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Andersens "Gedichtsammlung in Prosa" hat seit 1840 Leser in aller Welt verzaubert. In 33 Miniaturen erzählt es davon, wie der Mond allabendlich einen jungen Maler besucht und ihm von dem erzählt, was er auf seinen Reisen erlebt hat. Heinrich Detering gesellt in seiner kommentierten Neuübersetzung diesem literarischen Experiment einige verwandte Texte des Autors hinzu: Ein Hauptwerk des Märchendichters ist wieder zu entdecken.

Produktbeschreibung
Andersens "Gedichtsammlung in Prosa" hat seit 1840 Leser in aller Welt verzaubert. In 33 Miniaturen erzählt es davon, wie der Mond allabendlich einen jungen Maler besucht und ihm von dem erzählt, was er auf seinen Reisen erlebt hat. Heinrich Detering gesellt in seiner kommentierten Neuübersetzung diesem literarischen Experiment einige verwandte Texte des Autors hinzu: Ein Hauptwerk des Märchendichters ist wieder zu entdecken.
Autorenporträt
Hans Christian Andersen wurde am 2. April 1805 in Odense (Dänemark) geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Dänenkönig Friedrich VI., dem seine Begabung aufgefallen war, ermöglichte ihm 1822 den Besuch der Lateinschule in Slagelsen. Bis 1828 wurde ihm auch das Universitätsstudium bezahlt. Andersen unternahm Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien, die ihn zu lebhaften impressionistischen Studien anregten. Der Weltruhm Andersens ist auf den insgesamt 168 von ihm geschriebenen Märchen begründet. Andersen starb am 4.8.1875 in Kopenhagen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2009

Der Mond, der alte Voyeur
Andersens "Bilderbuch" in zwei neuen Übersetzungen

Der Mond hat eine große Macht, auch als Spion ist er bedeutend. Lord Byron hat es erkannt, in seinem "Don Juan" steht: "Der Mond belauscht am hohen Himmelsdom manch tief Geheimnis." Hans Christian Andersen fühlte sich mit dem großen Briten wesensverwandt, nicht nur wegen dessen Dichtung, sondern auch wegen dessen Selbstinszenierung; schon im November 1825, Andersen war als Autor noch ein Nichts, schreibt er ins Tagebuch: "Las Byrons Biographie, oh, er war mir ähnlich bis zur Geschwätzigkeit, ehrgeizig ist meine Seele wie seine, nur bewundert von allen fühlt sie sich glücklich." Andersen hat (wie Kierkegaard) den "Don Juan" wohl auf Deutsch gelesen (allerdings nicht in der obigen Übersetzung Otto Gildemeisters, die kam später), vielleicht hat er sich für sein apartes "Bilderbuch ohne Bilder" davon inspirieren lassen, dass der Mond "manch tief Geheimnis" belauscht.

Denn das ist die Grundidee: Ein armer Maler lebt, eben nach Kopenhagen gezogen, einsam in seinem Zimmer unterm Dach (wie Andersen anfangs selbst, man kann die karge Dachstube am Kongens Nytorv, gegenüber dem Theater, noch heute besuchen) und lässt sich vom Mond trösten, der ihm allabendlich von seinen Reisen berichtet, die ihn nach Indien und China, nach Paris und Uppsala, zu den Eskimos und deutschen Rezensenten führt. Zu Weihnachten 1839 kamen die ersten zwanzig Abende des "Bilderbuchs ohne Bilder" heraus, bis 1848 wurden sie auf insgesamt 33 erweitert.

Den Ehrgeiz und die Eitelkeit behielt der Däne bis ins Alter, sein "Bilderbuch" nannte er noch vor Erscheinen gegenüber der Brieffreundin Henriette Hanck "einen dänischen 1001 Abend" und "eine Gedichtsammlung in Prosa". Der erste Vergleich wäre ein Hinweis, dass Andersen die Miniaturen zu seinen Märchen zählte. Der zweite ist echt erstaunlich. Drei Jahre vor der "offiziellen" Einführung des Begriffs "Poème en prose" in Zusammenhang mit Bertrands "Gaspard de la nuit" (1842) benutzt ein Däne einen für die damalige Zeit frappanten Terminus (erfunden hat ihn offenbar schon 1716 ein gewisser Houdar de La Motte).

Heinrich Deterings komparatistisches Nachwort vergleicht das "Bilderbuch" sogar mit Baudelaires "Spleen de Paris", dort besucht der Mond im 37. Text ein kleines Mädchen in seinem Bettchen, auch der Mond bei Andersen besucht kleine Mädchen gern, "ich küsste sie auf Augen und Mund", steht da gleich zu Beginn, und später: "ich küsste die zarten, runden Schultern des Kindes", und am Schluss, am 33. Abend, hält ihn gar nichts mehr: "Ich habe die Kinder sehr gern! (...) Es ist so lustig zu sehen, wie sie sich gegenseitig beim Ausziehen helfen (...) ich sehe, wie der Strumpf abgezogen wird, und ein niedliches Beinchen, so weiß und fest, kommt hervor, das ist ein Fuß zum Küssen, und ich küsse ihn!" Bei Baudelaire mündet der Besuch des Mondes fast in eine Notzucht. Bei Andersen denkt man zwar nicht an Gewalt, aber an Striptease, der Mond ist ein Voyeur, der Szenen "belauscht", welche die der Kleinmädchenfotos des englischen Geistlichen Dodgson alias Lewis Carroll noch übertrumpfen.

In vielen Texten beweist Andersen Humor: Zwei junge Nonnen sehnen sich in die Welt, ein buddhistischer Mönch hat sündige Gedanken, und zwei kleine Kinder wissen genau, woher die Babys kommen, nicht der Storch bringt sie, sondern natürlich der liebe Gott. Und er feiert die unschuldige Einfalt, mit der man der Angst ein Schnippchen schlägt (wenn drei Kinder mit einem Bären spielen) oder zu tiefem Empfinden erst fähig ist (wenn ein junges Mädchen "zum Himmel über dem Meer" aufblickt).

Aber harmlos sind diese Texte kaum. Zählt man sie zu den Märchen, trifft das Wort Kierkegaards auf sie zu: "haben alle irdischen, alle endlichen Leiden aufgehört; die Freude, ja, das Leid selbst ist unendlich". Tatsächlich wechseln sich Freud und Leid ab, aber die Trauer über die Ungerechtigkeit der Welt, ob sozial oder moralisch, ist fast überall zu spüren. Detering weist auch auf die Außenseiterthematik hin, den verlachten Clown, den verspotteten Schauspieler, die todkranke Hure. Andersen enthüllt uns die Nachtseite, nur zum "Schein" sozusagen zeigen die Miniaturen die "mondbeglänzte Zaubernacht", die Tieck noch sah, Andersen entzaubert die Idylle fast bis auf den letzten Rest, aber gottlob nur fast, das ist seine Meisterschaft, denn ein neuer Zauber entsteht, eben ohne die Harmlosigkeit biedermeierlicher Idyllen, weil aus dem Gegen- und Miteinander von Idylle und Realismus die Faszination hervorgeht; man wird fast gezwungen, die Geschichten zwei, drei, viele Male zu lesen; ein Mysterium bleibt immer.

Welche der beiden neuen Übersetzungen vorzuziehen ist, hängt von ihren Nutzern ab, ein pauschales Urteil ist hier gar nicht abzugeben. Mit Ulrich Sonnenberg übersetzt ein Verlagsprofi und hauptberuflicher Übersetzer, mit Heinrich Detering ein Literaturwissenschaftler. Grob gesagt, achtet Ersterer vor allem aufs Lesevergnügen, Letzterer auf sprachliche Genauigkeit; die Übersetzung eines Philologen möchte immer auch Grundlagentext exakter Analyse sein können. Die obige Striptease-Szene war die Detering-Version, bei Sonnenberg ist der Mond erregter: "Ich liebe die Kinder! (...) Es macht einen Riesenspaß, ihnen zuzusehen, wenn sie sich gegenseitig beim Ausziehen helfen (...) ich sehe, wie der Strumpf ausgezogen wird, und ein niedliches kleines Bein, so weiß und fest, zum Vorschein kommt, das ist ein Fuß zum Küssen, und ich küsse ihn auch." Sonnenberg legt hier also noch etwas nach, er sucht den Effekt. Detering kann eckiger wirken, als im Original vielleicht beabsichtigt, er übersetzt wörtlicher, man kann aber auch sagen: authentischer.

Gerade daraus erwuchs vielleicht der eine kleine Fehler, den er sich erlaubte. Wir hatten ja schon verstanden, dass der Mond, der alte Voyeur, allzu gern verschiedene Körperteile küsst. Er hat da sozusagen das Monopol. Deshalb prahlt er am siebenten Abend auch bei Detering: "Meine Strahlen begleiteten sie, bis zum Morgendämmern küsste ich ihre Stirn." Ulrich Sonnenberg schreibt: "Meine Strahlen begleiteten sie, bis die Morgendämmerung sie auf die Stirn küsste." Dies mag überraschend sein, denn eigentlich küsst hier immer nur der Mond, ist aber richtig, im Original steht: "Mine Straaler fulgte hende, til Dagskjæret kyssede hendes Pande."

PETER URBAN-HALLE

Hans Christian Andersen: "Bilderbuch ohne Bilder". Hrsg. und aus dem Dänischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2009. 78 S., geb., 12,80 [Euro].

Hans Christian Andersen: "Bilderbuch ohne Bilder". Gedichte in Prosa. Aus dem Dänischen übertragen und kommentiert von Heinrich Detering. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2009. 112 S., geb., 6,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass Heinrich Detering Hans Christian Andersens "Bilderbuch" im Nachwort mit Baudelaire vergleicht, kann Peter Urban-Halle durchaus nachvollziehen. Für ihn ist der Mond, der dem armen Maler von den Dingen erzählt, die er so zu sehen bekommt, tatsächlich ein Voyeur. Ganz harmlos findet der Rezensent das nicht, aber auch nicht skandalös. Andersens Humor steht davor und die für Urban-Halle spürbare Trauer über soziale und moralische Ungerechtigkeiten. Dass die Miniaturen ihren eigenen Zauber haben, ist laut Rezensent der Meisterschaft des Autors zu verdanken, Idyll und Realismus miteinander zu verschränken. Heinrich Deterings Übersetzung kommt dem Rezensenten übrigens genauer vor, aber auch eckiger als die andere aktuelle Ausgabe des Textes von Ulrich Sonnenberg.

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