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Maria Sibylla Merian, 1647 in Frankfurt geboren, interessierte sich bereits im Alter von 13 Jahren für die heimische Insekten- und Pflanzenwelt. Sie war die erste Naturwissenschaftlerin, die erkannte, dass Insekten Entwicklungsstufen durchlaufen. Besonders fasziniert war sie von der Metamorphose der Raupen zum Schmetterling. In aufwendig kolorierten Kupferstichen hat sie ihre Beobachtungen festgehalten. Zu den Höhepunkten ihres Schaffens zählt die Erforschung der tropischen Flora und Fauna Südamerikas. Dieter Kühn stellt in seiner Biografie eine selbstbewusste, unberirrbare Frau vor und entfaltet zugleich das lebendige Panorama einer Epoche. …mehr

Produktbeschreibung
Maria Sibylla Merian, 1647 in Frankfurt geboren, interessierte sich bereits im Alter von 13 Jahren für die heimische Insekten- und Pflanzenwelt. Sie war die erste Naturwissenschaftlerin, die erkannte, dass Insekten Entwicklungsstufen durchlaufen. Besonders fasziniert war sie von der Metamorphose der Raupen zum Schmetterling. In aufwendig kolorierten Kupferstichen hat sie ihre Beobachtungen festgehalten. Zu den Höhepunkten ihres Schaffens zählt die Erforschung der tropischen Flora und Fauna Südamerikas. Dieter Kühn stellt in seiner Biografie eine selbstbewusste, unberirrbare Frau vor und entfaltet zugleich das lebendige Panorama einer Epoche.
Autorenporträt
Dieter Kühn, geboren 1935, war freier Schriftsteller. Für seine Romane, Biographien, Erzählungen, Kinderbücher, Hör- und Schauspiele ausgezeichnet u. a. mit dem Hermann Hesse-Preis und dem Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Er war Stadtschreiber von Bergen-Enkheim und Mainz. 2013 wurde Dieter Kühn mit der Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz geehrt. Dieter Kühn verstarb im Juli 2015 in Brühl bei Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Eines Tages mußte sie einfach nach Surinam reisen
Kristallfadenprosa: Dieter Kühn sucht Frau Merian und findet einen Hornissenschwarm unter dem eigenen Hausdach / Von Wolfgang Schneider

Dies ist ein merkwürdiges Buch. Ein monumental verplaudertes Werk, hoch gescheit und hoch gescheitert als das, was es sein soll, nämlich eine Biographie der Frau Merian, über die man ja vielleicht auch gar nicht unbedingt ganze sechshundertfünfzig Seiten lesen will, zugleich aber auch kurios geglückt als epischer Werkstattbericht, als barockes Raritätenkabinett und schnurrende Assoziationsmaschine, in der sich das Weltwissen Dieter Kühns mindestens sieben Jahre lang kreuz und quer verlinkt hat.

Frau Merian? Nicht jedem ist bekannt, daß die Tochter des Buchhändlers und Kupferstechers Matthäus Merian (1593-1650), Pionier auf dem Gebiet der Stadtansichten und Stadtpläne, eine bedeutende Künstlerin und Insektenforscherin ihrer Zeit gewesen ist. Mancherorts ist Frau Merian allerdings zu einer Ikone weiblicher Wissenschaft geworden. Und die Bahn läßt zwischen Stuttgart und Hamburg-Altona den ICE 672 "Maria Sybilla Merian" verkehren.

Nicht ganz auf halber Strecke, in Frankfurt, wurde sie 1647 geboren. Sie lernte früh das Malen, Zeichnen, Kupferstechen bei ihrem Stiefvater Jacob Marrell. Die Kunst ging ihr stets mit naturkundlichen Bestrebungen einher. Sie botanisierte, und sie malte Blumenstilleben. In lebenslanger Faszination studierte sie Raupen und Käfer; und sie malte dieses Kleingetier mit einer bis heute nicht übertroffenen, fotographisch anmutenden Exaktheit und Pracht. 1671 erschien ihr "Blumenbuch", 1679 folgte das Buch über "Raupen Würmer Sommervögelein Motten Fliegen und andere dergleichen Thierlein", dessen vollständiger Titel selbst ein rekordverdächtiger Bandwurm ist. Frau Merian verließ ihren Ehemann, den Maler Johann Andreas Graff, mit dem sie zwei Töchter hatte, und zog sich für fünf Jahre in eine pietistische Gemeinde zurück. 1699 unternahm sie dann ihre strapaziöse Expedition ans Ende der Welt, mit der sie endgültig den damaligen Rahmen eines Frauenlebens sprengte. Zwei Jahre verbrachte sie in der niederländischen Tropenkolonie Surinam; der Ertrag war ein weiteres Insekten- und Blumenbuch. Malariakrank kehrte sie zurück; die letzten Jahre lebte sie in Amsterdam, wo sie 1717 starb.

Die Biographie sei die einzige Gattung, an der die Moderne spurlos vorübergegangen ist - so die Überzeugung Dieter Kühns, die er an vielen Stellen des Buches zum Ausdruck bringt. Die Biographen begnügen sich bis heute mit den kontinuierlichen, den Lebensbogen abrundenden Erzählweisen des neunzehnten Jahrhunderts. Kühn aber plädiert mit Verve für eine andere, aufgebrochene Form, die sich identitätsstiftender Kohärenz verweigert. Nach den Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts sei suggestive biographische Harmonisierung à la Stefan Zweig nicht mehr akzeptabel. Das alles klingt wacker und etwas merkwürdig, da die Moderne mit ihrer Manier der aufgebrochenen Formen längst selbst in literaturhistorische Ferne gerückt ist.

Vor allem wird die Not dieses Buches damit zur poetologischen Tugend verklärt. Denn im Fall der Frau Merian ist eine geschlossene Lebenserzählung nicht zu haben: Die Überlieferung ist spärlich, Originaltöne fehlen weitgehend, ganze Lebensabschnitte bleiben im Dämmer des Vermutens. Gerne hätte Kühn etwa "ein ausgiebiges Kapitel" über ihre Beziehung zu den Töchtern geschrieben. Doch kein einziger Brief blieb erhalten. Eine fiktive Person läßt sich aufbauen und entwickeln, eine biographische dagegen kann sich verweigern. Soll der Biograph "durch Fiktion ersetzen, was an Fakten fehlt? Das wäre eine dubiose Interpolation." Seit je verzichtet Kühn auch weitgehend auf das übliche Hauptmittel biographischen Schreibens: die psychologische Einfühlung. Nicht fiktive Introspektion, sondern die quellengestützte Rekonstruktion von Lebensumständen und Lebensmöglichkeiten ist seine Sache. Daß die Fabulierlust der Fakten-Askese unterworfen wird, heißt nun aber nicht, daß der Text abmagerte. Ganz im Gegenteil. Das kalorienarme Erzählen wird mit den Sättigungsbeilagen des Zitatkünstlers üppig angereichert.

Wo von Frau Merian nichts zu haben ist, bietet der Autor einen ganzen Chor von Ersatzstimmen auf. Er nennt solche Implantationen Analogieverfahren: "das in ein Zeitkontinuum getauchte Stück Lebensfaden, an dem sich Kristalle ansetzen in einem für sie, die Merian, charakteristischen Muster". Viele dieser Kristalle kommen freilich von sehr weit her. Weil zur Surinam-Reise nichts überliefert ist, greift Kühn zum Beispiel auf die Reisebeschreibungen Chamissos zurück, die über hundert Jahre später entstanden. Andere "Analogien" erscheinen noch willkürlicher, so daß der Autor dem Leser des öfteren gerade rechtzeitig die Frage aus dem Mund nimmt: "Warum das in einer Merian-Biographie?"

"Wir bleiben in Sichtverbindung mit der Merian", versichert er bei seinen Abschweifungen. Mittels des biographischen Konjunktivs läßt sich das Buch unbegrenzt in die Breite treiben. Kühn findet einen Bericht über die horriblen Haftbedingungen jener Zeit. Läßt sich einfügen, denn auch die Merian habe mit ihrer anrüchigen Leidenschaft für das "Teufelsgeziefer" mit einem Bein im Kerker gestanden. Er stößt auf einen zeitgenössischen Artikel über den Mahlstrom, jenen "schröcklichen Strudel" im hohen Norden, der mit schaurigem Gurgeln Schiffe verschlingt. Läßt sich einfügen, denn auch die Merian hat Seereisen unternommen und "könnte" diesen Artikel gelesen haben.

Keine Frage aber, daß sich Kühns Kristallsammlung zu einer beeindruckenden Darstellung der Barockzeit fügt. Man erfährt viel über das Leben in den Städten des siebzehnten Jahrhunderts, über das Elend der Bettler und Kriegskrüppel und die Festtafeln der Reichen. Gute Dinge kamen nicht nur auf den Tisch, sondern auch, still gemalt, an die Wände. Wie die neue Wissenschaft bemühte sich auch die Kunst um Hinwendung zur empirischen, genießbaren Welt, sie wurde zu einer Schule genauester Wahrnehmung. Mit großer Anschaulichkeit führt Kühn die Moden und Manien des Zeitalters vor: die wahllose Sammelwut der Kunstkammern und Raritätenkabinette, die Seidenraupenmanie und die Tulpenspekulation. Man feierte Schönheit und Blütenpracht und grübelte über das Welken, Verfaulen, Verfallen: "Des Menschen Leben ist gleich einer Blum." Wer nicht, wie Frau Merian, Blumen malte, malte Totenschädel oder Sanduhren.

Zugleich war es die Zeit einer maßlosen Brutalität; die endlosen Kriege hatten allgemeine Verrohung mit sich gebracht. Reisen war vor allem für Frauen lebensgefährlich; außerhalb der Stadtmauern lauerten die Banditen und auf den Meeren hinter mancher Woge Piraten, gegen deren regelmäßige Überfälle die Reisenden Versicherungen abschlossen. Ungeheuerliche Zustände herrschten in den Kolonien. Viele Seiten widmet Kühn diesem Elend, das nirgendwo mehr in Sadismus ausartete als in Surinam. Da wurde geschlagen und gepeitscht, gespießt und gerädert, gehenkt und geköpft. Andernorts brachten Kolonialherren ihre Sklaven zur Raison, indem sie drohten, sie nach Surinam zu verkaufen. Was die Merian über diese Vorgänge dachte? Man kann darüber nur spekulieren. Ihr Lebensfaden schlängelt sich dünn durch das große Epochenpanorama.

Immerhin setzt Kühn einige ungewohnte Akzente. Scharf ist er in der Beurteilung von Merians malerischen Qualitäten: Die dekorativen Stilleben zeugen von künstlerischen Grenzen und erreichen nicht den damaligen hohen europäischen Standard. Hier liege auch das Hauptmotiv für die Surinam-Reise. Nach Hunderttausenden von Blumenstilleben war der Markt übersättigt. Da Merian nicht die künstlerische Kraft besaß, eine neue Bildsprache zu entwickeln, mußte sie das Motivrepertoire ins Exotische erweitern, um weiter im Geschäft zu bleiben: große Falter in opalisierenden Farben, Ananas statt Kirschen. Allerdings will zu dieser Hypothese nicht recht passen, daß sie in Surinam keineswegs wilde Dschungelblumen malte, sondern vor allem das, was in ihrem Vorgarten wuchs.

Auch von feministischen Deutungen des pietistischen Intermezzos hält Kühn nicht viel. Wer meint, daß Merian zu den Labadisten nach Friesland entwichen sei, um ihren Ehemann loszuwerden, unterschätzt die Frömmigkeit des siebzehnten Jahrhunderts. Der Gatte war übrigens anhänglich, es kam zu einer ausnahmsweise dokumentierten Szene im Pförtnerhäuschen des Pietistengeländes, wo er sie auf Knien so ergreifend wie vergeblich bat, zu ihm zurückzukehren. Gerne wird gerühmt, Frau Merian habe sich "auf völliges Neuland der Wissenschaft" begeben. "Gemach, gemach", ruft Dieter Kühn, ihre fromme Betrachtungsweise der kleinen Naturwunder sei noch weit entfernt von analytischer Forschung gewesen. Auch als "ganzheitliche" Frühökologin tauge die Merian nicht - eher sei sie ein Beispiel für frühe Spezialisierung gewesen.

Solche Relativierungen hindern ihn aber nicht an aufrichtiger Bewunderung. Das Schreiben einer Biographie gerät ihm immer auch zum Roman des Rechercheurs, und so berichtet er hier ausführlich darüber, wie er selbst zunehmend den faszinierten Merian-Blick für das Kleine und Kleinste entwickelt und sich mit geweckter Neugier über manche Raupe beugt. Sogar ein Hornissenschwarm unter dem eigenen Hausdach bringt ihn nicht mehr aus der Ruhe: "Gelassenheit als Ergebnis geduldigen Beobachtens", abgeschaut bei der Merian. Kühn kann ein glänzender Stilist sein, und hier sind ihm Beschreibungen gelungen, an denen Stifter seine Freude gehabt hätte.

Zunehmend entpuppt sich der Autor als Geistesverwandter der Merian. Wie sie hat er Hunderte von kleinen Schachteln parat, in denen allerdings nicht Raupen den Stoffwechsel üben, sondern Lesefrüchte auf die Stunde ihrer Verwendung warten. Zwar mahnt Kühn sich selbst: "Es dürfen sich keine Informations-Protuberanzen bilden." Doch die Protuberanzen sind das Beste an diesem Buch. Frau Merian dagegen ist weder eine lebenspralle Gestalt wie Oswald von Wolkenstein, über den Kühn seine berühmteste Biographie geschrieben hat, noch eine hochdramatische Figur wie Clara Schumann, der seine letzte Lebenserkundung galt. Kein Schaden deshalb, daß sie über weite Strecken mehr der Schreibanlaß als der Gegenstand dieses verwucherten Buches ist, dessen Um- und Abwege mancher begradigten Lektüre vorzuziehen sind.

Dieter Kühn: "Frau Merian!" Eine Lebensgeschichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 647 S., geb., 24,90 .

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Beruf: Kupferstecherin und Naturforscherin
Diese knappe Auskunft jedenfalls gibt Meyers Großes Taschenlexikon über Maria Sibylla Merian, die 1647 in Frankfurt am Main geboren wurde und, auch wenn es platt klingt, ihrer Zeit weit voraus war. Ihr Hauptwerk ist die "Metamorphosis insectorum Surinamensis" von 1705, mit detailgetreuen, handkolorierten Stichen der Insekten Surinams.
Perfekte Projektionsfläche
Für den Autor ihrer Biografie ist Maria Sibylla Merian die perfekte Projektionsfläche, um das Leben in Deutschland im ausgehenden 17. Jahrhundert zu beschreiben. Oft bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig, als auf die Stimmen von Zeitgenossen und die Schilderung zeitgenössischer Ereignisse zurückzugreifen, denn die Quellen, die authentisch Auskunft über das Leben von Merian geben könnten, sind äußerst spärlich. Und doch beeindruckt die Lebensschilderung einer Frau, die mit großer Präzision und ästhetisch unübertroffen ihre naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu Papier brachte; die sich von ihrem Mann trennte, um in einer religiösen Gemeinschaft zu leben; und die sich auf eine höchst strapaziöse Reise nach Surinam machte, um dort ihre Feldforschungen betreiben zu können. Dieter Kühn nimmt den Leser mit auf eine wunderbare Reise in die Vergangenheit und macht ihn so bekannt mit einer höchst bemerkenswerten Frau. (Mathias Voigt, literaturtest.de)

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Elke von Radziewsky ist begeistert. "Ein wunderbares Buch" ist diese Biographie der Maria Sibylla Merian von Dieter Kühn. Zwar ist die haarkleine Recherchearbeit, mit der sich der Autor von Insektenkunde angefangen bis hin zu Informationen über die Verlegerbranche in das Leben der Frau Merian einarbeitet, vielleicht eine Spur zu "akribisch", gibt die Rezensentin zu verstehen - sie hat durch eben diese Genauigkeit in der Darstellung so manches Mal an die "Lehrstücke" der "Sendung mit der Maus" denken müssen. Aber für den ungeduldigen Leser ist dieses Buch ohnehin nichts, so Elke von Radziewsky weiter, denn der Autor "repetiert" Familiengeschichte und das über "Generationen" hinweg. Aber als erzählender Beoachter führe der Autor, selbst forschend, wandernd und suchend gelungen und spannend durch die Lebens- und Forschungswelten der Merian und vermag so den "von detailversessener Neugierde" angetriebenen Leser zu beglücken.

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