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Tijuana, Yucatán, der Grand Canyon oder Wounded Knee: nur einige der Orte, die Sam Shepard in "Drehtage" Anlass geben, von seiner Vision des amerikanischen Westens zu erzählen. Kurze Erzählungen, Gedichte und Gespräche fügen sich zu einem Cinemascope-Mosaik aus Erinnerung, Mythos und Gesang. Shepards Geschichten sind wie Shortcuts, die eine von Cowboys, Traumfängern und ruhelosen Wanderern bevölkerte Welt wachrufen - der amerikanische Westen, wie er einst war, und wie er jetzt ist.

Produktbeschreibung
Tijuana, Yucatán, der Grand Canyon oder Wounded Knee: nur einige der Orte, die Sam Shepard in "Drehtage" Anlass geben, von seiner Vision des amerikanischen Westens zu erzählen. Kurze Erzählungen, Gedichte und Gespräche fügen sich zu einem Cinemascope-Mosaik aus Erinnerung, Mythos und Gesang. Shepards Geschichten sind wie Shortcuts, die eine von Cowboys, Traumfängern und ruhelosen Wanderern bevölkerte Welt wachrufen - der amerikanische Westen, wie er einst war, und wie er jetzt ist.
Autorenporträt
Shepard, SamSam Shepard, geboren 1943 und gestorben 2017, hat mehr als 45 Theaterstücke verfasst, für die er u.a. den Pulitzer-Preis erhielt. Er schrieb die Drehbücher zu Kultfilmen wie 'Zabriskie Point' und 'Paris, Texas', wofür er in Cannes mit dem Preis der großen Jury ausgezeichnet wurde. Als Schauspieler war Shepard u.a. in Filmen von Wim Wenders und Robert Altman zu sehen. Im S. Fischer Verlag erschienen 'Rolling Thunder', sein Reisetagebuch der legendären Comeback-Tournee Bob Dylans, sowie sein Erzählband 'Drehtage'.

Strätling, UdaUda Strätling lebt in Hamburg und hat u. a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, John Edgar Wideman, Aldous Huxley und Marilynne Robinson übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013

Beim Fernsehen im Hotel geht mir das Showgeschäft mächtig auf die Nerven

Unterwegs mit Sam Shepard: Sein neues Buch "Drehtage" versammelt großartige Miniaturen aus dem Niemandsland Amerika.

Von Sandra Kegel

Es beginnt mit einer Selbstauskunft am Küchentisch. "In Küchen konnte ich immer am besten arbeiten", sagt Sam Shepard gleich zum Auftakt seines neuen Erzählbands "Drehtage". Warum, weiß er selbst nicht, aber vielleicht ist das einfach ein guter Ort, um etwas auszukochen. Shepards Leser jedenfalls bekommen einen Eindruck davon, wie es bei dem 1943 geborenen Dramatiker und Schauspieler, der auf einer Farm in Minnesota lebt, zu Hause aussieht. All die anderen Geschichten seiner road stories nämlich handeln durchweg von dem, was da draußen ist. Und das ist in Amerika das allermeiste.

In der Leere dieses Landes, in den Wüsten Arizonas und Utahs, fühlt sich der Einzelne wahrscheinlich immer noch ein wenig einsamer als anderswo. Das Ziel der vollkommen geraden Landstraßen, die sich weit durch die Landschaft ziehen, heißt hier meist, vor etwas davonzukommen, ums Ankommen geht es weniger. Antrieb der Shepardschen Helden ist eine diffuse Sehnsucht nach Freiheit im Handeln, Denken und Fühlen, die umso stärker wird, je mehr ihre Umwelt, die Ehepartner, Chefs oder Freunde von früher Ansprüche anmelden.

Deshalb sind diese Einzelgänger unterwegs. Weil auf Reisen ist immer noch alles möglich, scheinen sie zu denken. Dass die Straße bei Shepard zum Fixpunkt menschlicher Utopien wird, zeigt sich schon darin, wie viele seiner insgesamt hundertzweiunddreißig Geschichten er nach Straßen benannt hat. Sie heißen "Haskell, Arkansas (Highway 70)", "Williams, Arizona (Highway 40 West)" oder "Alpine, Texas (Highway 90)". Dass Straßen aller Sehnsucht zum Trotz jedoch keine Orte sind, an denen die Strauchelnden bleiben können, sondern allenfalls einen Raum für den Transit darstellen, auch das steckt in diesen Geschichten. So gesehen spiegelt sich im Asphalt das ganze Land.

Deshalb liest sich der Auftakt in der Küche fast wie ein Versprechen - allerdings wie eines, dessen Einlösung ungewiss ist. All die Fotos von Tieren und den Kindern des Erzählers beim Angeln, Traktorfahren sowie die anderen Erinnerungsschnipsel an der weißen Ziegelwand versichern dem Bewohner, woher er kommt. Auch Shepards literarische Familie findet sich da: Henry Miller, Ziehvater auch von Beat-Autoren wie Jack Kerouac, findet sich hier mit Stock und schwarzem Beret sowie dem poetologischen Gebot ein: "Wenden wir uns lieber ganz und ungeniert der Gegenwart zu: Uns erwartet ja doch alle dieselbe düstere Aussicht, dasselbe sinkende Schiff." Nicht weit entfernt hängt, mit traurig bebrilltem Habichtgesicht, das Vorbild des Dramatikers Shepard, Samuel Beckett. "Es gibt keine Revanchepartie zwischen einem Menschen und seinen Sternen", steht da in schwarzer Handschrift.

Wer hat all das ohne Sinn für Ordnung, Form oder Farben hereingewirbelt?, fragt sich der Ich-Erzähler ein ums andere Mal, wahllos an Schränke und Türrahmen gepinnt, krumm und schief? Die Auflösung erfahren wir nicht, nach zwei Seiten ist die Geschichte zu Ende. Deshalb ist die Prosaskizze "Küche" trotz des grundverschiedenen Settings durchaus typisch für den gesamten Erzählband, den Uda Strätling schön ins Deutsche übersetzt hat. Nur dass aus "Day out of Days" der deutsche Titel "Drehtage" wurde, führt etwas in die Irre.

Denn um einen Erfahrungsbericht des Schauspielers Shepard handelt es sich dabei nicht. Der Autor, der am 5. November siebzig Jahre alt wurde, versammelt darin aber auch keine klassischen Kurzgeschichten, wie man vermuten würde, sondern kurze Momentaufnahmen, Impressionen, aus wechselnden Perspektiven verfasst. Sie können mehrere Seiten lang sein oder auch nur eine halbe Seite, und die Erzählungen im engeren Sinn wechseln sich ab mit Gedichten, Dialogen und historischen Miniaturen.

Alle Stücke sind, in welcher Form auch immer, dem realen Leben abgeschaut. Sie heißen "Geschwätz", "Ein Abend vor Jahr und Tag" oder "Klassische Szene" und erzählen von Menschen, die es irgendwann auf dem Weg durch die eigene Biographie umgeworfen hat. Sei es durch einen gewalttätigen Vater, eine zerbrochene Freundschaft oder eine ungeklärte Angst vor Wolken, die sich "Nephophobie" nennt. Wie im absurden Theater lässt Shepard gelegentlich einen abgetrennten Kopf sprechen. Der Erzähler selbst, so meint man, möchte sich am Ende selbst auf und davon machen. Am liebsten auf der Route 66, jener vielbesungenen Straße, die den Kontinent von Chicago hinüber nach Kalifornien kreuzt und an der Sam Shepard aufgewachsen ist.

Viele der Shepard-Szenen sind melancholisch, das Leben erscheint desolat. Und die Unterhaltungsindustrie, angetreten, um die Vereinsamung des Einzelnen zu betäuben, verstärkt sie noch, wie Shepard mit wenig Worten zeigt: Ein Schauspieler auf dem Weg nach Los Angeles zur Synchronisation eines Films, den er schon längst wieder vergessen hatte, kann nicht schlafen. Er schaltet den Fernseher an und zappt sich durch die Programme. Die Aufzählung all der Talkshows, Zeichentrickfilme, Pornos, Telenovelas, Ringkämpferberichte, Billigschmuckverkäufer und Bibelsender wird immer grotesker, bis der Schauspieler zu der naheliegenden Erkenntnis kommt, dass er sich doch "am liebsten endgültig aus dem Showbusiness verabschieden würde". Offen bleibt, wie er die Dinge auf der Weiterreise sehen wird.

Shepard zählte, nachdem er als junger Mann aus der Provinz nach New York ging, neben Tennessee Williams bald zu den meistgespielten Dramatikern des Landes. Stücke wie "Buried Child" von 1978, für das er den Pulitzerpreis erhielt, oder auch "True West" (1980) gehören heute zu Klassikern des amerikanischen Gegenwartstheaters. Sie kreisen um verschrobene Cowboys, jedenfalls exzentrische Individualisten, die sich so oft selbst im Weg stehen.

In "Fool for Love" von 1983, Shepards bekanntestem Stück, das Robert Altman fürs Kino verfilmte, stöbert der Stuntman Eddie seine Halbschwester May in einem Motel in der kalifornischen Wüste auf. Was daraus folgt, ist ein Ausbruch aus Hass, Liebe und Gewalt. Das Kino verdankt Shepard, der dreißig Jahre lang mit der Schauspielerin Jessica Lange zusammenlebte, nicht nur Drehbücher zu so großartigen Filmen wie "Zabriskie Point" von Michelangelo Antonioni. Auch als Schauspieler hatte er seine Momente auf der Leinwand, etwa in der Hauptrolle von Schlöndorffs "Homo Faber"-Verfilmung. Mit dem anderen Deutschen in Hollywood, Wim Wenders, hatte Shepard bereits 1984 für "Paris, Texas" zusammengearbeitet. Zwanzig Jahre später kamen die beiden aufs Neue zusammen, für den Film "Don't Come Knocking". Diesmal schrieb der Amerikaner nicht nur das Drehbuch, sondern spielte auch die Hauptrolle, den in die Jahre gekommenen Schauspieler Howard, der eines Tages seines Daseins überdrüssig ist und darin an den Zweifler vom "Highway 40 West" erinnert.

"Ein Abend vor Jahr und Tag" verhandelt in Dialogform, was der Gewaltausbruch eines Mannes, der die Fenster seines Hauses zertrümmert hat, für den Sohn bedeutet, während die Umwelt ratlos bis unbekümmert zusieht. Shepard, der als Kind selbst unter den Schlägen seines alkoholkranken Vaters litt, hat das in seinen Theaterstücken immer wieder thematisiert. Wie lustig der Autor sein kann, blitzt in Geschichten wie "Mission San Juan Capistrano" auf. Darin wird ein Mann, als er ein Hemd überstreift, das ihm zu klein, zu eng und zu rosa ist, zurückversetzt in die Zeit, als er in einem anderen Körper herumrannte "und das Unbekannte viel größer war". Die Geschichte vom Ort, an dem Hitchcock "Aus dem Reich der Toten" drehte, liest sich als Gespräch über Wahrheit, Lüge und Erinnerung im Film.

In der wehmütigen Erzählung "Costello" kehrt der Erzähler nach fünfundvierzig Jahren das erste Mal wieder zurück in seine Heimatstadt. Alles ist noch da, stellt er fest, die Nullachtfünfzehn-Straßen, die Bäume, nur größer geworden, und die Veranden, auf die das Kind von damals die Morgenzeitungen warf. "Warum streift jemand freiwillig durch seine ferne Vergangenheit, wenn nicht um die Erinnerung an ein lange entschwundenes Ebenbild zu quälen?", fragt sich der Erzähler, der sich angesichts des Gabelbocks, der als Trophäe an der Wand hängt, übergeben muss: Nicht der Gedanke an das geopferte Wild gibt ihm den Rest, sondern seine verlorene Jugend.

Zu solch simplen Schlüssen lässt sich der Autor zum Glück nicht oft hinreißen. Auch widersteht er der Versuchung, aus Skepsis gegenüber der Moderne die Natur zu verklären. Im Gegenteil schreibt er, dass er den großen amerikanischen Landschaftsfotografen Ansel Adams gar nicht mag. Er hält sich lieber an Robert Frank. Der hatte die Menschen im Blick. Genau genommen liest sich "Drehtage" sogar wie eine Hommage an Frank. Dessen berühmtestes Werk, "Die Amerikaner", fotografierte er buchstäblich im Vorbeifahren, aus einem Bus heraus. Ganz ähnlich lesen sich die Momentaufnahmen von Shepard.

Sam Shepard: "Drehtage". Stories.

Aus dem Englischen von Uda Strätling. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 318 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Den wilden Westen aus Sicht eines Schauspielers und Cowboys der Straße hat Tilman Urbach erfahren. Was Sam Shepard in diesem Band an Geschichten zusammenträgt, Shortcuts eines Flaneurs, führt Urbach in entlegene Motels und nüchterne Kücheninterieurs zwischen Minnesota und einigen Seelenlandschaften, in denen auch schon mal der blanke Horror, die pure Angst möglich sind. Das alles ist laut Urbach sehr filmisch gefasst, szenisch, bildlich, plastisch, aber auch bruchstückhaflaut Urbacht. Langeweile, Verzweiflung und Melancholie sind die bestimmenden Stimmungscouleurs, so der Kritiker. Auch wenn er nicht alle Texte im Band für groß hält, einige von ihnen enthüllen ihm einen großen Erzähler, der mit wenigen Strichen eine Welt zu erschüttern vermag.

© Perlentaucher Medien GmbH
Harter Stoff, großartig erzählt. Stern 20131218