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Welchen Grund haben wir, anderen zu helfen? Christoph Fehige beantwortet die alte Frage der Moral neu: mit einer apriorischen Mitleidsethik. Von der unsicheren Hoffnung, dass Natur oder Erziehung des Menschen für die richtigen Affekte sorgen, hat sich diese Moralbegründung befreit - dass wir Gründe haben zu helfen, entpuppt sich als begriffliche Wahrheit.

Produktbeschreibung
Welchen Grund haben wir, anderen zu helfen? Christoph Fehige beantwortet die alte Frage der Moral neu: mit einer apriorischen Mitleidsethik. Von der unsicheren Hoffnung, dass Natur oder Erziehung des Menschen für die richtigen Affekte sorgen, hat sich diese Moralbegründung befreit - dass wir Gründe haben zu helfen, entpuppt sich als begriffliche Wahrheit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2005

Da sind die Gefühle wieder oben
Sehr ethisch: Christoph Fehige bricht eine Lanze für die Empathie

Es fällt auf, daß die Ethik sich in den letzten Jahren verstärkt von der Rationalität den Gefühlen zugewandt hat, die zuvor als motivationale Grundlage der praktischen Durchsetzung des Richtigen gar nicht in den Bereich der Philosophie zu fallen schienen. Vielleicht läßt sich darin eine Verschiebung des Interesses von normativen auf anthropologische Fragestellungen erkennen. Der Deduktionen, die der Welt vorschreiben wollen, wie sie zu sein hat, ist man müde geworden. Der Weltlauf gehorcht so machtvoll seinen eigenen Gesetzen, daß alles Sollen demgegenüber blaß wirkt.

Die Beschäftigung mit den Gefühlen wäre in diesem Fall ein Rückzugsphänomen. So einfach ist das freilich nicht. Denn der Mensch wird in den Theorien der moralischen Gefühle ja gerade nicht als zuinnerst eigensüchtig dargestellt. Vielmehr waren es umgekehrt die normativen Deduktionen, die den wirklichen Handlungen und Motiven der Menschen mit äußerstem Mißtrauen begegneten. In der näheren Betrachtung unserer alltäglichen moralischen Reaktionen - Scham, Groll, Empörung, Mitleid - kam dagegen heraus, daß wir meistens recht genau wissen, was zu tun und was zu verurteilen ist.

Auch für Christoph Fehige kommt es nicht so sehr darauf an, von moralischen Handlungen zu zeigen, daß sie geboten sind, sondern nachzuforschen, welchen Grund wir haben könnten, das Gebotene auch zu wollen. Sein mit vielen hübschen Zitaten und vielen etwas weniger hübschen logischen Formeln durchsetztes Bändchen "Soll ich?" nimmt sich wie eine längere Formulierung des berühmten Einleitungssatzes der "Theorie der moralischen Gefühle" von Adam Smith im Geiste der analytischen Philosophie aus: "Wie immer selbstisch der Mensch angenommen werden mag, es gibt offenbar einige Prinzipien in seiner Natur, die ihn am Wohlergehen der anderen Interesse nehmen und ihr Glück ihm notwendig sein lassen, obwohl er daraus nichts zieht außer dem Vergnügen, es zu sehen."

Bei Fehige heißt das: "Jeder wünscht, daß jeder glücklich ist" - jedenfalls, "wenn er in Ruhe darüber nachdächte". Wir sehen das Leid nicht, es ist uns peinlich, wir wissen nicht, was zu tun ist. Aber wenn wir uns die Lage hinreichend vor Augen führen, haben wir einen deutlichen Impuls zu helfen. Empathie, das meint Mitleid, aber auch Mitfreude, ist für Fehige ein apriorisches Prinzip. Damit verschiebt sich die Aufgabe der Ethik zu der Frage, warum die meisten von uns meistens nicht genau genug hinsehen und wie damit umzugehen ist. Im Detail interessieren Fehige freilich nur vorstellungs- und handlungstheoretische Abgrenzungen, was es heißt, etwas ,eigentlich' zu wissen oder zu wünschen. Man mag das alles bei genauerem Hinsehen durchaus klug finden und kann dennoch den Widerspruch zwischen der gewiß nicht anbiedernden, aber doch auf Popularität zielenden Aufmachung und den engschrittigen Schulabgrenzungen beklagen. Der allgemeinen Wende von der Rationalität zu den Gefühlen, vom Sollen zum Sein entspricht nicht gleichermaßen eine Wende von der Abstraktion zur Fülle ethischer Phänomene.

GUSTAV FALKE

Christoph Fehige: "Soll ich?" Reclam Verlag, Stuttgart 2004. 263 S., br., 6,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Fehige treibt moralphilosophische Grundlagenforschung und bietet einen völlig neuen Ansatz zur Begründung von Moral. Trotz der Neuheit und systematischen Stringenz verankert er seine Gedanken auch in der Geschichte der zentralen Begriffe: Mitleid, Wunsch und Empathie. Das Argument ist in seiner Grundstruktur einfach, doch in manchen Details unvermeidlich schwierig. Es wird klar, deutlich und mit Esprit entwickelt. Wenn sich die deutschsprachige Philosophie diesen Stil zum Vorbild nähme, wäre sie einen großen Schritt weiter.www.literaturkritik.de

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2005

Gut im Konjunktiv
Christoph Fehige versucht, Mitgefühl logisch zu begründen
Soll ich einem hinfällig alten Mann ein Almosen geben, fragte sich im 17. Jahrhundert Thomas Hobbes auf den Straßen Londons und antwortete mit einem hintersinnigen Ja. Denn schließlich würde die Spende nicht nur dem armen Kerl helfen, sondern auch mich erleichtern. Würde nicht auch ich leiden, wenn ich sehen würde, wie eine brutale Riesenwildsau ein spielendes Kleinkind zerfleischt und verschlingt, fragte einige Jahre später Bernard de Mandeville. Soll ich mir wünschen, dass es meinem Kind gut geht, oder darf ich es, weil es mich beim Fernsehen störte, in den Wäschetrockner stecken und das Gerät einschalten, fragt anlässlich einer Zeitungsnachricht Christoph Fehige in seinem Traktat „Soll ich?”, in dem er eine Mitgefühlsethik logisch zu begründen versucht.
Nun gehört logisches Argumentieren in der Ethik nicht zufällig zu den schwierigsten gedanklichen Arbeiten eines Philosophen. Denn wenn man nicht nur darüber nachdenkt, was Menschen tun, sondern danach fragt, wie sie handeln sollen, sind normative Argumente gefordert, deren Schlüssigkeit nicht leicht zu demonstrieren ist; sie sind nun einmal nicht im gleichen Sinn wahr oder falsch wie Tatsachenbeschreibungen. Dabei scheint es von einem logischen Standpunkt aus zugleich unmöglich, aus bloßen Aussagen über das, was der Fall ist, zwingend auf das zu schließen, was getan werden soll. Wer es dennoch versucht, begehe einen „naturalistischen Fehlschluss”. Vom Sein gibt es keinen logisch verlässlichen Weg zum Sollen. „Philosophen versuchen herauszufinden, was als vernünftig zählt. Das ist alles.”
Mit dieser Orientierung arbeitet der Leipziger Privatdozent für Philosophie auf seinem Spezialgebiet, der praktischen Begründungslogik. Gekonnt spielt er auf der Tastatur formaler Schlussverfahren, um auf die Frage „Soll ich?” mit einem zwingenden Ja zu antworten. Die Grundstruktur seines deduktiven Arguments soll dabei ganz „simpel” sein. Wichtig dabei sei nur, dass man sich bei dessen Nachvollzug nicht an tatsächlich existierende Motive und Neigungen halte, sondern an „apriorische” Gründe, die nicht empirisch nachweisbar sein müssen, sondern ganz einfach begrifflich wahr sind und in einer formalisierten Notation nachgerechnet werden können.
Ist das so einfach? Fehige hat nicht beobachtet, wie Menschen handeln. Das interessiert den Logiker der praktischen Vernunft nicht. Er hat Kants Fachbegriff „a priori” ins Spiel gebracht und dazu eine eigene neue schöne Wortkombination gebildet: „Empathie a priori”, wobei „empathische Elementarwünsche”, zu „EE-Wünschen” verkürzt, eine wesentliche Rolle spielen sollen.
Von Empathie spricht Fehige, weil jeder von uns die Freude und das Leid, das Glück und den Schmerz seiner Mitmenschen teile, und zwar auf vernünftig passende Weise: Man freue sich über das Glück des anderen, man leide mit seinem Schmerz. Neid und Schadenfreude widersprächen dagegen der impliziten Rationalität menschlicher Empathie. Sie seien nur tatsächlich vorhandene Verfehlungen dessen, was doch „a priori” gelte, als „begriffliche Wahrheit” vor und unabhängig von jeder Tatsachenfeststellung und lebenspraktischen Erfahrung.
Die Rohfassung des so simplen deduktiven Arguments sieht so aus: Es sei erstens eine begriffliche Wahrheit, dass ich selbst glücklich bin, wenn ich mir vorstelle („repräsentiere”), dass du glücklich bist (Repräsentationsprämisse R). Es sei zweitens eine begriffliche Wahrheit, dass ich mir die Sachverhalte wünsche, deren Vorstellung mich glücklich machen würde (Wunschprämisse W). Aus R und W folge dann zwingend, dass ich wünsche, dass du glücklich bist (Glücksthese G). Man könnte Fehiges Moralprinzip einer Empathie a priori auch so verallgemeinern: Jeder wünscht, dass jeder glücklich ist und keiner leidet. Das sei leider kaum zu glauben und entspreche ja auch nicht unbedingt den Tatsachen, gibt Fehige zwar zu. Aber dieser Mangel sei kein grundlegendes Defizit. Man müsse halt nur das deduktive Argument immer subtiler, differenzierter und formalisierter machen, um seine logisch zwingende Kraft zu erhöhen.
Grammatisches Mitleid
Weite Teile seines logisch-philosophischen Traktats dienen dieser nicht mehr ganz so simplen Aufgabe, für eine „apriorische Glücksthese” und „apriorische Mitleidethik” einen expliziten formalen Beweis zu entwickeln, der am Ende dann doch nur noch für Fachspezialisten nachvollziehbar ist. Dabei ist besonders ein Trick verblüffend, mit dem Fehige seinen deduktiven Schluss plausibel machen will. Es ist ein grammatischer Clou, mit der das gewünschte Sein mit dem moralischen Sollen verknüpft wird. Fehige bevorzugt den Konjunktiv. Er spricht von dem, was wünschbar wäre und was empathisch mitgefühlt würde, wenn man sich das Glück und Leid des anderen „vollständig, lebhaft und korrekt” vorstellte.
Dann käme es zu „impliziten Wünschen”, die als interne Dispositionen wirksam wären, auch wenn sie nicht explizit sichtbar sein müssten. Implizite Einstellungen zählen - und genügen dem Logiker der Moral. Es komme nicht darauf an, was ich mache, sondern allein darauf, was ich als Mitgefühl empfinden würde, wenn „Empathie a priori” als ethisches Prinzip meine Gefühlswelt beherrschte. Zu meinen Lieblingssätzen aus Fehiges Traktat gehört deshalb seine Begründung für ein nur „konjunktivisches Unwohlsein”, wenn es um fremdes Leid geht: „Der Konjunktiv wirkt doppelt. Mitzuleiden hat zugleich dramatische Nachteile, für die Handelnden wie für die Moral, und rational begründende Kraft. Der Konjunktiv bannt die Nachteile und wahrt die Kraft.” Welch ein Glück, dass es für den strengen Logiker den grammatischen Konjunktiv gibt! So kann er als vernünftiger Mensch aus apriorischen Gründen ein gutes Gewissen haben, auch wenn er nichts tut. Thomas Hobbes hatte sich wenigstens noch um einige Geldstücke erleichtert.
MANFRED GEIER
CHRISTOPH FEHIGE: Soll ich? Philipp Reclam jun., Stuttgart 2004. 263 Seiten, 6 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Durchaus kritisch betrachtet Manfred Geier diesen Versuch von Christoph Fehige, eine Ethik des Mitgefühls logisch zu begründen. Skeptisch stimmt ihn schon dessen Ansatz, das Handeln der Menschen, ihre Motive und Neigungen zugunsten "apriorischer" Gründe zurückzustellen, um eine "Empathie a priori" als Prinzip des moralischen Handelns ins Spiel zu bringen. Fehiges deduktive Argumentation bringt Geier auf folgende Formel: "Jeder wünscht, dass jeder glücklich ist und keiner leidet." Zwar räume Fehige ein, dass dies nicht unbedingt den Tatsachen entspreche. Aber er sehe darin kein grundlegendes Defizit, zumal wenn man das deduktive Argument immer subtiler, differenzierter und formalisierter mache, um seine logisch zwingende Kraft zu erhöhen. Der formale Beweis für eine "apriorische Glücksthese" und "apriorische Mitleidethik", den Fehige dann entwickelt, erscheint Geier "nur noch für Fachspezialisten nachvollziehbar". "Verblüffend" findet er Fehiges dabei trickreichen Einsatz des Konjunktivs. "Er spricht von dem, was wünschbar wäre und was empathisch mitgefühlt würde, wenn man sich das Glück und Leid des anderen 'vollständig, lebhaft und korrekt' vorstellte." Fehiges Ausführungen über das "konjunktivische Unwohlsein" im Falle fremden Leids quittiert er dann spöttisch: "Welch ein Glück, dass es für den strengen Logiker den grammatischen Konjunktiv gibt! So kann er als vernünftiger Mensch aus apriorischen Gründen ein gutes Gewissen haben, auch wenn er nichts tut."

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