Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 13,99 €
Produktdetails
  • Verlag: Styria
  • Seitenzahl: 718
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 1600g
  • ISBN-13: 9783222127700
  • ISBN-10: 3222127700
  • Artikelnr.: 25996584
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2001

Ein selbstbewußtes Bundesland
Stefan Karners facettenreiche jüngere Geschichte der Steiermark

Stefan Karner: Die Steiermark im 20. Jahrhundert. Politik Wirtschaft Gesellschaft Kultur. Styria Verlag, Graz 2000. 718 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 68,- Mark.

Wer in die Steiermark kommt, bemerkt rasch das von vielen ihrer Bewohner auf der Zunge getragene "Sonderbewußtsein"gegenüber anderen österreichischen Bundesländern, vor allem gegen Wien. Die Chiffre Wien steht dabei weniger für die Stadt an sich, sondern vielmehr für die von vielen Steirern empfundene hauptstädtische Arroganz ihrer Bewohner sowie für Bundesbehörden und -institutionen. Diese Empfindungen teilen sie mit Vorarlbergern, Tirolern und Kärntnern. Die Abneigung gegen den Wiener "Wasserkopf", über Generationen kultiviert, wächst offenbar proportional zur Entfernung von der Hauptstadt. Es "denen in Wien" zu zeigen oder sich "von den Gscherten in Wien" dies und das nicht bieten zu lassen - so mancher Wahlkampf wurde damit seit 1955 bestritten, als mit dem Staatsvertrag die Besatzungsmächte abzogen und Österreich seine Souveränität wiedererlangte.

Manche Modernitätsschübe für ganz Österreich nahmen in der Steiermark ihren Ausgang, sowohl in der Monarchie als auch in der Ersten und Zweiten Republik. Das gilt für wirtschafts- und gesellschaftspolitische Entwicklungen ebenso wie auf kulturellem Gebiet. Weder die Amputation der Untersteiermark nach dem Ersten Weltkrieg mit all ihren Folgen, welche später die nationalsozialistische Herrschaft (1938 bis 1945) zeitigte, noch das Jahrzehnte währende Grenzlanddasein konnten die Bedeutung der Steiermark als österreichischer Wirtschaftsfaktor schmälern.

Im Gegenteil: Aus der gebirgigen Obersteiermark, dem nördlichen Landesteil mit seinen reichen Bodenschätzen und bedeutenden Industrien, der dem Land auch den Namen "Eherne Mark" eintrug, gehen seit dem enormen Umstrukturierungsprozeß der vergangenen Jahrzehnte heute Spitzenerzeugnisse in die ganze Welt. Montanindustrie und Montanuniversität Leoben stehen gleichsam synonym dafür. Graz hat sich zu einem bedeutenden Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturzentrum entwickelt. Von befruchtender Wirkung weit über ihre Mauern hinaus sind die Festivals "styriarte" und "steirischer herbst".

Die Steiermark der Nachkriegszeit brachte bedeutende Politiker hervor, die selbstredend darauf aus waren, dem gängigen Erscheinungsbild aus Trachtenan- und -umzügen - noch heute ist ein Landesrat (Minister) für die Blasmusik zuständig - ein komlementäres beizufügen, das Weltoffenheit zum Programm erhob. Zwei der legendärsten, die Landeshauptleute (Ministerpräsidenten) Josef Krainer Vater und Sohn, regierten das Land beinahe so wie jene Grafen, Fürsten und Herzöge, die es achthundert Jahre zuvor geformt hatten. Das Wirken dieser beiden ÖVP-Politiker mit positiven wie negativen Ausstrahlungen auf die Bundespolitik mitsamt der Bundes-ÖVP wäre vermutlich ohne die Konkurrenz zu ihren mehr oder weniger kongenialen SPÖ-Gegenspielern und "Mitregenten" - die Landesverfassung schreibt die Beteiligung aller Parteien im Verhältnis ihrer Stärke im Landtag an der Regierung vor - Alfred und Peter Schachner-Blazizek (ebenfalls Vater und Sohn) gar nicht denkbar.

Was lag angesichts der Vielschichtigkeit zwischen alpiner Hochgebirgszone und mediterranem Hauch des Südens ("steirische Toskana") näher, als sich das Land in einer Art zeitgeschichtlicher Gesamtschau anzuverwandeln? Der Grazer Historiker Karner hat das von der Landesregierung 1996 beschlossene Vorhaben unter Mitwirkung anderer Wissenschaftler in die Tat umgesetzt.

Die vorliegende Publikation zeichnet eine hundertjährige politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung nach, streift das historische Geschehen davor, so es zur Erhellung unabdingbar ist, und führt manche nebensächlich scheinenden Facetten kleinräumlicher, aber Bedeutung tragender Existenz- und Lebensformen zusammen. Dabei wird erfreulicherweise auch mit Tabus aufgeräumt, beispielsweise mit der von bestimmten politischen Kreisen aus allzu durchsichtigen Motiven wenn nicht gänzlich geleugneten, so doch in Zweifel gezogenen Existenz ethnischer slowenischer Spuren in der Südsteiermark, auf die sehr wohl der Volksgruppenschutzartikel VII des Staatsvertrags von 1955 anzuwenden ist.

Karner hat "Die Steiermark im 20. Jahrhundert" eindrücklich nachvollziehbar periodisiert. Der Zeit bis zum Zusammenbruch der Donaumonarchie im Jahre 1918 folgt die Phase der Ersten Republik und des "Austrofaschismus" bis zum "Anschluß" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland (1938) mit ihren sozialökonomisch bestimmten Umbrüchen und Wirren. Gerade in der Steiermark war das Moment der "Selbstnazifizierung" (etwa Graz als "Stadt der Erhebung") groß. Aber es gab auch ein - bald eliminiertes - widerständiges Potential.

Nach 1945 folgt die Phase der Not und des Wiederaufbaus unter britischer und sowjetischer Besatzung bis zum Staatsvertrag: Die aus Jugoslawien Vertriebenen waren einzugliedern, und es mußte sich gegen jugoslawische Übergriffe und Annexionsversuche gewehrt werden. Die Jahre von 1955 bis zum Zerschneiden des "Eisernen Vorhangs" 1989 sind gekennzeichnet von Wirtschaftsaufschwung und Rückschlägen wegen der Strukturkrise im obersteirischen Montanrevier. Allmählich belebte sich auch der zuvor "tote" Grenzraum zum nunmehrigen souveränen Nachbarn Slowenien, der sich als erster aus dem 1919 entstandenen südslawischen Staat löste.

Im Ergebnis ist ein voluminöses, material- und bilderreiches Werk entstanden, das einem breiteren Publikum und Interessentenkreis auch außerhalb der Steiermark schon deswegen zu empfehlen ist, als es sich durch klare Gliederung und ein höchst erfreuliches Maß an Eingängigkeit auszeichnet, zu dem die Verständlichkeit der Darstellung sowie die leichte Erschließung über ein vorzügliches Orts-, Firmen- und Personenregister das Ihre beitragen.

REINHARD OLT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Reinhard Olt zeigt sich recht angetan von diesem Band, den er auch einem "breiteren Publikum" empfehlen kann. Dies liegt nicht nur daran, dass es sich hier - wie der Leser erfährt - um ein sehr inhaltsreiches und ausgiebig bebildertes Buch handelt, sondern auch, weil es sich nach Ansicht Olts durch seine gute Gliederung und Lesbarkeit auszeichnet und darüber hinaus ein "vorzügliches Orts- Firmen- und Personenregister" enthält. Doch zunächst referiert Olt recht ausführlich die Geschichte der Steiermark und ihre Besonderheiten, etwa in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Karner habe, wie Olt begrüßt, den historischen Kontext stets beleuchtet, wenn es für das Verständnis erforderlich war und auch "manche nebensächlich erscheinenden Facetten" betrachtet, die bei genauerem Hinsehen doch von Bedeutung sind. Dass der Autor auch mit so manchem "Tabu" aufgeräumt habe, etwa der oft bezweifelten "Existenz ethnischer slowenischer Spuren in der Südsteiermark", gehört für den Rezensenten zu den ausgemachten Stärken dieses Bandes.

© Perlentaucher Medien GmbH