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Im Sommer 1925 begegnete Karl Barth der Münchner Krankenschwester Charlotte von Kirschbaum, die dann für mehr als 40 Jahre die engste Begleiterin seines Lebens und seines Werkes werden sollte. Emphatisch sagte Barth 1950 von ihr: 'Ich weiss, was es heisst, eine Hilfe zu haben.' Der Briefwechsel 1925-1935 dokumentiert in 231 Briefen den Beginn und das erste Jahrzehnt dieser einzigartigen Beziehung. Neben den persönlich-biografischen Aufschlüssen bieten die Briefe vor allem einen unmittelbaren Eindruck vom akademischen und kirchlichen Wirken, von den theologischen und politischen Urteilen und…mehr

Produktbeschreibung
Im Sommer 1925 begegnete Karl Barth der Münchner Krankenschwester Charlotte von Kirschbaum, die dann für mehr als 40 Jahre die engste Begleiterin seines Lebens und seines Werkes werden sollte. Emphatisch sagte Barth 1950 von ihr: 'Ich weiss, was es heisst, eine Hilfe zu haben.' Der Briefwechsel 1925-1935 dokumentiert in 231 Briefen den Beginn und das erste Jahrzehnt dieser einzigartigen Beziehung. Neben den persönlich-biografischen Aufschlüssen bieten die Briefe vor allem einen unmittelbaren Eindruck vom akademischen und kirchlichen Wirken, von den theologischen und politischen Urteilen und Überzeugungen Barths und vom Einfluss und Anteil, den Charlotte von Kirschbaum dabei hatte. 1953 schrieb Barth an Georg Merz über 'die entscheidende Mitwirkung' Charlotte von Kirschbaums an seiner Arbeit: 'Du ahnst nicht, was sie - Ministerium des Innern und des Äussern in einer Person - alles wirkt, unübertrefflich, unersetzlich. Wenn die spätere Literatur sich nur nicht zu dumm anstellen, sondern das ruhig, sachlich und umsichtig ans Licht bringen wird!' Mit diesen ausführlich kommentierten Briefen wird dazu ein wichtiger Beitrag geleistet.
Autorenporträt
Karl Barth (1886-1968) studierte Theologie in Bern, Berlin, Tübingen, Marburg und war von 1909 bis 1921 Pfarrer in Genf und Safenwil. Mit seiner Auslegung des Römerbriefes (1919, 1922) begann eine neue Epoche der evangelischen Theologie. Dieses radikale Buch trug ihm einen Ruf als Honorarprofessor nach Göttingen ein, später wurde er Ordinarius in Münster und Bonn. Er war Mitherausgeber von 'Zwischen den Zeiten' (1923-1933), der Zeitschrift der 'Dialektischen Theologie'. Karl Barth war der Autor der 'Barmer Theologischen Erklärung' und Kopf des Widerstands gegen die 'Gleichschaltung' der Kirchen durch den Nationalsozialismus. 1935 wurde Barth von der Bonner Universität wegen Verweigerung des bedingungslosen Führereids entlassen. Er bekam sofort eine Professur in Basel, blieb aber mit der Bekennenden Kirche in enger Verbindung. Sein Hauptwerk, 'Die Kirchliche Dogmatik', ist die bedeutendste systematisch-theologische Leistung des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.07.2009

Lollo oder das siebte Gebot
Der Theologe Karl Barth im Briefwechsel mit seiner Geliebten
Im Dezember 1918 veröffentlicht der Schweizer Provinzpfarrer Karl Barth im kleinen Berner Verlag von G. A. Bäschlin einen Kommentar zum Römerbrief, den er zur eigenen Erbauung und theologischen Orientierung einiger Freunde geschrieben hat. Da im Weltkrieg alle kriegführenden Nationen Gott für ihre propagandistischen Zwecke vereinnahmt haben, will Barth durch Paulus-Deutung zeigen, dass die Menschen „niemals den Standpunkt Gottes zu ihrem Parteistandpunkt” machen können. Die zweite, völlig neu konzipierte Fassung von „Der Römerbrief”, in nur elf Monaten von Herbst 1920 bis Sommer 1921 geschrieben, bietet eine Radikalkritik der liberalen Kulturtheologien des 19. Jahrhunderts, in denen statt Gott nur der eitel um sich selbst kreisende fromme Bürger ins Zentrum theologischer Reflexion gerückt sei.
Der erste Römerbrief bringt dem weder promovierten noch habilitierten Barth im Januar 1921 einen Ruf auf eine Göttinger Professur für Reformierte Theologie ein, und der 1922 auch im Münchner Christian-Kaiser-Verlag erschienene zweite „Römerbrief” sorgt dafür, dass der linke „Genosse Pfarrer” bald als Vordenker einer jungen theologischen Avantgarde gilt, die mit ihrer theozentrischen Geistesrevolution dem Chaos der Nachkriegszeit eine neue starke Ordnung, gewonnen allein im strengen Hören auf Gottes Wort, entgegensetzen will. Steile Offenbarungstheologie dient dazu, die historistische „Anarchie der Werte” (Wilhelm Dilthey) zu überwinden.
Karl Barth ist in Deutschland bereits ein prominenter Mann, als er in München wohl 1922 im Kreise des Laimer Pfarrers Georg Merz der Rotkreuzschwester Charlotte von Kirschbaum begegnet, der Tochter eines Ingolstädter Generals der bayerischen Armee und seiner ebenfalls aus protestantischem Adel stammenden Ehefrau. Obwohl der Göttinger Theologieprofessor verheiratet ist und bereits fünf Kinder hat, entwickelt sich seit 1925 zwischen ihm und der dreizehn Jahre jüngeren schönen Frau eine emotional sehr dichte Liebesbeziehung. Charlotte unterstützt Barth beim Schreiben, indem sie Literatur recherchiert, Exzerpte anfertigt, Zitate kontrolliert und Diktiertes tippt. Bei längeren Reisen kommen der gefeierte Theologe und seine „persönliche Assistentin” – so Barth 1935 gegenüber der Berner Fremdenpolizei – sich so nahe, dass „Lollo” im Oktober 1929 mit ins Haus der Barths zieht.
Denn Nelly Barth verweigert die von Karl 1933 erhoffte Scheidung, und obgleich er unter der schwierigen Situation zu dritt in einem Haushalt mit anstrengenden Kindern leidet, hat er sowohl die tiefe Liebe zu Lollo als auch die Pflichten gegenüber Nelly und den Kindern in prekären, konfliktreichen Kompromissen zu leben versucht. Unter Kollegen und in den weithin kleinbürgerlichen Kirchenkreisen provozierte dies viel Moralgeschwätz. Nicht nur Gegner diffamieren ihn als Ehebrecher oder Bigamisten. Auch muss Barth die heftige Kritik der eigenen Mutter und Intrigen seiner Schwiegermutter ertragen.
1947 schreibt Barth einem ihn kritisierenden Pfarrer in Neuchatel: „Frl. von Kirschbaum und ich lieben uns von Anfang an, und da wir ein bißchen älter geworden sind, lieben wir uns immer noch. Diese Tatsache weist (. . .) auf eine sehr ernste und tiefe Krise in meiner Ehe hin. So wie ich bin, konnte ich und kann ich immer noch weder die Realität meiner Ehe noch die meiner Liebe leugnen. Es ist wahr, daß ich verheiratet bin, daß ich Vater und Großvater bin. Es ist auch wahr, daß ich liebe. Und es ist wahr, daß diese beiden Tatsachen nicht übereinstimmen. Deswegen haben wir uns nach gewissem anfänglichem Zögern entschlossen, das Problem nicht durch Trennung nach der einen oder anderen Seite zu lösen. Sicher ist diese Lösung offenkundig unvollkommen. Ich befinde mich in einer Situation, in der es nur unvollkommene Lösungen gibt. Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß das siebte Gebot in seiner christlichen Auslegung die Monogamie und die Unlöslichkeit des ehelichen Bandes impliziert. Um meine Verantwortung diesem Gebot gegenüber zu wahren, hatte und habe ich nur die Wahl, die am wenigsten unvollkommene Lösung zu wählen: an Stelle einer Trennung nach der einen oder der anderen Seite die ständige Krise, die – das versichere ich Ihnen – für alle drei Betroffenen sehr schwer zu ertragen ist. Ich muß es auch ertragen, daß es sogar für meine Freunde schwierig ist, wahrzunehmen und zu verstehen, daß ich mit dieser Entscheidung mich bemühe, nicht in Unordnung, sondern in der Ordnung zu leben”.
Bleibende Zerrissenheit hat Barth als Chance zu sensiblerer Gottesgelehrsamkeit zu nutzen versucht. Der Dauerkonflikt habe „ein Element von gelebtem Leben” in seine Theologie gebracht und es „auf eine sehr konkrete Art verboten, der Legalist zu werden, der ich unter anderen Umständen hätte werden können”. Tiefe Schuldgefühle hätten ihm zum besseren Verständnis von „Gnade” verholfen. Karl Barths Kinder indes haben unter der angespannten Situation im Hause viel gelitten. Dennoch haben sie sich souverän zur Publikation der teils sehr intimen Korrespondenz zwischen dem Vater und der geliebten „Tante Lollo” entschlossen. Sichtbar wird eine „große unerfüllt-erfüllte Liebesgeschichte”. Barth öffnet sich seiner Geliebten so unverstellt wie gegenüber niemandem sonst, und so berichtet er rückhaltlos über Dritte, neue Einsichten, Selbstzweifel und existentielle Anfechtungen. Auch ohne ein ordentliches Theologiestudium entwickelt Lollo von Kirschbaum schnell klaren Sachverstand. Barths „Kirchliche Dogmatik”, der größte Texttorso der neueren Theologie, wäre ohne ihre stete Zuarbeit weniger weit gediehen. Angesichts der Fülle seiner kirchenpolitischen Aktivitäten zwingt Lollo den Geliebten zur Konzentration auf seine „theologische Existenz”.
Sentimentalität und politische Wachheit stehen nebeneinander. „Karlilein”Barth ist ein kundiger Mozart-Liebhaber, und so muss auch Lollo bald bei Mozart „heulen”. Niemals wird Mussolini erwähnt. Früh schon verbindet die Geliebten aber eine tiefe Verachtung des „Theaterpolitikers Hitler”. Hitler spiele Wotan, und Goebbels gebe nur „Wotans Mickymaus”. Barth hält die Deutschen für demokratieunfähig infolge der autoritären Staatsfrömmigkeit der Lutheraner. Seit der Revolution der Nationalsozialisten kämpft er gegen die „Gleichschaltung” der evangelischen Kirche. Aufbruchsbewegten „Gleichschältlingen” in Universitätstheologie und Kirche will Barth mit ruhiger theologischer Arbeit begegnen. Durch Berichte judenchristlicher Schüler nimmt man „das ganze Nichtarier-Elend” wahr, von alltäglicher Diskriminierung bis hin zur Vertreibung.
Gern wird gegen die „fürchterlichen” Lutheraner in Hannover und Bayern polemisiert. Denn der Balkan beginnt schon in Bayern, und die norddeutsche Tiefebene ist nur ein Resonanzraum des lutherischen Autoritätspathos. Hans Meiser, den ersten bayerischen Landesbischof, hält Barth für einen letztlich feigen Mann, dem es an theologischer Substanz fehle. Oft liefert Lollo emotionsdichte Berichte aus den Wirrnissen des innerprotestantischen Kirchenkampfes. „Meine Einblicke in das kirchliche Leben Bayerns sind trübe, sehr trübe.” Die Hundertjahrfeier der Münchner Matthäuskirche, ein großer Festakt im Odeon, erlebt sie als „schweigenden Verrat einer Kirche”: „Große Reden vom Ministerpräsidenten und Oberbürgermeister (beide in S.A.-Uniform!), vom Landesbischof, von Langenfaß” – seit 1930 Münchner Dekan – und anderen „Kirchenmännern”. „Keiner der Redenden hat das Niveau einer unglaubwürdigen bürgerlichen Feier überschritten. Hat man solche Situationen früher gelangweilt ertragen, so werden sie jetzt zur Schuld.” Ausführlich berichten sich die Geliebten über ihre Gespräche mit jüngeren Pfarrern wie Hellmuth Gollwitzer, Karl Gerhard Steck, Hellmuth Traub und Wolfgang Trillhaas. Diese jungen Lutheraner hatten bei Barth in Münster oder Bonn studiert und wollten ihn gegen „Deutsche Christen” und ein konfessionalistisches Autoritätsluthertum unterstützen. Das alles ist für Barth-Spezialisten oder Zeithistoriker des Kirchenkampfs in der NS-Zeit von Interesse.
Die gut kommentierten Briefe führen in ferne, versunkene protestantische Lebenswelten. Hier bleiben Pfarrer, ihre Familien und einige hochengagierte Gemeindeglieder weithin unter sich, in einem kirchlichen Eigenkosmos, in der die „Welt” oft nur verzerrt wahrgenommen wird. Intensiv gelebte Frömmigkeit äußert sich auch in Lebensgenuss. Akademische Theologie wird im kirchlichen Alltag ernst genommen, und Pfarrer wie gebildete Laien lesen viel und aufmerksam. Da beide oft auf Reisen sind, teilen Karl und Lollo einander auch kleinste Alltagsbegebenheiten mit; für die schwierige Lage, in die sie Nelly Barth gebracht haben, beweisen sie nur wenig Verständnis.
Zwar hat der junge Barth gern antibürgerliche Protestfahnen geschwenkt. Aber sein Lebensstil bleibt bildungsbürgerlich, auch wenn er Lollo dafür lobt, „meinen Abfall in die Zonen schweizerischer Bürgerlichkeit” zu verhindern. Oft haben sich gelehrte Deuter seiner Theologie gefragt, warum er, mit autoritärem Offenbarungspathos beginnend, in der jahrelangen Arbeit an der „Kirchlichen Dogmatik” zunehmend liberaler, menschenfreundlicher wurde. Dies dürfte viel mit der Konfliktkonstellation in seinem Leben zu tun haben, die er nicht aufzulösen vermochte. Im dichten Austausch mit Lollo entdeckt Karl Barth, dass sich gelebtes Leben in seiner bleibenden Ambivalenz und Widersprüchlichkeit auf keinen dogmatisch abschließenden theologischen Begriff bringen lässt. FRIEDRICH WILHELM GRAF
KARL BARTH, CHARLOTTE VON KIRSCHBAUM: Briefwechsel, Band I: 1925 bis 1935. Herausgegeben von Rolf-Joachim Erler. Theologischer Verlag Zürich 2008. XLVII und 591 Seiten, 100 Euro.
Schuldgefühle wegen Ehebruchs als Bereicherung des Denkens
Heulen bei Mozart und der Kirchenkampf im NS-Regime
Karl Barth (rechts, 1886-1968) mit Charlotte von Kirschbaum, seiner Zuarbeiterin und Geliebten. Foto: oh
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Kompliziert waren die Liebesverhältnisse des großen Theologen Karl Barth. Nachzulesen ist das nun in seinem Briefwechsel mit Charlotte von Kirschbaum, seiner Geliebten und Geistesgefährtin vieler Jahrzehnte. Als sie sich kennen, erkennen und lieben lernten, war Barth freilich längst verheiratet und hatte fünf Kinder. Seine Frau Nelly wollte von Scheidung nichts wissen, Barth konnte von Charlotte nicht lassen und so lebten sie - mit vielen Krisen, zu Anfang zumindest - zu dritt. Sehr gewogen scheint die Rezensentin Elke Pahud de Mortanges nach der Lektüre der überkommenen Karten und Briefe eigentlichen allen drei hier Beteiligten. Hoch interessant ist der Band nicht so sehr als Blick durch das Schlüsselloch in den Barthschen Haushalt, versichert sie zugleich, sondern als Einblick in die theologische Zusammenarbeit von Kirschbaum und Barth. Den Anteil der Geliebten an manchen der Bücher dürfe man, das zeige sich spätestens hier, keinesfalls unterschätzen. Darum kann die Rezensentin das Buch allen nicht nur am Privatmann, sondern auch und gerade am Theologen Barth Interessierten sehr empfehlen.

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