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An einem Tag wie diesem ändert Andreas sein Leben. Ihn packt eine Sehnsucht, die zwischen Heimweh und Fernweh nicht mehr unterscheidet. Er wirft alles hin, verkauft seine Wohnung und kündigt seine Stelle in Paris, um nach einem halben Leben zu der Frau zurückzukehren, die er einmal geliebt hat. Die Gleichheit der Tage war sein einziger Halt, jetzt hofft er auf ein Wunder und darauf, dass alles neu beginnt. Seine Reise führt ihn in die Provinz seiner Jugend und wieder weg bis ans Ufer des Atlantiks, in die Arme einer Frau, deren Liebe er beinah verspielt hatte.

Produktbeschreibung
An einem Tag wie diesem ändert Andreas sein Leben. Ihn packt eine Sehnsucht, die zwischen Heimweh und Fernweh nicht mehr unterscheidet. Er wirft alles hin, verkauft seine Wohnung und kündigt seine Stelle in Paris, um nach einem halben Leben zu der Frau zurückzukehren, die er einmal geliebt hat. Die Gleichheit der Tage war sein einziger Halt, jetzt hofft er auf ein Wunder und darauf, dass alles neu beginnt. Seine Reise führt ihn in die Provinz seiner Jugend und wieder weg bis ans Ufer des Atlantiks, in die Arme einer Frau, deren Liebe er beinah verspielt hatte.
Autorenporträt
Peter Stamm, geboren 1963, studierte einige Semester Anglistik, Psychologie und Psychopathologie und übte verschiedene Berufe aus, u.a. in Paris und New York. Er lebt in der Schweiz. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor. Er schrieb mehr als ein Dutzend Hörspiele. Seit seinem Romandebüt »Agnes« 1998 erschienen sechs weitere Romane, fünf Erzählungssammlungen und ein Band mit Theaterstücken, zuletzt die Romane »Weit über das Land«, »Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt«, »Das Archiv der Gefühle« und zuletzt »In einer dunkelblauen Stunde« sowie die Erzählung »Marcia aus Vermont«. Unter dem Titel »Die Vertreibung aus dem Paradies« erschienen 2014 seine Bamberger Poetikvorlesungen sowie 2024 die Züricher Poetikvorlesungen »Eine Fantasie der Zeit«. »Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt« wurde ausgezeichnet mit dem Schweizer Buchpreis 2018.Literaturpreise:Rheingau Literatur Preis 2000Bodensee-Literaturpreis 2012Friedrich-Hölderlin-Preis 2014Cotta Literaturpreis 2017ZKB-Schillerpreis 2017Solothurner Literaturpreis 2018Schweizer Buchpreis 2018
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2006

Das große Schulterzucken
Peter Stamm beschreibt einen emotionalen Totalschaden

An einem Tag wie diesem geht ein Mann zum Arzt und erfährt, daß er sterbenskrank ist. An einem Tag wie diesem kündigt er seine Stelle als Deutschlehrer in Paris, veräußert seine Wohnung, kauft ein Auto und macht sich auf den Weg - ohne Ziel zunächst, doch mit dem Wunsch, etwas wiederzufinden, was er vor langer Zeit verloren hat. An einem Tag wie diesem hört das tägliche Einerlei plötzlich auf, tröstlich zu sein. Es reicht nicht mehr, Tage wie diesen gleichgültig aneinanderzureihen, ein Leben wie dieses mit sich geschehen zu lassen. Es muß dieser eine Tag, dieses eine Leben von Bedeutung sein. Vom Versuch eines Mannes, sich zur Teilnahme an der eigenen Existenz zu bewegen, erzählt Peter Stamm in seinem neuen Roman "An einem Tag wie diesem".

Schon lange hat Andreas das Gefühl, den entscheidenden Augenblick verpaßt zu haben, an dem er die Weichen anders hätte stellen können. Genauer gesagt: seit er sich vor zwanzig Jahren in Fabienne verliebte, die als französische Austauschschülerin in seine Schweizer Dorfheimat kam, und seinen - angeborenen? anerzogenen? antrainierten? - Gleichmut sprengte. Ein flüchtiger Kuß, dann verliebte sie sich in seinen Freund Manuel, mit dem sie inzwischen verheiratet ist. Andreas, der ihr seine Gefühle nie gestanden hat, warf sich statt Fabienne deren Heimat Frankreich an den Hals, zog nach Paris, wurde Lehrer, hat parallel Affären mit zwei Frauen, ohne auch nur eine davon zu mögen oder selbst von einer der beiden besonders gemocht zu werden. Er fühlt sich haltlos, aber nicht unbehaglich, wenngleich ihm die eigene Unbestimmheit immerzu bewußt ist. Selbst die Liebe zu Fabienne, die einzige Konstante in seinem Leben, stellt er infrage, wenn er vermutet, daß ihm "die Bedingungslosigkeit jenes Gefühls, das ihn noch zwanzig Jahre später ratlos machte", wichtiger ist als Fabienne selbst.

Als ihm die vierundzwanzigjährige Delphine begegnet, die sich seiner nicht nur erotisch, sondern auch kameradschaftlich umstandslos annimmt, und ihm zur selben Zeit die Diagnose Krebs gestellt wird - und damit eine existentielle Bedrohung ausgesprochen wird, die seine Apathie bereits vorweggenommen hat -, macht sich Andreas auf den Weg in die Vergangenheit - mit der undeutlichen Vorstellung, die ehemals verpaßte Weiche im Nachhinein umstellen zu können. Daß er aufgewühlt ist, Schmerz empfindet oder Verzweiflung oder gar Angst, ahnt man nur, weil er die Menschen in seiner Umgebung sinnlos vor den Kopf stößt und verletzt. Seinen Bettgefährtinnen erteilt er rüde Abfuhren. Sodann versucht er, mit der Frau eines befreundeten Kollegen zu schlafen; anschließend demütigt er ihren Mann, indem er ihm erzählt, Delphine halte ihn für einen Idioten. Delphine wiederum fordert er mitten in der Nacht auf, nach Hause zu gehen. Mit anderen Worten: Er stellt seine Gleichgültigkeit so aggressiv zur Schau, daß es etwas Beleidigendes hat. Delphine, die sich von seinen Distanzierungsattacken wenig beeindruckt zeigt, weiht er immerhin als einzige in die ärztlichen Untersuchungen ein; die Ergebnisse jedoch verhehlt er ihr, behauptet sogar, es sei alles in Ordnung. Als er sich mit dem klapprigen 2 CV - den er offenbar gekauft hat, weil Manuel, Fabienne und er damals, in jenem magisch gefühlten Sommer, in einem 2 CV zum Weiher gefahren sind - auf den Weg in die Schweiz macht, nimmt Andreas Delphine mit. Doch selbst diese Liebesgeschichte bestreitet er mit Verweigerungen: "Als Delphine endlich zurückkam, sagte er, sie müßten aufpassen, sich nicht ineinander zu verlieben."

Das Verschwommene, Diffuse, Ungefähre, das es Peter Stamm schon in früheren Werken, vom Debütroman "Agnes" (1998) über den Kurzgeschichtenband "Blitzeis" (1999) bis hin zu "In fremden Gärten" (2005), angetan hat, wird meisterlich beschworen. Andreas reflektiert die eigene Unbeteiligtheit mit schulterzuckender Klarheit: "Sein Leben war eine endlose Abfolge von Schulstunden, von Zigaretten und Mahlzeiten, Kinobesuchen, Treffen mit Geliebten und Freunden, die ihm im Grund nichts bedeuteten, unzusammenhängende Listen kleiner Ereignisse. Irgendwann hatte er es aufgegeben, dem Ganzen eine Form geben zu wollen, eine Form darin zu suchen."

Peter Stamm unternimmt das genaue Gegenteil. Der Teilnahmslosigkeit seines Protagonisten und des lakonischen, kunstvoll schlichten Erzähltons, der impassibilité stehen ein unbedingter Formwille und ein Stilbewußtsein gegenüber, die in der jüngeren deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ihresgleichen suchen. Während Andreas seit Jahren auf einem Fleck verharrt, bewegt sich der Roman unaufhörlich vorwärts und nimmt den Leser mühelos mit. Diese Dynamik, in der ständig, doch unaufdringlich Entfernungen zwischen Menschen, Orten und Gegenständen vermessen werden, trägt dazu bei, daß man den Roman nicht aus der Hand legen kann, obwohl er uns Andreas' Interpretation der Ereignisse und damit jede Dramatik konsequent vorenthält.

Peter Stamm hat mit seinem wenig sympathischen Protagonisten, der keinerlei Überheblichkeit in seine Unbelebtheit legt, einen Nachfahren von Albert Camus' "Fremdem" Meursault geschaffen. Andreas steht als Mittvierziger mit emotionalem Totalschaden stellvertretend für eine Befindlichkeit, die sich nicht einmal aus sich selbst etwas macht - und bei der es sich keineswegs nur um eine wohlfeile literarische Erfindung oder gar Einbildung handelt. Stamm führt die Teilnahmslosigkeit einer Generation vor, der auch ohne einschneidende Erfahrungen der Sinn abhanden gekommen scheint - ohne sie damit zu denunzieren. Als Leserin kann man sich indes eines gewissen Widerwillens, ja einer Genervtheit angesichts dieser gebündelten Mattigkeit nicht erwehren. Daß ausgerechnet dieser Mann ohne Eigenschaften, der ohne jedes innere Engagement misantrophisch vor sich hin vegetiert, das Erregungspotential besitzen soll, dauernd mit irgendwelchen Frauen zu schlafen, die er nicht einmal begehrt, nimmt man ihm nicht recht ab.

Die Reise in die Schweiz führt Andreas zu Fabienne, die er noch immer zu lieben meint, obwohl sie ihm fremd geworden ist. Das Wiedersehen besiegelt den endgültigen Abschied von einer längst verlorenen Leidenschaft. "Er wollte nicht mehr so lieben wie mit zwanzig, aber manchmal vermißte er die Intensität der Gefühle von damals. Und jene Momente, in denen plötzlich alles vorbei war, dieses Gefühl volllkommener Bedeutungslosigkeit und zugleich größter Freiheit . . . Er konnte sich an das Gefühl erinnern, aber er empfand es nicht mehr." Passagen wie diese zählen in ihrer Trostlosigkeit zu den besten des Romans. Doch Peter Stamm hat keine Ode auf die Gleichgültigkeit geschrieben. Andreas besucht das Grab seiner Eltern, das demnächst aufgehoben werden soll. Und hier, als der todkranke Sohn mit seinem Bruder am Grab der Eltern steht, schließt sich ein Kreis. Als der ahnungslose Bruder zum Abschied sagt, das nächste Mal müsse er etwas länger bleiben, nimmt das Leben den verlorenen Faden wieder auf. "Plötzlich glaubte Andreas daran, daß es ein nächstes Mal geben würde." Und als er kurz darauf am Steuer eindöst und nur knapp einem Unfall entgeht, schlägt sein Herz heftig - Indiz dafür, daß er doch mehr sein will als "ein winziger Punkt in einer bedrohlich leeren Landschaft".

Camus' "Fremder", Gustave Flauberts "L'Éducation sentimentale" und Georges Perec, dessen "Ein Mann der schläft" der Roman viel mehr als nur den Titel verdankt, haben Pate gestanden und dieser bisweilen fast heiteren Langeweile, diesem "Leben ohne alles" den Ton vorgegeben. Aber nicht nur die französische Literatur und die Zurückgenommenheit des nouveau roman, sondern auch das Kino eines Eric Rohmer hat hingetupfte Spuren hinterlassen. Wer etwa kürzlich Francois Ozons Film "Die Zeit, die bleibt", das Porträt eines Sterbenden, gesehen hat, fühlt sich zumal am Ende des Romans auf geradezu unheimliche Weise daran erinnert: Wie Ozons Romain findet sich auch Andreas an einem bevölkerten Strand wieder, legt sich in den Sand und entfernt sich vom Menschsein. Daß er noch einmal aufwachen darf und an jenem Strand mit Delphine ein Gefühl wiederfindet, kann man, je nach Temperament und Lesart, als Aufbruchsignal deuten - oder als letzten Versuch eines Mannes, der zu sterben beschlossen hat, sich mit einem Leben zu versöhnen, das nie zu ihm zu gehören schien.

Karl Kraus fand, das Leben sei eine Anstrengung, die einer besseren Sache würdig wäre. Mit Peter Stamm möchte man ergänzen: Des Schreibens zum Beispiel. Stamm hat das Porträt eines Lebensvermeiders geschrieben, mit dessen Lektüre man sich das eigene Leben kurzfristig vom Hals halten kann. Doch man mache sich nichts vor: "An einem Tag wie diesem" ist ein leicht zu lesender, doch schwer zu verkraftender Roman. Man sollte ihn lesen. Noch heute.

Peter Stamm: "An einem Tag wie diesem". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 205 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Noch nie hat Peter Stamm "so erregend aus der Mitte der Existenz heraus erzählt", schreibt Rezensent Roman Bucheli. Dabei steht zumindest das Ende aus seiner Sicht zunächst "unter dringendem Kitschverdacht". Trotzdem erkennt der Rezensent in der Szenerie - mit Sonnenuntergang und Meeresrauschen, Kuss und schemenhafter Umarmung - "eine innere Folgerichtigkeit". Nur noch die Silhouette bleibt von einem Mann, der für den Rezensenten einen bestimmten Menschentypus darstellt. Kraflos, kinderlos, blass, von "leisem Ennui" gezeichnet. Es geht, wie wir lesen, um einen Mann Anfang Vierzig, dem eine drohende Krebserkrankung plötzlich eine tiefe Lebensintensität aufzwingt. Stamms Erzählduktus beschreibt der Rezensent als einfach, sein Spiel mit dem Protagonisten als sehr durchtrieben. Insgesamt kniet der Rezensent vor der "sinnlichen Fülle" und der "erzählerischen Prägnanz" dieser Prosa und der Geschichte eines Mann, der es verlernt hat, ein "authentisches" Leben zu führen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.08.2006

Sylvie, Fabienne, Delphine
Leporello im Sonnenuntergang: Peter Stamm vermählt Camus mit Rosamunde Pilcher
Andreas, so nennt Peter Stamm einen Romanhelden im besten Mannesalter, dem in seinem bisherigen Leben nichts anderes eingefallen ist, als eine Frau nach der anderen zur Befriedigung seiner Lust zu verbrauchen, um sich dann von einer jeden wieder zu trennen. Delphine aber heißt jenes Mädchen, bei dem am Ende alles anders werden könnte. Mit Delphine war es eigentlich auch schon vorbei, aber Andreas reist ihr doch noch einmal hinterher, bis zu einem Atlantikstrand, wo er sie unter anderen Badenden als Silhouette im Gegenlicht eines Sonnenuntergangs findet. „Erst als sie Andreas fast erreicht hatte, bemerkte sie ihn. Sie blieb stehen, dann machte sie zwei Schritte auf ihn zu. Sie sagte etwas, das er nicht verstand, und lachte und küsste ihn auf den Mund. (. . .) Nur das Rauschen der Wellen war ganz nah und umfing ihn.”
Unverbindlich begehrenswert
Der Schweizer Erzähler Peter Stamm, literarisch durchaus ambitioniert, hat sich in dem Roman „An einem Tag wie diesem” die nicht ganz leichte Aufgabe gestellt, eine existentialistische Erzählung von Gleichgültigkeit und Sinnlosigkeit des Daseins mit einer bemerkenswert ironiefreien Geschichte von der erlösenden Kraft der Liebe zu vermählen. Er schickt einen trivialisierten Camus-Helden einem Rosamunde-Pilcher-Schluss entgegen, der nach aufrauschender Filmmusik gebieterisch verlangt.
Andreas, ein Schweizer vom Dorf, ist der freieste Mensch, den man sich denken kann. Als Deutschlehrer in Paris lebt er ökonomisch gesichert in stilvoller Umgebung, sieht gut aus, altert weniger schnell als verheiratete Verwandte und Kollegen, und so fallen ihm schöne, elegante, begehrenswerte Frauen eine nach der anderen ins Bett, eine Nadja, eine Sylvie, gern verheiratet, was reizvolles Versteckspiel, vor allem aber die Garantie der Unverbindlichkeit mit sich bringt. Schon nach wenigen Seiten enthüllt Andreas ein scharfes Bewusstsein von seiner leeren Existenz, wenn er erklärt, „sein Leben sei zu formlos und zugleich zu verworren, um darin Geschichten auszumachen.” Das Leben, ein Leporello.
Diesen Mangel macht Stamm zunächst mit einer an der französischen Literatur der letzten Jahrhundertmitte - Sartres „Ekel” und Camus’ „Fremden” - geschulten, feststellenden Lakonie wett, die seinem Stil leserfreundliche Widerstandslosigkeit und universelle Übersetzbarkeit verleiht; wir haben es mit einem gut abgeschliffenen Exemplar jener Airportliteratur zu tun, die uns gerade so stark ablenkt, dass wir die Ansagen zu den Anschlussflügen nicht überhören. Beschreibungen sind hier Aufzählungen („. . . die leuchtend grünen Container, Glas, Verpackungen, Restmüll, das regelmäßige Muster der Zementplatten, von denen einige heller waren . . .”), Dialoge nichtssagende Handlungsfüllsel: „,Die Wohnung ist ein Schmuckstück‘, sagte die Frau. ,Natürlich ist sie ziemlich klein‘, sagte der Mann. Der Immobilienhändler sagte, für diesen Preis bekämen sie nichts Größeres, nicht in diesem Viertel.” Und dazwischen denkt Andreas nach: „Er fragte sich, ob er wirklich nicht gemacht war für längere Beziehungen. Er hatte es sich immer eingeredet. Vielleicht hatte er einfach nie die richtige Frau getroffen. Vielleicht wäre Fabienne die Richtige gewesen, vielleicht wäre es Delphine.”
Fragen von Millionen Männern wie du. Fabienne ist Andreas’ Wunde. Die französische Austauschschülerin im Schweizer Dorf war seine erste Liebe, doch war er zu scheu oder zu kalt, daraus etwas zu machen; Fabienne heiratete seinen besten Kumpel. Diese unvollendete Geschichte tritt Andreas aus einer trivialen Sprachlehrbuchstory mit aller Gewalt entgegen, und so finden wir endlich auch ein Element erzählerischer Selbstironie beim Autor Stamm. Dazu kommt eine zweite, beunruhigendere Wunde, ein hartnäckiger Reizhusten, den der passionierte Raucher Andreas nicht loswird, weshalb er sich einer Krebsuntersuchung unterzieht.
Sprung aus der Gleichgültigkeit
Andreas hat den Mut nicht, seinen Befund abzuholen und verlässt in einem Akt dezisionistischer Freiheit - dem Sprung aus der Gleichgültigkeit - sein bisheriges Dasein: Kündigung des Lehrerjobs, Verkauf der Pariser Wohnung, Fahrt ins heimische Dorf, zum glücklich verheirateten Bruder, zu den Stätten der jugendlichen Romanze und zu Fabienne. Delphine, die junge warmherzige Praktikantin aus der Schule, kommt mit, verlässt den kalten Andreas aber schnell wieder in Richtung Atlantik. Der aber findet in zwei Gesprächen samt angenehmem Beischlaf seinen Frieden mit Fabienne, um danach endlich so frei zu sein, dass er Delphine in den Sonnenuntergang hinterherreisen kann. Ob Delphine einen Krebskranken pflegen muss oder einem unbeschwerten Leben mit dieser wieder aufgewärmten kalten Pizza entgegensieht, erfahren wir nicht.GUSTAV SEIBT
PETER STAMM: An einem Tag wie diesem. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 206 Seiten, 17,90 Euro.
Paul Chabas, ein Kitschier von Graden, hatte eine Vorliebe für verlorene Frauen vor Wasserlandschaft.
Foto: Ullstein
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