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Das kann doch nicht wahr sein - oder etwa doch? Unglaublich glaubhafte Erzählungen von Dieter Kühn
Das kann doch einfach nicht wahr sein, was Dieter Kühn in seinem neuen Buch erzählt - oder etwa doch? Der deutsche Dichter, Zeichner, Musiker Johann Peter Lyser hebt ab im Urwald von Ceylon, besucht Napoleon auf St. Helena, assistiert Beethoven, trinkt Rotwein mit Goethe ... Ein Ethnolinguist überwintert in einer Wetterstation auf der grönländischen Insel Kuhn ... auf der arabischen Halbinsel kommt es zum Showdown zwischen Lawrence von Arabien und dem Vetter von Robert Musil ... Ein…mehr

Produktbeschreibung
Das kann doch nicht wahr sein - oder etwa doch? Unglaublich glaubhafte Erzählungen von Dieter Kühn

Das kann doch einfach nicht wahr sein, was Dieter Kühn in seinem neuen Buch erzählt - oder etwa doch? Der deutsche Dichter, Zeichner, Musiker Johann Peter Lyser hebt ab im Urwald von Ceylon, besucht Napoleon auf St. Helena, assistiert Beethoven, trinkt Rotwein mit Goethe ... Ein Ethnolinguist überwintert in einer Wetterstation auf der grönländischen Insel Kuhn ... auf der arabischen Halbinsel kommt es zum Showdown zwischen Lawrence von Arabien und dem Vetter von Robert Musil ... Ein ostbelgischer Maler fälscht altniederländische Gemälde, die Reichsmarschall Göring teuer bezahlen muss ... ein pensionsreifer Gestapobeamter bringt eine über 60jährige Jüdin auf seinem Fahrrad nach Krefeld ...
Autorenporträt
Dieter Kühn, geboren 1935 in Köln, starb 2015 in Brühl. Für seine Biographien, Romane, Erzählungen, Hörspiele und hoch gerühmten Übertragungen aus dem Mittelhochdeutschen (das 'Mittelalter-Quartett') erhielt er den Hermann-Hesse-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und zuletzt die Carl-Zuckmayer-Medaille. Zu seinen Werken gehören große Biographien (über Clara Schumann, Maria Sibylla Merian, Gertrud Kolmar sowie sein berühmtes Buch über Oswald von Wolkenstein), Romane ('Geheimagent Marlowe'), historisch-biographische Studien ('Schillers Schreibtisch in Buchenwald') und Erzählungsbände ('Ich war Hitlers Schutzengel'). Zuletzt erschienen die beiden autobiographischen Bände 'Das Magische Auge' und 'Die siebte Woge' sowie sein Theaterbuch 'Spätvorstellung'.Literaturpreise (Auswahl):Hermann-Hesse-PreisGroßer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen KünsteNominiert für den Deutschen Bücherpreis 2002Carl-Zuckmayer-Medaille 2014 2014
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2011

So war es und nicht anders

Ob Albert Göring oder Alois Musil - in seinen Erzählungen widmet sich Dieter Kühn den Randfiguren der Geschichte und treibt ein Spiel um Fakten und Fiktion.

Norbert Verdonck ist Maler. Mit neumodischen Stillleben überflutet er den Kunstmarkt, der Erfolg indes ist bescheiden. Die große Stunde des Deutschbelgiers schlägt, als er Albert Göring, den Exportleiter der Skoda-Werke, kennenlernt. Dieser interessiert sich nicht nur für seine Bilder, sondern bringt ihn schließlich auf die Idee, Stillleben im Stil der alten Meister zu malen und diese an den Göring-Bruder Hermann zu verkaufen. So füllt sich dessen Kunstsammlung in Carinhall nach und nach mit Bildern von Pieter Claesz, Carel Fabritius und anderen, feinsäuberlich hergestellt von Norbert Verdonck und mit detaillierten Provenienznachweisen versehen.

Anhand dieser Erzählung lässt sich Dieter Kühns Verfahren bei seinen "Gefälschten Geschichten" schön beobachten. Einer Vielzahl an beglaubigten Fakten - die Vita des dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstehenden Albert Göring, die Sammelleidenschaft seines Bruders, die Beschlagnahmung von Kunstwerken in den besetzten Ländern - wird eine fiktive Figur beigesellt, hier der Maler Norbert Verdonck, den es zwar nicht gab, der aber gut erfunden ist. Das Stichwort der Fälschung ist in der Erzählung selbst ständig präsent und dient nicht zuletzt zu selbstreflexiven Volten, so wenn Verdonck seine "echten" Stillleben selbst als Gegenstand einer Fälschung entdecken muss. Der Sinn der Fälschungen ist evident: Es geht um die Täuschung des mächtigen Käufers, um - je nach Perspektive - Bereicherung oder Devisenabfluss und um die Lust an künstlerischer Meisterschaft. Worum geht es aber Dieter Kühn?

Aus der Perspektive Görings gesehen wird auch der Leser an der Nase herumgeführt, kann sich nie sicher sein, wieweit er dem Autor vertrauen kann, wo Faktum aufhört und Fiktion beginnt. Das kann aber nicht alles sein. Geschichte umzuschreiben, sich vom Druck der Faktizität zu befreien mag ein weiteres Motiv sein, das Dieter Kühn schon in ähnlicher Weise in seinem Buch "Ich war Hitlers Schutzengel" umgetrieben hat, aber dafür sind die Gegenstände der meisten Erzählungen hier zu peripher. Man muss schon Spezialist sein oder umfangreiche Recherchen anstellen, um dem Autor im Detail auf die Schliche zu kommen. Und daher ist das Interessantere, wie oft bei Dieter Kühn, weniger das Erfundene als das tatsächlich Geschehene, erlauben seine Figuren, allenfalls Nebendarsteller der Geschichte, einen neuen Blick auf das große Ganze.

Johann Peter Lyser etwa, der Protagonist des ersten Textes, taucht als Randfigur in Biographien E. T. A. Hoffmanns, Robert Schumanns oder Felix Mendelssohn Bartholdys auf. Ihm wird hier eigenes Gewicht zugesprochen, und es ist erstaunlich, mit welchen Geistesgrößen er alles verkehrt hat. Nur berichtet er im Ton eines Aufschneiders darüber, der über sein insgesamt glanzloses Leben hinwegtäuschen soll. Und der Held der Titelerzählung "Den Musil spreng ich in die Luft" ist keineswegs der Romancier Robert Musil, sondern sein weitaus weniger bekannter Cousin Alois Musil, der sich als Orientreisender und Arabist vor dem Ersten Weltkrieg einen Namen machte und bei Kühn als Gegenfigur zu T. E. Lawrence aufgebaut wird.

Seine Geschichte wird eingebettet in einen brieflichen Plotentwurf für einen nationalsozialistischen Propagandafilm. Damit gewinnt Dieter Kühn zwar eine weitere Reflexionsebene hinzu, läuft aber auch Gefahr, die eigentlich interessante Geschichte aus den Augen zu verlieren. Dieser Vorbehalt trifft alle Erzählungen. Stets wählt Kühn eine Kommunikationsform als Schreibanlass - sei es ein Brief oder ein Rechtfertigungsschreiben wie im Fall des der Kollaboration angeklagten Norbert Verdonck -, die er dann häufig noch durch Herausgeberkommentare unterbricht. So mag sich Multiperspektivität einstellen, der vorwiegende Leseeindruck ist aber eher der der Weitschweifigkeit. Dieses Manko weist selbst der letzte Text "Deportation auf dem Fahrrad" auf, eine im Kern anrührende, empörende Geschichte über den Abtransport einer Jüdin kurz vor Kriegsende. Die umständlich entwickelte Idee, dies in einem Film darzustellen, wirkt nicht nur unplausibel, sondern nimmt der Erzählung auch ihre dokumentarische Wucht.

Dass Kühn gleichwohl glänzend zu fabulieren versteht, blitzt in kleinen Details immer wieder auf. Die Reaktion von Lysers Frau auf dessen Untreue etwa - sie stellt Wasser samt Kerze in den Flur mit der schriftlichen Anweisung, sich zu waschen - ist so originell wie komisch. Als einfühlsamer Biograph ist er ohnehin zigfach bewährt, wie jetzt wieder die beträchtlich erweiterte Neuausgabe seiner Biographie über Oswald von Wolkenstein beweist. Wem es bei all den Fälschungen nicht ganz wohl ist, halte sich vorerst hieran.

THOMAS MEISSNER

Dieter Kühn: "Den Musil spreng ich in die Luft". Gefälschte Geschichten?

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 302 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2011

Die Wahrheit des
Umstandskrämers
Lauter Lügen: Dieter Kühn
fälscht historische Lebensläufe
Auf den ersten Blick sind diese Erzählungen fürchterlich langatmig geraten, und auf den zweiten auch. Sie dümpeln vor sich hin. Dabei ist ihr geheimer Held ein Mann der Tat. Sogar seinen eigenen Namen hat er möglichst effizient gekürzt: Er nennt sich selbst „Hrsg.“, den Herausgeber. Ihm zur Seite eckige Klammern, versucht er in Einschüben immer wieder, Sinn und Dramaturgie in das Dahinplätschern zu bringen. Je abschweifender erzählt wird, desto heroischer seine Kommentarversuche.
Der scheinbare Heldenkampf mit dem Material erfüllt Dieter Kühns neue Erzählungen von der ersten Seitenbemerkung bis zum letzten Nebenstrang. Arrangiert ist er von einem Schriftsteller, der in seinem gesamten Werk niemals an Helden geglaubt hat. Auch diesmal zieht Kühn, Jahrgang 1935, allen einfachen Gewissheiten den Boden unter den Füßen fort. „Hrsg.“ muss sich mit tückischem Material herumschlagen, er tappst durch „gefälschte Geschichten“.
Sechs mögliche Biografien halbprominenter Nebenfiguren der Weltgeschichte hat Kühn ihm herausgesucht; in der Titelerzählung etwa die eines halbseidenen Drehbuchschreibers, der sich im zweiten Weltkrieg mit einem Filmprojekt an den Reichsfilmintendanten Fritz Hippler wendet. Hippler hat es wirklich gegeben, den Drehbuchschreiber Hanns Erckmann eher nicht. Der falsche Erckmann schlägt dem echten Hippler einen Propagandafilm vor, der abermals vor Fakten wie Fiktionen überquillt. Zur Truppenermunterung soll das Leben des britischen Wüstenfuchses T. E. Lawrence denunziert werden. Ihm Paroli bieten soll ein Herr Musil – und zwar nicht der Schriftsteller Robert Musil, sondern dessen Großcousin Alois Musil, der während des Ersten Weltkrieges ein berühmter Orientalist und Diplomat war. Alois Musil hat es wirklich gegeben, den von Filmschreiber Erckmann effektverliebt ausgemalten Showdown zwischen Musil und Lawrence eher nicht.
Wozu all diese Spiegelungen und Verweise? Warum ein derart aufwendig verfilztes Gestrüpp aus Wahrem und Erfundenem? Kühnwendet sich seit je gegen bestimmte Modelle der Geschichtsschreibung. Er zielt auf die Grenzen historischer Rekonstruktion, betont das Fragmentarische jedes Erinnerungsprojekts. Das Bürokratendeutsch seiner Erzählinstanzen, ihr nach außen hin betulich wirkendes Faktenhubern ist für ihn Sabotagearbeit gegen jede vergröbernde Generalthese.
Solche wilden Ritte auf dem Amtsschimmel lassen sich bereits in Kühns großen Büchern seit den siebziger Jahre studieren. Die Wiedergeburt der literarischen Biographie in diesen Jahren stand ganz im Zeichen des privaten Widerstandes gegen verordnete Denkverhältnisse. In „Ich Wolkenstein“ von 1977, jener bis heute überaus lesenswerten Mittelalter-Erschreibung, die klug vor allem Erschreibung bleibt, war Kühns Lieblingsfinte der persönliche Werkstattbericht. In ihm unterlief Kühn die autoritäre Festschreibung von Geschichte, indem er die wechselnden Erkenntnisse des Biografie-Erzählers bei seiner Recherchearbeit gegenhielt.
Und wo hält Jahrzehnte später „Hrsg.“ gegen? Mal berichtet er ausführlich vom angeblich die Evolutionstheorie weiterdenkenden Robert Fitz-Roy, vormals Kapitän von Charles Darwins Expeditionsschiff Beagle, mal prallt er plötzlich wieder gegen Reichsdrehbuchschreiber Erckmann. Dieser dröhnte als Blut-und-Boden-Dichter bereits durch Kühns letzten Erzählungsband „Ich war Hitlers Schutzengel“. Wendet er sich diesmal zunächst rückgratlos an das Propagandaministerium, so darf „Hrsg.“ ihn in einer Folgeerzählung noch zerflossener präsentieren. Da ist der Krieg vorbei, und Hanns Erckmann hat sich selbst flink in Carlo Erckmann umgetauft. Seine Ankunft in der Bundesrepublik betreibt er, indem er den neuen Stellen abermals ein Filmprojekt vorschlägt, einen Plot über den entsetzlich vermeidbaren Abtransport einer einzelnen Jüdin kurz vor der Kapitulation: „Hingegen scheinen mir Versuche, die Massenhaftigkeit von Deportationen in Filmbilder zu bannen, letztlich zum Scheitern verurteilt.“
Ein Opportunist wie dieser Erckmann verkörpert Kühns widerständiges Geschichtskonzept ganz ohne These. Nicht nur einzelne Geschichten sind hier gefälscht, auch die Geschichte selbst ist immer schon Ansichtssache. Wenn etwa der erfolglose Musikus Johann Peter Lyser, eine Seitenbekanntschaft von Robert Schumann und E. T. A. Hoffmann, sich seine Künstlervita durchgängig zurechtfabuliert, dann steht „Hrsg.“ diesem Lügengespinst ausnehmend hilflos gegenüber. Er bekommt die Fakten nicht mehr ansatzweise unter Kontrolle, mit wie vielen Umstandskommentaren er sie auch beharkt. Diese vollkommene Aussichtslosigkeit macht ihn zu einem bisweilen geradezu nervtötend radikalen Nachfahren der wackeren Biografie-Erzähler aus früheren Kühn-Büchern. Wo „Hrsg.“ seine Geschichten scheinbar immer langatmiger erzählt, bezeugt sein kluger Erfinder Dieter Kühn den langen Atem der Geschichte.
FLORIAN KESSLER
DIETER KÜHN: Den Musil spreng ich in die Luft. Gefälschte Geschichten? S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 302 Seiten, 19,95 Euro.
Ein Herr Musil soll dem
britischen Wüstenfuchs
T. E. Lawrence Paroli bieten
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erzählerisches Talent hat er ja, da ist sich Thomas Meissner bei Dieter Kühn sicher. Allerdings treibt es ihm der Autor mit seinem Hang zur fiktiven Anreicherung der Geschichte in den Erzählungen doch zu bunt. Wenn Kühn realen Gestalten erfundene Figuren und erdachtes Geschehen an die Seite stellt, findet der Rezensent das zwar oft recht glaubwürdig angestellt. Oft fragt er sich jedoch, ob es eigentlich hat sein müssen, weil der unbescholtene Leser gar nicht immer drauf kommt, was wahr, was erflunkert ist. Darüber hinaus erscheinen Meissner die Tatsachen oft interessant genug, als dass sie eine forcierte Multiperspektivik und Weitschweifigkeit sowie die Herausgeberkommentare nötig hätten. Vieles, so kritisiert er, werde so unplausibel und verliere seine dokumentarische Wucht.

© Perlentaucher Medien GmbH
Erzählerisches Talent hat er ja, da ist sich Thomas Meissner bei Dieter Kühn sicher. Allerdings treibt es ihm der Autor mit seinem Hang zur fiktiven Anreicherung der Geschichte in den Erzählungen doch zu bunt. Wenn Kühn realen Gestalten erfundene Figuren und erdachtes Geschehen an die Seite stellt, findet der Rezensent das zwar oft recht glaubwürdig angestellt. Oft fragt er sich jedoch, ob es eigentlich hat sein müssen, weil der unbescholtene Leser gar nicht immer drauf kommt, was wahr, was erflunkert ist. Darüber hinaus erscheinen Meissner die Tatsachen oft interessant genug, als dass sie eine forcierte Multiperspektivik und Weitschweifigkeit sowie die Herausgeberkommentare nötig hätten. Vieles, so kritisiert er, werde so unplausibel und verliere seine dokumentarische Wucht.

© Perlentaucher Medien GmbH