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Als Massenphänomen hatte der Fußballsport seit den 1920er Jahren enorm an wirtschaftlicher Bedeutung und gesellschaftlicher Akzeptanz gewonnen. Dies fand seinen Niederschlag im Alltagsleben, in Presse und Rundfunk, in Literatur, Film und bildender Kunst. Veränderten sich in den 1930er und 1940er Jahren das Gesicht des Fußballsports und die Sichtweise auf ihn in der Berichterstattung und in den Künsten? Gab es eine zeitspezifische Fußballsportfotografie oder -karikatur mit unverkennbar nationalsozialistischer Ästhetik? Wie wurde die Symbolik des Fußballspiels eingebunden, gedeutet und…mehr

Produktbeschreibung
Als Massenphänomen hatte der Fußballsport seit den 1920er Jahren enorm an wirtschaftlicher Bedeutung und gesellschaftlicher Akzeptanz gewonnen. Dies fand seinen Niederschlag im Alltagsleben, in Presse und Rundfunk, in Literatur, Film und bildender Kunst. Veränderten sich in den 1930er und 1940er Jahren das Gesicht des Fußballsports und die Sichtweise auf ihn in der Berichterstattung und in den Künsten? Gab es eine zeitspezifische Fußballsportfotografie oder -karikatur mit unverkennbar nationalsozialistischer Ästhetik? Wie wurde die Symbolik des Fußballspiels eingebunden, gedeutet und (um)interpretiert im nationalsozialistischen Alltag? Diese und andere Aspekte der Kulturgeschichte des Fußballs im Dritten Reich werden in diesem Band behandelt.
Autorenporträt
Dr. Markwart Herzog ist Religionsphilosoph und Wissenschaftlicher Bildungsreferent der Schwabenakademie Irsee.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.05.2008

„Im Gegensatz zu früher ein Mittel der Politik”: Neue Bücher zum Sport im Nationalsozialismus
Suspekte Lümmel, stark für Deutschland
Jüngste Forschungen zum Fußball unter NS-Herrschaft ergeben ein differenziertes Bild zwischen Vereinnahmung und Resistenz
So liest sich eine Abrechnung mit der herrschenden Meinung: Lange habe auf dem schmalen Feld der Fußballgeschichtsschreibung die „Bauklötzchen-Semantik politischer Kaderrhetorik” dominiert, sei eine „schablonenhaft simplifizierende und polarisierende Ideologiekritik” betrieben worden. Derlei „polit-pädagogische Instrumentalisierung” müsse ein Ende haben. Die Mär vom Fußball als der Nationalsozialisten liebstes Kind, brutal auf Linie gebracht, ein Propagandavehikel durch und durch, im Dienste ausschließlich verderblichster, militärischer Interessen – diese Mär soll zerstört werden auf 320 Seiten und von genau 13 Historikern, in einem Sammelband mit angemessen drögem Titel: „Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus”.
Wer bläst da so dick die Backen auf, und hat seine Wut gute Gründe? Der Herausgeber, zugleich Autor des mit Abstand längsten Beitrages, eines Buches im Buch sozusagen, ist rechtschaffen empört. Markwart Herzog gilt seit seiner Studie über den 1. FC Kaiserslautern im Dritten Reich („Der Betze unterm Hakenkreuz”) als profunder Kenner einer Materie, die wissenschaftlich lange brachlag. Dass im gleichgeschalteten Deutschland es ein Leichtes war, Massensport und Rassenhass, Führerprinzip und Fußball zu verzahnen, erschien rückblickend spontanevident. Wer es anders sah, geriet ins Fahrwasser plumper Apologetik und käute den Refrain vom angeblich ganz unpolitischen Freizeitvergnügen wider. Herzog und seine kulturhistorischen Mitstreiter versuchen sich an einem dritten Weg. In des Herausgebers Worten: Das „Dickicht antagonistischer polykratischer Strukturen”, verbunden mit einer großen anfänglichen Skepsis gegenüber dem „englischen Sport”, sorgte dafür, dass der Fußball eine „eigene Realitätsdimension” ausbildete.
Der DFB wird Monopolist
Den Nationalsozialisten missfiel die „Fußlümmelei” zunächst ob der Unkalkulierbarkeit der Ergebnisse und der „undeutschen” Genese. Das Mutterland lag nun einmal jenseits des Ärmelkanals. Die Niederlagenserie der Nationalmannschaft in den dreißiger Jahren tat ein Übriges dazu, dass man weit eher im Boxen und im Autorennen propagandaträchtige, da erfolgsversprechende und moderne Sportarten erblickte. Auch war der chronisch traditionslosen und darum extrem synkretistischen „neuen Bewegung” jede traditionelle Vergesellschaftung ein Dorn im Auge. Die Verbände der konfessionell gebundenen oder proletarisch gewachsenen Vereine wurden schon 1933 zugunsten des Deutschen Fußballbundes liquidiert. Der DFB profitierte von seiner erzwungenen Monopolstellung auch weit nach 1945.
Die schwierige Aufgabe bestand darin, einen während der Weimarer Republik als liberalistisch, unmännlich und unheldenhaft verspotteten Sport ins Räderwerk der Propaganda zu integrieren, gewissermaßen eine deutsche Variante zu erfinden. So begann ein häufig konzeptionsloses Einerseits – Andererseits, ein Kampf gegen Symptome bei gleichzeitiger Ehrenrettung des Fundaments. Sehr schön verdeutlicht diesen schlingernden Prozess der Wiener Historiker Matthias Marschik: Die Fußballspieler bewegten sich in einem verordneten und insofern trotz zahlreicher widerständiger Gesten systemkonformen Freiraum.
Marschik fragt, wodurch ein Fußballspieler Heldenstatus erlangen, also zur beliebten und bewunderten Respektsperson werden konnte. Weder ostentatives Nazitum noch offene Opposition waren da hilfreich. Viele Fotos etwa zeigten den österreichischen Nationalspieler Karl Sesta „im Dienst des Staates, als Helfer bei der Volksabstimmung, im Arbeitseinsatz als Erntehelfer oder bei der Drapierung eines Vereinsheimes mit Hakenkreuzflaggen”. Beim 2:0-Sieg aber über Reichsdeutschland 1938 wurde Sestaks ekstatischer Jubel als „resistenter anti-preußischer Akt” gedeutet. Zudem soll er Sepp Herberger, durchaus ruhmfördernd, mit dem Götz-Zitat bedacht haben. Beliebter Volkssport war sodann das Betrachten von Mannschaftsfotos daraufhin, wer den „deutschen Gruß” verweigerte. Marschik gelangt zum Fazit: „Der Fußball als Grauzone der NS-Herrschaft musste individuelle Interpretations- und Erklärungsspielräume offenlassen, um nationale Wirkungen entfalten zu können.” Er lavierte permanent – und zwar mit Billigung der Obrigkeit – zwischen Vereinnahmung und Resistenz.
Sportpresse und Wochenschau wären prädestiniert gewesen, das Lavieren zugunsten der Propaganda zu entscheiden. Doch auch sie scheuten davor zurück, den Fußball allzu sehr an die Kandare zu nehmen. Hans-Peter Fuhrmann hat erstmals alle Wochenschauen der Kriegsjahre gesichtet. Nur elf Beiträge beschäftigten sich überhaupt mit Fußball. Sie dauerten zwischen 66 und 247 Sekunden, beschränkten sich auf End- und Länderspiele und zeigten rund in der Hälfte aller Einstellungen die Zuschauerränge. Der Sport wurde als „volkstümliches Gemeinschaftserlebnis” inszeniert. Dieser Befund überrascht nicht, wohl aber Fuhrmanns filmästhetisches Fazit: „Wurde der Fußballsport in der Weimarer Zeit für eine Militarisierung der Gesellschaft in Dienst genommen, so war nach der ‚Machtergreifung‘ der NSDAP eine auffallende Zivilisierung des bürgerlichen Sports zu konstatieren.”
Die zensierte Fachpresse bemühte sich gleichfalls, die faschistische Staatsdoktrin im Hintergrund zu halten. Reichssportkommissar Hans von Tschammer und Osten verlangte im Juni 1933 von den Journalisten: „Folgen müssen Sie mir, folgen im guten Sinne, nämlich auf meine Gedankengänge.” Rund zehn Prozent der Journalisten verloren aus ethnischen oder weltanschaulichen Gründen ihre Stellung. Für die verbliebene Mehrheit galt, was der Chefredakteur des kicker im Dezember 1935 aussprach, Sport sei nun „im Gegensatz zu früher ein Mittel der Politik”. Dennoch fanden sich, wie Erik Eggers darlegt, in den Fachzeitschriften kaum Texte mit offen rassistischem Inhalt. Der Hörfunk ging rabiater zu Werke. Leider, so Eggert, sei noch immer die Geschichte der Fußballpublizistik weitgehend unerschlossen.
Insofern ist auch das Porträt der Auslandsillustrierten Signal von Rainer Rutz ein weiterer kleiner Schritt. Das „mit Abstand größte und teuerste Zeitschriftenprojekt des Nationalsozialismus” sollte in den besetzten und den angrenzenden Gebieten das Image der Invasoren bessern. Zwischen April 1940 und März 1945 erschienen zweimal monatlich bis zu 20 verschiedensprachige Ausgaben mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen. Dominant waren laut Rutz „Wortgirlanden mit inhaltsleeren Versprechungen auf eine irgendwann eintretende Glückseligkeit – Juden, Briten und sowjetische ‚Untermenschentypen‘ ausgenommen.” Der Fußball spielte eine untergeordnete Rolle. Er wurde, war er doch einmal Thema, als Schule der Tugenden profiliert: „Nicht äußere Macht, sondern innerer spielerischer Wert” entscheide über Sieg und Niederlage. Kurz zuvor hatte Deutschland gegen die Schweiz und Schweden verloren . . .
„Vergessen, was sonst bedrückt”
Die besten Sympathieträger waren indes die Fußballer selbst. Marktwart Herzog stellt auf fast neunzig Seiten die Soldatenmannschaften „Rote Jäger”, „Burgstern Noris” und die „Pariser Soldatenelf” vor. Teils in enger Absprache mit Reichstrainer Herberger wurden dort die Talente trickreich zusammengezogen, um dem Fronteinsatz zu entkommen. Fritz Walter etwa diente in der Kleiderkammer und der Buchhaltung von Jagdgeschwader 11, deren zeitweiliger Chef, Major Hermann Graf, seine fußballspielenden „Roten Jäger” von Einsatzort zu Einsatzort mitnahm. Graf, selbst als Torwart aktiv, stand einer Mannschaft vor, die zwischen Juni 1941 und April 1944 von 34 Spielen deren 30 gewann. Er legte Wert auf professionelle Sportler und beschleunigte so jene den Nationalsozialisten verhasste Entwicklung, die auch durch die 39 Spiele der „Pariser Soldatenelf” vorangetrieben wurde. Die Wettkämpfe vor bis zu 40 000 Zuschauern entwickelten sich zu „modernen, kommerzialisierten Unterhaltungsveranstaltungen”, ganz nach englischem Muster.
Wo immer deutsche Truppen einmarschierten, hatten sie offenbar kurze Hosen und Lederbälle im Tornister: so war es im Mai 1940 in Belgien, wo kurz darauf „Burgstern Noris” das erste Spiel bestritt, so war es wenig später in Frankreich. Fritz Walters Diktum, der Fußball sei „Narkose und Belebung zugleich” gewesen, trifft die von Herzog rekonstruierte Wirklichkeit. Die Akteure sollten, wie es die Pariser Zeitung formulierte, „stark für Deutschland” sein. Die Zuschauer wiederum, „Zehntausende im grauen Rock” – so der NS-Journalist Heinz Ott – sollten „vergessen, was sie sonst bedrückt”, wenn etwa die „Pariser Soldatenelf” und „Burgstern Noris” im Mai 1941 und im November 1942 die „Meisterschaft des Westens” austrugen. Gemeinsam mit der 17. Infanterie-Division wurde „Burgstern Noris” bald darauf an die Ostfront verlegt. Dort, in Kiew, fand im Sommer 1943 das letzte Spiel statt. Die Kriegs- und Wahnwelt der Nationalsozialisten hatte die Eigenwelt des Fußballs endgültig verschlungen. ALEXANDER KISSLER
MARKWART HERZOG (Hrsg.): Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus. Alltag, Medien, Künste, Stars. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2008. 334 S., 18 Euro.
Die Soldatenmannschaft „Burgstern Noris”, fotografiert 1941 – bevor die Jungs an die Ostfront verlegt wurden. Abbildung aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein wenig skeptisch nähert sich Alexander Kissler diesem Band mit dem "angemessen drögen Titel". Was die dreizehn von Markwart Herzog zusammengetrommelten Autoren, Historiker allesamt, zum Thema Fußball und Nationalsozialismus zu sagen haben, erscheint dem Rezensenten jedoch rasch als überfälliger Versuch, das Märchen vom Nazi-Propagandavehikel Fußball zu entkräften. Dass die Beiträger dem Fußball eine "eigene Realitätsdimension" attestieren und ihn zwischen Vereinnahmung und Resistenz ansiedeln, beurteilt Kissler nach Sichtung des in dem Band präsentierten Materials u. a. aus Sportpresse und Wochenschauen als durchaus angemessen.

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