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Produktdetails
  • Verlag: Europa Verlag
  • 3. Aufl. Geschwärzte Ausg.
  • Seitenzahl: 299
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 515g
  • ISBN-13: 9783203815275
  • ISBN-10: 3203815273
  • Artikelnr.: 09459180
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2001

Wenn der Pate erzählt
Ein einflussreicher Mafioso aus der Ukraine plaudert über das Leben als Verbrecher
Schon seit zwanzig Jahren beschreibt der Frankfurter Journalist Jürgen Roth in Büchern und Fernsehbeiträgen die Verflechtungen krimineller Banden. Der
55jährige versucht, den Aufbau von Verbrecherimperien nachzuzeichnen und gilt als Experte für die Herren, die aus dem Osten kommen. Bücher wie „Die Russen-Mafia” und „Die roten Bosse” fanden viel Beachtung. Aber je länger er sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr kommen auch ihm Zweifel, ob sich die Welt in schwarz und weiß, in Verbrecher und Saubermänner teilen lässt.
Der Autor Roth hat sich mitunter zu sehr auf Polizeiberichte gestützt und dadurch erhebliche juristische Probleme bekommen. Ende 1999 nahm der Verlag Hoffmann und Campe das Roth-Buch „Die graue Eminenz – Das Netzwerk von
Diplomaten, Gangstern und Politikern” kurz nach dem Erscheinen vom Markt. Die graue Eminenz bestritt jegliche Verbindung mit der Mafia und siegte vor dem Hamburger Landgericht. Für den freien Journalisten Roth war das ein teures Desaster und er kann seiner Bank danken, dass er es finanziell zumindest überstanden hat.
Dank an die Bank
Seit ein paar Wochen ist das dreizehnte Buch Roths auf dem Markt. Erfreulicherweise verzichtet der Autor weitgehend auf das Zitieren vertraulicher Polizeiberichte, die authentisch und geheimnisvoll klingen, aber Prüfungen nicht immer standhalten. Die Hauptperson redet diesmal selbst, und der Titel „Der Oligarch – Vadim Rabinovich bricht das Schweigen” ist kein verlegerischer Bluff.
Rabinovich stammt aus der Ukraine und gilt dort als einer der Großen, die das
Land und die Herrschaft unter sich aufgeteilt haben. Seiner Holding mit dem unauffälligen Namen R.C. Group gehören Banken, Assekuranz-Unternehmen, eine
Werbegesellschaft und ein Wirtschaftsberatungsunternehmen. Die Gesellschaft ist an diversen Zeitungen, einer Nachrichtenagentur und einer Fernsehstation beteiligt. Rabinovich, der ein wildes Leben geführt hat, beschreibt, wie riesige Geldsummen in dunklen Kanälen versickern, wie kriminelle Syndikate und korrupte Politiker arbeiten. Der ehemalige ukrainische Premierminister Pawel Lasarenko beispielsweise sei ein „Genie beim Ausplündern der Staatskasse” gewesen. Durch den Kauf und Verkauf von Gasverträgen habe der Ex-Politiker rund eine knappe Milliarde Dollar ins Ausland schaffen können.
Roth beschreibt über sein Medium Rabinovich das Modell eines staatlich organisierten Verbrechertums, das sich das Wohlwollen und die Mitarbeit der Wichtigen des Landes gesichert hat. Es ist eine Gangster-Saga aus dem Osten, manchmal gemalt in den Farben der Kolportage. Geheimdienste spielen ebenso wie so
genannte „kriminelle Autoritäten” gewichtige Rollen in einem zumeist unübersichtlichen Spiel. „Schauen Sie bitte”, sagt der Oligarch, „in welcher Situation ich mich befinde. Auf der einen Seite hocken der amerikanische, der russische und der ukrainische Sicherheitsdienst sowie wirtschaftliche Konkurrenten. Auf der anderen Schulter gibt es eine Menge Banditen, Kriminelle. Ich muss versuchen, mich mit beiden Seiten zu arrangieren, um meine Geschäfte zu machen, um letztlich am Leben bleiben zu können. ”
Ein Stück Frühkapitalismus wird da geschildert – wie im Chicago der zwanziger Jahre werden Gebiete aufgeteilt und binnen kurzem gelangen die Durchsetzungsfähigen zu fabelhaftem Reichtum.
Etwa zehn Mal, sagt Roth, sei er mit dem Milliardär Rabinovich in Kiew, Genf oder Frankfurt zusammengekommen und der habe dann erzählt. Warum redet so einer mit einem deutschen Journalisten? Nach Darstellung Roths habe Rabinovich eigentlich mit ihm über das 1998 erschienene Buch „Die roten Bosse” diskutieren wollen, da er in einigen Punkten anderer Meinung gewesen sei. Ukrainische Blätter hatten über das Werk berichtet, und der Oligarch hatte es sich zum Eigengebrauch übersetzen lassen. Aufs Geld muss er nicht schauen.
Warum so einer also über Gott und die Welt redet, ist bei näherer Betrachtung nachvollziehbar. Im allgegenwärtigen Machtkampf will der einflussreiche Informant seine Akzente setzen – den altruistischen Gewährsmann gibt es nur in
Lehrbüchern. Lange bevor das Buch auf den Markt kam, war in ukrainischen Blättern zu lesen, dass sich Rabinovich mit dem deutschen Mafia-Experten Roth treffe. Vielleicht wollte er drohen, einschüchtern oder einen Deal mit dem ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma schließen, mit dem er manchmal auf dem Sofa sitzt. Rätselhafter Osten.
Der Oligarch ist kein Mythos, sondern eine reale Figur. Es gibt Fotos, die zeigen ihn an der Seite von Ex-Präsident Bill Clinton oder im Gespräch mit Ex-Bundespräsident Roman Herzog. Drehscheibe für die roten Bosse ist schon seit vielen Jahren Wien, und was im Herbst vergangenen Jahres in der österreichischen Hauptstadt geschah, sieht zunächst wie zu Werbezwecken faustdick aufgetragener Kolorit aus.
Teure Offerte
Ein Bezirksinspektor aus dem Wiener Innenministerium soll Roth im Auftrag von Hintermännern 600 000 Mark geboten haben, wenn er das Buch zurückziehe Der 47 Jahre alte Beamte wurde von seinen Kollegen überwacht und dann im Oktober vergangenen Jahres festgenommen. Er gestand, die Offerte gemacht zu haben, nannte aber die Namen seiner Hintermänner nicht. Kurz darauf teilte ein V-Mann dem Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) mit, er sei aus dem Umkreis des ukrainischen Geheimdienstes auf Buch und Autor angesprochen worden und gefragt worden, ob dieser vielleicht bestechlich sei. In solchen Kreisen ist der Gehalt von Mythologie zwar nur schwer von der Lüge zu scheiden, aber der Chefermittler des LKA, Josef Geißdörfer, hat am „Wahrheitsgehalt der Mitteilung keine Zweifel”. Er bat die Frankfurter Kollegen, „Hinweise auf eine mögliche Gefährdung des Herrn Roth zu überprüfen und geeignete Maßnahmen in Erwägung zu ziehen”.
HANS LEYENDECKER
JÜRGEN ROTH: Der Oligarch – Vadim Rabinovich bricht das Schweigen, Europa-Verlag, Hamburg/Wien 2001. 304 Seiten, 38,50 Mark.
Frühkapitalismus in Kiew: Die Kluft zwischen Arm und Reich ist immens, und reich werden jene, die alle Regeln brechen.
Foto:Rainer Unkel/SZ-Archiv
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Recht spannend findet Hans Leyendecker das neue Buch des Verbrechersyndikats-Experten Jürgen Roth und attestiert ihm auch einen differenzierteren Umgang mit dem Thema. Früher hat der Autor sich nach Ansicht des Rezensenten zu sehr auf die Polizeiberichte verlassen, diesmal lässt er dagegen einen Oligarchen aus der Ukraine, "einer der Grossen, die Land und Herrschaft unter sich aufgeteilt haben", zu Wort kommen und beschreibt so ein "Modell eines staatlich organisierten Verbrechertums". Das Buch hält der Rezensent für "eine Gangster-Saga aus dem Osten, manchmal gemalt in den Farben der Kolportage". Über das Motiv des Oligarchen Vadim Rabinovich, sich Roth anzuvertrauen, kann Leyendecker nur spekulieren, er vermutet, dass es ihm einfach um Akzentsetzung im gegenwärtigen Machtkampf geht.

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