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Mit dem Verhältnis zwischen Politik und Ethik im Rechtsstaat haben sich große Denker seit der Antike auseinandergesetzt. Der Band betrachtet die wesentlichen historischen Positionen: Platon, Aristoteles, Konfuzius, Augustinus, Hobbes, Rousseau, Kant, Marx u.a. Unter dem Begriff "gesellschaftliche Kompensationen" geht es u.a. um 'Geschichte als Fortschritt' und 'Ordnung des Dissenses'.

Produktbeschreibung
Mit dem Verhältnis zwischen Politik und Ethik im Rechtsstaat haben sich große Denker seit der Antike auseinandergesetzt. Der Band betrachtet die wesentlichen historischen Positionen: Platon, Aristoteles, Konfuzius, Augustinus, Hobbes, Rousseau, Kant, Marx u.a. Unter dem Begriff "gesellschaftliche Kompensationen" geht es u.a. um 'Geschichte als Fortschritt' und 'Ordnung des Dissenses'.
Autorenporträt
Dr. Walter Schweidler ist Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2004

Wir Selbstermächtiger
Walter Schweidler will mit Kultur den Staat herausboxen

Die neuzeitlichen Prozesse der Säkularisierung der Welt und der Physikalisierung der Natur stellten die praktische Philosophie vor ein großes verbindlichkeitstheoretisches Problem. Mit dem Verblassen des theologischen Absolutismus und beginnender humaner Selbstbehauptung zum einen, der Ablösung des teleologischen Naturkonzepts durch den mathematischen Naturbegriff der neuen Naturwissenschaften zum anderen gingen die traditionellen Geltungsgründe verloren. Daher mußte Verbindlichkeit neu konzipiert, neu erfunden werden. Und die praktische Philosophie sah es als ihre Aufgabe an, diese neuen normativen Grundlagen zu entwickeln und mit dem neu entstandenen Selbst- und Weltverhältnis des modernen Menschen abzustimmen.

Walter Schweidler traut dieser Entwicklung nicht recht über den Weg. In seinem Buch erhält die normative Selbstermächtigung der Moderne eine entschieden negative Färbung. Für ihn wurzelt der moderne Staat in einem "legitimatorischen Vakuum" - mit entsprechenden begründungstheoretischen Paradoxien der kontraktualistischen Rationalität. Der Hobbessche Vertrag ist für Schweidler ein logisches Rätsel, da er sich von Voraussetzungen abhängig machen muß, die zu garantieren er selbst ins Leben gerufen wird. In dem Konzept der natürlichen Gesetze verdichtet sich diese zirkuläre Struktur: Einerseits sind diese Gesetze, wie die vorpolitischen ethischen Prinzipien der Tradition, aller staatlichen Tätigkeit vorausliegende normative Muster, andererseits jedoch gewinnen sie erst normative Geltung durch die staatlichen Gesetze.

Diese Zwitterstellung der natürlichen Gesetze ist für Schweidler ein Schlüssel für das Verständnis modernitätstypischer Politikethik überhaupt. Grundsätzlich kann nicht darauf verzichtet werden, durch Berufung auf vorpolitische normative Prägungen Legitimität zu beschaffen. Doch ist diese Legitimitätsbeschaffung selbst gebunden an die institutionellen Formen der politischen Arena. Sie erfolgt im Streit, mit der durchaus paradoxen Implikation, daß selbst noch die friedliche Uneinigkeit über die Legitimationsgründe Legitimität begründen kann. Dort, wo ehedem eine mit Ewigkeitsgültigkeit ausgestattete teleologische Natur die Grammatik guter Politik festlegte, findet sich jetzt ein unabschließbares offenes gesellschaftliches Gespräch, das die Gesetze, die es als Regeln gelingender Politik ethisch begründet, gleich wieder zurück in den Mahlstrom der reflexiven ethischen Selbstfindung der Gesellschaft zieht.

Mit gutem Recht hat sich Thomas Hobbes selbst zum Begründer der politischen Moderne ausgerufen. Aber, wie Schweidler in dem besten Kapitel seines Buches darlegt, die politische Moderne hat eigentlich viel früher begonnen. Schon in der politischen Philosophie Augustinus' finden sich viele erstaunliche konzeptuelle Neuerungen, die den politischen Aristotelismus verabschieden. Gerade die berühmte Augustinische Trennung zwischen der natürlichen Ordnung und der Ordnung menschlichen Handelns hat die letztere aus der Reichweite einer emphatischen Ethik gerückt und die Aufgabe der Politik vor allem in der Gewährleistung von Sicherheit und Frieden erblickt. Wenn das höchste Gut das ewige Leben ist, verliert der Staat seine Zuständigkeit für das Glück. Mit der theologischen Definition des Glücks beginnt seine Entpolitisierung, die in der Moderne sich als Subjektivierung und Privatisierung fortsetzt. Wenn aber das Glück nicht mehr Ziel der Politik ist, kann die politische Einheit sich auch nicht am Modell der "Gemeinschaft des Gottgenusses" (Augustinus) orientieren. Die geschichtliche civitas muß ihren Kohärenzbedarf ausschließlich aus dem Motivationsfundus bestreiten, der den Gerechten und den Heillosen gemein ist; und das ist der Friedenswunsch, der selbst in den unseligen Naturen wirksam ist.

Der gute Herrscherdarsteller

Hier klingt das Motiv des kleinsten gemeinsamen Hauptnenners, der Ausklammerung strittiger ethischer Auffassungen, bereits an, das das gesamte moderne politische Denken von Hobbes bis Rawls durchzieht. Und wie steht es mit der Gerechtigkeit, die nach einem vielzitierten Wort des Augustinus doch Staaten von Räuberbanden unterscheiden soll? Schaut man sich den Kontext dieses Zitats an, dann zeigt sich, daß gerade nicht Gerechtigkeit Staaten und Räuberbanden unterscheidet, sondern die Größe und die durch Macht herbeigeführte internationale Anerkennung. Wird eine Räuberbande so mächtig, daß es klug ist, sich mit ihr zu arrangieren, dann verwandelt sie sich in einen Staat. Das ist heute auch nicht anders. Oft genug sind die respektierten Staatsmänner von heute die Terroristen von gestern.

Man kann der These von der Dauerhaftigkeit des legitimatorischen Vakuums entgegenhalten, daß die Konzeption der Menschenrechte doch genau diese von Hobbes aufgerissene Begründungslücke zu schließen versucht, daß also spätestens seit Locke die Bodenlosigkeit moderner Politik beendet gewesen sei. Doch Locke ist für Schweidler nur ein Trivialisierer, ein Simplifikateur, der die Dramatik der Hobbesschen Konzeption nicht begriffen und auf Naturrechtsstrukturen zurückgegriffen habe. Menschenrechte beenden also das legitimatorische Vakuum keineswegs, da sie nicht anders als die natürlichen Gesetze Hobbes' zwar vorstaatliche normative Muster darstellen, jedoch wie diese auch auf die Institutionalisierung und Konkretisierung durch staatliche Gesetzgebung angewiesen sind. Die Lockesche Vorstellung einer vorstaatlich selbständigen Grundrechtsethik ist daher naiv und fällt hinter das von Hobbes erreichte Reflexionsniveau zurück.

Mit besonderem Interesse wird sich der Leser dem Habermas-Kapitel zuwenden, denn das Schweidlersche Leitmotiv der normativen Selbstermächtigung moderner Politik ist der Diskursethik ja nicht fremd. Sie will ja als Theorie der Legitimationsbedingungen gesellschaftlicher Diskurse die politische Arena ethischer Selbstlegitimation disziplinieren und die Gelingensbedingungen deliberativer Wahrheitssuche freilegen. Daher ist es nicht verwunderlich, daß sich auch an ihr die bereits bei Hobbes konstatierten Begründungsparadoxien nachweisen lassen. Muß doch die Gesellschaft bereits immer schon die Vernunft in hinreichendem Maße besitzen, um die für eine erfolgreiche Einübung in Verallgemeinerungsfähigkeit erforderlichen Institutionen auch zu erkennen und zu verwirklichen.

Den Wahrheitsoptimismus Habermas' vermag Schweidler freilich nicht zu teilen. Das Dissensschicksal moderner ethischer Selbstverständigung ist nicht abzuschütteln, die demokratische Öffentlichkeit darf nicht konsensutopisch überhöht werden. Erst recht nicht nach ihrer tiefgreifenden Mediatisierung. Denn die Unterwerfung argumentativer Rationalität unter die sensationsökonomischen Gesetze der Aufmerksamkeitsbewirtschaftung bewirkt eine veritable ethische Entsubstantiierung der Öffentlichkeit: der gute Herrscher macht dem guten Herrscherdarsteller Platz. Das Problem besteht nicht darin, daß die Wahrheit keine Quote bringt; das Problem besteht vielmehr darin, daß die Diskursethik sich nicht dagegen wehren kann, daß die Quote sich als Wahrheit ausgibt. Obwohl als Öffentlichkeitskritikerin angetreten, geht sie letztlich der empirischen Demokratie auf den Leim und gibt der Quote ihren aufklärungsemphatischen Segen, wenn sie sich als Wahrheit ausgibt.

Das Glück ist anderswo

Der Paradoxie des diskursethischen Hyperrationalismus will Schweidler mit einer kommunitaristischen Kur zu Leibe rücken. Denn offenkundig muß das Verhalten gelernt werden, das Individuen ermöglicht, an der ethischen Selbstverständigung einer politischen Gemeinschaft, erst recht an der diskursiven Ermittlung allgemeinheitsfähiger Interessen erfolgreich teilzunehmen. Dieses Lernen findet aber nur in lebensweltlichen Kontexten, in den vielen Gemeinschaften statt, in denen wir leben. Das Besondere ist der Biotop des Allgemeinen. Darin gründet die "legitimatorische Auszeichnung" des Gemeinschaftlichen und Kulturellen.

Rationalität motiviert sich nicht selbst, Rationalität als bürgerliche Haltung, als Respekt und Achtung, ist abhängig von geschichtlichen, nicht in Theorie auflösbaren Umständen. Und da diese geschichtlichen Gemeinschaften, die nicht gemacht werden, nicht in Assoziationen transformierbar sind, sowohl erhaltungsfreundlichen wie erhaltungsprekären Bedingungen ausgesetzt sein können, ist es um der Selbsterhaltung einer rechtsstaatlichen Ordnung willen erforderlich, kommunitaristische Klugheit zu zeigen und mit den vorpolitischen Ressourcen gesellschaftlichen Vernunftlernens pfleglich umzugehen.

Aber Schweidler begnügt sich nicht mit dieser politischen Aufgabe der Kultivierung des lebensethischen Milieus. Der Staat soll sich auch die Bildung zur Aufgabe machen. Bildung ist aber nun für Schweidler nicht Ausbildung, nicht Ausstattung mit zivilisatorischen Schlüsselkompetenzen, kognitiven Grundfähigkeiten und Entwicklungschancen, sondern Heranbildung von Persönlichkeit, Identitätsstiftung, Charakterformung. Und Persönlichkeit, personale Identität begreift Schweidler mit Ricoeur als etwas, das dadurch erreicht wird, daß man sich mit dem identifiziert, was wichtiger ist als man selbst. So anregend diese personentheoretische Konzeption fraglos ist, ob sie dem staatlichen Bildungsauftrag unterlegt werden sollte, scheint mir zweifelhaft. Hinter dieser Persönlichkeit taucht unverkennbar das objektive Glückskonzept des politischen Aristotelismus auf. Aber sowenig der moderne Staat für das Glück der Bürger zuständig ist, so wenig kann er für dessen personentheoretisches Surrogat verantwortlich gemacht werden. Da dieses Personenkonzept nicht als kulturelles Passepartout zum Gegenstand politischer Absichten gemacht werden kann, sondern immer nur in konkreter, kulturell parteilicher Gestalt die Aufmerksamkeit pädagogischer Sorge erhalten kann, ist die Gefahr einer Ideologisierung des Kulturellen unvermeidlich. Kultur, das ist ein ethisch vermintes und epistemologisch vernebeltes Gelände. Hier sollten die Ressourcen für die Kompensation des legitimatorischen Vakuums des modernen Rechtsstaats nicht gesucht werden.

Wir haben hier ein anspruchsvolles Werk vor uns, das nach zugegeben schwachem Beginn mit drei eher dürftigen Kapiteln über griechische Anfänge, Platon und Aristoteles mit einem großartigen Augustinus-Kapitel Fahrt aufnimmt und dann eine eindrucksvolle Darstellung des neuzeitlichen und gegenwärtigen politischen Denkens gibt, deren interpretatorischer Gewichtung man nicht folgen muß, deren intellektuell anregende Wirkung und stoffliche Reichhaltigkeit aber unbestreitbar sind.

WOLFGANG KERSTING

Walter Schweidler: "Der gute Staat". Politische Ethik von Platon bis zur Gegenwart. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2004. 396 S., br., 9,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Wir haben hier ein anspruchsvolles Werk vor uns, das nach zugegeben schwachem Beginn mit drei eher dürftigen Kapiteln über griechische Anfänge, Platon und Aristoteles mit einem großartigen Augustinus-Kapitel Fahrt aufnimmt und dann eine eindrucksvolle Darstellung des neuzeitlichen und gegenwärtigen politischen Denkens gibt, deren interpretatorischer Gewichtung man nicht folgen muß, deren intellektuell anregende Wirkung und stoffliche Reichhaltigkeit aber unbestreitbar ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Stofffülle und Reichhaltigkeit der Gedanken können hier nicht nachgezeichnet werden. Entscheidend für den Leser ist - und das zeigen bereits die Überschriften -, dass ihn kein bloßes Referieren von bereits Bekanntem, keine Einführung und auch kein Grundriss erwartet, sondern eine tief gehende kritische Analyse zentraler Gedanken der politischen Philosophie. Dies macht das Buch zwar durchaus nicht leicht lesbar, die Lektüre jedoch gleichzeitig zu einer fruchtbaren Herausforderung, die manchen Klassiker der Staatsphilosophie in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt, manche subjektive Gewissheit für noch einmal hinterfragungswürdig erklärt. Mehr kann man von einem guten und anspruchsvollen Buch nicht erwarten. Man wird und sollte immer wieder zu Schweidlers Werk greifen, wenn man sich mit Fragen politischer Philosophie befasst.
Politische Studien (Hanns Seidel Stiftung)

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die ethische Begründung des Staates ist für den Autor Walter Schweidler ein zentrales, aus dem Paradox der Selbstbegründung spätestens mit der Neuzeit nicht mehr zu erlösendes Thema. Der bedeutendste Autor, der die Aporien des kontraktualistischen Modells am weitesten entwickelt hat, ist Thomas Hobbes - ihm ist denn auch das zentrale und, wie der Rezensent Wolfgang Kersting in seiner sehr ausführlichen Darstellung meint, beste Kapitel des Buches gewidmet. Gleichfalls überzeugend findet er Schweidlers Hinweis auf die bereits in Augustinus Theorie von der göttlichen und menschlichen "civitas" angelegte Aufhebung eines Absolutheitsanspruchs für menschliche Gesellschaften. Auch der kritischen Auseinandersetzung mit Habermas' Ausarbeitung der zugrunde liegenden Paradoxien steht der Rezensent wohlwollend gegenüber. Die von Schweidler vorgeschlagene Remedur allerdings scheint ihm in eine gefährliche Richtung zu deuten. Die Idee, die ethische Letztbegründung (die eine solche nicht mehr sein kann) in die Personenbildung zu verlegen, laufe in Richtung eines letztlich das Individuum wiederum auf bestimmte kulturelle Werte verpflichtenden, aristotelisch inspirierten Kommunitarismus. Ein weiterer Kritikpunkt: Gerade die Anfangskapitel des Buches zur Antike seien "eher dürftig". Dennoch bescheinigt Kersting dem Buch insgesamt " intellektuell anregende Wirkung und stoffliche Reichhaltigkeit".

© Perlentaucher Medien GmbH
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