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Gilt das Verbot der Tötung Unschuldiger absolut oder darf selbst diese fundamentale Moralnorm unter Ausnahmebedingungen verletzt werden?
Wir leben in einer Welt voller Gefahren. Das Leben von Menschen wird bedroht durch verbrecherische Diktaturen, terroristische Anschläge, technische Havarien und Katastrophen verschiedener Art. Dürfen solche Gefahren notfalls auch dann bekämpft werden, wenn dabei Unschuldige getötet werden oder ihr Tod in Kauf genommen werden muss?
Das Buch gibt eine moralphilosophische Antwort auf diese politisch, ethisch und rechtlich umstrittene Frage. Lothar Fritze
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Produktbeschreibung
Gilt das Verbot der Tötung Unschuldiger absolut oder darf selbst diese fundamentale Moralnorm unter Ausnahmebedingungen verletzt werden?

Wir leben in einer Welt voller Gefahren. Das Leben von Menschen wird bedroht durch verbrecherische Diktaturen, terroristische Anschläge, technische Havarien und Katastrophen verschiedener Art. Dürfen solche Gefahren notfalls auch dann bekämpft werden, wenn dabei Unschuldige getötet werden oder ihr Tod in Kauf genommen werden muss?

Das Buch gibt eine moralphilosophische Antwort auf diese politisch, ethisch und rechtlich umstrittene Frage. Lothar Fritze analysiert das Rechtsdogma der Nichtabwägungsfähigkeit menschlichen Lebens und fragt, wie sich das Verbot der Tötung Unschuldiger mit der verbreiteten moralischen Intuition vereinbaren lässt, wonach in Extremfällen durchaus einige wenige unschuldige Menschen geopfert werden dürfen, um sehr viele andere Unschuldige zu retten.
Autorenporträt
Lothar Fritze ist Privatdozent am Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte der Technischen Universität Chemnitz und Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2004

Alles eine Frage der Kalkulation
Lothar Fritze fordert, sich auch als Unschuldiger töten zu lassen

Am Abend des 8. November 1939 hielt Hitler nach alljährlichem Brauch zum Gedenken des Putsches von 1923 vor den "alten Kämpfern" im Münchener Bürgerbräukeller eine Rede. Wenige Minuten nachdem er geendet und das Lokal verlassen hatte, explodierte unmittelbar hinter dem Rednerpult eine von dem kommunistischen Tischler Georg Elser versteckte Bombe und tötete sieben Menschen. Es entspricht den Usancen der politischen Korrektheit in Deutschland, bereits auf die bloße Frage, ob Elsers Handeln moralisch gerechtfertigt gewesen sei, mit Unverständnis und Entrüstung zu reagieren. Daß dem Diktator nicht eine einzige Träne nachzuweinen gewesen wäre, versteht sich in der Tat von selbst. Aber wie verhält es sich im Hinblick auf die übrigen Opfer der Explosion? Handelt moralisch legitim, wer weiß, daß er sein Ziel, die Welt von einem Tyrannen und Massenmörder zu befreien, nur dadurch erreichen kann, daß er auch Unschuldige in den Tod reißt? Immerhin gehört das Verbot der Tötung Unschuldiger zum Kernbereich unserer moralischen Überzeugungen. Volle Evidenz kommt diesem Verbot freilich nur auf dem übersichtlichen Feld zwischenmenschlicher Interaktionen zu. Das Ziel, eine gefährdete Person zu retten, rechtfertigt nicht die Tötung einer an der Gefährdung unbeteiligten anderen Person.

Aber läßt sich dieser Rigorismus auch im Angesicht drohender Großkatastrophen durchhalten? Wie ist es, wenn die Aufopferung eines Unschuldigen Hunderten, Tausenden oder gar Millionen ebenfalls unschuldiger Menschen das Leben retten würde? In solchen Fällen beginnen unsere moralischen Intuitionen schwankend zu werden. Wir ehren die Elsers als Helden und hüllen über ihre unschuldigen Opfer den Mantel des Schweigens. Diesen Mantel aufgedeckt und den Versuch einer Begründung und Systematisierung unserer moralischen Intuitionen unternommen zu haben ist das Verdienst dieses Buches. Dieses Unternehmen auf ein nicht hinreichend tragfähiges philosophisches Fundament gestellt zu haben ist sein Hauptmangel.

Lothar Fritze bekennt sich zu einem von Rawls inspirierten vertragstheoretischen Begründungsmodell. Als Maßstab, nach dem sich die Anerkennungswürdigkeit einer Norm richte, komme dabei für "Menschen, die sich jeden Rückgriff auf metaphysische Annahmen selbst verbieten", nur ihr aufgeklärtes Selbstinteresse in Betracht. Die Mitglieder einer Gemeinschaft würden deshalb "einer Ingeltungsetzung ausschließlich solcher Normen zustimmen, von deren allgemeiner Befolgung zu erwarten ist, daß sie wahrscheinlich selbst davon profitieren". Eine Norm, welche die Tötung Unschuldiger zuläßt, sofern nur auf diese Weise eine Gefahr für das Leben vieler anderer Menschen abgewendet werden kann, genügt nach Fritze prinzipiell dieser Anforderung. "Weil jeder ein Interesse an der Abwehr immenser Gefahren hat, ist - bei vernünftiger Kalkulation - auch jeder bereit, den Preis zu zahlen, daß es ihn bei einem Abwehrversuch treffen kann."

Wirklich? Es ist eines, hinter dem Schleier des Nichtwissens über die Einführung einer solchen Norm zu räsonieren, aber etwas anderes, dem Bombenwerfer selbst ins Auge blicken zu müssen. Trifft in dieser Situation den bedrohten Unschuldigen tatsächlich die moralische Pflicht, die Hände in den Schoß zu legen, ein letztes Vaterunser zu beten und duldend den eigenen Tod entgegenzunehmen? Nein, konzediert Fritze, dies wäre zuviel verlangt. Der menschlichen Schwäche müsse Rechnung getragen werden. Wer nicht die Kraft zur Selbstaufopferung aufbringe, dem sei kein Vorwurf zu machen, wenn er sich zur Wehr setze. Wer allerdings ohne vorangegangenes intensives Bemühen, seinen Selbsterhaltungstrieb zu unterdrücken, sich selbst rettet, der handelt nach Fritze moralisch unerlaubt.

Aber wie will man die von Fritze angenommene Pflicht, sich um eine Bereitschaft zum Selbstopfer zu bemühen, den auf ihre je individuelle Vorteilsmaximierung bedachten Individuen gegenüber begründen, die der Verfasser zuvor zu den Akteuren seines Gedankenexperiments ernannt hat? Der Tod ist ein meiner Fähigkeit zur Interessenverfolgung höchst abträglicher Zustand. Sich ihm nach Kräften entgegenzustemmen ist aus Sicht des Interessenmaximierers ein Ausdruck nicht von Schwäche, sondern von vollkommener Rationalität. An einer anderen Stelle seines Buches gesteht auch Fritze selbst dies zu. "Der Vorwurf", so schreibt er, "die Selbstrettung verletze die Unparteilichkeitsforderung und sei, weil normwidrig, irrational gewesen, nennt keinen rationalen Grund, das Verhalten in einer ähnlichen Situation zu ändern." Der metaphysikfreie Mensch opfert sich nicht auf.

Damit aber gerät Fritzes gesamte Argumentation ins Wanken. Die von ihm unter dem Schleier des Nichtwissens hervorgezauberte Erlaubnisnorm erweist sich bei Lichte besehen als eine Königin ohne Land. Fritze selbst betont, daß Gefahrenabwehrmaßnahmen, die mit der Tötung Unschuldiger einhergehen, nicht zulässig seien, wenn die Betreffenden ihrer Opferung widersprächen. Er meint jedoch, daß der Täter diese Einwilligung im Zweifel unterstellen dürfe, weil andernfalls die Gültigkeit des Erlaubnissatzes selbst in Frage gestellt würde. Letzteres trifft zwar zu, aber daraus läßt sich nicht die von Fritze gezogene Folgerung ableiten. Ein Täter, der weiß, daß er es mit Personen zu tun hat, die an der Angel ihres jeweiligen Individualinteresses zappeln, hat nicht den geringsten Anlaß, ihnen die Bereitschaft zur Selbstaufgabe zu unterstellen. Um zu der gegenteiligen Behauptung zu gelangen, muß Fritze den Betreffenden eine normative Ausstattung, etwa in Form eines Sinns für Fairness, zuschreiben, die weitaus reichhaltiger ist als jene, mit der er sie zunächst in das begründungstheoretische Rennen geschickt hat. So dementiert die Durchführung seiner Konzeption deren Prämissen.

Aber nicht nur die normative Identität der Vertragschließenden, sondern auch das von Fritze gewählte kontraktualistische Begründungsverfahren als solches wirft beträchtliche Probleme auf. Aus ihm ergibt sich, daß lediglich die Aufopferung solcher Personen in Frage kommt, die selbst der dadurch begünstigten Gemeinschaft angehören. Nur diese hätten nämlich die Chance, von der betreffenden Erlaubnisnorm zu profitieren. Fritze spricht diese Konsequenz offen aus. Ein Staat dürfe Gefahren, die nur ihm drohten, nicht mit Mitteln abzuwenden versuchen, die unschuldige Menschen anderer Staaten das Leben kosteten. Nimmt man diese Aussage beim Wort, so wäre der Verteidigungskrieg, seit je als der Paradefall gerechtfertigter Gewaltanwendung anerkannt, weitgehend unzulässig. Zumindest wäre es untersagt, einen solchen Krieg auf den Boden des Feindes zu tragen, denn in diesem Fall ließe sich nicht ausschließen, daß im Gefolge der Kampfhandlungen auch Zivilisten der Gegenseite ums Leben kommen könnten. Um dieser Folgerung auszuweichen, sieht Fritze sich zu einer höchst gekünstelten Unterstellung gezwungen. Von der Regierung eines Staates, die einen ungerechtfertigten Angriffskrieg führt, gehe immer auch eine Gefahr für dessen eigene Bevölkerung aus. "Um so deutlicher ein solcher Zusammenhang sichtbar ist, um so eher wird eine mitbeanspruchte Zivilbevölkerung den Kampf gegen das eigene Regime als Abwehr einer Gefahr begreifen, die ihr selbst droht."

Diese Umdeutung eines Verteidigungskrieges in eine Geschäftsführung ohne Auftrag zugunsten der gegnerischen Zivilbevölkerung hält freilich der Konfrontation mit der politischen Realität nur selten stand. War etwa das napoleonische Kaiserreich, das ganz Europa mit Krieg überzog, oder waren die Ostblockstaaten der nachstalinistischen Ära, von denen über Jahrzehnte hinweg ein Angriff auf Westeuropa befürchtet werden mußte, staatsterroristische Regimes, von denen eine pauschale Bedrohung von Leib und Leben der eigenen Bevölkerung ausging? Wohl kaum. Daß nach geltendem Kriegsvölkerrecht die feindliche Zivilbevölkerung im Rahmen des Verhältnismäßigen in Mitleidenschaft gezogen werden darf, läßt sich weit eher als auf ein vertragstheoretisches Begründungsmodell auf das Fortwirken des Gedankens der Kollektivhaftung für das Handeln der eigenen Staatsführung zurückführen. Die Rede von der Befreiung unterjochter Völkerschaften hat sich jedenfalls schon allzuoft als ideologische Mär erwiesen. Es ist nicht ohne Pikanterie, daß ausgerechnet Fritzes vorgeblich metaphysikfreier Mensch sich veranlaßt sieht, bei ihr Zuflucht zu suchen.

Das Strafrecht kennt die Figur des untauglichen Versuchs. Auch der geübteste Schütze kann nichts ausrichten, wenn er seinen Revolver irrtümlich nur mit Schreckschußpatronen geladen hat. Ein solcher Schütze ist Fritze. Seinem Buch fehlt es weder an Scharfsinn noch an argumentativer Eleganz. Mit dem von ihm gewählten methodischen Instrumentarium läßt sich sein Begründungsziel aber von vornherein nicht erreichen. Einem bourgeois, nur an Verträgen zum gegenseitigen Nutzen interessiert, läßt sich die Berechtigung zur Tötung Unschuldiger nicht plausibel machen. Citoyens aber kennt Fritze nicht mehr, ebensowenig wie Feinde. Deshalb entpuppt sich sein Buch als ein einziger großer Schreckschuß.

MICHAEL PAWLIK

Lothar Fritze: "Die Tötung Unschuldiger". Ein Dogma auf dem Prüfstand. Walter de Gruyter Verlag, Berlin, New York 2004. X, 263 S., br., 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Alles in allem ist zu konstatieren, dass Lothar Fritze seine Überlegungen mit methodischer Sorgfalt, mit moralphilosophischem Fingerspitzengefühl und mit nachvollziehbaren Argumenten entwickelt. Da sein Werk ein Grenzgebiet zwischen der strafrechtlichen Notstandslehre und der philosophischen Ethik beleuchtet, verdient es auch in der Rechtswissenschaft Beachtung." Stefan Grote in: Juristische Rundschau 1/2005

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ist sie erlaubt, die Tötung Unschuldiger? Hätte man, beispielsweise, Unschuldige mit in den Tod reißen dürfen, um Hitler zu beseitigen? Unsere "moralische Intuition", auch wenn darüber selten geredet wird, ist geneigt zuzustimmen, doch wie lässt sich dass begründen? Rezensent Michael Pawlik hält Lothar Fritze zugute, dass er sehr wohl darüber redet, aber das ist ihm zufolge auch schon das einzige Verdienst der moralphilosophischen Abhandlung Fritzes. Was keineswegs am fehlenden Verstand des Autors liege, sondern an der Wahl der Mittel. Fritze geht - dezidiert nicht-metaphysisch - nämlich von Rawls' "aufgeklärtem Selbstinteresse" aus: Mitglieder einer Gemeinschaft stimmen dem zu, wovon sie, wenn sich denn alle danach richten, Vorteile für sich selbst erwarten können. Und "eine Norm, welche die Tötung Unschuldiger zulässt, sofern nur auf diese Weise eine Gefahr für das Leben vieler anderer Menschen abgewendet werden kann, genügt nach Fritze prinzipiell dieser Anforderung", denn jeder habe ein "Interesse an der Abwehr immenser Gefahren" (Fritze) und sei deshalb dem Ermessen nach bereit, dafür etwas zu opfern. Das aber stellt der Rezensent in Frage, denn das unschuldige Opfer könnte ja jeder sein, der Fritze zufolge der Notwendigkeit der Opferung zustimmen müsste - wie aber lässt sich das mit Selbstinteresse vereinbaren? Daraus folgt, so der Rezensent: "Ein Täter, der weiß, dass er es mit Personen zu tun hat, die an der Angel ihres jeweiligen Individualinteresses zappeln, hat nicht den geringsten Anlass, ihnen die Bereitschaft zur Selbstaufgabe zu unterstellen." Und was das Buch betrifft, urteilt Pawlik: Fritze zielt richtig, aber er hat Platzpatronen geladen und kann deshalb gar nicht ins Schwarze treffen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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"Die Arbeit besticht durch ihre klare Sprache, scharfsinnige Argumentation sowie eine sorgfältige Erörterung zahlreicher Aspekte der behandelten Problematik. In jedem Fall stellt Fritzes Arbeit einen wertvollen und weiterführenden Diskussionsbeitrag zu dieser schwierigen Thematik dar."
Armin Engländer in: Juristenzeitung 19/2007

"Alles in allem ist zu konstatieren, dass Lothar Fritze seine Überlegungen mit methodischer Sorgfalt, mit moralphilosophischem Fingerspitzengefühl und mit nachvollziehbaren Argumenten entwickelt. Da sein Werk ein Grenzgebiet zwischen der strafrechtlichen Notstandslehre und der philosophischen Ethik beleuchtet, verdient es auch in der Rechtswissenschaft Beachtung."
Stefan Grote in: Juristische Rundschau 1/2005