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Weit ausgreifend und überaus anschaulich gibt dieses Buch einen Überblick über die Anlässe, Ziele und Erscheinungsformen des Reisens im späten Mittelalter. Der Autor stützt sich auf die ungemein farbigen und lebendigen Berichte, die die Reisenden meist nach ihrer Heimkehr verfassten, setzt sich aber auch mit der intensiven Forschung der letzten zwanzig Jahre auseinander. Behandelt werden u.a. die ritterlichen Reisen des höfischen Adels quer durch Europa, die Pilgerfahrten nach Jerusalem, Rom und Santiago, die Erfahrungen italienischer Besucher in Deutschland sowie die frühen Entdeckungsreisen…mehr

Produktbeschreibung
Weit ausgreifend und überaus anschaulich gibt dieses Buch einen Überblick über die Anlässe, Ziele und Erscheinungsformen des Reisens im späten Mittelalter. Der Autor stützt sich auf die ungemein farbigen und lebendigen Berichte, die die Reisenden meist nach ihrer Heimkehr verfassten, setzt sich aber auch mit der intensiven Forschung der letzten zwanzig Jahre auseinander. Behandelt werden u.a. die ritterlichen Reisen des höfischen Adels quer durch Europa, die Pilgerfahrten nach Jerusalem, Rom und Santiago, die Erfahrungen italienischer Besucher in Deutschland sowie die frühen Entdeckungsreisen nach Afrika, Asien und Amerika. Besonderes Augenmerk gilt den Formen, in denen verschiedene Kulturen einander begegneten oder miteinander konkurrierten. Auch die Erlebnisse nichteuropäischer Reisender in Europa kommen zur Sprache.
Autorenporträt
Prof. Dr. Folker Reichert lehrte Mittlere Geschichte an der Universität Stuttgart.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2001

Fahren, fahren, fahren
Auf der hermeneutischen Desasterbahn durchs Mittelalter
Am Tyrrhenischen Meer im August. Die Weltgeschichte unter dem Gesichtswinkel des Reisens zu entfalten, ist plausibel, denn ohne das Reisen gäbe es keine Weltgeschichte. Dies ist in aller Kürze der Grundgedanke des Buchs Erfahrung der Welt, dessen Titel im ursprünglichen Sinn verstanden werden will: Die Welt, wie wir sie kennen, musste erfahren, nämlich erreist werden, um als eine Einheit begriffen werden zu können.
Folker Reichert, Historiker an der Universität Stuttgart, konzentriert seine Studie auf das späte Mittelalter, einen Zeitraum, in dem durch ausgedehntes Reisen die Fundamente unseres Weltbildes wie auch der gegenwärtigen Weltordnung gelegt wurden. Reisen bestimmt er als Ortsveränderung mit Rückkehrabsicht. Von Briefen aus der Fremde einmal abgesehen, kann nur der Heimgekehrte berichten, was er erfahren hat. Man hat etwas zu erzählen von den Begegnungen mit anderen Menschen, ihren Sitten und Bräuchen, ihren Speisen und ihren Göttern, von den Fährnissen des Reisens, von Monstern und Wundern, von unbekannten Pflanzen und Tieren und davon, wie der Reisende aufgenommen wird in fremden Ländern.
Langsam weitet sich der Blick. Reichert beginnt mit der Lektüre von Berichten über das Reisen innerhalb Europas (wozu die Iberische Halbinsel im frühen Mittelalter nicht gerechnet wurde). Die Reisetätigkeit von Fürsten, Rittern, Kaufleuten und Klerikern, das wird aus seiner Darstellung deutlich, hatte eine Richtung. Man zog gen Süden, denn „für Italiener gab es viel weniger Gründe, nach Deutschland zu reisen, als umgekehrt für deutsche Reisende, europäische Zentren wie Rom, Venedig oder Florenz aufzusuchen.” Die Gründe dafür sind auch heute noch leicht verständlich. Was sollten die Italiener in einem „kalten unfruchtbaren Land, das weder Feigen noch Mandeln oder Olivenöl hervorbringt und erst recht keine Musen”? Olivenöl und Mandeln braucht man zwar heute auch in Deutschland nicht zu missen, da hat der Handel seit dem Mittelalter deutlich etwas bewirkt. Aber über den Mangel an Manieren, die Wildheit im Alltag und die „deutsche Nationalneigung zum Trunke”, die italienische Reisende damals beklagten, fällt es auch heute noch schwer, hinwegzusehen.
Schon lange führten alle Wege nach Rom. Die Zeugnisse der Reisenden während der italienischen Renaissance aber vermitteln eine einhellige Botschaft: Kulturell und ökonomisch stand der Norden Europas im Schatten des Südens. Die Verlagerung des Zentrums des Reichs von Rom nach Konstantinopel änderte daran wenig. Freilich kam dadurch der Osten mehr in den Blick.
Unbeschadet der Eroberungszüge Alexanders bis nach Indien fand die Welt aus europäischer Sicht im Mittelalter hauptsächlich um das Mittelmeer herum statt. Die kosmopolitische „Königin der Metropolen aller Welt” am Goldenen Horn, wo Händler, Diplomaten, Pilger und Abenteurer von überall zusammenkamen, hatte eine Schlüsselstellung. 1453 von Mehmd II. erobert, brachte sie die christliche und die muslimische, die griechische und die türkische Kultur miteinander in Berührung.
Die anderen, das waren aus europäischer Sicht lange die Muslime, durch ihren Glauben definiert. Sie gaben Anlass zu einer besonderen Form des Reisens, der Pilgerreise ins heilige Land und ihrer kriegerischen Variante, den Kreuzzügen. Ihnen widmet Reichert viel Aufmerksamkeit, nicht nur, weil die Quellenlage es erlaubt, sondern auch weil der Kreuzzug ein bestimmendes Element des europäischen Reisens im Mittelalter verkörpert, die religiös legitimierte Intoleranz.
Sie äußerte sich auch in den „Preußenreisen” des 14. Jahrhunderts, die „zum festen Repertoire adligen Verhaltens” gehörten und darin bestanden, die heidnischen Litauer mit Krieg zu überziehen, Siedlungen zu brandschatzen und ihre Bewohner zu erschlagen und zu versklaven. Nicht allen Reisen an der Peripherie Europas und darüber hinaus lag diese spezifische Mischung aus christlicher Religiosität und brutaler Gewalt zugrunde, aber einen charakteristischen Zug, das müssen wir Reicherts quellenreicher Studie entnehmen, bildete sie sehr wohl. Die relative Offenheit und Lernbereitschaft, die Marco Polo nach China mitbrachte, wo er Jahre am Mongolenhof in Khanbaliq verbrachte, war eher die Ausnahme als die Regel.
From Plato to Nato
Typischer wohl war ein anderer großer Reisender, Columbus, der Marco Polos „Beschreibung der Welt” studierte, um seine Westfahrt nach Ostasien vorzubereiten. Auch er fuhr mit der Bibel im Gepäck und fand in ihr die Rechtfertigung für die Unterwerfung, Ausbeutung und Ausrottung der indigenen Bevölkerung der von ihm entdeckten Länder in der Karibik. Mit einem gefestigten, ja, erstarrten Weltbild ging Columbus auf seine folgenreichen Reisen nach Amerika. Dass er bis an sein Lebensende darauf beharrte, mit Haiti Japan und mit Kuba die chinesische Küste erreicht zu haben, nennt unser Autor, Tzvetan Todorov zitierend, ein „hermeneutisches Desaster”. Es werfe ein Licht auf das problematische Zusammenwirken von Buchwissen, Glauben und Erfahrung, das direkt in die Vorurteilsforschung führen sollte.
1492 war kein Auftakt, sondern erster Höhepunkt einer großen von Europa ausgehenden Reisewelle, die die Welt zu einer eurozentrischen werden ließ, erklärt Reichert in seinem kenntnisreichen und doch etwas trockenen Buch, das vom Reisefieber nur sehr wenig mitteilt. Die Globalisierung, bemerkt der Autor am Schuss seiner tour de force, ist die heutige Fortsetzung davon. Die NATO, das dürfen wir hinzufügen, weil es nicht oft bemerkt wird, der militärische Arm der ebenso neugierigen wie aggressiven westlichen Welt, führt noch immer das Kreuz im Wappen – join the army, see the world, so warb die Armee in Amerika lange um Rekruten.
Reisen, zu dieser Einsicht drängt das Buch, ist letztlich eine nicht gar so unschuldige Tätigkeit, wie der lesende Sommerfrischler sie sich gerne denkt.
FLORIAN COULMAS
FOLKER REICHERT: Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2001. 314Seiten mit 14Abbildungen und 7Karten, 57,70Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Den Grundgedanken dieser "quellenreichen Studie", Weltgeschichte unter dem Gesichtswinkel des Reisens zu entfalten, findet Florian Coulmas plausibel. Nicht weniger leuchtet ihm ein, dass der Autor sich auf das späte Mittelalter konzentriert, "in dem durch ausgedehntes Reisen die Fundamente unseres Weltbildes ... gelegt wurden", und auch, dass man zu jener Zeit gen Süden zog, kann Coulmas nachvollziehen: dahin, wo die Zitronen blüh(t)en. Mit leichtem Gruseln lässt sich der Rezensent weiter den Kreuzzug als "bestimmendes Element des europäischen Reisens im Mittelalter" darlegen, bedauert zwischendurch ein wenig, die Trockenheit der Arbeit, die "vom Reisefieber nur sehr wenig mitteilt", und bescheidet sich schließlich mit der nicht sonderlich spektakulären Einsicht, dass Reisen "eine nicht gar so unschuldige Tätigkeit (ist), wie der lesende Sommerfrischler sie sich gerne denkt."

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