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Welche Rolle spielt schon ein Name?, denkt Marie, als sie am Bahnhof einer großen Stadt mit einer Studentin verwechselt und in ein Studentenwohnheim einquartiert wird. Dort teilt sie ein Zimmer mit Colina, die kurz darauf spurlos verschwindet. Von diesem Moment an verändert sich alles. Die Stadt verschiebt sich, Cafes verschwinden, Straßen gibt es nicht mehr, Häuser tauchen an anderer Stelle wieder auf. Manchmal kommt es Marie vor, als würden sich die Dinge vor ihr verbergen, und überall kleben plötzlich Zettel: Menschen werden vermisst, Hunde und Katzen gesucht, Wohnungen, Schlüssel,…mehr

Produktbeschreibung
Welche Rolle spielt schon ein Name?, denkt Marie, als sie am Bahnhof einer großen Stadt mit einer Studentin verwechselt und in ein Studentenwohnheim einquartiert wird. Dort teilt sie ein Zimmer mit Colina, die kurz darauf spurlos verschwindet. Von diesem Moment an verändert sich alles. Die Stadt verschiebt sich, Cafes verschwinden, Straßen gibt es nicht mehr, Häuser tauchen an anderer Stelle wieder auf. Manchmal kommt es Marie vor, als würden sich die Dinge vor ihr verbergen, und überall kleben plötzlich Zettel: Menschen werden vermisst, Hunde und Katzen gesucht, Wohnungen, Schlüssel, Geldbörsen, Jobs. Was ist das für ein Leben, in dem einem ständig etwas abhanden kommt? Und wie findet man sich zurecht, wenn jeder Plan sofort durchkreuzt wird?
Autorenporträt
Junge, RicardaRicarda Junge 1979 in Wiesbaden geboren, ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig. Anschließend studierte sie evangelische Theologie in Frankfurt am Main. Für ihr Debüt »Silberfaden« wurde sie 2003 mit dem Grimmelshausen-Förderpreis ausgezeichnet. 2005 erschien ihr Roman »Kein fremdes Land«, für den sie den George-Konell-Preis erhielt, 2008 »Eine schöne Geschichte«, 2010 der Roman »Die komische Frau« und 2014 der Roman »Die letzten warmen Tage«. 2013 erhielt sie den Robert-Gernhardt-Preis. Ricarda Junge lebt mit ihrer Familie in Berlin und Frankfurt am Main.Literaturpreise:Mehrfach Förderpreise des Jungen Literaturforums Hessen-Thüringen2003 Grimmelshausen-FörderpreisGeorge-Konell-Preis für »Kein fremdes Land«2013 Robert-Gernhardt-Preis
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.08.2008

Literatur als Betäubung
Ricarda Junge erzählt in „Eine schöne Geschichte” vom Sterben
Wenn ein Roman „Eine schöne Geschichte” heißt, dann versteht sich von selbst, dass er keine schöne Geschichte erzählt. Die kalkulierte Enttäuschung bestimmt die Erwartungshaltung des Lesers. Wer Geschichten aus der heilen Welt sucht, weiß, dass er hier falsch ist. Ricarda Junges zweiter Roman „Eine schöne Geschichte” ist die Geschichte einer tödlichen Krankheit.
Marie, eine Studentin der Rechtswissenschaften, erkrankt an einer Lungenfibrose. Durch eine Autoimmunreaktion zerstört sich der Körper selbst, innerhalb von kurzer Zeit führt das zur Lähmung der Lunge, zu Atemnot und schließlich zum Tod. Marie erfährt, dass sie nur noch wenige Wochen zu leben hat. Es ist ihr Anlass zu erzählen, eher sich selbst als anderen, denn es ist ein Versuch, sich etwas vorzumachen, sich abzulenken, abzudriften in die Phantasie: Literatur nicht als Diagnose oder Heilung, sondern als Betäubung. „Jetzt, wo ich krank bin, würde ich gerne eine Geschichte erzählen, die leicht ist. Ein Picknick im Freien, über das die Krankheit wie ein Gewitter hereinbricht. Du raffst alles zusammen, was nicht nass werden soll und rennst.”
Marie will die ihr verbleibende Zeit unbeschwert mit ihrem neuen Freund Peter verbringen und verheimlicht die Krankheit. Es passiert alles mögliche, was ein Studentenleben so mit sich bringt, nur gelegentlich denkt Marie über den Tod nach. Daneben ereignet sich allmählich Ungewöhnliches, im Studentenwohnheim verschwinden Gegenstände, in einem Nachtasyl verschwindet ein Kind und schließlich verschwinden ganze Häuser. Es wird schwierig, zur Universität zu finden oder an den eigenen Arbeitsplatz, schlimmstenfalls findet man nicht einmal mehr das eigene Haus, sondern steht vor einer Tür, in die der Schlüssel nicht mehr passt.
Die entwurzelten Menschen müssen nun in Hotels unterkommen, weil sie nicht mehr wissen, wo sie hingehören. In einem solchen Hotel arbeitet Marie zwischenzeitlich. Nachdem auch die Hotelleitung selbst verschwunden und Marie auf sich selbst gestellt ist, vermietet sie die Zimmer nur noch an Selbstreiniger. Aber was hat das nun mit ihrer Krankheit zu tun? Nichts und sehr viel. Die Erzählung hat sich von der Krankheitsgeschichte gelöst und sich in eine phantastische Groteske verwandelt. Aber diese Groteske verarbeitet hauptsächlich das Material, das die Krankheitsgeschichte liefert: das Verschwinden des eigenen Körpers im Tod. Schon auf der ersten Seite stellt Marie die Überlegung an: „Vielleicht konnte man sterben und war trotzdem noch da. Man verschwand nicht wirklich aus diesem Leben (. . .), sondern tauchte in einer anderen Form wieder auf.” Und wann immer wieder etwas verloren geht, heißt es: „Es geht nichts verloren, sagt man hier in der Stadt. Und: Alles taucht wieder auf.” Das ist der Glaube, an den sich die Erzählerin klammert. Ihr Körper mag zu Staub zerfallen, aber ihre Seele möge bestehen bleiben.
Das Nebeneinander von Krankheit und Stadt, von körperlichem Verfall und baulichem Wandel funktioniert allerdings nicht so recht, weil der Roman zwei Herren zugleich dienen muss und keinem gerecht werden kann. Das ist schade. Denn Ricarda Junge, die in Leipzig am Deutschen Literaturinstitut studiert hat, gelingt ein groteskes Bild von dem Wandel, den ostdeutsche Städte nach der Wende erfahren haben. Sie empfindet die bekannten Zeitraffungen literarisch nach, in denen unter drehenden Kränen ständig Häuser im Boden versinken und an anderer Stelle wieder auftauchen.
Doch zugleich heißt es eben: „Das hier ist keine Stadt. Es ist ein Menschenleben.” Genaugenommen ist es eine verdinglichte Innenwelt, eine Kopfgeburt. Der Text thematisiert sein Strukturproblem selbst: „Wer kann schon in den Kopf eines anderen schauen. (. . .) Du könntest meinen Kopf nicht schwimmend durchqueren. Du müsstest ertrinken.” Allerdings. In einer Stadt, in der nichts mehr an seinem Ort ist, kann kaum eine Handlung stattfinden, die Protagonisten können sich nur treiben lassen. Auch die einzelnen, handlungsarmen Passagen treiben wie Eisschollen in dem Roman umher, aber führen ihn nicht voran. So ertrinkt der Leser, allerdings nicht in einem mitreißenden Erzählstrom, sondern in einem stehenden Gewässer. JEAN-MICHEL BERG
RICARDA JUNGE: Eine schöne Geschichte. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2008. 256 S., 17,90 Euro.
Ricarda Junge, geboren 1979 Foto: Anna Weise
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2008

Wiedergeburt als Zahnbürste
In der Nahtodpoetik Ricarda Junges ist die Welt entgrenzt

"Jetzt, wo ich krank bin, würde ich gerne eine Geschichte erzählen, die leicht ist. Ein Picknick im Freien, über das die Krankheit wie ein Gewitter hereinbricht. Du raffst alles zusammen, was nicht nass werden soll, und rennst." Zwei Wochen nach ihrem Umzug in die namenlose Stadt, in der sie Jura studieren will, erfährt Marie Landski, dass sie an einer Lungenkrankheit sterben wird. Von hier an fällt alles auseinander. Dinge verschwinden und tauchen - irgendwann, an ganz anderer Stelle - wieder auf, Menschen gehen verloren, und aus dem Untergrund steigt eine alles vernichtende Flut herauf. Eine leichte Geschichte ist Ricarda Junges zweiter Roman nicht, eher der Versuch eines großen Resümees: alles zusammenzuraffen, was noch einen Sinn ergab, bevor es vom Tod bedroht wurde.

"Das klingt vielleicht merkwürdig, aber wenn man eine Krankheit in sich trägt, die nach außen hin unsichtbar, die einem nicht anzusehen ist, sieht plötzlich alles ganz anders aus. Man sieht sich selbst anders an. Man traut den Dingen nicht mehr. Hinter allem lauert ein Abgrund." Es beginnt mit Zahnbürsten, Kopfkissen, Fahrrädern, die aus dem Wohnheim verschwinden. Alles kehrt am Ende auf Umwegen zurück: nie, wenn man gerade danach fragt, nie dort, wo man es sucht. Die Stadt ist wie ein Meer, in dessen Wogen Gegenstände, Häuser, Identitäten treiben und an anderer Stelle wieder an die Oberfläche gespült werden.

In dieser steten Bewegung wird dann auch der Tod zu einer Episode. "Vielleicht konnte man sterben und war trotzdem noch da. Man verschwand nicht wirklich aus diesem Leben, löste sich nicht auf, zerfiel nicht zu Staub, sondern tauchte in einer anderen Form wieder auf. In den Lebenden, den Körpern, Gesichtern und ihren Namen." Die Figuren haben die Aura von Gespenstern. Verletzungen, die der eine sich zuzog, führen zu Symptomen am Körper eines anderen. Schwer zu sagen, wer die Erfindung eines anderen ist, wer der Doppelgänger eines Dritten, wer längst gestorben. Maries Liebe zu Peter - oder zu Arndt? - ist ihre Bestätigung, noch am Leben zu sein, so wie die mit dem Duft frischgebackenen Brotes gesüßte Morgenluft, die sie im Krankenbett in ihre schwächer werdenden Lungen strömen lässt. Niemand kann sterben in der Stadt, solange er noch als Phantomschmerz eine Spur in der Erinnerung eines andern hinterlässt.

Auflösungserscheinungen und Wiederholungsstrukturen charakterisieren auch den Text, dessen Einheit hauptsächlich die zu Leitmotiven gesteigerten Krankheitssymptome stiften. Handlungsstränge brechen unvermittelt ab und gehen an anderer Stelle weiter. Der Leser bewegt sich durch das Buch wie Marie durch die Stadt. Ricarda Junge, die ihr Handwerk am Deutschen Literaturinstitut Leipzig gelernt hat, erschafft hier mit einer bis zur Sprödigkeit schnörkellosen Sprache ein unbehagliches, hermetisches Universum, das sich jeder psychoanalytischen Lesart widersetzt.

Der Rhythmus der Erzählung wird allerdings immer dann gestört, wenn Junge auf das alltägliche Studentenleben mit Vorlesungen, Partys und Filmvorführungen rekurriert. Damit soll vermutlich die Distanz zwischen einem weitgehend normalen und einem aus den Fugen geratenen Wahrnehmungszustand markiert werden. Dieser Hinweis wäre jedoch gar nicht nötig. Er fügt der Geschichte, die die Beklemmung der Todesnähe über die refrainartige Wiederholung von Erzähl- und Erinnerungsfragmenten transportiert, einen weiteren, ungewollten Bruch hinzu.

    ARIANE BREYER

Ricarda Junge: "Eine schöne Geschichte". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 256 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Eine schöne Geschichte", wie der Titel von Ricarda Junges zweiten Roman lautet, erzählt das Buch nach Ansicht Ariane Breyers keineswegs. Sie fühlt sich vielmehr von dem Roman um eine angehende Jura-Studentin, die kurz nach ihrem Umzug in eine neue Stadt erfährt, dass sie an einer tödlichen Lungenkrankheit leidet, in ein "unbehagliches, hermetisches Universum" versetzt, das sich jeder psychoanalytischen Lesart entziehe. Sie liest das Buch als Versuch, ein Resümee zu ziehen, alles zusammenzuraffen, was einen Sinn hatte, "bevor es vom Tod bedroht wurde". Die Sprache der Autorin wirkt auf sie reduziert, fast ein wenig spröde. Den Text sieht sie von Auflösungserscheinungen und Wiederholungsstrukturen geprägt, seine Einheit von den als Leitmotiven eingesetzten Krankheitssymptome gestiftet. Die Todesnähe und das Auseinanderfallen des Lebens, die die Protagonistin erlebt, erzeugen bei ihr ein beklemmendes Gefühl. Allerdings moniert Breyer, dass der Rhythmus der Erzählung immer wieder durch die Schilderungen des alltäglichen Studentenleben mit Vorlesungen, Parties und Filmvorführungen gestört werde.

© Perlentaucher Medien GmbH