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Die Betreuung ist fürsorgende Hilfe, weil der Betreuer als gesetzlicher Vertreter die Handlungsunfähigkeit des Betreuten überwindet. Sobald die Betreuung jedoch gegen den Willen des Betreuten erfolgt, greift sie zugleich in sein Selbstbestimmungsrecht ein. Die gesetzliche Eingangsschwelle der Betreuerbestellung wird diesem Doppelcharakter nicht hinreichend gerecht. Indem die Eingangsschwelle von der Frage der Geschäftsfähigkeit entkoppelt wird, hängt der Grad der eingeschränkten Selbstbestimmung im konkreten Fall von den unbestimmten Rechtsbegriffen der Erforderlichkeit und der Subsidiarität…mehr

Produktbeschreibung
Die Betreuung ist fürsorgende Hilfe, weil der Betreuer als gesetzlicher Vertreter die Handlungsunfähigkeit des Betreuten überwindet. Sobald die Betreuung jedoch gegen den Willen des Betreuten erfolgt, greift sie zugleich in sein Selbstbestimmungsrecht ein. Die gesetzliche Eingangsschwelle der Betreuerbestellung wird diesem Doppelcharakter nicht hinreichend gerecht. Indem die Eingangsschwelle von der Frage der Geschäftsfähigkeit entkoppelt wird, hängt der Grad der eingeschränkten Selbstbestimmung im konkreten Fall von den unbestimmten Rechtsbegriffen der Erforderlichkeit und der Subsidiarität ab. Karl August Prinz von Sachsen Gessaphe entwickelt ein differenziertes Modell der Eingangsschwelle für die Betreuung und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts. Eckdaten hierfür sind die multifaktorielle Bedingtheit psychopatologischer Funktionsstörungen und ihrer Auswirkungen auf die Selbstbestimmungsfähigkeit sowie die Vorgaben der Verfassung für die Erwachsenenfürsorge. Mit Hilfe seiner Konzeption der Vorsorgevollmacht können Betreuungen weitgehend durch selbstbestimmte Vorsorge vermieden werden. Außerdem wird deutlich, daß die Geschäftsunfähigkeit zur Konkretisierung des notwendigen Grades eingeschränkter Selbstbestimmungsfähigkeit zu starr ist. Für Fremdbestimmungsbefugnisse im höchstpersönlichen Bereich ist die entsprechende rechtliche Handlungsunfähigkeit zwingende Schwelle; ansonsten muß man zwischen eingewilligter und ungewollter Betreuung unterscheiden und mit Hilfe der Einsichts- und Steuerungsunfähigkeit eine flexible Schwelle bilden. Für den Einwilligungsvorbehalt wird der gesetzliche Tatbestand präzisiert.
Autorenporträt
Geboren 1958; 1975-80 Studium der Rechtswissenschaften und der Kompositionslehre in München; 1983 zweites jurist. Staatsexamen; 1986 Promotion; 1988 Gründung und seither Präsident der Deutsch-Mexikanischen Juristenvereinigung; 1986-92 Akademischer Rat an der Universität München; 1992-98 Lehrauftrag an der Université Paris XII; 1998 Habilitation; 1998-99 Lehrstuhlvertreter an der Universität München; 1999 Gastprofessor an der Université Paris XII; momentan Lehrstuhlvertreter an der Universität Bielefeld.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2000

Rechtsbeistand
Juristische Hilfe für Bedürftige

Medizinischer Fortschritt und höhere Lebenserwartung haben die Fälle von Alters-Demenz vermehrt. Wenn es auch kaum jemand ernstlich für möglich hält, kann jeder in die Situation kommen, seine eigenen Angelegenheiten nicht mehr vernünftig wahrnehmen zu können. Für diesen Fall sieht das Bürgerliche Gesetzbuch seit 1990 vor, daß seine Angelegenheiten durch einen "Betreuer" als gesetzlichen Vertreter besorgt werden. Die rechtlichen Probleme liegen auf der Hand. Bedarf der Hilfsbedürftige wirklich der Hilfe oder wird er nur entrechtet? Wer bestimmt, was ihm guttut? Kommt es allein auf das Wohl des Betreuten an?

Die Münchner Habilitationsschrift von Karl August Prinz von Sachsen Gessaphe widmet sich der Grundfrage: Bedarf der Hilfsbedürftige wirklich der Hilfe? Sie will "ein differenziertes Modell der Eingangsschwelle für die Betreuung" und für den verschärften Fall entwickeln, daß Willenserklärungen des Betreuten der Einwilligung des Betreuers bedürfen. Ansatz ist die Selbstbestimmungsfähigkeit des einzelnen. Ist sie erheblich beeinträchtigt, soll das Vormundschaftsgericht eine Betreuung anordnen dürfen. Hat sie sich zur Handlungsunfähigkeit gesteigert, kann der Betreuer auch in personenbezogenen Angelegenheiten - Schulbeispiel ist die ärztliche Behandlung - für den Betreuten entscheiden.

Dieses Ergebnis kann schon deshalb nicht falsch sein, weil es im wesentlichen dem Gesetz entspricht. Aber die gesetzliche Regelung ist problematisch. Sie läßt die Kriterien für die Hilfsbedürftigkeit im Prinzip offen. Grund ist nicht eine Nachlässigkeit, sondern der edle systematische Ansatz. Der Hilfsbedürftige steht "im Mittelpunkt der Regelung", wie die Politik zu sagen pflegt. Es geht immer um seine Rechte, seine Persönlichkeit, seine Entscheidung. Insofern ist das Betreuungsverhältnis paradox. Es knüpft an die Hilfsbedürftigkeit des Betreuten an und bezieht sich doch immer wieder auf seine Entscheidung. Diese Paradoxie macht es unmöglich, aus dem Betreuungsverhältnis selbst "objektive" Kriterien für die Bestellung eines Betreuers zu gewinnen. Zuverlässige Gesichtspunkte können sich nur dann ergeben, wenn man die Betreuung an die Spielregeln des Rechtsverkehrs anschließt. Einen Anhaltspunkt bietet das Gesetz von selbst. Soweit es eine Einwilligung des Betreuers zu einer Erklärung des Betreuten vorschreibt, verweist es wegen der Rechtsfolgen für Außenstehende auf die Regeln über die gesetzliche Vertretung Minderjähriger, und Minderjährigkeit ist kein Fall der Betreuung.

Prinz von Sachsen Gessaphe verfolgt diesen Pfad nicht, sondern bleibt auf dem Standpunkt des Gesetzgebers stehen. Die Erfindungshöhe seines Konzeptes kann deshalb nicht besonders groß sein. Selbstbestimmungsfähigkeit ist nur die Abwesenheit von Hilfsbedürftigkeit und wirft die gleichen Fragen nach ihrer inhaltlichen Konkretisierung auf. Das Problem ist, daß das Recht grundsätzlich Subjekte voraussetzt, denen es die Befolgung oder Abweichung von öffentlich anerkannten Normen zurechnen kann. Hilfsbedürftigen kann man ihr Handeln nicht oder nur eingeschränkt zurechnen. Da sie aber schon wegen ihrer Körperlichkeit in die Gesellschaft eingebunden, zum Beispiel Söhne oder Töchter sind und deshalb am Rechtsverkehr teilnehmen müssen, kann das Recht sie nicht einfach ausschließen. Es muß vielmehr dafür sorgen, daß die Gesellschaft den Hilfsbedürftigen so behandeln kann, als sei er ein souveränes Subjekt. Hilfsbedürftigkeit und Helfen hängen also von den gesellschaftlichen Ansprüchen an die Souveränität des Individuums ab. Wenn das Gesetz das Betreuungsverhältnis allein am hilfsbedüftigen Individuum orientiert, hebt es die gesellschaftlichen Ansprüche natürlich nicht auf, es entzieht den Konflikt zwischen Ansprüchen und Hilfsbedürftigkeit nur der öffentlichen Beobachtung. Die Schrift des Prinzen von Sachsen Gessaphe entspricht völlig dieser Tendenz. Aber gibt es Alternativen?

Die Integration von Schwachen, Kranken und Alten ist wahrscheinlich ein Menschheitsproblem und nur ein Spezialfall des Helfens überhaupt. Helfen ist eine wunderbare Sache, hat aber große Schwierigkeiten mit seinen Grenzen. Es gibt zu viel Bedürftigkeit. In archaischen Gesellschaften bestimmen die natürlichen, für jedermann sichtbaren und daher von jedermann erwarteten Lebensabläufe die Grenzen und erlauben eine unmittelbare Reziprozität des Helfens. Man hilft, weil man hoffen kann, in einer gleichartigen Situation Hilfe zu erhalten. In Hochkulturen werden Grund und Grenzen des Helfens religiös präzisiert. Für "gute Taten" gibt es Regeln. Die moderne Gesellschaft rechnet Hilfsbedürftigkeit zu den Problemfällen, für deren Abarbeitung spezielle Organisationen geschaffen werden, die das Menschliche versachlichen müssen, wenn sie effizient arbeiten, anerkannt und gefördert werden wollen. Helfen kann die Politik nur noch, soweit die Hilfe organisierbar ist. Damit bestimmen die Kosten und die Aufrechterhaltung der zuständigen Organisation die Grenzen der Hilfe. Jeder weiß, daß es außerhalb dieser Genzen Not und Hilfsbedürftigkeit gibt. Aber die Politik kann sie mangels Organisation nicht erreichen und nur hoffen, daß das Reden darüber eine Resonanz bleibt. Bücher wie dieses unterstützen diese Hoffnung, weil sie zeigen: Die Organisation funktioniert.

GERD ROELLECKE

Karl August Prinz von Sachsen Gessaphe: "Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige". Jus Privatum, Bd. 39. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2000. XXX, 532 S., geb., 228,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gerd Roellecke konfrontiert den interessierten Zeitungsleser gleich mit der harten Wahrheit: Das Problem des gesetzlich bestimmten Betreuers wird uns in unserer alternden Gesellschaft immer häufiger begegnen - die eine Hälfte der Bevölkerung wird in Alters-Demenz versinken, die andere wird sie betreuen. Die Habilitationsschrift des Prinzen von Sachsen Gessaphe bespricht er dabei mit einiger Distanz. Versteht man Roelleckes komplizierte juristische Argumentationen richtig, so stört ihn an dem Buch, dass der Autor zu sehr von der Warte des Gesetzes her argumentiert und offensichtlich den heiklen Punkt, ab wann eine Person als hilfebedürftig gilt und welchen Grad von Autonomie man ihr dann noch zugestehen soll, nicht recht benennt. Das Gesetz wiederum konzentriere sich dabei zu stark auf die hilfebedürftige Person und zu wenig auf die "gesellschaftlichen Ansprüche an die Souveränität eines Individuums". Der Autor scheint dabei nach Roelleckes Meinung all jenen Grauzonen auszuweichen, die gesetzlich kaum zu regeln sind. Hauptsache, "die Organisation funktioniert" - so resümiert Roellecke das Hauptanliegen des Buchs.

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