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Europas Christentum im Kampf gegen die Zumutungen der Moderne
Der Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts brachte große Unruhe mit sich. Man suchte Heilmittel gegen die Zumutungen der Moderne und fand sie im Christentum. Doch das Gespenst »Säkularisierung« war nicht mehr zu bannen. Das Christentum musste sich mit einer neuen Gesellschaft eigensinniger Individuen auseinandersetzen. Es wurde dabei historisiert und nun selbst als vergänglich angesehen. Der renommierte Frühneuzeithistoriker Rudolf Schlögl schreibt die gesamteuropäische Geschichte dieser…mehr

Produktbeschreibung
Europas Christentum im Kampf gegen die Zumutungen der Moderne

Der Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts brachte große Unruhe mit sich. Man suchte Heilmittel gegen die Zumutungen der Moderne und fand sie im Christentum. Doch das Gespenst »Säkularisierung« war nicht mehr zu bannen. Das Christentum musste sich mit einer neuen Gesellschaft eigensinniger Individuen auseinandersetzen. Es wurde dabei historisiert und nun selbst als vergänglich angesehen. Der renommierte Frühneuzeithistoriker Rudolf Schlögl schreibt die gesamteuropäische Geschichte dieser fundamentalen Umwälzung.
Ein epochales Werk voller überraschender Einsichten.
Autorenporträt
Schlögl, RudolfRudolf Schlögl, geboren 1955, ist seit 1996 Ordinarius der Neueren Geschichte an der Universität Konstanz. Er initiierte dort im Jahr 2000 einen Sonderforschungsbereich, den er bis 2009 erfolgreich leitete und in dem er zur Politik der vormodernen Stadt forschte. Seit 2006 ist er Sprecher des ersten deutschen geisteswissenschaftlichen Exzellenz-Clusters »Kulturelle Grundlagen von Integration«. 2009 wurde ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Reinhart-Koselleck Risikoprojekt zu den medialen Voraussetzungen der Vergesellschaftung in der europäischen Frühneuzeit zugesprochen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Holzem schickt seiner lobenden Besprechung von Rudolf Schlögls dickem Buch über die Formung der europäischen Gesellschaftsordnung um 1789 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Christentums eine Warnung voraus: Das Buch versteht er nicht, wie der Titel vermuten lasse, als christentumsgeschichtliche, sondern als politik- und gesellschaftshistorische Darstellung mit Blick auf den sozialen und politischen Raum. Ferner gibt Holzem zu bedenken, dass der Autor mit Luhmanns Systemtheorie arbeitet. Dies vorausgesetzt, erwarten den Leser laut Rezensent allerdings brillant klare Beobachtungen, Einsichten und Formulierungen und ein wenngleich mitunter etwas selektives kluges Arrangement des Forschungsstandes. Und als Debattenbeitrag in Sachen Säkularisierung, meint Holzem, taugt der Band auch noch.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.04.2013

Mein lieber Herr Gesangsverein
Der Historiker Rudolf Schlögl untersucht den Wandel von Kirche und Religion in der modernen Gesellschaft
Der in Konstanz lehrende Historiker Rudolf Schlögl will Religionsgeschichte ganz anders als bisher üblich schreiben. Ihn interessiert die „Umgestaltung der sozialen Form des europäischen Christentums zwischen 1750 und 1850“, also in jener Zeit, als die institutionellen Ordnungen des feudalen Ancien Régime zerstört wurden und die moderne „bürgerliche Gesellschaft“ entstand.
  In der Analyse dieses fundamentalen Umbruchs operiert Schlögl mit einer doppelten Voraussetzung. Durch die „Umstellung der gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien“ habe auch das europäische Christentum „in seinen sozialen Formen selbst einem tiefgreifenden Wandel“ unterlegen. Aber es habe zugleich auf die neuen Prozesse der Vergesellschaftung zurückgewirkt und die Suche nach neuen Ordnungsmustern folgenreich mitbestimmt. Rudolf Schlögl will Religion als „ein soziales Phänomen“ begreifen, „das nur im Kontext von Gesellschaft als einer Struktur angemessen zu verstehen ist“. Dazu rekurriert er auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns, die besser als jeder andere „sozialtheoretische Begriffsapparat“ das „Kernproblem der sozialen Welt“ ernst nehme, „ihre Ordnungen über Differenzbildungen des Sinns selbst hervorzubringen und die Stabilität dieser Ordnungsmuster selbst zu garantieren“.
  Solche gesellschaftliche Sinnbildung sei primär an der Grundunterscheidung von Transzendenz und Immanenz orientiert. Sofern Religion es wie auch immer mit Transzendenz zu tun hat, ist sie folglich am „gesellschaftlichen Selbstbezug“ beteiligt. Aber das kann sich im Wandel der Gesellschaft, in der „Umstellung“ von Hierarchie auf Funktion, ändern, und genau darum geht es dem Historiker der neueren europäischen Religion: Er will die institutionelle Ausdifferenzierung des Christentums unter den Bedingungen der bürgerlichen, marktförmig verfassten Gesellschaft rechtsgleicher Individuen nachzeichnen und dabei zeigen, wie sich „das europäische Christentum“ selbst „umbaute“, um im „Projekt der neuen Ordnung“ seinerseits neu „Sinnbildung“ leisten zu können.
  Die Fülle der geschichtlichen Materialien hat Schlögl klug in vier große Kapitel geordnet. Da es ihm nicht um Ereignisse, sondern um die Transformationen von Grundstrukturen geht, beschreibt der Autor zunächst die christlichen Konfessionskirchen im Ancien Régime. In ihrer engen Verflechtung mit der verstaatlichten Herrschaft dienten sie hier insbesondere der Reproduktion der Privilegien- und Adelsgesellschaft. Religion und weltliche Sozialordnung hätten sich in ihren Reproduktionsmechanismen wechselseitig stabilisiert. In der „symbiotischen Konkurrenz“ – ein wunderschöner Begriff! – von geistlicher und weltlicher Herrschaft hätten sich vor allem im katholischen Europa allerdings immer mehr Spannungen aufgebaut, die zu immer tieferen Eingriffen der weltlichen Herrschaftsträger in die Kirchenstrukturen und die gelebte Frömmigkeit führten.
  Im zweiten Kapitel betont Schlögl zunächst die tiefe Zäsur, die die Französische Revolution in der europäischen Christentumsgeschichte markierte. Er schildert die Kampagnen zur Dechristianisierung, den Kult des höchsten Wesens und die großen Säkularisationen in Italien, Spanien und England sowie das Ende des Alten Reichs, dessen geistliche Fürstentümer nun in die neuen konstitutionellen Monarchien integriert wurden. Aus den einst mächtigen Korporationen, die die Kirchen in der „Vormoderne“ waren, seien nun Vereine geworden, die im „Umbau der Gesellschaft“ lernen mussten, gegenüber dem Staat relative Autonomie zu erkämpfen.
  Da die meisten west- und mitteleuropäischen Länder nun multikonfessionelle Bevölkerungen aufwiesen, mussten die Kirchen zudem akzeptieren, dass Konfession optional wurde, zur inneren Entscheidung bürgerlicher Subjekte, die keinem direkten Zugriff der Kirche als Organisation mehr unterlag. Schlögl stellt hier freilich mancherlei überraschende Behauptungen auf. Der „laisierte Staat“ der „säkularisierten bürgerlich-liberalen Gesellschaft“ habe einem „freikirchlichen Religionsmodell“ zum Durchbruch verholfen und so dafür gesorgt, dass „Religion ihr Potential verlor, in soziale Zusammenhänge zu integrieren oder aus ihnen auszuschließen – es sei denn, es handele sich um religiöse“.
  Die Selbstzeugnisse von Frommen aus kleineren religiösen Gemeinschaften, insbesondere die von jüdischen Autoren verfassten Texte, belegen das Gegenteil: Religion bewahrte bis weit ins 20. Jahrhundert die Kraft zur Verstärkung sozialer Exklusion. Und mit Blick auf die Politisierung des Religiösen in den gegenrevolutionären Restaurationstheorien des frühen 19. Jahrhunderts und den Glaubenskult der Monarchen wird man bezweifeln dürfen, dass der neue konstitutionell-monarchische Staat tatsächlich „laisiert“ war.
  „Das Christentum in der Vergesellschaftung der Moderne“ lautet die Überschrift des dritten Kapitels, in dem es um die Kirchen als Organisation, neue religiöse Bewegungen wie die Methodisten und die Deutschkatholiken, die Feminisierung der Religion und innovative Formen der Frömmigkeit wie „Familienfrömmigkeit“ und „Freiwilligkeitsreligion“ geht. Bei Geschlecht und Gender betont Schlögl stärker als sonst die Differenz zwischen katholischen und protestantischen Diskursen. In den vielen religiösen Vereinen, die im Vormärz entstanden, etwa im Missionsverein oder den Unterstützungsvereinen von Caritas und Diakonie, eröffneten sich Frauen auch jenseits von Ehe, Familie und Haushalt Aktionsfelder, so dass nicht wenige Männer panische Ängste vor allzu selbstbewussten Frauen entwickelten. Die boomende „salvation industry“ habe eine umfassende Erneuerung der christlichen Moral vor allem durch die Frauen durchsetzen wollen. Rudolf Schlögl spricht hier von einer „fundamentalistischen Verchristlichung der Gesellschaft“. Wie passt dies zur Rede von der zum eigenen Subsystem funktional ausdifferenzierten Religion?
  Schwach sind weite Passagen im vierten, letzten Kapitel über „Das Christentum als Kultur“. Hier will Schlögl die strukturellen Transformationen in der Beobachtung von Religion nachzeichnen und zeigen, wie neue Beschreibungen mit „Veränderungen in der operativen Reproduktion von Religion“ zusammenhängen. Methodisch orientiert er sich dabei nicht an Begriffsgeschichte oder Diskursarchäologie, sondern an einer „Problemgeschichte“ von „Semantiken“, die Texte aus dem Religionsdiskurs zwischen 1730 und 1850 daraufhin befragt, wie jeweils das „Beobachten von Beobachtungen“ organisiert wird. Den Spannungsbogen vom kirchenkritischen Deismus eines Herbert von Cherbury und John Toland bis hin zur Religionskritik von Feuerbach und Marx entwirft Schlögl weithin ohne Kenntnis der relevanten Quellen. Bei anderen Autoren – Karl Löwith, Falk Wagner, Gertrude Himmelfarb – wird man über die moderne Geschichte des Denkens über Religion ungleich differenzierter, begrifflich prägnanter informiert.
  In die Skizzen historischer Prozesse und „Umstellungen“ baut Rudolf Schlögl immer wieder Textbausteine aus einem Grundkurs „Systemtheorie“ ein. In seiner Begeisterung für den eigenen sozialwissenschaftlichen Jargon merkt der Historiker nicht, dass viele seiner Deutungsangebote gar nicht für „das europäische Christentum“, sondern nur für die Christentümer einiger Gesellschaften in West- und Mitteleuropa überzeugen können. Schlögl nimmt England, bisweilen auch Schottland, Frankreich, Spanien, Italien, das Alte Reich und am Rande auch die lutherischen Volkskirchen in Nordeuropa in den Blick. Aber Osteuropa und speziell Südosteuropa mit ihren orthodoxen Christentümern werden souverän ignoriert. Gehört etwa die griechisch-orthodoxe Kirche nicht zum europäischen Christentum?
  Nun leuchtet es ein, dass den systemtheoretisch denkenden Historiker „konfessionsinvariante Konstellationen“ stärker interessieren als „Pfadabhängigkeiten“ infolge „konfessioneller und einzelkirchlicher Vorgeschichten“. Aber lassen sich auch mit Blick auf die orthodoxen Christentümer „konfessionsinvariante“ Strukturen auf den Wegen in die moderne bürgerliche Gesellschaft beobachten? Nur wer sich dem Anderen des Eigenen aussetzt und neben Katholizismus und Protestantismus auch die orthodoxen Christentümer wahrnimmt, kann eine wirklich europäische Religionsgeschichte schreiben. Zahlreiche kleine Fehler in diesem Buch – falsche Namen, Daten und Literaturangaben – belegen auf ihre autopoietische Weise, dass das Beobachten gerade bei Texten ein voraussetzungsreiches Geschäft ist.
FRIEDRICH WILHELM GRAF
Das Christentum, so eine These,
hat sich selbst „umgebaut“, um in
der neuen Ordnung zu bestehen
  
        
      
Rudolf Schlögl: Alter
Glaube und moderne Welt. Europäisches Christentum im Umbruch 1750–1850. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 540 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2013

Wie die Prägekraft verloren ging

Politische und kirchliche Neuordnung eines ganzen Kontinents: Der Historiker Rudolf Schlögl beobachtet die Säkularisierung und untersucht die Rolle der Religionen in der modernen Welt.

Das Jahr 1789 liegt nicht wirklich in der Mitte des Zeitraums zwischen 1750 und 1850, den der renommierte Konstanzer Historiker Rudolf Schlögl mit diesem theoriegesättigt schwergewichtigen Buch über das "europäische Christentum im Umbruch" ansteuert. Dementsprechend liegt der hermeneutische Dreh- und Angelpunkt auch nicht in seiner Mitte, sondern davor. Die Anordnung und Interpretation der Französischen Revolution sagt viel darüber aus, was Leserinnen und Leser von diesem Buch erwarten dürfen.

Sie ist nicht nur politisch die europäische Wendemarke, die das Ancien Régime von der "Bürgergesellschaft" trennt, sondern sie ist religionsgeschichtlich jene auch den Zeitgenossen zutiefst bewusste Zäsur, in der das Christentum abrupt seine bisherige gesellschaftliche Funktion verliert. Zunächst in der Legitimation der gesellschaftlichen und politischen Ordnung aus sich selbst heraus, dann in der gewaltsamen Zertrümmerung der christlichen Religion als Symbolsystem des Sinns, der Identität und des Zusammenhalts dieser Ordnung war die europäische Religionswelt nach 1789 eine grundlegend andere als zuvor.

Diesen Wandel beobachtet und beschreibt der Autor als "Säkularisierung". Die Kernfragestellung des Buches lautet: Wie formt sich die politische und gesellschaftliche Ordnung (West-)Europas im Umfeld von 1789 um? Welche Rolle spielt das Christentum dabei, und zwar auf eine doppelte Weise - einerseits als prägende gesellschaftliche Kraft, andererseits als Gegenstand von Gesellschafts- und Politiktheorien?

Das Buch ist also nicht eigentlich aus einer religions- oder im engeren Sinne christentumsgeschichtlichen, sondern aus einer politik- und gesellschaftsgeschichtlichen Perspektive heraus geschrieben. Das macht seine systematische Stärke aus, bedeutet aber auch einen deutlichen Unterschied zu dem, was man vom Titel her möglicherweise erwarten könnte. Die Prinzipien der Gestaltung des politischen und sozialen Raumes und die Bedeutung des Christentums für dessen theoretische und praktische Ausgestaltung - das ist das, was Schlögl eigentlich interessiert.

Die Leser sollten sich wappnen, weil Schlögl den politischen und sozialen Funktionswandel der Religion durchgängig in den komplexen Denkformen und Terminologien der Systemtheorie Niklas Luhmanns entfaltet. Wer sich durcharbeitet, stößt aber auf Einsichten und Formulierungen von brillanter Klarheit. Ein erster großer Teil beschreibt die Funktion des Christentums im westeuropäischen Ançien Régime, vornehmlich in Frankreich, England und dem Alten Reich, nachrangig in den Mittelmeerländern - Osteuropa und die Orthodoxie bleiben ausgeklammert, das Judentum auch.

Die Situation der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts fasst Schlögl als "symbiotische Konkurrenz" von Religion und politischer Herrschaft, weil das Christentum, wenn auch in sehr unterschiedlichen Ausgestaltungen, im Besitz von ökonomischen, politischen und kulturellen Ressourcen ist, die den Verstaatlichungs- und Nationsbildungsprozess in Europa teils verzögern, teils blockieren.

Dem stellt der zweite Teil eine grundlegend veränderte Rolle der Religion in der Bürgergesellschaft gegenüber. Die Französische Revolution bildet dafür das Fanal: Die revolutionäre Neuordnung legitimiert sich aus sich selbst. Die Kirche verliert ihre wirtschaftlichen und politischen Potentiale. Die Dechristianisierung zerstört bewusst und absichtlich die kulturelle Bindung der entstehenden Nation an die christliche Sinnressource, um in revolutionären Kulten einen konstruierten Ersatz zu schaffen.

Alles das geschieht mit zunehmender Gewalt und hat deswegen eine Wirkung auf ganz Westeuropa, weil der Export der revolutionären Prinzipien in den Kriegen Napoleons eine politische und kirchliche Neuordnung des ganzen Kontinents erzwingt und weil gleichzeitig die Intellektuellen den Zusammenhang von Religion, Gesellschaft und Politik neu definieren. Die Folge ist keine durchgängige Verabschiedung, aber eine funktionale Indienstnahme der Religion im Zuge der systemischen Differenzierung der Gesellschaft. Ihre Archive füllen die entstehende politische Religion ebenso auf wie die neue Privatheit familiärer Räume, aber die Definitionsmacht über diese Entwicklung liegt ideell und strukturell nur noch bedingt in ihren Händen.

Das hat drittens Folgen für die Art, in der sich das Christentum in der anbrechenden Moderne seinerseits vergesellschaftet. Religion wird zu einem System neben anderen. Dem zunehmend auf Rom hin ausgerichteten Katholizismus gelingt es, sich zu einer Organisation umzuformen, die in harter Auseinandersetzung mit der staatlichen Macht eine zunehmende Eigenständigkeit gewinnt, freilich um den Preis einer Gegengesellschaftlichkeit, die den Universalitätsanspruch des Selbstbildes nicht einlösen kann.

Anders der Protestantismus: Alle Ansätze, sich erkennbar vom Staat zu emanzipieren, scheitern. Aus der Zugehörigkeit des Hineingeborenwerdens wird die emphatische Mitgliedschaft, mit der das Individuum sich selbst als erkennbares Subjekt vergesellschaften kann. Aus der selbstverständlichen Anwesenheit in ritualisierter Vergemeinschaftung wird medial vermittelte Produktion von religiösen Überzeugungen, Haltungen und Gefühlen. Wo das für die Konstruktion des Selbst oder für die Sinnstiftung von Institutionen, Gruppen und Prozeduren nicht ausreicht, nimmt Religion entweder die Form einer sozialen Bewegung an oder wird als irrelevant verabschiedet.

Das alles sind Beobachtungen erster Ordnung, in denen Schlögl den Forschungsstand von seinem theoretischen Instrumentarium her klug ordnend, manchmal allerdings auch etwas selektiv arrangiert. Im vierten Teil beobachtet der Verfasser schließlich in einer Analyse zweiter Ordnung die zeitgenössischen Beobachter. Luzide zeichnet er den Diskurs nach, mit dem Europas Intellektuelle diese Wandlungsprozesse ihrerseits wahrnahmen, kommentierten und theoretisierten. Während die Deisten das Christentum als kulturell höchststehende Erscheinungsform einer natürlichen Religion historisierten, an seiner Unverzichtbarkeit für die Produktion öffentlicher Moral aber festhielten, waren zwischen David Hume und Karl Marx auch jene Entwürfe einflussreich, die die Religion als solche entweder auf idealistischem oder materialistischem Wege zum Produkt des menschlichen Geistes erklärten und damit jene Differenz von Immanenz und Transzendenz zum Verschwinden brachten, die Schlögl zum Kern des Religionsbegriffs erklärt.

Darum ist das Buch in seinem Schlusskapitel auch ein wichtiger Beitrag zur Debatte über den Begriff der Säkularisierung. Damit soll nicht gemeint sein jene Ideologie einer mit zwangsläufiger Zielgerichtetheit ablaufenden Verdrängung der Religion aus öffentlichen Räumen und privater Praxis, die die Liberalen kulturkämpferisch gegen den Katholizismus wandten. Damit soll auch nicht adressiert sein die Rezeption dieser Ideologie in einem Typus von Sozialwissenschaft, der unterschwellig den Kulturkampf fortsetzte. "Säkularisierung", so Schlögl, könne beobachtet werden als jener Prozess von Kommunikationen und Handlungen, in dem Religion als "strukturierte sinnhafte soziale Welt" neben anderen Welten hervorgebracht wird, die Anlässe, dies zu tun, aber in den westlichen Wohlstandsgesellschaften signifikant abnehmen.

ANDREAS HOLZEM

Rudolf Schlögl: "Alter Glaube und moderne Welt". Europäisches Christentum im Umbruch 1750 - 1850.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 544 S., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Einsichten und Formulierungen von brillanter Klarheit Andreas Holzem Frankfurter Allgemeine Zeitung 20131010