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Schräg, komisch, herzzerreißend, entwaffnend ehrlich: zehn Begegnungen nach dem Zufallsprinzip. Zehn Interviews, in denen die Schriftstellerin, Künstlerin und Filmemacherin Miranda July ebenso viel über sich selbst verrät wie über die Menschen, mit denen sie spricht.

Produktbeschreibung
Schräg, komisch, herzzerreißend, entwaffnend ehrlich: zehn Begegnungen nach dem Zufallsprinzip. Zehn Interviews, in denen die Schriftstellerin, Künstlerin und Filmemacherin Miranda July ebenso viel über sich selbst verrät wie über die Menschen, mit denen sie spricht.
Autorenporträt
Miranda July, 1974 in Barre (Vermont) geboren, ist Filmemacherin, Künstlerin und Schriftstellerin. Ihre Arbeiten wurden schon im Museum of Modern Art und an der Biennale in Venedig gezeigt. Bei den Spielfilmen 'Ich und du und alle, die wir kennen' (2005) und 'The Future' (2011) schrieb sie das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle. 'Zehn Wahrheiten', ihr Debüt als Autorin, wurde mit dem Frank O'Connor-Preis ausgezeichnet, dem bestdotierten Kurzgeschichtenpreis der Welt. Miranda July lebt in Los Angeles.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2012

Jeder Penny ein Leben
Hinter Facebook geht es weiter: Miranda July liest Kleinanzeigen und findet eine fremde Welt jenseits des Internets

Alle, wirklich alle lieben Miranda July. Sie sei eine der Glücklichen, die alles können, hieß es im "Guardian". Sie sei die Künstlerin der Stunde. Und weil die Filmemacherin, Schriftstellerin und Künstlerin, die in Los Angeles wohnt und diese Woche ihren 38. Geburtstag feierte, dann auch noch von ihrem Schriftstellerkollegen Dave Eggers verlegt wurde, für ihren Film "Ich und du und alle, die wir kennen" die Goldene Kamera für den besten Debütfilm in Cannes bekam und ihre Kunst auf der Biennale in Venedig zeigen durfte, verneigten sich erst recht alle vor ihr. Die Independent-Szene hatte einen neuen Star. Eine Art lebendiges Gesamtkunstwerk, das die Ungebundenheit und Selbstbezüglichkeit ihrer Generation verkörpert und zugleich aussieht wie aus einer vergangenen Welt, in ihren Vintagekleidern und mit ihren großen Augen im schönen, melancholischen Gesicht.

Ihr Film "The Future", zu dem sie parallel ein Reportagebuch geschrieben hat, das in dieser Woche erscheint, nervte trotzdem. Er lief letztes Jahr im Wettbewerb der Berlinale und im November in den Kinos. Auch er wurde gelobt. Warum, war aber nicht zu verstehen. Denn in der versponnenen Phantasiewelt von "The Future" war alles auf so aufdringliche Art verspult, verträumt und originell, dass man sich davon belästigt fühlte: Die Erzählerstimme war die einer Katze, von der Regisseurin selbst aus dem Off in den Kinosaal hineingekrächzt, ein gelbes T-Shirt mit "C'est la nuit"-Aufdruck entwickelte ein Eigenleben und robbte herum, die von der Regisseurin gespielte Protagonistin schlüpfte wie in einen Ganzkörpersack in dieses T-Shirt hinein und führte darin einen Ausdruckstanz vor, die Zeit wurde angehalten, der Mond bat um Hilfe beim Gezeitenschieben. Und dass Miranda July diesen Film, der von einem Paar Mitte dreißig erzählte, das aus Angst vor dem Alter beschloss, Entscheidungen zu treffen, selbst einen Horrorfilm nannte, war nicht etwa lustig, sondern vor allem kokett.

Mit "Es findet dich", dem Buch, das sie parallel zum Drehbuch von "The Future" geschrieben hat, verhält es sich allerdings anders. Und das ist überraschend. Es ist ein schönes Buch mit einer klaren, direkten und sehr schnörkellosen Sprache. Es hat nichts von der Nerdhaftigkeit und aufdringlichen Verträumtheit des Films. Buch und Film überschneiden sich. Aus dem Buch entspringt eine Filmfigur. Trotzdem sind es zwei völlig unterschiedliche Projekte. Vielleicht ist es also gar nicht so, dass man den einen, unverkennbaren Miranda-July-Ton beschwören kann, wie es die Kritik bisher immer getan hat. Vielleicht kann man die Autorin Miranda July mögen, die Regisseurin Miranda July aber nicht.

"Es findet dich" ist ein Reportagebuch über verborgene Existenzen in Los Angeles. Über jene, denen Miranda July, wie sie selbst sagt, unter gewöhnlichen Umständen nie begegnen würde, weil die Stadt es nicht zulässt, die keine Stadt für Fußgänger ist und in der es auch kein nennenswertes U-Bahn-System gibt. Es sind Menschen, die im "Penny-Saver" Kleinanzeigen aufgeben, um eine alte Lederjacke zum Verkauf anzubieten, Original-Saris aus Indien für fünf Dollar das Stück, Ochsenfrosch-Kaulquappen für zwei Dollar fünfzig oder selbstgezüchtete Bengal-Leopardenbabys. Für sie kommt es tatsächlich auf jeden Penny an.

Immer dienstags erscheint das Kleinanzeigenblatt. Miranda July beschließt, mehr über die Inserenten in Erfahrung zu bringen, die hier zu Kleingeld kommen wollen. Sie wählt also die angegebenen Nummern und fragt, ob sie vorbeikommen könne, nicht so sehr wegen der angebotenen Ware, sondern mit Assistent und Fotografin, um ein Interview zu führen, für das sie ihnen fünfzig Dollar bietet. Viele sagen zu, aus Neugierde oder Geldnot. Und so kommt sie in die erstaunlichsten Wohnungen zu den erstaunlichsten Leuten, die sie, beglückt über so viel Aufmerksamkeit, oft gar nicht mehr gehen lassen wollen.

Da öffnet ihnen Michael die Tür, ein Mann Ende sechzig, bullig, breitschultrig, brombeerfarbene Bluse, Busen und lachsrosa Lippenstift, der im Leben nur noch einen Wunsch hat: seine Geschlechtsumwandlung abzuschließen. Da hört Ron nicht auf zu reden, der irgendwann sein Hosenbein hochzieht und darunter eine elektronische Fußfessel sehen lässt. Oder Domingo, der in seinem Zimmer in großen beschrifteten Umschlägen Fotos von Babys, Fotos von Gefängnissen, Fotos von hübschen Mädchen und Innenaufnahmen von Polizeistreifenwagen sammelt. Unzählige. Alles ist voll davon.

"Haben Sie einen Computer?", fragt Miranda July die "Penny-Saver"-Helden in ihren Interviews, welche im Buch neben den vielen Fotos den Fluss der Ich-Erzählung als Dialoge unterbrechen. Keiner von ihnen hat einen. Sie wundert sich auch nicht darüber, im Gegenteil. Wer einen Computer hat, würde nicht in der Printausgabe des "Penny-Saver" annoncieren. Er hielte sich an einen der Online-Dienst im Internet.

Die Offline-Welt markiert im Buch die größtmögliche Entfernung zum eigenen Leben. Ihr sei die Welt außerhalb des Internets immer ferner geworden, während alles im Netz von weltbewegender Wichtigkeit sei, schreibt Miranda July und analysiert damit einmal mehr die Selbstbeschränkungen der Generation Facebook. Die Blogs von Fremden müssten täglich gelesen werden, während Menschen, die keine Webpräsenz haben, ihr fast wie Zeichentrickfiguren vorkamen, als fehle ihnen eine Dimension. Eigentlich, schreibt sie, wolle sie immer nur eins wissen. Nämlich wie andere Menschen durchs Leben kommen und wie sie es Stunde für Stunde mit ihrem Körper aushalten. Der "Penny-Saver" wird ihr zum Vehikel für Exkursionen ins Offline-Leben: Raus aus den selbstgesetzten Grenzen der eigenen Welt, aus der "eigenen Kleinstversion", der "Schutzhaubenversion von L. A.", wie sie es nennt. Und rein in die Wohnungen derer, die bereit sind, ihre Türen zu öffnen.

Dass sie für einen der "Penny-Saver"-Inserenten am Schluss auch ihre Welt öffnet und ihn einlädt, in ihrem Film mitzuspielen, ist im Buch eine schöne Pointe. Es ist Joe, der fünfzig wiederverwendbare Weihnachtskarten für einen Dollar pro Stück annonciert hatte. Kurz nach Ende der Dreharbeiten stirbt er an Krebs. Miranda July setzt ihm im Buch ein Denkmal. Er ist eins der Gesichter, mit denen Los Angeles für sie größer geworden ist. Auch der Film setzt ihm ein Denkmal. Nur sind Miranda Julys protokollierte Exkursionen ins wirkliche Leben so viel besser als ihre Verdichtung zur Filmfiktion.

JULIA ENCKE

Miranda July: "Es findet dich". Übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Mit Fotografien von Brigitte Sire. Diogenes-Verlag, 224 Seiten, 22,90 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Einen ganz entscheidenden Vorteil weist dieser parallel zum Drehbuch ihres letzten Films entstandener Gesprächsband gegenüber Miranda Julys übrigen Romanen und Filmen auf, findet Rezensentin Elisabeth Forster: Projizieren jene eine Vielzahl von "Spleens und Neurosen" auf wenige einzelne und damit konstruiert wirkende Figuren, finden sich im Buch die Ticks gleichberechtigt auf viele, dafür aber echte Menschen verteilt. Kennengelernt hat Miranda July ihre Gesprächspartner, indem sie auf deren teils kuriose Kleinanzeigen im "Pennsayer"-Heft reagiert  und mit ihnen ins Plaudern gekommen ist. Entdeckt habe die Autorin dabei Menschen in "unendlicher Einsamkeit", die die Leere ihres Lebens "mit den absurdesten Dingen" füllen. Besonders schätzt die Rezensentin Julys Talent, tragikomische Geschichten "aufzuspüren", sehr gerne verzichtet hätte sie allerdings auf die eingestreuten Lebensweisheiten der Autorin zwischen den einzelnen Gesprächen.

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