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1931-1935 / Tagebücher, 5 Bde. 4 - Woolf, Virginia
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Virginia Woolf ist fünfzig Jahre alt und steht auf der Höhe ihres Ruhms als Schriftstellerin. Der Roman "Die Wellen" wird vollendet, "Flush" erscheint, die Arbeit an "Die Jahre" - es wird ihr vorletzter Roman sein - wird im Tagebuch intensiv begleitet. Die Eindrücke von Reisen mit Leonard Woolf nach Frankreich, Italien, Griechenland sind in fast täglichen Notaten dokumentiert. Mit Sorge beobachten beide den heraufkommenden Faschismus und die wachsende Kriegsgefahr in Europa. Aufmerksam und ernsthaft registriert Virginia Woolf ihre Gespräche mit Künstlern und Schriftstellern, beteiligt sich aber auch mit Freude am Gesellschafts- und Familienklatsch.…mehr

Produktbeschreibung
Virginia Woolf ist fünfzig Jahre alt und steht auf der Höhe ihres Ruhms als Schriftstellerin. Der Roman "Die Wellen" wird vollendet, "Flush" erscheint, die Arbeit an "Die Jahre" - es wird ihr vorletzter Roman sein - wird im Tagebuch intensiv begleitet. Die Eindrücke von Reisen mit Leonard Woolf nach Frankreich, Italien, Griechenland sind in fast täglichen Notaten dokumentiert. Mit Sorge beobachten beide den heraufkommenden Faschismus und die wachsende Kriegsgefahr in Europa. Aufmerksam und ernsthaft registriert Virginia Woolf ihre Gespräche mit Künstlern und Schriftstellern, beteiligt sich aber auch mit Freude am Gesellschafts- und Familienklatsch.
Autorenporträt
Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben.

Klaus Reichert, 1938 geboren, ist Literaturwissenschaftler, Autor, Übersetzer und Herausgeber. Von 1964 bis 1968 war er Lektor in den Verlagen Insel und Suhrkamp, von 1975 bis 2003 war er Professor für Anglistik und Amerikanistik an der Frankfurter Goethe-Universität, 1993 gründete er dort das »Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit«. Von 2002 bis 2011 war er Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei S. Fischer erschien zuletzt »Türkische Tagebücher. Reisen in ein unentdecktes Land« (2011) und »Wolkendienst. Figuren des Flüchtigen« (2016).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.08.2003

Der Bienenstock von Bloomsbury
Mindestens so boshaft wie sensibel: Virginia Woolf in ihren Tagebüchern 1931-1935
Wenn ein Mensch sich umbringt, scheint davon ein Licht auf sein ganzes Leben zu fallen und zumal auf seine letzten Tage; jeder Geste und jedem Wort wächst rückwirkend der Sinn des nahen Endes zu. Am 12. März 1932 geht das Ehepaar Woolf, Virginia und Leonard, seine Freundin Dora Carrington besuchen, die nicht über den Tod des von ihr geliebten Lytton Strachey hinwegkommt. „Wie ängstlich sie schien, etwas falsch zu machen – wie ein Kind, das gescholten worden ist. Sie kam herunter bis vor das Haus. Sie küsste mich mehrmals. Ich sagte, ,Dann kommst Du & besuchst uns nächste Woche – oder nicht – wie Du möchtest?‘ ,Ja, ich komme, oder ich komme nicht‘, sagte sie. Und küsste mich wieder, & sagte Adieu. Dann ging sie hinein; & drehte sich um & ich winkte & sie winkte zurück & sie ging ins Haus.”
Schönes Meer, fernes Unheil
Es ist das Letzte, was die Woolfs von ihr sehen und hören. Am nächsten Morgen um 8:30 nimmt Dora eine Jagdwaffe und erschießt sich. Dieses in die Länge gezogene Adieu, das sich immer noch einmal umwendet und immer noch einmal winkt, diese böse Ahnung, wie spät in Wahrheit alles schon ist, bildet den Grundton von Virginia Woolfs Tagebüchern der Jahre 1931 bis 1935. Er teilt sich besonders den Schilderungen von Landschaften und Reisen mit und verleiht ihnen die Qualität einer schmerzlichen Klarheit, deren Genuss an die Trauer gebunden ist. Die Schönheit Frankreichs ist leer von Menschen, die Schönheit Griechenlands leer selbst von Geschichte. „Dann fuhren wir weiter zum Meer – & wie schön ist die reine Lippe des Meeres, wenn sie einen wilden Strand berührt; mit Hügeln im Hintergrund, & grünen Ebenen, & Eleusis in der Ferne & grüne & rote Felsen, & ein Dampfer, der ausläuft.”
Das Alles, besonders die Farben, die sich als reine Valeurs von den sie tragenden Dingen ablösen, als könnte dieses Ich mit ihnen nie wieder in Berührung treten, ein Gemälde der Unwiederbringlichkeit – ist gesehen wie mit dem Auge einer Sterbenden. Dabei erreicht Virginia Woolf in diesem Zeitraum erst ihren fünfzigsten Geburtstag und den Gipfel ihres Ruhms. Doch bleiben Lytton und Dora nicht die Einzigen, die sterben; der Tod geht um in diesem Freundeskreis; zum Schluss stirbt sogar Pinka, der Hund der Familie. Parallel dazu verschafft sich, wie ein musikalisches Motiv des Unheils, das Politische immer stärkere Geltung. Hitlers Machtergreifung kommt noch überhaupt nicht vor, der Röhmputsch mit seinen 1200 Toten erscheint noch als ein ästhetisches Desaster, angerichtet von tumben Gorillas. 1935 endlich wird der Ernst der Kriegsgefahr erkannt.
Immer wieder spricht Virginia Woolf in diesen Jahren davon, wie glücklich sie sei; was das zu bedeuten hat, darüber können sich schon die englische Herausgeberin und die Verfasserin der Vorbemerkung zur deutschen Ausgabe nicht einigen. Meint die erste, Virginia Woolf „war – was sie oft vermerkte – im Grunde eine glückliche Frau, und sie hatte ein Talent dafür, das Leben zu genießen und ihre Freude am Leben auszudrücken”, so registriert die zweite: „Verdächtig oft taucht das Wort ,Glück‘ auf (...) Die Ausrufe klingen wie Beschwörungsformeln.” Man braucht dieses Glück indes gar nicht zu verdächtigen, um zu spüren, wie sehr es sich dem fast gewaltsam stillgestellten Augenblick verdankt und welcher schmerzlichen Unrast es immer wieder in die Speichen greift.
Zwischen solchen seligen Stillständen jedoch läuft das Tagebuch, wie es seinem Wesen entspricht, linear dahin, und man erlebt die Schriftstellerin in ihrem alltäglichen Treiben, beim Friseur, beim Antiquitätenhändler, vor allem in ihrer Society. Es ist kein Erlebnis, das in jeder Hinsicht erfreut. Eine Unzahl von Bekannten, die einander unablässig bei Tees, Vernissagen und Matineen „sehen”, wird ins Auge gefasst und aufs Korn genommen; und fast jedem weiß die Autorin physiognomisch das Tier zu entbinden, das ihm innewohnt. Der eine ist ein „dünner, glotzäugiger Hummer”, die andere, dick und im weißen Pelzmantel, heißt einfach „der Yak”, diese Frau ist „für mich ein Kabeljau in Person”, jene dafür „wie ein Hundshai: dieser runde Schlitz von einem Mund in blassem Fleisch”. „Und Logan – mein Gott, was für ein Langweiler; keine Unze Wahrheit in ihm; bloß ein unruhiger Wurm, der sich nach Komplimenten windet.” Manchmal auch reicht ein Biest nicht, es müssen zwei her: Da ist einer „so gerissen wie ein Fuchs & so trivial wie eine Stange voller Kanarienvögel”, oder: „Ethel kam zum Tee herüber, gestern, und führte sich sehr lebhaft als alte Eule auf – die aber ein roter kehllappiger Truthahn ist”. Ethel ist der Autorin immerhin eng befreundet, ebenso wie der Dichter Thomas Stearns Eliot, der gleichwohl so charakterisiert wird: „Er ist kompakt & glänzend wie eine Holzlaus.” Zwar setzt sie unmittelbar hinzu: „(Ich schreibe nicht fürs Veröffentlichen.)” Das ist indessen nicht nur eine kokette kleine Schwindelei: sondern mehr, als was man den Freunden ins Gesicht sagt, zählt ja wohl, was man Giftiges hinter ihrem Rücken tuschelt. „K. kleckert so beim Essen.”
Das ist amüsant im Einzelnen und als Ganzes ermüdend, und bald gibt man den Versuch auf, sich anhand der mithechelnden Fußnoten über alle diese Bohemiens und Baronessen, und wer mit wen wann liiert war und wer wen warum nicht ausstehen konnte, orientieren zu wollen. „Duncan an sehr schlimmen Hämorrhoiden erkrankt (...) Kann nicht wirklich mitfühlen mit dieser speziellen Krankheit, obwohl der Schmerz schrecklich ist. Muss lachen.” Solche Freunde hat man gern. „Verdammt sollen sie sein, diese Freunde!”
Die Königin und der Schwarm
Recht hat sie; nur hat sie vergessen, sich selbst in die Verdammnis mit einzuschließen. Es ist eine Gesellschaft, die sich offenbar ganz wesentlich durch die gehässige Nachrede vermittelt, ein Bienenstock des Tratsches und der Ranküne. „Die Bienen schießen flitzend, wie Pfeile der Begierde: wild, sexuell; weben Fadenspiele in die Luft; jede saust an einem Faden; die ganze Luft erfüllt von einem Beben: von Schönheit, von diesem brennenden flitzenden Begehren; & Tempo; ich empfinde immer noch den zitternden schwankenden Bienenbeutel als ein ungemein sexuelles und sinnliches Symbol.”
Das ist eine ganz wunderbare Passage; und sie ist es darum , weil der Autorin verborgen bleibt, für was eigentlich ihr dieses Symbol einsteht: Die erotische Energie, die sie so stark spürt, kommt nicht den Individuen zu, den geschlechtslosen Arbeiterinnen; sondern dem herrlichen Summen als Summe, wie von einem einhelligen Wesen. Virginia Woolfs großes sinnliches Erlebnis ist dieser Schwarm, nicht in seinen Teilen, sondern als Gewimmel, in dem gleichwohl jeder seinen Platz hat, sucht, vernetzt, verteidigt; und sie selbst, so sehr sie immer wieder über den Schwarm und seine zeit- und nervenraubenden Rituale klagt, sitzt als Königin inmitten.
Ganz wenig findet der Leser zu dem, womit er vielleicht am ehesten rechnet, der feministischen Frage: In Woolfs Kreisen ist die Gleichberechtigung der Frau faktisch durchgesetzt und kein Problem mehr; ja für sie selbst geht es sogar noch ein bisschen darüber hinaus, indem ihr Gatte Leonard die traditionelle Rolle der Frau, die schirmt und tröstet und zurücksteht, übernommen hat. Ganz wie für eine solche verliert Virginia für ihn und seine „göttliche Güte” von Zeit zu Zeit halb zerstreute Worte der Dankbarkeit.
Andere gesellschaftliche Fragen treten hingegen schärfer hervor, als der Verfasserin lieb gewesen sein dürfte, z.B. das Dienstbotenproblem. Dienstboten hat man einfach; aber natürlich bereiten sie Verdruss ohne Ende. „Warum gibt es immer diese Art von Beziehung zwischen Herr & Diener?” Ja, warum bloß? Zum Beispiel darum: „Gestern abend war das Eis hart, & wir beschlossen, dass Mabel gehen muss. Sie ist ein Trampel. Sie trägt ihre Schuhe schief ab & hat lange schwarze Strümpfe.” Ein glatter Kündigungsgrund.
Vor den Dienstboten tut man sich keinen Zwang an, auch schriftlich; und so kommt bei Virginia Woolf hier die ganze harte Borniertheit ihrer Klasse zum Vorschein. Man legt diese Tagebücher, wenn man fertig ist, mit einem sehr zwiespältigen Gefühl aus der Hand und wünscht sich: Dass ein so sensibler Mensch wie Virginia Woolf weniger boshaft gewesen wäre – oder zumindest ein so boshafter weniger sensibel. Beides jedoch in einer Intelligenz vereint anzutreffen: es lässt sich schwer ertragen.
BURKHARD MÜLLER
VIRGINIA WOOLF: Tagebücher 1931 - 1935. (= Gesammelte Werke. Tagebücher 4.) Herausgegeben von Klaus Reichert. Aus dem Englischen von Maria Bosse-Sporleder. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 589 Seiten, 39 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2003

Mit Äffchen auf Görings Spuren
Virginia Woolfs Tagebücher aus den frühen dreißiger Jahren

Immerhin, die Krise des Buchmarkts ist durchschaut. Beim Tee mit Tom kommt das Gespräch aufs Bücherkaufen. Tom sagt rundheraus, daß er "nie" ein neues Buch erwerbe; die Gastgeberin kauft wohl "manchmal" Lyrik, sonst aber nichts. Damit ist das leidige Problem geklärt, "warum Autoren sich nicht verkaufen, warum Buchhändler nichts auf Lager nehmen". Im übrigen spricht man viel von der Unsterblichkeit, höchst philosophisch, vom "Aufschrei" der Gefühle, der Literatur und von dem Krieg, der unausweichlich scheint. Es ist Montag, der 5. Februar 1935. Am Tavistock Square in Bloomsbury ist T. S. Eliot zu Gast bei Virginia Woolf.

Zwei der führenden Autoren der Moderne, langjährige Weggefährten und distanziert Vertraute, können nicht auch selbst noch dafür sorgen, daß die Nachfrage nach Büchern steigt. Ohnehin sind beide, wie es scheint, zwar voller Pläne für ihre weiteren Werke, jedoch nicht frei von leisem Zweifel an der eigenen Schaffenskraft, die ihren Höhepunkt vorerst überschritten haben mag. Virginia Woolf ist dreiundfünfzig und hatte 1931 mit dem Roman "The Waves" ihren großen Triumph. Was dagegen jetzt "die Jungen" alles schreiben, sieht sie mit Skepsis. Wohl hat sie eine Neuerscheinung mit dem Titel "The Testament of Youth" nach eigenem Bekunden förmlich verschlungen, aber die rückhaltlose Art der Darstellung wie der Hang junger Autoren, auch noch die niedrigsten Details des Lebens auszubreiten, muß irritieren: "Was für einem Drang unterliegen sie, sich nackt in der Öffentlichkeit zu zeigen?"

Die Frage, an ihr Tagebuch gerichtet, bringt uns als dessen Leser in Verlegenheit, denn immerhin wird die Autorin hier ihrerseits in einer Weise öffentlich, die ihr kaum recht gewesen sein kann. Als zuvor einmal ein Verleger einen privaten Schnappschuß statt des sorgsamen Porträtfotos veröffentlicht, ist Woolf zutiefst empört und wehrt sich gegen das Gefühl "es wird in mein Privatleben eingebrochen: meine Beine sind zu sehen und ich werde vor der Welt als eine häßliche schlampige alte Frau enthüllt." Um es daher rundheraus zu sagen: So persönlich, ja intim die Tagebuchaufzeichnungen sind, ihre Verfasserin erscheint darin weder nackt noch alt. Statt Beinen oder anderen Körperteilen enthüllen sie vielmehr die Bewegungen ihres Geistes, und der scheint auch mit zunehmendem Alter von einer Regsamkeit, zuweilen produktiven Unruhe getrieben, daß wir bei der fesselnden Lektüre oft nicht mehr zu Atem kommen.

Äußerlich verläuft ihr Leben als allseits hochgeachtete Autorin in klaren Bahnen. Prominente Besucher, lange Tee-Gespräche, viele Dinnerpartys oder andere "Schwatzgesellschaften" werden ausführlich verzeichnet, regelmäßig finden Fahrten nach Sussex ins Landhaus statt und jedes Frühjahr eine ausgedehnte Reise durch Europa. Innerlich jedoch ist Woolf vielfach mit ganz anderen Dingen beschäftigt und wehrt sich, während sie Geselligkeit vortäuscht, im Selbstgespräch des Schreibens gegen die Zudringlichkeit der Welt. Das Tagebuch wird Fluchtraum und Ventil; das Notierte klingt wie ein Beiseitesprechen auf der Bühne, mit dessen Hilfe wir erfahren, was eigentlich geschieht. Übergangslos lesen wir so von den Krisen der Weltpolitik, vom Wetter und der Pilzsuche, von Problemen des Romans wie von der Magenverstimmung des Ehemanns. Bewußtseinsstrom nennt man die literarische Fiktion eines ungefilterten Wahrnehmungs- und Gedankenprotokolls, wofür Woolfs Erzählkunst hochberühmt ist. Doch den wahren Strömen des Bewußtseins können wir wohl nur hier folgen, wo sich die ansonsten so bewußt komponierende Autorin ganz dem eigenen Schreibfluß überläßt: "Es gefällt mir, meinen Geist hoch in die Luft zu werfen und zu verfolgen, wo er landen wird."

Zu einer Zeit, da von Virginia Woolf vor allem Nicole Kidmans Nase öffentlich Beachtung findet, lassen sich bei solchen Luftsprungübungen schier unerschöpfliche Entdeckungen machen. Zwar stammt der vierte Band der Tagebücher - wie die vorherigen getreu dem Vorbild der englischen Ausgabe kommentiert und von Maria Bosse-Sporleder in sehr lebendiges Deutsch übertragen - aus einer zunehmend düsteren Welt; außer dem Tod und Selbstmord enger Freunde nötigen der Aufstieg des Faschismus und die Kriegsgefahr zu steter Sorge. Doch gerade auf diesem Hintergrund heben sich die Glücksmomente wie die komischen Szenen nur um so stärker ab. Meist sind es die Besuche großmächtiger Literaturkollegen wie Eliot, Shaw oder Yeats, die Woolfs Gabe zum scharfsichtigen, fast karikaturistischen Porträt herausfordern.

Daneben aber finden sich, zumal in den Reisebeschreibungen, wunderbare Szenen über ganz zufällige Begegnungen mit französischen Kellnerinnen oder irischen Landarbeitern. Zu einem grotesk-schaurigen Höhepunkt kommt es im Mai 1935 in Bonn, als die Woolfs auf Urlaubsreise mit dem Auto (samt ihrem zahmen Äffchen) nichtsahnend in eine hysterisch jubelnde und Fähnchen schwenkende Menschenmenge geraten, die zu Görings Ehren aufmarschiert ist und den großen schwarzen Wagen wohl nicht gleich als Ausländer erkannt hat.

Wie dieser fratzenhafte Spuk sind alle Wahrnehmungsbilder des Tagebuchs beiläufig, flüchtig, skizzenhaft und bleiben uns doch gerade dadurch um so stärker im Gedächtnis, je rascher sie vorübereilen. Nur einmal, in der Silvesternacht 1932, will Woolf den großen Zeitstrom selbst am liebsten anhalten: "Wenn man sich nicht zurücklehnt und eine Summe zieht und zu dem Augenblick, diesem Augenblick jetzt, verweile doch, du bist so schön, sagt, was wird man gewonnen haben, wenn man stirbt? Nein: verweile, in diesem Augenblick." Was kann man Schöneres zu einem Buch sagen?

TOBIAS DÖRING

Virginia Woolf: "Tagebücher 4. 1931-1935". Aus dem Englischen übersetzt von Maria Bosse-Sporleder. Herausgegeben von Klaus Reichert. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 589 S., geb., 39,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Sabine Franke ist der Ansicht, dass dieser Tagebuchband der Virginia Woolf überaus interessante Einblicke in das Leben und die Psyche der Schriftstellerin bietet. Es sei darin Positives wie auch Negatives, Bekanntes wie auch Überraschendes zu finden. In den Einträgen zeige sich, wie herablassend Woolf ihre Zeitgenossen aburteilen konnte, wie sie sich zugleich aber auch fürchtete, in deren Augen nicht bestehen zu können. Zudem seien überraschend praktische Charakterzüge der sonst so vergeistigt wirkenden Frau zu finden. Als omnipräsent schildert die Rezensentin psychische Labilität und der stetige Kampf gegen den Abgrund, selbst wenn Woolf sich in euphorischer Schreibstimmung befand oder über ein friedliches, arbeitsreiches Leben mit ihrem Mann schrieb. Das Fazit der Rezensentin: Es erschließe sich dem Leser hier ein "nuancenreicheres Bild von der Wirklichkeit ihres Lebens," als es in anderen Dokumenten zu finden sei.

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