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Mit furioser Sprachkraft gestaltet César Aira erzählerisch den Abschnitt einer Reise, die den Augsburger Maler Johann Moritz Rugendas im Jahr 1837 nach Südamerika führt. Gefördert von seinem Mentor Alexander von Humboldt malt Rugendas atemberaubende Bilder von den Menschen und Landschaften der Anden - bis ihn eines Tages ein fürchterliches Unglück ereilt. 'Humboldts Schatten' ist ein virtuoses literarisches Porträt und Hommage an eine manchmal zerstörerische künstlerische Inspiration.
Was wie eine Reiseerzählung aus dem 19. Jahrhundert beginnt, entwickelt sich zum literarischen Hohelied auf
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Produktbeschreibung
Mit furioser Sprachkraft gestaltet César Aira erzählerisch den Abschnitt einer Reise, die den Augsburger Maler Johann Moritz Rugendas im Jahr 1837 nach Südamerika führt. Gefördert von seinem Mentor Alexander von Humboldt malt Rugendas atemberaubende Bilder von den Menschen und Landschaften der Anden - bis ihn eines Tages ein fürchterliches Unglück ereilt. 'Humboldts Schatten' ist ein virtuoses literarisches Porträt und Hommage an eine manchmal zerstörerische künstlerische Inspiration.
Was wie eine Reiseerzählung aus dem 19. Jahrhundert beginnt, entwickelt sich zum literarischen Hohelied auf den Reisemaler Rugendas und auf alle Verrückten, die sich mit Haut und Haaren der Kunst verschreiben. Für den deutschen Maler, beeinflusst von Delacroix, Constable und Turner, wird die Überquerung der Anden von Santiago de Chile nach Buenos Aires zur künstlerischen Erweckung und zur persönlichen Katastrophe. Eines Tages verfärbt sich der Himmel mitternächtlich schwarz, ein Gewitter bricht los und Rugendas wird vom Blitz getroffen. Sein Fuß verfängt sich im Steigbügel und das erschreckte Pferd schleift ihn hinter sich her. Von da an ist Rugendas ein Krüppel mit entstelltem Gesicht. Im Morphiumrausch malt er weiter und schafft atemberaubende Bilder. Sein obsessiver Wunsch, einen Indianerüberfall vor Ort auf die Leinwand zu bannen, wird ihm beinahe erneut zum Verhängnis.
Autorenporträt
César Aira, geb. 1949 in Coronel Pringles, Argentinien, lebt seit 1967 in Buenos Aires, wo er sich zunächst als Übersetzer einen Namen machte. Er hat zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke veröffentlicht und zählt zu den wichtigsten Autoren Lateinamerikas.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2004

Der doppelte Blitz
César Aira folgt dem Maler Johann Moritz Rugendas in die Pampa

Der Titel lautet im Original anders: "Eine Episode im Leben des Reisemalers". Nicht ganz einzusehen, warum daraus "Humboldts Schatten" werden mußte, obwohl Alexander von Humboldt für den Maler Johann Moritz Rugendas, um den es geht, in der Wirklichkeit und in diesem Buch in der Tat nicht unwichtig war. Ebensowenig ist einzusehen, weshalb auf dem Titelblatt - eine sich verbreitende Unsitte - vermerkt ist, das Buch sei "aus dem argentinischen Spanisch" übersetzt; es hätte, noch schlimmmer, auch "aus dem Argentinischen" heißen können. In Argentinien spricht und schreibt man Spanisch, Punktum. Würden wir uns nicht wundern, ein Buch von Thomas Bernhard auf englisch mit der Präzisierung "translated from Austrian German" oder gar "from Austrian" vorzufinden? Daß ein Buch aus Argentinien kommt, kann man auch anderswo, etwa im Klappentext, sagen. Eine solche Spezifizierung, was die Übersetzung angeht, ist nur angemessen, wenn es sich, wovon hier nicht die Rede sein kann, um eine hochgradig idiomatisierte Form des Spanischen oder, beim "Amerikanischen", des Englischen handelt.

Nachdem dies gesagt ist, soll aber sogleich hinzugesetzt werden, daß Matthias Strobel diese "Novelle" des Argentiniers César Aira, Jahrgang 1949, aus Pringles/Buenos Aires vorzüglich übersetzt hat. Und vorzüglich ist auch das Nachwort des Potsdamer Romanisten Ottmar Ette, der, neben einigem anderem, auch ein Spezialist für (Alexander) Humboldt ist.

Das Buch selbst ist auf eine nicht leicht zu greifende Weise faszinierend. Es beginnt - auch Ette hebt es hervor - wie ein schön geschriebenes Sachbuch, gleitet aber unmerklich ins Fiktive hinein und wird, auch durch seine Intensität im Narrativen, die sich dem Exotisch-Fremden hinzufügt, beinahe magisch, auch etwas metaphysisch, ohne doch unrealistisch zu werden. Es bleibt eine Schilderung.

Der Maler Johann Moritz Rugendas, eine historische Figur, 1802 geboren, stammt aus einer Augsburger Malerdynastie. Es ist hier unwichtig, wie er als Maler und Zeichner einzuordnen und zu bewerten ist. Was auf den Abbildungen in dem Büchlein zu sehen ist, ist anmutig und gekonnt. Wichtig aber ist, daß Rugendas sich als "Reisemaler" verstand - als Maler, der fremde Gegenden, Landschaften, insbesondere mit ihrem Bewuchs, dokumentierte. Zweimal war er im iberischen Amerika: von 1822 bis 1825 (da besonders in Brasilien) und dann nochmals, erheblich länger, von 1831 bis 1846.

Von der ersten Reise zeugt das Buch "Voyage pittoresque dans le Brésil" (1827), das damals offenbar viel Eindruck machte und auch die bewundernde Aufmerksamkeit von Humboldt fand. Für seine zweite Ausfahrt gab Humboldt dem Maler sehr genaue Hinweise, machte geradezu Auflagen. Ein "programmierter Maler", sagt Ette. Und dies ist nun der "Schatten", aus dem er sich löst, insofern er nämlich gerade nicht in den Gegenden bleibt, die ihm Humboldt zugewiesen hatte. Genauer: die, in die er ging, hatte der ihm geradezu verboten: "Hüten Sie sich vor den gemäßigten Zonen, vor Buenos Aires und Chili und vor schnee- und vulcanlosen Wäldern ..." Das herrliche und seltsame längere Zitat steht nur bei Ette.

Und ebendort, weit entfernt vom zugewiesenen Weg, geschieht das Unglück. Rugendas reist, zusammen mit dem Maler Robert Krause, den es in der Wirklichkeit auch gab, in der argentinischen Pampa. Da nun die "Episode" des Titels: ein riesiges Unwetter, und zweimal, kurz hintereinander, trifft ihn und sein Pferd der Blitz! Das Pferd jagt davon und schleift ihn mit sich. Eine gewaltige Schilderung! Der Maler wird mühsam gerettet, operiert, lebt, unvermeidlich aufs gräßlichste verunstaltet, weiter und fährt fort (durch eine Mantille wird das Gesicht unsichtbar gemacht), vom Opium narkotisiert, zu zeichnen und zu malen.

Nun sind es die gelegentlich vorkommenden Indianerüberfälle, die "malones", die ihn fesseln und die er, unter seiner Mantille, mit Kohle- und Rötelstiften in fiebriger Hektik festzuhalten sucht. Entsetzt sehen die ihren Beutezug trunken feiernden Indianer sein kurz aufgedecktes Gesicht und lassen ihn gewähren: "Wie hätten sie auch wissen sollen, daß es ein Verfahren zur physiognomischen Darstellung der Natur gab" - das war es, was Humboldt wollte - "und einen gierigen Markt für exotische Stiche."

Bemerkenswert, wie sich Aira eingefühlt hat in die beiden Europäer Rugendas und Krause. Andererseits muß man wissen: Argentinier sind Europäer.

HANS-MARTIN GAUGER

César Aira: "Humboldts Schatten". Novelle. Aus dem Spanischen übersetzt von Matthias Strobel. Mit einem Nachwort von Ottmar Ette. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2003. 123 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.06.2004

Dieser Blitz ist eine Rache der Natur
Der Maler der Pampa: César Aria beschreibt Humboldts lebendigen Schatten
Georg Philipp Rugendas, 1666 in Augsburg geboren und 1732 dort gestorben, kam aus einer alten flämischen Uhrmacher-Familie, die über Katalonien in Süddeutschland eingewandert war. Doch Georg Philipp verlor in seiner Jugend die rechte Hand, was ihn für die Arbeit seiner Vorfahren unbrauchbar machte. So wurde er zum Gründervater einer Dynastie von Schlachtenmalern. Sein Hang zum Detail, kombiniert mit der Brachialität des Gegenstands, machte ihn unverwechselbar. Doch als, nach dem Tod Napoleons, die Epoche der großen europäischen Schlachten erst einmal zu Ende ging, sank auch die Nachfrage nach entsprechenden Gemälden. Das spürte wohl auch Johann Moritz Rugendas, 1802 in Augsburg geboren, der noch die klassische Ausbildung zum Schlachtenmaler genoss, doch sich parallel dazu bemühte, die Naturmalerei zu erlernen.
Baron Langsdorff, ein Jahrzehnt lang russischer Konsul in Brasilien und, wie kolportiert wird, wahnsinnig, nahm den Zwanzigjährigen mit nach Südamerika. Doch schon während der Reise ergaben sich Spannungen. Rugendas durchstreifte Brasilien allein und berichtete davon in „Voyage pittoresque dans le Bresil”. Die Texte schrieb Victor Aimé Huber. Rugendas wurde europaweit berühmt und fiel Alexander von Humboldt auf, der ihn für seinen Plan einer universalen Physiognomie der Natur einspannen konnte.
Einiges des hier Mitgeteilten, kann man auch in César Airas raffinierter Künstler-Novelle „Der Schatten Humboldts” lesen, die über weite Strecken wie ein zügig formuliertes Sachbuch angelegt ist. So detailreich und kühl geschrieben, dass man Johann Moritz Rugendas, dessen Katalog 3353 Nummern enthält, für ganz und gar erfunden halten kann. Dabei hat Aira wenig Fakten dazu gedichtet. Aber natürlich kommt es gerade auch auf diese an.
Rugendas war eigenwillig. Alexander von Humboldt ermahnte ihn, sich von botanisch reichlich toten Gegenden wie der argentinischen Pampa fern zu halten, stattdessen in den Tropen zu bleiben und für die Natur-Erkenntnis der Europäer ebenso wichtige wie wunderliche Dinge zu malen: den Stamm von Crescentia Cujete etwa, „mit Früchten beladen, die aus dem Stamm hervorbrechen” oder den Theobroma Cacao, „der Blüten aus den Wurzeln treibt.”
Doch gegen Humboldts Willen machte sich Rugendas, während seiner zweiten großen Reise, die von 1831 bis 1846 dauern sollte, mit seinem Maler-Kollegen Krause auf, von Chile aus in der argentinischen Pampa „die Kehrseiten seiner Kunst” zu suchen. Rugendas interessierte sich dabei für die schmalen, traktorhohen Carretas, wie für Epen gemachte Siedlerkarren. Rugendas’ Abweichung von der Route ist ein Hinweis auf Airas Ästhetik. Der 1949 bei Buenos Aires geborene Schriftsteller ist ein auffälliges Beispiel für das südamerikanische Gegenmodell zum „tropischen” magischen Realismus. Aira erweitert die Wirklichkeit sprachlich eher in der spröden Manier von Borges. Er reduziert seine Sprache gern bis auf das Skelett („Der große Naturforscher war der Vater einer Disziplin, die mit ihm weitgehend ausstarb”). Selbst die inhaltliche Abweichung, die Aira anbringt, ist dezent integriert: Er benutzt ein Ereignis im Leben des Malers und verstärkt es novellistisch.
Die Nase eines Spanferkels
Als Rugendas mit Krause unterwegs ist, schlägt neben den beiden der Blitz ein. Schon der historische Rugendas, der seinen Abtransport auf einer Bahre als Zeichner festhielt, litt lange unter dem mutmaßlichen Schädelbruch, den ihm der Sturz vom flüchtenden Pferd einbrachte. Aira erfindet einen zweiten Blitzschlag hinzu, der Rugendas Physiognomie verändert. Sein Gesicht „war eine geschwollene blutige Masse, der Stirnknochen lag offen, über den Augen hing die Haut in Fetzen (. . .) Eine große Narbe lief mitten über die Stirn zu einer Spanferkelnase, deren Höhlen auf unterschiedlichen Höhen lagen, und fächerte sich dann in Richtung Ohren auf zu einem Netz aus roten Strahlen. Der Mund hatte sich zu einer aufblühenden Rosenknospe zusammengezogen.”
Das Modell ist so einfach wie deutlich. Der Physiognom wird von der Natur, die seine Physiognomie zerreißt, modelliert. Rugendas beginnt, die Welt neu zu denken. Das geht von der lapidaren Selbsterkenntnis („ich bin ein Monster”), bis hin zur Anverwandlung buddhistischer Wiedergeburts-Lehren, die im Nebeneinander der Menschen die Lebensphasen eines einzigen sieht.
In immer wieder eingeschobenen essayistischen Passagen wird das Humboldtsche Verfahren diskutiert, und mit ihm jedes Erkenntnissystem, das „unzusammenhängende Daten” verhindert, da das System als Muster der Natur vorausgesetzt wird: „die physiognomische Darstellung schob sich zwischen den Künstler und die Natur”, die „direkte Wahrnehmung” ist ausgeschlossen, doch die Hoffnung auf die Überwindung der Vermittlung liegt nicht in ihrer unmöglichen Beseitigung, sondern in ihrem „Übermaß”, das die Vermittlung selbst „wieder zur Welt machte”, das ein reines System entstehen lässt.
Der historische Rugendas hat in seinen farbenfrohen, freien Gemälden, von der „Ankunft deutscher Auswanderer in Rio de Janeiro” bis zum „Marktplatz von Cordoba”, den schwierigen Grat zwischen Verallgemeinerung und Individualität gefunden. Airas Rugendas hingegen hätte durch den Blitz befreit werden können. Doch das Monster findet – welche Ironie der Geschichte – zum durchdringendsten aller Systeme, zum Familiengenre zurück. Durch einen Indianerüberfall wird Rugendas schließlich zum Schlachtenmaler eigener Prägung. Damit ist er kaum der „entprogrammierte Künstler”, von dem das Nachwort spricht. Eher das Gegenteil. Rugendas, der sich zu den Indianern wagt, die sich vom Überfall erholen, vergisst sich selber ganz. Die letzten Sätze der Novelle lauten: „Das Verfahren machte an seiner Statt weiter. In seinem Rücken stand, verdeckt im Schatten, der treue Krause und passte auf.” Hätte sich Rugendas vom System, seinem Auftrag, seinem Genre, seiner Familie gelöst, er hätte sein eigenes Gesicht gemalt.
HANS-PETER KUNISCH
CÉSAR AIRA: Humboldts Schatten. Novelle. Aus dem argentinischen Spanisch von Matthias Strobel. Mit einem Nachwort von Ottmar Ette. Nagel & Kimche Verlag, München und Wien 2003. 123 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Auf eine nicht leicht zu greifende Weise faszinierend findet Rezensent Hans-Martin Gauger diese Novelle. Es beginnt zunächst wie ein schön geschriebenes Sachbuch, schreibt er fasziniert. Bald jedoch gleite es unmerklich ins Fiktive hinein, und zwar mit einer narrativen Intensität, dass sich für den Rezensenten die Fiktion dem "Exotisch-Fremden" der Beschreibung beinahe magisch und "auch etwas metaphysisch" hinzufügt. Es geht, wie wir lesen, um den Reisemaler Johann Moritz Rugendas, Gauger zufolge eine historische Figur, der unter anderem im Auftrag Alexander Humboldts fremde Landschaften, samt Bewohner und Bewuchs dokumentierte. Der Rezensent ist besonders vom Einfühlungsvermögen des argentinischen Autors beeindruckt, mit der er sich in den Europäer hineinversetzt hat. Auch die gewaltige Schilderung des schrecklichen Unglücks, dass den Maler fürs Leben so grässlich entstellt, dass sein Gesicht fortan sogar als Waffe gegen Indiander-Überfälle taugt, bewegt Gauger sichtlich. Selbst die Übersetzung wird hochgelobt, das Nachwort mit dem Prädikat "vorzüglich" versehen. Nicht ganz einsehbar allerdings findet der Rezensent den deutschen Titel der Novelle, die im Original "Eine Episode im Leben eines Reisemalers" heißt.

© Perlentaucher Medien GmbH"