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Am 2. August 1902 wird der Priester und Publizist Heinrich Federer (1866 - 1928) auf der Stanserhornbahn in Nidwalden festgenommen. Es besteht Verdacht auf "widernatürliche Befriedigung des Gechlechtstriebes, begangen an einem zwölfjährigen Knaben". Der von Pirmin Meier aufbereitete "Fall Federer" ist ein feinfühlig erzählter historischer Report um Knabenliebe, Katholizismus und Urschweiz, haarsträubender als jede Erfindung.

Produktbeschreibung
Am 2. August 1902 wird der Priester und Publizist Heinrich Federer (1866 - 1928) auf der Stanserhornbahn in Nidwalden festgenommen. Es besteht Verdacht auf "widernatürliche Befriedigung des Gechlechtstriebes, begangen an einem zwölfjährigen Knaben".
Der von Pirmin Meier aufbereitete "Fall Federer" ist ein feinfühlig erzählter historischer Report um Knabenliebe, Katholizismus und Urschweiz, haarsträubender als jede Erfindung.
Autorenporträt
Pirmin Meier, geboren 1947 in Würenlingen/Kanton Aargau. Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Bisher erschienen u.a: "Paracelsus - Arzt und Prophet" (1993; pendo pocket 1998), "Die Einsamkeit des Staatsgefangenen Micheli du Crest" (Pendo 1999).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Michael Gassmann würdigt Pirmin Meiers erzählerische Recherche als "Sittengemälde in den Farben Schweizertum, Knabenliebe, Katholizismus und Naturburschenkult". Wie der Rezensent ausführt, rollt der Autor darin den Fall Federer auf. Heinrich Federer war einer der führenden Schriftstellers und Journalisten der katholischen Schweiz im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts. Diesem Mann, der 1928 als hochgeehrter Schriftsteller starb, wurde 1902 ein zweifelhafter Prozess wegen Päderastie gemacht; er unterlag in erster Instanz, erreichte jedoch in der zweiten, dass der Vorwurf auf Erregung öffentlichen Ärgernisses beschränkt wurde - nach dem Prozess konnte er jahrelang weder beruflich noch privat Fuß fassen, referiert Gassmann. Es sei eine tragische, aber kurze Geschichte, die Meier als Chronist der Versuchung auf dreihundertdreißig Seiten erzähle. Obwohl dokumentarisch angelegt, findet sie Gassmann - Meiers Gespür für die vielen historischen, politischen und menschlichen Facetten der Geschichte sei Dank - "brillant romanhaft" gelungen.

© Perlentaucher Medien GmbH"

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Kopfkissenschlacht, ja, ja
Heinrich Federer litt katholisch / Von Michael Gassmann

Pirmin Meier haben es "Fälle" angetan. Erst im letzten Jahr ist seine Doppel-Biographie über den homosexuellen Totschläger Franz Desgouttes und den Glarner Damenhutmacher Heinrich Hössli erschienen ("Mord, Philosophie und die Liebe der Männer"). Lebemann Desgouttes hatte seinen ihn verschmähenden Liebhaber erstochen und nutzte die Zeit in der Zelle vor seiner Hinrichtung 1817 zur Dokumentation seines exzessiven Lebens. Der philosophische Autodidakt Hössli brachte sich in den Besitz der Niederschrift und ließ sich von ihr zu einer Studie über die Homosexualität inspirieren. 1836 verbot die Glarner Regierung "Eros oder Die Männerliebe der Griechen" als Schund.

Meiers "Fälle" sind Exemplare randständiger Biographien - Lebensabrisse einsamer Einzelgänger. Der Schweizer Autor, der als Gymnasiallehrer im luzernischen Beromünster arbeitet und seit Jahren nach Dienstschluß in einer Mansarde in Rickenbach seine Bücher schreibt (auch Biographien über Paracelsus und Nikolaus von Flüe gehören dazu), hat sich jetzt Heinrich Federer vorgenommen.

Federer, der führende Schriftsteller und Journalist der katholischen Schweiz im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts, versündigte sich vor nunmehr genau hundert Jahren an einem elfjährigen Knaben - so sahen es jedenfalls seine Gegner, die gegen ihnen einen Prozeß wegen Päderastie (ein Wort, das freilich kaum einer der Ankläger korrekt schreiben konnte) anstrengten. Federer selbst stritt ab, unterlag aber in erster Instanz; erst in der zweiten konnte er das Gericht dazu bewegen, den Vorwurf auf die Erregung öffentlichen Ärgernisses zu beschränken.

Nur um den "Fall" Federer ist es Pirmin Meier zu tun, nicht um den Theologen und Schriftsteller, den Verfasser des "Mätteliseppi", des "Pilatus", der Erzählung "Papst und Kaiser im Dorf" und den Autor zahlreicher Erzählungen aus Italien. Der Erfolg des Schriftstellers, der 1928 hochgeehrt starb, gibt nur die Folie ab für die Tragödie eines einsamen Herzens. Mit der Beerdigung Heinrich Federers eröffnet Meiers "erzählerische Recherche", mit der Ehrung durch seinen Heimatort Brienz ein gutes halbes Jahr vor seinem Tod schließt sie. Dazwischen ereignet sich die Geschichte einer Verfehlung und ihrer tragischen Konsequenzen.

Kaplan Federer, Redaktor der "Neuen Zürcher Nachrichten", diente der Familie des Architekten Gustav Adolf Brunner in Zürich im Jahre 1902 als Hauslehrer ihres Sohnes Emil. Das Verhältnis zwischen Emil und dem damals fünfunddreißigjährigen Federer war herzlich, und so wünschte sich der Schüler nichts sehnlicher, als daß sein Lehrer der Familie in den Sommerurlaub ins Kurhaus Sonnenberg in Seelisberg folgen möge. Ende Juli besucht Federer die Brunners in der Tat und verabredet mit Emil einen Ausflug zum Hotel Stanserhorn, um von dort Wanderungen zu unternehmen. Die beiden reisen aufs Stanserhorn und nehmen daselbst ein Doppelzimmer, obwohl ein Mitarbeiter des Hotels zwei Einzelzimmer angeboten hatte. In der Nacht begehrt der Knabe, da ihn friert, Federer möge unter seine, Emils, Bettdecke kriechen. Federer, dem in dieser Nacht Gewußt wird, welch starke emotionale und erotische Anziehungskraft Emil auf ihn ausübt, gibt dem Ansinnen statt.

Am frühen Morgen, nachdem der asthmakranke Kaplan zunächst wieder sein eigenes Bett aufgesucht hat und beide einige Stunden geschlafen haben, möchte Emil "Burenkrieg" spielen, lautstark, mit Kissenschlacht und Körperkontakt. Die Tür zum Nebenzimmer hat einen Spalt im Holz. So gelingt es dem Zimmernachbarn Hermann Gottlieb Strehler von Knonau, vom Lärm aufgeschreckt, das Treiben der beiden ausschnittsweise zu beobachten. Er deutet, was er sieht, als unsittliches Treiben, und das Unglück nimmt seinen Lauf. Hotelier Bucher wird eingeschaltet, die Verhaftung organisiert man drunten an der Talstation der Stanserhornbahn - damit im Hotel selbst kein Aufhebens gemacht werde. Federer wird arretiert, verliert seinen Posten bei der Zeitung, fällt bei der Kirche in Ungnade, wird allerorten zur Persona non grata. Nach dem Prozeß kann er jahrelang beruflich und privat nicht mehr Tritt fassen. Ein tabellarischer Lebenslauf vermerkt für die Jahre 1902 bis 1910 lakonisch: "als freier Schriftsteller in Zürich, ohne geregelten Verdienst".

Es ist eine tragische, aber kurze Geschichte, die Pirmin Meier als Chronist der Versuchung auf dreihundertdreißig Seiten erzählt. Daß sie ihm, wiewohl dokumentarisch angelegt, so brillant romanhaft gerät, liegt an Meiers sicherem Gespür für die vielen historischen, politischen und menschlichen Facetten der Geschichte. Vor allem ist es die Thomas Mannsche Größe des Stoffes, halb Zauberberg, halb Tod in Venedig, die ihn inspiriert: Neben die asthmakranke, hochprekäre, homoerotisch angefochtene Künstlernatur - die dennoch ein Naturburschentum zu pflegen sich einredet - und den verführerisch-herrischen Knaben läßt Meier die Fortschrittsmänner der Zeit als personifizierte Gesundheit treten: Insbesondere Hotelier Josef Bucher vom Stanserhorn kommt uns als Kraft- und Tatmensch entgegen, ein maßlos erfolgreicher Unternehmer und gründerzeitlicher Allbezwinger.

Meiers glänzende erzählerische Recherche ist ein Sittengemälde in den Farben Schweizertum, Knabenliebe, Katholizismus und Naturburschenkult. Die katholische Atmosphäre aus Angst und Leidenschaft verdichtet Meier, indem er die Daten seiner Erzählung beständig mit dem Heiligenkalender abgleicht; die furchtbar zugerichteten, den schrecklichsten Prüfungen unterzogenen Märtyrer werden so zu Vorbildern und Gewährsmännern der Federer-Geschichte.

Alles, was nach dem Fall im doppelten Sinne kam, ist für Meier ein allmählich heller tönender Nachklang: der literarische Durchbruch Heinrich Federers mit der Erzählung "Vater und Sohn im Examen" im Jahre 1910, die ihm einen hochdotierten Preis bei einem Wettbewerb einbringt; die Berner Ehrendoktorwürde 1919; den Gottfried-Keller-Preis 1924; die Feiern zum sechzigsten Geburtstag 1926, mit denen die Schweiz einen ihrer bedeutendsten Schriftsteller ehrt. Unter der schützenden Hülle wiedererlangter gesellschaftlicher Reputation brodelt es indes weiter: Federer hört nicht auf, für Knaben zu schwärmen. Ihre Namen sind bekannt, und sie alle lassen auf ihren väterlichen Freund nichts kommen. Die Stunden der Versuchung verstreichen ohne Sündenfall.

Pirmin Meier: "Der Fall Federer". Priester und Schriftsteller in der Stunde der Versuchung. Eine erzählerische Recherche. Ammann Verlag, Zürich 2002. 399 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

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