine Anthologie auszukommen scheint. Indes wäre es unangemessen, Huonders Geschichten als Symptome für die sozialen Themen unserer Tage anzusehen; dafür ist er ein zu geschickter Arrangeur der Ereignisse. Nur sollte man seine Geschichten am besten in kleinen Dosierungen zu sich nehmen.

SABINE DOERING

Silvio Huonder: "Wieder ein Jahr, abends am See". Erzählungen. Nagel & Kimche Verlag, München 2008. 171 S., geb., 17,90 [Euro].

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