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Adolf Hitler plante in seiner Heimatstadt Linz ein großes Museum, das "Führermuseum". Zum Aufbau der Museumssammlung wurde 1939 der sog. Sonderauftrag Linz installiert, der in Österreich und den besetzten Ländern aus beschlagnahmten und "sichergestellten", vor allem jüdischen Sammlungen Gemälde aussuchte und auch auf dem Kunstmarkt ankaufte. Alle Publikationen über das "Führermuseum" haben sich im Wesentlichen mit den kriminellen Aneignungsmethoden des Sonderauftrags Linz beschäftigt, deren Folgen bis heute die Museums- und Kunstwelt in Europa und Amerika erschüttern. Das vorliegende Buch ist…mehr

Produktbeschreibung
Adolf Hitler plante in seiner Heimatstadt Linz ein großes Museum, das "Führermuseum". Zum Aufbau der Museumssammlung wurde 1939 der sog. Sonderauftrag Linz installiert, der in Österreich und den besetzten Ländern aus beschlagnahmten und "sichergestellten", vor allem jüdischen Sammlungen Gemälde aussuchte und auch auf dem Kunstmarkt ankaufte. Alle Publikationen über das "Führermuseum" haben sich im Wesentlichen mit den kriminellen Aneignungsmethoden des Sonderauftrags Linz beschäftigt, deren Folgen bis heute die Museums- und Kunstwelt in Europa und Amerika erschüttern. Das vorliegende Buch ist ein entscheidender Beitrag zu einer systematischen und wissenschaftlichen Bearbeitung der Museumsplanungen und des Bestandes sowie der Geschichte des Sonderauftrags. Es stellt erstmalig die wichtigste Bildquelle zum Linzer Museum vor: die 19 erhaltenen von ehemals 31 Fotoalben, die Hitler in regelmäßigen Abständen vom Sonderauftrag überreicht wurden und ihm Rechenschaft über den Stand der Sammeltätigkeit gaben. Die darin enthaltenen gut 900 Kunstwerke werden abgebildet, im Katalog identifiziert und mit Angaben zur Provenienz versehen, welche ihre jeweilige Geschichte vom Zugriff Hitlers bis zur Restitution nach dem Zweiten Weltkrieg nachzeichnen. Die Alben zeigen die Galerie in statu nascendi und machen damit die Sammlungsgeschichte transparent. Darüber hinaus lassen Inhalt und Anordnung der Fotosammlung Rückschluss auf die geplante Struktur des Museums zu. Damit wird der Blick frei auf einen bisher vernachlässigten Aspekt der Kulturpolitik des Nationalsozialismus: Hitlers Museumspolitik. Die in der Publizistik bis heute dominierende Vorstellung vom "größten Museum der Welt" gibt sich als ein Mythos zu erkennen.
Autorenporträt
Die Kunsthistorikerin Birgit Schwarz ist Expertin für Adolf Hitlers Kunstverständnis und Kunstsammelaktivitäten, für das "Führermuseum Linz" und "Sonderauftrag Linz", den NS-Kunstraub und die NS-Museumspolitik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2004

Der geraubte Glanz
Birgit Schwarz gibt neue Aufschlüsse über Hitlers Linzer Museum

Um das "Führermuseum", Hitlers ehrgeiziges Sammlungsprojekt in Linz an der Donau, wuchern noch heute wilde Gerüchte und Legenden. Birgit Schwarz spricht von "Mythen", die den Blick auf den Kern, die Sammlung selbst, verschleiern. Vollends verunklärt sich dadurch das Bild, daß sich die Vorstellung vom Linzer Bestand  mit all dem Kunstgut vermengte, welches 1944 in das Salzbergwerk von Altaussee geschafft, hier bei Kriegsende von den Alliierten sichergestellt und später größtenteils restituiert wurde. Schließlich wurde der Fundus vielfach verwechselt mit dem Bestand aus dem Münchner "Führerbau"-Depot. Das Ziel der Studie von Birgit Schwarz ist die Aufklärung dieser Nebel und eine möglichst genaue Rekonstruktion des Projekts. Bei ihren Recherchen stieß die Kunsthistorikerin, die in Wien lebt, im Jahr 2000 in der Oberfinanzdirektion in Berlin auf die Fotoalben, die vor allem die Gemälde dokumentieren. In Beiträgen für diese Zeitung hat sie früh auf die Funde aufmerksam gemacht. Die Existenz der Bände war bekannt. Doch war diese wichtigste Bildquelle nie systematisch erforscht, ausgewertet und publiziert worden.

 All das holt das Buch mit bemerkenswerter Präzision nach. Sein wichtigster Teil ist der kritische Katalog im Anhang, der nicht nur sämtliche Seiten der 19 überlieferten Alben (von ursprünglich 31) reproduziert, sondern auch die Geschichte jedes einzelnen der rund tausend Werke nachzeichnet: wo es herstammt, wo und wie es akquiriert, also gekauft, enteignet, erbeutet, geraubt wurde und ob es nach 1945 an die Besitzer oder Erben zurückerstattet wurde. Das Buch versteht sich nicht primär als Beitrag zur Provenienzforschung,  aber liefert doch umfassendes Material für die hochdramatische Rückgabe-Debatte. Es zeigt, daß das meiste, auch wenn es zu marktgerechten Preisen erworben war, unter dem Druck der Alliierten restituiert wurde. Die brennendste Frage bleibt, was unter den repressiven und gewaltsamen Bedingungen des Dritten Reiches im Inland wie im besetzten Ausland überhaupt als legal anzusehen ist.

 Hitlers Kunstpaladine verfertigten 31 Alben, banden sie in feierlich-düsteres Ziegenleder und versahen die eingeklebten Fotos handschriftlich mit den Bildtiteln: Sie wurden dem "Führer" Jahr für Jahr zum Geburtstag, zu Weihnachten und zum Jahrestag des Münchner Putsches überreicht. Das Projekt war ihm als "Sonderauftrag Linz" persönlich unterstellt. Es hatte höchste Autorität. Im Juni 1938 dekretierte Hitler den "Führervorbehalt", der  seinen Kuratoren bei allen Fischzügen, also bei allem, was auf den Markt kam oder was die Enteignung, Vertreibung, Deportierung und Ermordung jüdischer Sammler "erbrachte", den ersten Zugriff sicherte. Im November folgte eine Verordnung über die Einziehung "volks- und staatsfeindlichen Vermögens", womit sich das Stiftungsmodell, wie die Autorin schreibt, sogleich in ein "Kunstraubprojekt" verwandelte.

Hitler nahm leidenschaftlich Anteil am Aufbau der Sammlung. Er entflammte sich hier wie sonst nur noch bei seinen Bauprojekten. In den Jahren 1938/39, vor der Berufung des ersten "Direktors", war Hitler, wie Schwarz nachweist, sogar "sein eigener Museumskurator". Stets brannte der Diktator darauf, den schnell wachsenden Bestand zu sehen. Er war im Münchner "Führerbau" deponiert, wurde aber von vorneherein auch auf österreichische Schlösser und Klöster verteilt. Mehrmals sind Ausstellungsprovisorien erwogen worden. Den Museumsbau, von Hitler selbst skizziert, sollte Albert Speer übernehmen. Das Jahr 1950 war für die Eröffnung vorgesehen. Die Alben mit jeweils fünfzig Neuerwerbungen mußten bei Hitler die leibhafte Anschauung ersetzen, sie bildeten also das Provisorium. Das Inventar der elf verlorenen Bände läßt sich dank eines Inhaltsverzeichnisses, das nach den ersten zwanzig Bänden verfertigt wurde, größtenteils rekonstruieren.

 Zu den Mythen, die Schwarz revidieren kann, gehört auch die Vorstellung eines megalomanen, nimmersatten Kunstbesessenen, der das "größte Museum der Welt" geplant habe. Hitler unterschied sich deutlich vom gierigen Parvenü Göring. Er dachte zunächst zur Aufwertung seiner Heimat Linz (und zur Schwächung des ungeliebten Wien) an ein Museum, das sich in Größe, Qualität und Programm zwischen den Münchner und Wiener Sammlungen behaupten sollte. Hermann Voss, nach Hans Posse der zweite Projektleiter, gab 1945 im "Linz-Report", dem Protokoll wochenlanger Verhöre der sechzehn Hauptbeteiligten durch die Alliierten, als Leitmodell sogar nur eine Sammlung im Maßstab von Städel oder Wallraf-Richartz-Museum an. Gedacht war an ein Konzentrat, der Rest sollte über die Museen der "Ostmark" verteilt werden. Zu revidieren ist auch die Vorstellung von Hitlers schlechtem Geschmack, der die Linzer Sammlung geprägt habe. Die beauftragten Experten gewährleisteten ein hohes Niveau.

Der Kunsthändler Karl Haberstock, Hitlers Vertrauensmann, empfahl als ersten Leiter den Dresdner Galeriedirektor Hans Posse. Wegen seines Engagements für die Moderne, besonders für seinen Freund Kokoschka (den Erzfeind Hitlers), war Posse 1939 in Dresden gerade entlassen worden. Nach einer Führung durch die Sempergalerie war Hitler von ihm so beeindruckt, daß er die Demission rückgängig machte. Er band den Kunsthistoriker eng an sich, bewilligte ihm Traumetats - allein im Jahr des Triumphes 1940 war das eine Million Reichsmark - und sicherte ihm überall die erste Wahl. Unter Posses Einfluß zügelte der Diktator seine Maßlosigkeiten, ja fügte sich seinem Urteil. Schwarz schildert plastisch eine Szene vom 11. April 1940, dem Tag der Besetzung Dänemarks und Norwegens:  Hitler hatte Posse am Vorabend zum Essen gebeten, er lud ihn für den nächsten Tag zur Besichtigung der Reichskanzlei ein, führte ihn persönlich und besprach dabei seelenruhig Neuerwerbungen, während rundum im Haus die Dienststäbe und Militärs rotierten.

Falsch ist auch die Legende von der Geheimhaltung der Linzer Sammlungskampagne. Nach Stalingrad und der Kriegswende warb Hitler demonstrativ mit dem Projekt für sich, um das Bürgertum bei Laune zu halten. Ende 1942 war der krebskranke Posse gestorben. Er wurde im Dresdner Zwinger aufgebahrt, Goebbels mußte beim angeordneten Staatsakt reden. Auf Wunsch Hitlers publizierte "Das Reich" einen Aufsatz über das Linzer Projekt aus der Feder von Robert Oertel, Posses Adlatus. Als Nachfolger waren Ernst Buchner, der Münchner Museumschef, offenbar auch Erhard Göpel, Hitlers "Chefeinkäufer" in Holland, im Gespräch. Doch berufen wurde Hermann Voss, Posses Nachfolger auch in Dresden, der weit expansiver sammelte, dazu ein verzweigtes Agenten- und Zulieferer-System entwickelte, aber, so die Autorin, im Blick auf den sich abzeichnenden Untergang sich weniger engagiert zeigte. Voss errang bei Hitler nie die Stellung und das Ansehen Posses.

Die Durchsicht der hier publizierten etwa tausend Werke bestätigt die Qualität der Linzer Sammlung. Ihre Grundpfeiler sind Renaissance und Barock und auf der Gegenseite das deutsche neunzehnte Jahrhundert. Der  Kanon der "Alten Meister" ist nicht chauvinistisch verzerrt. Herausragend sind Bilder von Holbein, Huber, dem alten Brueghel, von Tizian, Bordone, Veronese und Tintoretto (allein von ihm 13 Bilder), von Rubens, van Dyck und Jordaens, von Frans Hals, Rembrandt und Ruisdael, von Watteau und Boucher. Die Glanzstücke sind zwei Bilder Vermeers: der berühmte "Maler in seinem Atelier" (wohl "legal" für 1,6 Millionen Reichsmark 1940 von der Erbengemeinschaft Czernin gekauft) und der "Astronom", ein Beutestück aus Pariser Rothschild-Besitz. Goya gehörte noch in den Kanon. Im neunzehnten Jahrhundert herrscht purer Nationalismus. Hitler kam nicht über den wilhelminischen Geschmack hinaus. So gibt es keine Spur von den großen Franzosen. Die Deutschen, darunter penetrant die Münchner Kleinmeister, sollten in Linz das ganze Obergeschoß füllen. Einzig Hans von Marées fehlt: Er war als Halbjude verfemt.

 Der partienweise hohe Rang kann das Linzer Unternehmen nicht nobilitieren. Die Umstände seiner Entstehung waren kriminell. Der Glanz war geraubt, der Markt erzwungen, das Angebot erpreßt. Im Zerrspiegel bleiben allein die Geschmackskultur und die Kennerschaft eines untergegangenen europäischen jüdischen Bürgertums zu bewundern. Die Glücklicheren konnten sich mit Hilfe ihres Kunstbesitzes das Exil erkaufen. Zu den vielen Legenden, die das Buch zerstreut, gehört auch die, daß gerade beim Aufbau des "Führermuseums" das Raubgut gemieden worden sei. Die Akteure bei dieser ungeheuren Verwilderung der Museumskultur waren keine miesen, subalternen Karrieristen, sondern eine Elite erfahrener und angesehener Kunsthistoriker und Museumsleute, die im Machtrausch allen Anstand verloren. Sie kannten, nutzten und verschärften die Bedingungen ihrer Erwerbskampagnen. Nach dem Krieg beschwiegen sie diese Vergangenheit und verfolgten ohne Gewissensbisse weiter ihre Karriere. Ernst Buchner, der dem Regime und dem Linzer Projekt eng verbunden war, blieb der bis heute hochgeachtete Chef der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen; der Zulieferer Erhard Göpel ließ sich für seine Hilfe für Max Beckmann feiern, dessen Bilder er mit den Raubkunst-Transporten von Amsterdam nach München schleusen konnte; Hermann Voss ist ein zu Recht weltweit bewunderter Forscher, vor allem als Pionier bei der Wiederentdeckung des Barock; der junge Robert Oertel wurde ein angesehener Spezialist der frühen italienischen Malerei und war Kurator an der Alten Pinakothek wie an der Berliner Gemäldegalerie.

 Es wäre falsch, allein diese Handlanger an den Pranger zu stellen. Die Raublust grassierte unter den Museumsleuten. Im Buch wird geschildert, wie sich die Wiener Museen um die Beute rissen, als die Sammlungen Rothschild, Bondy, Lederer und Zsolnay aufgelöst wurden. Selbst Nationalsozialisten waren von solcher Habgier angewidert. Auch Leiter nobler deutscher Häuser kauften mit Sonderetats, die aus dem Erlös jüdischer Enteignungen resultierten, auf dem wilden Amsterdamer oder Pariser Kunstmarkt. Nach dem Krieg stilisierten sie sich zu Opfern des Regimes, weil die Nationalsozialisten die modernen Bestände ihrer Museen verschleudert hatten. Alle diese Zusammenhänge harren noch der Aufklärung.

EDUARD BEAUCAMP

Birgit Schwarz: "Hitlers Museum". Die Fotoalben Gemäldegalerie Linz: Dokumente zum "Führermuseum". Böhlau Verlag, Wien 2004. 500 S., 1000 Abb., geb., 99,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2004

Sonderauftrag Linz
Birgit Schwarz öffnet die Bilderalben Hitlers und beschreibt die Pläne und Raubzüge für das „Führermuseum”
Als die Alliierten 1945 im Salzbergwerk Altaussee die von Hitlers Kunstschergen zusammengerafften Beutestücke – darunter so kapitale Werke wie den Genter Altar der Brüder van Eyck – ans Tageslicht zurückholten, war die Legende vom vampirisch veranlagten Kunsträuber Hitler, der die Schatzhäuser der überfallenen Nationen leerräumen ließ, um sich in eigens errichteten Kulträumen an dem Raubgut gütlich zu tun, nicht mehr aufzuhalten. Nach den Schrecken des Krieges müssen die geöffneten Bilderstollen unter Tage wie ein Konzentrationslager für Kunstwerke gewirkt haben. Das klaustrophobische Erlebnis, von dem die Kunstfahnder berichteten, hat jedenfalls bis heute alle Darstellungen der nationalsozialistischen Kunstraubzüge und alle Beurteilungen des Bilder-Fetischisten Hitler so geprägt, dass eine detaillierte sachliche Auseinandersetzung mit dem für Linz geplanten „Führermuseum” und mit den Beschaffungs-Manipulationen der Hitler direkt unterstellten Kommission bislang nicht für nötig erachtet worden ist.
So kommt der ersten systematischen Auswertung der verfügbaren Bild-Dokumente zum „Sonderauftrag Linz” enorme Bedeutung zu. Birgit Schwarz hat sich erstmals mit dem Inhalt jener 19 erhaltenen von ursprünglich 31 Fotoalben auseinandergesetzt, die von Hitlers Kunst-Fahndungs-Kommission als Weihnachts-, Geburts- und Festtag-Präsente für den Führer zusammengestellt worden sind. In diesen Bänden sind die Fortschritte auf dem Weg zum anvisierten größten Museum abendländischer Kunst dokumentiert; es sollte in Hitlers erklärter Heimatstadt Linz als Mittelpunkt eines beide Ufer der Donau festungsartig besetzenden Kulturzentrums errichtet werden.
Birgit Schwarz stellt die in den Alben zusammengestellten Kunstwerke mit ihren Provenienzen kommentierend vor und schafft so ein Gerüst, über dem die recht widersprüchlichen Aktivitäten des „Sonderauftrags Linz” beschrieben werden können: „Kernstück des ,Führermuseums‘ sollte eine Gemäldegalerie mit einer Altmeistersammlung und eine Abteilung für deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts werden.” Mit dem Aufbau dieser Sammlung wurde 1939 der Direktor der Dresdner Gemäldegalerie Hans Posse beauftragt; ihm hatten zwei weitere Kunsthistoriker als Fachberater, eine Reihe mächtiger Parteifunktionäre sowie einige kaltblütig agierende Kunsthändler in die Hände zu arbeiten.
Die von da an explosiv wachsenden Bestände spiegeln die politischen Geschehnisse in Europa, den Wahnsinn von Hitlers Eroberungszügen und die Verbrechen der Judenverfolgung auf so direkte Weise wider, dass man glauben könnte, Hitler habe seine schrecklichen inneren und äußeren Kriege nur angezettelt, um sich der schönen Dinge zu bemächtigen, die seine Gegner besaßen.
Alles zuerst für den Führer
Der so genannte „Führervorbehalt” vom 18. Juni 1938 gab den auf Beute spekulierenden Nazigrößen eine Ahnung von der Entschlossenheit, mit der Hitler sein geheimes Museumsprojekt vorantrieb: „Bei der Beschlagnahme staatsfeindlichen, im besonderen auch jüdischen Vermögens in Österreich sind u. a. auch Bilder und sonstige Kunstwerke von hohem Wert beschlagnahmt worden. Der Führer wünscht, daß diese zum großen Teil aus jüdischen Händen stammenden Kunstwerke weder zur Ausstattung von Diensträumen der Behörden . . ., noch von leitenden Persönlichkeiten des Staates und der Partei erworben werden. Der Führer beabsichtigt, nach Einbeziehung der beschlagnahmten Vermögensgegenstände die Entscheidung über ihre Verwendung persönlich zu treffen.” Hitler lässt sich mit diesem Amtsschreiben also zum künstlerischen Generalerben des in Gedanken schon ausgemerzten jüdischen Volkes erklären.
Tatsächlich hat Hitler mit seinen kriminellen „Sicherstellungen” in Österreich – die Schlösser von Alphons und Louis Rothschild und die Wiener Stadtpaläste anderer jüdischer Sammler wurden kurzerhand besetzt und leergeräumt – einen Riesenschritt in Richtung Weltmuseum getan, wie er erst wieder 1941 bei der Zusammenführung der Schätze aus den Sammlungen französischer Juden – darunter weltberühmter Stücke aus dem Besitz von Edouard und Maurice Rothschild – im Sammeldepot in Paris gelingen sollte.
Kaum weniger brutal waren die Methoden, mit denen Hitlers Raubkommission den Kunstbesitz aus den aufgelösten Klöstern und Stiften Österreichs umverteilte. Der Passionsaltar Albrecht Altdorfers aus dem Stift St. Florian, eines der größten Werke der altdeutschen Kunst, taucht auf den Verschiebungslisten zwar nicht namentlich auf, doch kann man sicher sein, dass Hitler, wenn er seine Beute jemals im benachbarten Linz hätte installieren können, die Altartafeln ins Führermuseum hätte deportieren lassen.
Den Genter Altar, dieses Hauptwerk der altniederländischen Kunst, haben manche Historiker schon dem Führermuseum zugeschlagen; doch diese sechs „repatriierten” Tafeln waren, als sie in Altaussee eingelagert wurden, für die Berliner Gemäldegalerie bestimmt, in der sie um die Jahrhundertwende schon einmal gehangen hatten. Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg, als sie als Bestandteil der Reparationen nach Belgien zurückgegeben werden mussten, wanderten die Tafeln auch nach dem Zweiten wieder zurück nach Gent.
Nach dem Krieg, nach der Öffnung der Bilder-Verstecke durch die Alliierten, wurden die „beschlagnahmten” Kunstwerke aus Privatbesitz an die Eigentümer oder ihre Erben zurückgegeben. All die Objekte aber, die von Hitlers Beratern im kriegsbedingt darniederliegenden Kunsthandel mit teilweise erpresserischen Methoden erworben worden waren, wurden nun an die Länder restituiert, aus denen sie stammten.
Die öffentlichen Museen der Niederlande kamen auf diese Weise in den Besitz von Hunderten von Werken, die Hitler aus privatem Besitz in öffentlichen überführt hatte. Den Hauptgewinn bei der großen Rückgabeaktion machte aber das Kunsthistorische Museum in Wien: Ohne einen Schilling investiert zu haben, bekam es nach dem Krieg Vermeers Hauptwerk „Der Maler in seiner Werkstatt” zugesprochen, das Hitler 1940 in Wien rechtmäßig hatte erwerben lassen. Eigentlich hatte die Wiener Familie Czernin ihr von vielen Sammlern begehrtes Meisterwerk zu einem stattlichen Preis an den Hamburger Reeder Reemtsma verkaufen wollen, doch Hitlers Gesandter Posse konnte mit dem Gegenangebot von 1 650 000 Reichsmark dem Handel zuvorkommen; er schickte die teure Erwerbung noch in der gleichen Nacht per Sonderboten in den Führerbau nach München – und setzte das Stück auf die Titelseite des nächsten Geburtstagsalbums.
Auch die Uffizien in Florenz wurden durch den Sammler-Ehrgeiz Hitlers indirekt um ein markantes Stück reicher. Unter den vielen bedeutenden Werken, die Posse aus italienischem Adelsbesitz erwerben konnte, war auch die „Leda” von Leonardo da Vinci: Nach ihrer Irrfahrt in den Norden wurde sie den Uffizien anvertraut. Kunsthistorische Abenteuergeschichten dieses Kalibers lassen sich immer wieder aus den Dokumenten, die Birgit Schwarz ausgewertet hat, herauslesen. Fragonards berühmtes Gemälde „Die Schaukel” etwa war bei Alphons Rothschild in Wien beschlagnahmt und anschließend vom Kunsthistorischen Museum beansprucht worden; doch als erotisches Kernstück des geplanten Franzosentrakts im „Führermuseum” wurde die Voyeurs-Caprice erst mal nach München verfrachtet. Nach dem Krieg, nach der Restituierung an die Eigentümer, ersteigerte dann Thyssen-Bornemisza das populäre Bild.
Mit den geschätzten 5000 bis 8000 Kunstobjekten, die innerhalb von fünf Jahren im Auftrag Hitlers zusammengeräubert worden sind, hätte das „Führermuseum” rein numerisch zu den großen Sammlungen in Europa aufschließen können, doch an eine friedliche Eröffnung konnten auch die Phantasten unter den Gründungsvätern auf Dauer nicht glauben. Nach dem Krieg war man der Vernichtung der gesamten Bestände jedenfalls sehr viel näher: Erst in letzter Minute konnte die präzise vorbereitete Sprengung des Salzbergwerks verhindert werden.
GOTTFRIED KNAPP
BIRGIT SCHWARZ: Hitlers Museum. Die Fotoalben,Gemäldegalerie Linz: Dokumente zum „Führermuseum”. Böhlau Verlag, Wien 2004. 500 Seiten, 99 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gottfried Knapp skizziert zunächst die Umstände, die seiner Meinung nach bis jetzt verhindert haben, dass eine "sachliche Auseinandersetzung" mit den Fotoalben stattfindet, die das geplante "Führermuseum" in Linz dokumentieren. Umso begrüßenswerter findet er den Band von Birgit Schwarz, die sich darin mit 19 der erhaltenen 31 Fotoalben beschäftigt und eine "erste systematische Auswertung" der darin abgebildeten, überall in Europa gestohlenen Kunstwerke bietet. Das Buch erstelle damit ein "Gerüst", das es erlaubt, die "recht widersprüchlichen Aktivitäten" rund um das geplante Museum zu untersuchen, lobt der Rezensent. Er sieht in den Alben nicht nur den beispiellosen Raubzug dokumentiert, der das "Führermuseum" zur einer der größten Kunstsammlungen Europas gemacht hätte, sondern auch die Widerspiegelung der "politischen Geschehnisse" und Verbrechen der Nazi-Zeit.

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